„Für Elon Musk ist der DSA ein rotes Tuch“

„Für Elon Musk ist der DSA ein rotes Tuch“
Autorin: Elisabeth Krainer Illustrationen: Tolga Akdoğan 29.04.2025

Techkonzerne wie Meta, X Corp. oder Google sitzen auf Unmengen von Daten. Forscher*innen könnten diese nutzen, um zum Beispiel die Verbreitung von Desinformationen zu unter­suchen – sofern sie Zugriff auf sie hätten. Doch die Social-Media-Plattformen winden sich aus der Verantwortung und erschweren der Forschung den Zugang. Dabei soll der Digital Services Act (DSA), der 2022 in Kraft getreten und seit Februar 2024 voll­umfassend anwendbar ist, genau diesen Daten­zugang ermöglichen. Jakob Ohme hat deshalb mit Ulrike Klinger und Lukas Seiling das Kollektiv DSA 40 Data Access Collaboratory gegründet. Im Interview erklärt er, was dahinter­steckt und warum auch die Platt­formen selbst von der wissenschaftlichen Analyse ihrer Daten profitieren würden.

Herr Ohme, was macht das DSA 40 Data Access Collaboratory?

Wir informieren die wissenschaftliche Community über Entwicklungen beim Thema Daten­zu­gang von sozialen Netz­werken und beraten politische Akteure. Die Nachfrage ist enorm: Wir sind im Austausch mit der EU-Kommission, der Bundes­netz­agentur, auch mit dem Weißen Haus, weil dort mit großem Interesse verfolgt wird, was hier in Europa passiert. Neben der Informations­arbeit stellen wir auch selbst Anfragen an Plattformen.

Ihr Kollektiv hat sich nach Artikel 40 des Digital Services Act benannt. Warum interessiert Sie ausgerechnet dieser Artikel?

Weil er der zentrale Artikel für die Wissenschaft ist. Er soll erstmals garantieren, dass Forscher*innen systematisch Zugang zu Platt­form­daten bekommen.

Warum ist es so wichtig, dass Forschende auf Daten von Social-Media-Plattformen zugreifen können?

Wenn der Zugang funktioniert, lassen sich viele für die Gesellschaft relevante Fragen beantworten. Zum Beispiel: Welche Parteien oder Akteur*innen sind besonders aktiv auf den Platt­formen? Welche Inhalte erzielen hohe Reichweiten? Für das Forschungs­projekt „Dein Feed, Deine Wahl“ zur Bundes­tags­wahl 2025 haben wir uns zum Beispiel TikTok-Daten angeschaut. Auf TikTok waren vor allem die AfD und Die Linke erfolg­reich, sowohl was die Zahl der veröffentlichten Videos angeht als auch beim Engagement der Nutzer*innen. Um zu klären, warum dies so ist und ob Wähler*innen davon beeinflusst werden, brauchen wir jedoch einen besseren Daten­zu­gang.

Dr. Jakob Ohme
© privat

Dr. Jakob Ohme ist zusammen mit Ulrike Klinger Co-Principal Investigator im DSA 40 Data Access Collaboratory. Am Berliner Weizenbaum-Institut leitet er zudem die inter­disziplinäre Forschungs­gruppe Digital News Dynamics, die den Einfluss und die Verbreitung von professionellem Journalismus auf digitalen Plattformen im Vergleich zu anderen Informations­quellen wie Influencer*innen oder Künstlicher Intelligenz analysiert. Sein Forschungs­schwer­punkt liegt auf den Auswirkungen digitaler, mobiler Kommunikation auf den Nachrichten­konsum und das politische Engagement – mit besonderem Blick auf unter­schiedliche Generationen.

Wie können Forschende aktuell auf Daten zu­greifen?

Bei öffentlichen Daten funktioniert das meist über Scraping-Verfahren und sogenannte APIs, also Application Programming Interfaces. Das sind Schnitt­stellen, über die Programme automatisiert auf Daten zugreifen können. Forschende fragen darüber Daten mit ihren gewünschten Parametern ab. Die APIs von X und TikTok sind nur teilweise zugänglich, und Meta drückt sich vor der Verantwortung mit undurch­sichtigen Content Libraries. Als Forschende können wir bei solchen Daten­archiven nicht nach­voll­ziehen, nach welchen Kriterien die Daten zusammen­gestellt wurden und ob sie voll­ständig sind.

Ist das legal?

Nein. Deshalb laufen gegen Meta, X Corp. und TikTok bereits mehrere EU-Verfahren. Anfragen zu nicht öffentlichen Daten, zum Beispiel zu algorithmischen Prozessen, können aktuell noch nicht bearbeitet werden, da der delegierte Rechtsakt der EU-Kommission noch auf sich warten lässt. Forschende, die mit nicht öffentlichen Daten arbeiten wollen, wissen aktuell nicht, ob und wann ihre Anfrage erfolgreich sein wird. Dabei regelt der DSA eigentlich, dass Social-Media-Konzerne ihre Daten ohne großen Aufwand zugänglich machen sollen. Aber auch bei den öffentlichen Daten zwingen uns die Plattformen in bürokratische Schleifen.

Wie beeinflussen die sozialen Medien unser Wahlverhalten? Der Artikel 40 des DSA soll aufklären. © Tolga Akdoğan

Wie sehen diese Schleifen konkret aus?

