Wie wird man Astro­physikerin, Julia Tjus?

Julia Tjus an der Tafel bei einer ihrer Vorlesungen.
Wie wird man Astro­physikerin, Julia Tjus?
Autor: Philipp Nagels Fotos: Sofia Brandes 03.12.2024

Julia Tjus ist eine preisgekrönte Astro­physikerin. An der Ruhr-Universität Bochum forscht die Professorin für Theoretische Physik zu den Ursprüngen der kosmischen Strahlung. Geplant hatte sie diese Karriere jedoch nie. Über eine Frau, die ihrer Neugier gefolgt ist – und so erfolgreich wurde.

Auch wenn es nicht so scheint: Tag und Nacht sind wir von kosmischer Strahlung umgeben. Von allen Seiten trifft sie auf die Erde und ist unsichtbar für das menschliche Auge. Obwohl kosmische Strahlung bereits seit 100 Jahren bekannt ist, wissen Forscher*innen noch immer nicht genau, was sie verursacht. Die aus kleinsten Teilchen bestehende Strahlung wird irgendwo im Universum so stark beschleunigt, dass sie ihren Weg zu uns findet. Doch was erzeugt diese Energie – und wo?

„Das sind Fragen, die für Leute wie mich faszinierend sind“, sagt Julia Tjus lachend. Leute wie sie: Das sind Astro­physiker*innen, Teilchen­physiker*innen und Plasmaphysiker*innen. Menschen, die sich mit dem ganz Kleinen beschäftigen, um das große Ganze zu verstehen. „Am Ende möchte man als Physikerin oder Physiker die Weltformel finden“, sagt sie.

Von der Astrophysik zum maschinellen Lernen

Julia Tjus ist Mitte 40 und Professorin für Theoretische Physik an der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Forschungs­gebiet ist die Plasma-Astro­teilchen­physik. Tjus versucht, der kosmischen Strahlung auf die Schliche zu kommen, ihren Ursprung zu errechnen. Die Schwierigkeit dabei: Die geladenen Teilchen verlieren auf dem Weg zur Erde ihre ursprüngliche Richtung und strahlen von allen Seiten gleich­mäßig auf unseren Planeten. Woher sie ursprünglich stammen, ist deshalb schwer nach­zu­voll­ziehen.

Julia Tjus in ihrem Büro an der Ruhr Universität Bochum.
© Sofia Brandes

Julia Tjus ist seit 2009 Professorin für Theoretische Physik an der Ruhr-Universität Bochum. Tjus hat an der Universität Wuppertal Physik studiert und 2007 an der TU Dortmund promoviert. Ihre Abschluss­arbeiten wurden mehrfach aus­gezeichnet. Sie hat in ihrer akademischen Karriere Forschungs­mittel vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungs­gemein­schaft, dem Deutschen Akademischen Aus­tausch­dienst und dem Mercator Research Center Ruhr erhalten.

Für die Wissenschaftlerin ist es selbst­verständlich, über den Teller­rand des eigenen Feldes zu blicken. Ihre Forschung hat direkte Berührungs­punkte mit der Teilchen- und Plasma­physik, aber auch mit der Informatik, insbesondere dem maschinellen Lernen. Künstliche Intelligenz etwa hilft, die riesigen Daten­mengen zu analysieren, die bei der Messung von Neutrinos entstehen. Diese ungeladenen Elementar­teilchen sind gewisser­maßen ein Neben­produkt der kosmischen Strahlung und geben ihr eine charakteristische Signatur. „Innovation lebt davon, Brücken zwischen den Fach­richtungen zu bauen“, erklärt Tjus. „Wir müssen in der Forschung neue Wege beschreiten. Das schaffen wir nicht, indem wir weiter dasselbe machen.“ Als theoretische Physikerin arbeitet Tjus daher auch mit Forscher*innen der beobachtenden Astronomie zusammen, die Himmels­phänomene in Observatorien studieren. „Mir ist es wichtig, Theorie und Beobachtung in meiner Arbeit zu verknüpfen, weil nur so Schluss­folgerungen über die Prozesse im Universum gemacht werden können“, sagt sie.

