China will’s schlichten

Zeichnung dreier Menschen in Anzügen, die bei einer Tasse Tee diskutieren. Im Hintergrund ist die Chinesische Flagge zu sehen.
China will’s schlichten
Autorin: Maren Beck Illustrationen: Sebastian König 22.09.2020

China engagiert sich immer häufiger als Mediator in Kriegen und Konflikten im Nahen Osten und in Asien. Warum gerade jetzt? Und warum gerade dort?

„Als Instrument der Diplomatie und Außenpolitik kommt Mediation beinahe so häufig vor wie Konflikte selbst.“ Das schrieb einer, der es wissen musste: Jacob Bercovitch war Professor für Inter­nationale Beziehungen an der University of Canterbury in Neuseeland. Er starb 2011, seine Erkenntnisse zu Mediation und Konflikt­lösung gelten jedoch weiter­hin als maß­gebend.

Eine Nation, die obiges Zitat zunehmend wider­spiegelt, ist die Volks­republik China. Seit 2012 hat sich die Zahl der Konflikte, in denen sie sich als Schlichter anbietet, von drei auf neun verdrei­facht. Bedenkt man, dass Mediation ein freiwilliges „Zusatz­geschäft“ ist, das Zeit frisst, Risiken beinhaltet und noch dazu im Miss­erfolg enden kann, ist das eine beachtliche Zahl. Warum stellt sich China dieser Aufgabe?

„China will eine führende Welt­macht werden“, beginnt Helena Legarda die viel­schichtige Antwort auf diese Frage. Die Harvard-Absolventin forscht am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin zu Chinas Außen- und Sicherheits­politik. „Dazu ist es nötig, auch das Image einer verantwortungs­vollen Welt­macht zu verkörpern.“ Durch die Vermittler­rolle in Kriegen oder Konflikten, die sich so fest­gefahren haben, dass die beteiligten Konflikt­parteien sie nicht selber lösen können, erhofft sich die Volks­republik also einen Image­gewinn. Und je besser das Ansehen auf der Welt­bühne, umso eher könne China darauf eine Rolle spielen: „China will mit­reden“, fasst Legarda zusammen.

Zeichnung einer Waage, auf dessen eine Seite Wasser aus einer Gießkanne mit chinesischer Flagge in die Waagschale gegossen wird.
© Sebastian König

China will eine führende Weltmacht werden. Dazu ist es nötig, auch das Image einer verantwortungs­vollen Weltmacht zu verkörpern.

Portrait Helena Legarda
Harvard-Absolventin Helena Legarda forscht am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin zu Chinas Außen- und Sicherheitspolitik. © merics

Vielfältige Motivationen

Dass sich China aus dem Engagement überhaupt etwas erhoffen kann, liegt an einer Charakteristik von Mediation: Niemand tut etwas grund­los. „Das ultimative Ziel der Mediation ist, interne oder inter­nationale Konflikte friedlich zu beenden oder den Weg dahin zu ebnen“, sagt Legarda, „doch natürlich verfolgt jedes Land auch seine eigenen Interessen in diesem Prozess.“ Seitdem sich das Feld professionalisiert hat, sind die Motivationen der Schlichter zum Unter­suchungs­gegen­stand geworden. Forscher*innen wie Jacob Bercovitch nehmen den Mediations­prozess aus­einander, analysieren Strategien, Rollen und die Gründe, die einen Akteur zum Mittler werden lassen.

Zeichnung von drei Personen in Anzügen, die unter einem großen chinesischen Lampion diskutieren.
© Sebastian König

Sie können in vielen Gewändern daherkommen. Eine Regierung kann zum Beispiel deshalb zum Mediator werden, weil sie ein klares Mandat dazu hat – vorgegeben durch die Mitglied­schaft in einem inter­nationalen Bündnis, das ein solches Vorgehen vorsieht. Auch die direkte Anfrage einer Konflikt­partei ist nach Bercovitch ein Grund. Oder die Tatsache, dass der Disput den eigenen politischen Zielen zuwider­läuft.

Ein Blick auf die Landkarte offenbart laut Helena Legarda ein geostrategisches Ziel Chinas: „Die Länder, in denen China als Mediator aktiv ist, decken sich stark mit denen der Belt-and-Road-Initiative“, so die Wissen­schaftlerin. Mit diesem riesigen Infra­struktur­projekt sollen Handels­verbindungen über Land- und See­wege nach Europa und Afrika etabliert und neue Export­gebiete erschlossen werden. „China hat ein Interesse daran, in den beteiligten Ländern für Stabilität zu sorgen, damit der Handel fließen kann.“

So ist auch der Zeitraum nicht verwunderlich, in dem die Mediations­tätigkeiten zunahmen: 2012 kam Xi Jinping an die Macht, 2013 gab er den Start­schuss für die „Neue Seiden­straße“, wie die Belt-and-Road-Initiative auch genannt wird. Seitdem wächst das Engagement in den nationalen und inter­nationalen Konflikten in Nach­bar­ländern und strategisch wichtigen Handels­zentren.