Die Plattformen fordern immer wieder neue Informationen nach – und Forschende müssen sehr schnell reagieren, weil sonst der Antrag geschlossen wird. Die Plattformen selbst lassen sich dagegen oft monate­lang Zeit oder reagieren erst nach mehreren Nach­fragen. Zudem reicht manchmal schon ein falsch gesetztes Komma, damit ein Antrag abgelehnt wird. Ein Beispiel: Im DSA steht, dass die Daten zur Erforschung systemischer Risiken, z.B. hinsichtlich der Demokratie, für die EU genutzt werden sollen. X Corp. interpretiert das als Beweis­pflicht für Forschende, die Daten ausschließlich dafür zu verwenden. Allerdings steht das so nicht im Gesetz und ist auch sonst unmöglich umzusetzen.

Warum nicht?

Die Nutzung von Forschungsdaten ist flexibel, manchmal ergibt sich aus ersten Erkenntnissen neue Fragen. Die Plattformen verlangen aber detaillierte Projekt­beschreibungen, inklusive Forschungs­fragen, Methodik und Keyword-Listen. Meines Erachtens sollte das nicht erlaubt sein, weil das weder dem offenen Forschungs­prozess entspricht noch im Sinne des Gesetzes ist.

Wie häufig gehen Anträge durch?

Nach unserer Erfahrung genehmigen die Konzerne etwa die Hälfte der Anträge auf Zugang zu öffentlichen Daten, allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Platt­formen.

Digital Services Act
Mit persönlichen Daten generieren Tech-Unternehmen nicht nur Umsatz, sondern auch Macht. Kann ihnen der DSA Paroli bieten? © Tolga Akdoğan

Welchen Vorteil hätte es für Platt­formen, wenn sie aktiv mit Forschenden zusammen­arbeiten würden?

Unser Ziel ist es, zu untersuchen, wie Plattform­kommunikation Menschen beeinflusst, im Positiven wie im Negativen. Oft könnten Plattformen auch von unabhängigen Analysen profitieren und Miss­verständnisse ausräumen. Aber durch das Abschotten drängen sie sich selbst in eine Ecke. Als Forschender kann ich dann irgendwann gar nichts Positives mehr über die Plattformen sagen. Weil ich keinen ausreichenden Einblick erhalte, um differenziert bewerten zu können.

Sie haben bereits mehrere Probleme beim Umsetzen des DSA geschildert. Ist er wirklich das richtige Instrument, um den Daten­zugang zu regeln?

Der DSA und der Artikel 40 sind eine wichtige rechtliche Blaupause für Forschende auf der ganzen Welt. Australien, Großbritannien und die USA sind schon auf uns zugekommen, weil sie wissen wollten, wie die EU das regelt. Aber: „The Brussels Way“ bedeutet eben auch, dass alles sehr lange dauert.

Warum ist das Tempo entscheidend?

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Inhalte werden aus unterschiedlichen Gründen gelöscht. Das heißt: Je langsamer Forschende Zugang zu Daten erhalten, desto kleiner wird in manchen Fällen die Daten­grund­lage. Außerdem können wir Dinge, die in der Welt passieren, nicht ordentlich erforschen, solange entscheidende Paragrafen oder Artikel wie der DSA 40 noch nicht voll­ständig greifen. Für Elon Musk und seine Kollegen ist er zudem ein rotes Tuch. Sie sehen Artikel 40 als Einschränkung der Meinungs­freiheit, haben aber vor allem Angst davor, weil er die Ansammlung von Meinungs­macht von Platt­formen wie X aufdecken kann.

Welches Vorgehen wünschen Sie sich seitens der EU?

Ich wünsche mir eine klare Haltung der EU-Kommission. Der DSA darf nicht zur Verhandlungs­masse deklariert werden, wenn die USA mit Strafzöllen drohen. Das könnte passieren, wenn wirtschaftlicher Druck aufgebaut wird und der DSA noch nicht in allen Punkten fixiert ist. Es besteht die Gefahr, dass an bestimmten Stellen Zugeständnisse gemacht werden. Dabei hat Europa unter anderem beim Daten­schutz gezeigt, wie sich weltweit anerkannte Standards setzen lassen. Mit dem DSA ist die EU erneut Vorreiterin. Viele Länder schauen genau hin, ob und wie Europa ihn durchsetzt. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission jetzt stark bleibt.


DSA 40 Data Access Collaboratory

Das DSA 40 Data Access Collaboratory begleitet und bewertet die Umsetzung des Digital Services Act (DSA). So möchte es sicher­stellen, dass Wissen­schaftler*innen und gemein­nützige Organisationen Zugang zu relevanten Platt­form­daten erhalten. Ziel ist es, systemische Risiken – z.B. hinsichtlich der Demokratie – besser unter­suchen zu können. Der Daten­zu­griff erfolgt über verschiedene Schnitt­stellen wie APIs, digitale Archive oder spezielle Test­umgebungen wie Sandboxes. Hierfür müssen verschiedene Akteur*innen aus Wissenschaft, Zivil­gesellschaft und Politik sowie die Platt­formen selbst effektiv zusammen­arbeiten.
dsa40collaboratory.eu