Ein Klassiker für das Studium der Astrophysik.
Ein Klassiker für das Studium der Astrophysik. © Sofia Brandes
Die Student*innen der Astrophysik arbeiten aktiv bei Tjus Vorlesungen mit.
Die Student*innen der Astrophysik arbeiten aktiv bei Tjus' Vorlesungen mit. © Sofia Brandes
Julia Tjus beim Schreiben eines physikalischen Modells.
Julia Tjus beim Schreiben eines physikalischen Modells. © Sofia Brandes

Dieser Anspruch trägt die gebürtige Wuppertalerin durch eine sehr erfolg­reiche akademische Karriere. 2007 gewann sie den Dissertations­preis der Technischen Universität Dortmund, schon sechs Jahre später folgte der Ruf auf eine der raren W3-Professuren in ihrem Feld. Bei der International Cosmic Ray Conference wurde sie 2015 mit dem „Young Scientist Award“ im Bereich Astro­teilchen­physik ausgezeichnet. Tjus hat zudem Forschungs­förderungen von den renommiertesten deutschen Wissen­schafts­institutionen erhalten, unter anderem vom Mercator Research Center Ruhr (MERCUR).

Groß geplant sei dieser steile Karriereweg allerdings nie gewesen, sagt sie: „Es ist schon etwas absonderlich, als junge Erwachsene Astrophysik zum Beruf zu machen.“ Schon als Kind ging sie gerne ins Planetarium und war von den Sternen fasziniert. Nach dem Abitur besuchte sie eine Probe­vorlesung zur Astro­physik. Der Professor berichtete lebhaft von neuesten Erkenntnissen zu Neutrinos. „Das hat mich damals schon mit­gerissen“, sagt Tjus. Heute spielen die Teilchen eine entscheidende Rolle in ihrer Forschung.

Mit jedem publizierten Forschungs­artikel kommt man, wenn man ehrlich ist, nur ein kleines Stückchen weiter. Die großen Durchbrüche passieren trotz intensiver Arbeit nur sehr selten.

Julia Tjus, Professorin an der Ruhr-Universität Bochum

Wie gelingt der Durchbruch im Wissenschafts­betrieb?

Doch Interesse allein führt nicht zum Erfolg. Durchhalte­vermögen brauche man für Unter­fangen wie die Plasma-Astro­teilchen­physik, sagt die Professorin. Und eine gewisse Frustrations­toleranz: „Forschung ist viel harte Arbeit ohne direktes Ergebnis.“ Zudem müsse man mit der Einsicht klarkommen, wie begrenzt das eigene Wissen sei, sagt sie. „Mit jedem publizierten Forschungs­artikel kommt man, wenn man ehrlich ist, nur ein kleines Stückchen weiter. Die großen Durchbrüche passieren trotz intensiver Arbeit nur sehr selten.“ Wer versucht, zu berechnen, wie geladene Teilchen auf ihrem Weg zur Erde durch galaktische und inter­galaktische Magnet­felder geschleudert werden, lernt Demut.

Über ihre Erfolge spricht Julia Tjus nicht gerne. „Nicht talent­frei“ sei sie zwar, doch vor allem habe sie viel Glück gehabt. Denn in vielen Fach­gebieten gebe es nur wenige feste Forschungs­stellen. In Deutschland ist eine akademische Karriere mit viel Unsicherheit verbunden. „Für den wissenschaftlichen Nachwuchs gibt es viele Förder­programme, insbesondere zum Gründen von Nachwuchs­gruppen“, sagt Tjus, „Doch die Frage ist, ob wir immer richtig fördern.“ Das System begünstige Wissenschaftler*innen, die gut darin seien, Forschungs­gruppen zu leiten. Doch innovative Forschung brauche auch andere Talente wie einen kreativen und unbändigen Geist.

Woher kommt die kosmische Strahlung nun?

Zum Abschluss die Bitte an die Physik­professorin, einmal anzudeuten, welche Ansätze in ihrem Forschungs­feld kursieren. „Aktuell sehen wir zwei Systeme, die überhaupt in der Lage sind, Teilchen dermaßen zu beschleunigen“, sagt sie. „Einmal die Super­nova­über­reste, also explodierte Sterne, und zweitens aktive Galaxien, die extrem masse­reiche Schwarze Löcher im Zentrum haben.“ Julia Tjus strahlt, während sie über diese kaum vorstellbaren Phänomene im All spricht. Eines ist bewiesen: Diese Wissenschaftlerin hat ihren Platz im Universum gefunden.

Mercator Research Center Ruhr (MERCUR)

MERCUR hat seit seiner Gründung im Jahr 2010 mehr als 300 Forschungs­projekte mit rund 60 Millionen Euro im Rahmen der Universitäts­allianz Ruhr (UA Ruhr) unter­stützt. So wurden unter anderem universitäts­über­greifende Professuren eingerichtet und mehrere Sonder­forschungs­bereiche initiiert. Die Vorhaben haben es Wissenschaftler*innen ermöglicht, inter­disziplinär an großen, komplexen Themen zu arbeiten. Zudem entstanden verschiedene Graduierten­kollegs, die speziell darauf abzielen, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Jetzt schreibt die UA Ruhr die Erfolgs­geschichte fort.
www.mercur-research.de