Kurzfristige Lösungen

Dass China zur Lösung von Kriegen und Konflikten beitragen möchte, wirkt nach Legarda auf den ersten Blick genauso verantwortungs­voll, wie die Volks­republik sich in den Augen der Welt gern wider­gespiegelt sähe. Sie beobachtet jedoch eine Problematik: „China engagiert sich über­wiegend in den ersten Phasen der Konflikt­lösung, indem es zum Beispiel die Kommunikation zwischen den Konflikt­parteien voran­treibt und alle an einen Tisch bringt“, erklärt die MERICS-Wissenschaftlerin. Was dann aber ausbliebe, seien die notwendigen Schritte, um eine lang­fristige Lösung zu finden – sprich andere Akteure ein­zu­beziehen, Hilfe zur Selbst­hilfe anzubieten oder an der Bildung von Über­gang­regierungen mitzuwirken. „Darin war China bislang erfolg­los.“ Ein Beispiel ist der Krieg in Syrien: „China ist an einem Waffen­still­stand interessiert. An der Bildung von demokratischen Institutionen oder einer Über­gangs­regierung, wie es zum Beispiel die EU verfolgt, würde es sich nicht beteiligen,“ so Legarda.

Hier wird auch deutlich, dass China in einigen Fällen einen Allein­gang unter­nimmt. Koordination mit anderen Akteuren im Mediations­prozess findet nicht immer statt. „Das war der Fall zwischen der Taliban und Kabul. China lud die beiden Konflikt­parteien nach Peking ein, um dort Gespräche zu führen, während die USA und andere Akteure das Gleiche versuchten.“ Ein einheitliches, abgestimmtes und koordiniertes Vorgehen, wie es der erwähnte UN-Guide anregt, zeige China eher nicht. Problematisch sei laut Legarda, dass China derzeit keine großen Anstrengungen unter­nähme, um lang­fristige Lösungen zu finden.

Zeichnung eines übergroßen Menschen in einem gelben Anzug mit einer Krawatte in Chinesischer Flagge. Die Hände aus dem Anzug treiben zwei kleine Menschen zusammen, die sich die Hand geben wollen.
© Sebastian König

Mediationsmethoden

Shuttle diplomacy
Mediator*innen reisen zwischen den Konflikt­parteien hin und her und versuchen, die Kommunikation zu etablieren, zu der die Parteien bis dato noch nicht bereit sind.

Leverage aid
Hilfe, zum Beispiel in Form von Geldern, wird als Druck­mittel benutzt, um Konflikt­parteien zur Mediation zu bewegen.

Document diplomacy
Das Teilen von Informationen (etwa Guide­lines, Friedens­verhandlungs­angebote) zwischen den Konflikt­parteien wird etabliert bzw. erhöht.

Multilateral contact groups
Mehrere verschiedene Akteure sind an einer Mediation beteiligt und diskutieren multi­lateral im Gremium.

Top-level visits
Hochrangige Regierungs­mitglieder besuchen sich, um die Konflikt­lösung voran­zu­treiben.

Special envoy diplomacy
Besondere Gesandte besuchen die Konflikt­zonen und betreiben Mediation vor Ort.

Host diplomacy
Das Gegenteil von Top-level visits: Die Konflikt­parteien werden von Mediatoren in deren Land eingeladen, um dort Gespräche zu führen.

Hohe Besuche, hohe Sichtbarkeit

China setze nach Legardas Recherchen auf Mediations­methoden, die sich auf höchster Ebene abspielen: Besuche hoher Regierungs­persönlichkeiten, Einladungen der Konflikt­partei­obersten nach Peking statt Mediation „im Feld“ oder „document diplomacy“, also das Etablieren eines Informations­aus­tausches zwischen Konflikt­parteien. China favorisiere bilaterale Wege mit hoher Sichtbarkeit in der Welt. „Sie erfüllen gleich zwei Zwecke“, so Helena Legarda, „den diplomatischen und die Arbeit an einem besseren Image.“ Zudem seien Kontakte zu anderen Regierungen förderlich, wenn es um den Ausbau der Neuen Seiden­straße ginge, für dessen Teil­projekte die Zustimmung von Staats­ober­häuptern essenziell sei.
Insgesamt gesehen bilde Mediation zwar nur einen Teil von Chinas Außen- und Sicher­heits­politik. Doch er spiele sich genau dort ab, wo China einen Platz anstrebt: in der ganzen Welt.

Mercator Institute for China Studies (MERICS)

Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator forscht zu China und den Beziehungen des Landes zu Deutschland und der Welt. Seit 2013 liefert sie Analysen, Informationen und Expert*innen­wissen an Entscheidungs­träger*innen aus Politik und Wirtschaft sowie an die Medien.

www.merics.org