„Austausch verändert sich“

„Austausch verändert sich“
Autor: Matthias Klein 24.11.2020

Seit Monaten hat Corona die Welt im Griff. Das wirkt sich auch auf den deutsch-chinesischen Schüler- und Jugendaustausch aus: Dieser sei momentan wie eingefroren, sagt Caspar Welbergen, Geschäftsführer des Bildungsnetzwerks China, im Interview. Neue Wege seien eine Chance: „Virtuelle Formate werden den Austausch der Zukunft bereichern.“

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf den Austausch mit China ausgewirkt, Herr Welbergen?

Caspar Welbergen: Der Austausch ist sozusagen eingefroren. Momentan geht niemand nach China, niemand kommt her. Und das wird sich in den kommenden Monaten auch nicht ändern. Es ist in dieser Hinsicht ein verlorenes Jahr. Was wir auch sehen: Die Schulen und Institutionen, die sich für China interessieren, bleiben dran. Sie wollen weiter mit dem Thema arbeiten.

Wie sieht das konkret aus?

Welbergen: Das Interesse an virtuellen Formaten ist groß. Ich habe allerdings den Eindruck, dass viele Projekte sich noch im Anfangsstadium befinden. Es ist wie überall in der Gesellschaft eine Chance, in der digitalen Welt neue Möglichkeiten zu erschließen. Eine davon sind virtual-reality-Formate wie 360 Grad-Videos. In China wie in Deutschland nehmen Schüler*innen so ihr Alltagsleben auf, dokumentieren ihren Schultag, ihre Hobbys, das Leben in den Familien. Das schauen sich die Schulklassen dann wechselseitig an. Dadurch bekommt man schon viel mit. Natürlich stößt man auch hier an Grenzen, weil es noch keine Live-Interaktion gibt. Man erlebt nicht, wie das Gegenüber reagiert, wie man kulturelle Unterschiede überwinden kann.

© Stiftung Mercator

Caspar Welbergen

Caspar Welbergen ist Geschäftsführer des Bildungsnetzwerks China.

Wie hat die Coronakrise generell den Kontakt zwischen Deutschland und China verändert?

Welbergen: Der Kontakt mit China über digitale Kanäle bringt besondere Herausforderungen mit sich. Da ist zunächst einmal die Zeitverschiebung von mindestens sechs Stunden, die vieles erschwert. Es steht nun einmal nur eine begrenzte Zeit jenseits der Nacht zu Verfügung. Hinzu kommt, dass in China bislang ganz andere Kanäle als in Deutschland genutzt wurden, Facebook beispielsweise spielt dort keine Rolle. Da hat sich inzwischen einiges getan, es gibt globale Plattformen, die in beiden Ländern zum Einsatz kommen. Das wird in der Zukunft vieles erleichtern. Zurzeit gibt es in vielen Bereichen nur minimale unmittelbare Kontakte. Allerdings glaube ich, dass diese Phase für die Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen nicht entscheidend sein wird. Sobald das Infektionsgeschehen es zulässt, denke ich, dass viele Projekte wieder aufgenommen werden.

Die Lust auf einen Austausch ist weiterhin da!

Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit besteht ja darin, die China-Kompetenz an deutschen Schulen zu stärken. Wie wirkt sich die Coronakrise auf das Interesse an den Schulen aus?

Welbergen: Wir möchten die China-Kompetenz in den Bereichen Sprache, Wissen über China und eben Begegnung fördern. Die Resonanz ist vergleichbar mit der Situation beim klassischen Austausch. Überall dort, wo ein Grundinteresse an China bestand, wo Schulen bereits mit dem Thema gearbeitet haben, geht das wegen Corona nicht zurück. Die Lust auf einen Austausch ist weiterhin da! Schwieriger ist es hingegen, weitere Schulen für das Thema zu interessieren. Die Schulleiter*innen sind durch Corona momentan mit ganz anderen Schwierigkeiten konfrontiert, da ist wenig Raum, jetzt ein neues inhaltliches Thema aufzunehmen. Ich bin gespannt, wie sich das in der Zeit nach Corona entwickeln wird. Hier möchte das Bildungsnetzwerk mit Informationen und Förderangeboten unterstützen.

Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für den Austausch der Zukunft?

Welbergen: Der Austausch-Sektor durchläuft gerade eine Schock-Evolution. Konzeptionell ist das eine riesige Chance. Momentan mögen virtuelle Formate temporär als Ersatz zum Einsatz kommen, aber es wird sich auch langfristig manches ändern. Virtuelle Formate werden den Austausch bereichern. Die neuen Formate werden vor allem hilfreich bei der Vorbereitung sein: Es wird nicht mehr so sehr ein Sprung ins kalte Wasser sein, wenn man aus dem Flugzeug steigt und dann plötzlich in einem fremden Land ist. Virtuelle Formate können hilfreich sein, das Land und die Umgebung schon vorher etwas kennenzulernen und sich anders darauf einzustellen.

Die virtuellen Formate werden also nicht den klassischen direkten Kontakt vor Ort ersetzen?

Welbergen: Nein, das glaube ich nicht. Ziel des Austauschs ist es ja gerade, einen Perspektivwechsel zu erreichen, eine andere Lebenswelt kennenzulernen. Das geht nur, indem man die eigene Lebenswelt verlässt. Anders gesagt: Man muss in einer anderen Lebenswelt ins Bett gehen und dort auch wieder aufwachen – nicht einfach mal eben den Laptop zuklappen und wieder zu Hause sein. Nur so ist man in der Lage, sich wirklich in eine andere Sichtweise hineinzuversetzen und eine andere Lebensrealität zu erleben.

Bildungsnetzwerk China

China kommt im Fachunterricht an deutschen Schulen kaum vor. Das Bildungsnetzwerk China will Schulen dabei unterstützen, China-Kompetenz auf- und auszubauen, um so den Umgang mit China und den deutsch-chinesischen Austausch zu stärken.

https://www.bildungsnetzwerk-china.de/