„Karten können ein Begegnungs­raum zwischen dem Staat und den Menschen sein“

„Karten können ein Begegnungs­raum zwischen dem Staat und den Menschen sein“
Autorin: Diana Laarz 29.10.2024

Mit digitalen Karten wird die Welt greifbar. Durch sie finden wir das beste Restaurant in der Gegend und den schnellsten Weg zur Arbeit. Doch populäre Karten wie Google Maps verfolgen ein wirtschaftliches Interesse: Sie zeigen vorrangig Orte zum Einkaufen, platzieren Werbung und erheben Bewegungs­daten ihrer Nutzer*innen. „Es braucht einen Stadt­plan der Zukunft“, sagt deshalb Mathias Großklaus von der Agora Digitale Transformation. Im Interview mit AufRuhr erklärt er, wie auch kühle Orte in der Stadt und gute Ideen abgebildet werden. Und welche Rolle Counter­mapping für die Demokratie spielt.

Herr Großklaus, warum sollten wir uns mehr für Karten interessieren?

Wir nutzen ständig Karten, denken aber kaum darüber nach. Karten sortieren die Welt. Ich schaue auf einen Stadt­plan, und er zeigt mir nicht die bunte Realität mit Vögeln und Lärm, sondern Straßen, Kirchen, Restaurants. Karten sortieren auch, was vermeintlich wichtig ist und was nicht. Deshalb sind sie macht­volle Instrumente. Wer Karten zur Verfügung stellt, entscheidet darüber, ob Landes­grenzen farblich hervor­gehoben werden, eine Kirche ein­gezeichnet wird oder der feministische Kultur­verein.

Wer bestimmt, was ich im Alltag auf digitalen Karten sehe?

Wir interagieren häufig mit kommerziellen Karten, zum Beispiel mit Google Maps. Der Anbieter hat ein kommerzielles Interesse: Die Karten zeigen Restaurants, Hotels, Shops. Sie sind zudem ÖPNV-Auskunft und integrieren Anbieter von Elektro­rollern und Taxi­unternehmen.

Das klingt erst mal praktisch. Was fehlt diesen kommerziellen Karten?

Nicht so detailliert sind Informationen über Dinge, die sich nicht gut verkaufen lassen. Zum Beispiel Spiel­plätze, Grün­flächen, kühle Orte im Sommer, Trink­brunnen, über­dachte Rast­plätze. So etwas können zivil­gesellschaftliche oder auch öffentliche Karten viel besser.

Mathias Großklaus
© Agora Digitale Transformation

Als Innovation Lead arbeitet Mathias Großklaus bei der Agora Digitale Transformation daran, dass die Mittel einer digitalisierten Welt auch zu wirkungs­vollen Hebeln für eine gerechtere Gesellschaft werden. Der promovierte Politik­wissenschaftler hat zu digitaler Daseins­vorsorge, Smart Cities und Smart Regions, nach­haltigen digitalen Lösungen und Daten-Governance geforscht und zahlreiche Innovationen in die Umsetzung gebracht. Dabei immer im Blick: beteiligende, transparente und inklusive Prozesse.

Gibt es solche Karten?

OpenStreetMap ist ein Beispiel. Auch die Kommunen in Deutschland stellen inzwischen viele sehr unter­schiedliche Karten zur Verfügung. Da sind zum einen klassische Informations­karten, die häufig nach Themen unterschieden werden. Eine Karte zeigt die Spiel­plätze einer Stadt, eine andere die Wochen­märkte, wieder eine andere die Grün­flächen.

Warum steckt das nicht alles in einer Karte?

Dahinter steht häufig eine Verwaltungs­logik. Das Grün­flächen­amt stellt die Karte zu den Grün­flächen zur Verfügung. Das Verkehrs­amt launcht eine Karte zu Mit­fahr­bänken. Das ist ein Problem.

Welche Arten von Karten gibt es noch?

Eine sehr beliebte Karte ist der Mängelmelder. Über diese Plattform können Bürger*innen zum Beispiel Schlaglöcher oder kaputte Mülleimer melden. Die Kommune kümmert sich dann darum. Das funktioniert sehr gut, weil Karten hierfür intuitiv funktionieren. Ich muss nicht wissen, welches Amt zuständig ist. Ich muss nur einen Pin auf der Karte an die richtige Stelle setzen und einen kurzen Text schreiben. Dann gibt es auch Ideenkarten. Auf diesen Karten kann ich Vorschläge machen, zum Beispiel dass hier ein Spiel­platz gut wäre. Oder dass ich mir wünsche, dass diese Unter­führung besser beleuchtet wäre. Zuletzt wären da noch Engagement-Karten. Dort kann man Mitstreiter*innen finden, wenn man zum Beispiel ein Gewässer schützen möchte oder Unter­stützung bei einem Behörden­gang benötigt.

Es existieren also mehr Karten, als man denkt. Warum spielen sie im Alltag der meisten Menschen trotzdem keine Rolle?

Die Landschaft der karten­basierten Tools ist nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch zersplittert. Bei der Entwicklung hat niemand die User*innen- oder Demokratie­perspektive bedacht. Bürger*innen müssen für jedes Anliegen eine separate Karte ansteuern. Viele Karten sind Insel­lösungen, es gibt Parallel­entwicklungen. Eine breite Nutzung kann so nicht entstehen.

Die Landschaft der karten­basierten Tools ist zersplittert: Bürger*innen müssen für jedes Anliegen eine separate Karte ansteuern.

Mathias Großklaus, Innovation Lead Agora Digitale Transformation

Stichwort Demokratie­perspektive: Was können Karten für die Demokratie tun?

Wenn jemand sagt: Hier liegt Müll. Dann antwortet die Kommune: Vielen Dank, dass Sie aufgepasst haben. Und der Müll wird beseitigt. Das klingt banal, aber es ist eine gute Erfahrung. Die Beteiligten erleben Handlungs­macht. Karten können ein Begegnungs­raum zwischen dem Staat und den Menschen sein. Dieser Kontakt ist häufig schwierig und aufwendig. Karten sind aber ein Medium, das den Kontakt sehr einfach macht. So entsteht Vertrauen – in den Staat und in die Demokratie.

Einzelne partizipative Karten sind schon heute Realität. © Agora Digitale Transformation

Wenn es jetzt schon viele Insel­lösungen gibt, wie wird daraus eine einzige Karte?

Wir brauchen nicht eine Super-App, die der Bund über zehn Jahre entwickelt. Wir haben als Basis die vielen bestehenden Karten. Es fehlt nur die Vernetzung untereinander: dass der Mängelmelder mit dem inter­aktiven Stadt­plan interagieren kann, dass die Kühle-Orte-Karte kompatibel ist mit der Gute-Ideen-Karte. Es braucht einen Akteur, der eine technische Vereinheitlichung koordiniert und vorantreibt.

Welche Rolle spielt die Agora Digitale Transformation dabei?

Wir kämpfen dafür, dass diese Vereinheitlichung auch passiert. Dahinter steckt viel Über­zeugungs­arbeit: Wir müssen immer wieder deutlich machen, wie groß die Chancen dabei sind. Und wir erklären, dass wir die Puzzle­teile dafür schon haben. Das sind zum einen tolle Tools in den Kommunen, aber auch Infra­struktur wie die OpenStreetMap und eine sehr lebendige Karten-Community.

Wie sähe die fertige Karte aus?

Es wäre eine einzige digitale Karte. Wer die Öffnungs­zeiten des Rathauses sucht, eine Grill­stelle, einen barriere­freien Spielplatz oder im Hoch­sommer einen kühlen Ort, der schaut einfach auf den Stadtplan auf dem Smartphone. Und wenn Schicht­arbeiter*innen spätere Sprech­zeiten beim Bürgeramt brauchen, dem Spielplatz eine neue Wippe guttäte, kann das jede*r auf der Karte vermerken. Und womöglich können Bürger*innen auch eigene Veranstaltungen eintragen oder Haus­aufgaben­hilfe anbieten.

Wann wird es so weit sein?

Das wird schrittweise passieren und in jeder Kommune anders aussehen. Es geht ja nicht um eine Neu­entwicklung. Vielmehr sollen die Karten, die schon gut funktionieren, nach und nach um neue Funktionen erweitert werden.

Hätte ich dann zusätzlich noch Google Maps auf meinem Handy?

Vermutlich ja. Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, Restaurants zu kuratieren. Es ist in Ordnung, wenn das der Markt macht. Aber die Bereiche, die den Kontakt zwischen Verwaltung und Menschen betreffen, sind auf einer anderen Karte besser aufgehoben.


Agora Digitale Transformation

Die Agora Digitale Transformation wurde 2022 gegründet, alleinige Gesellschafterin ist die Stiftung Mercator. Die Mission des Thinktanks: über­parteilich, kollaborativ und evidenz­basiert auszuloten, welche Chancen die digitale Transformation bietet, um die Demokratie zu stärken.
www.agoradigital.de