„Für Elon Musk ist der DSA ein rotes Tuch“

Techkonzerne wie Meta, X Corp. oder Google sitzen auf Unmengen von Daten. Forscher*innen könnten diese nutzen, um zum Beispiel die Verbreitung von Desinformationen zu untersuchen – sofern sie Zugriff auf sie hätten. Doch die Social-Media-Plattformen winden sich aus der Verantwortung und erschweren der Forschung den Zugang. Dabei soll der Digital Services Act (DSA), der 2022 in Kraft getreten und seit Februar 2024 vollumfassend anwendbar ist, genau diesen Datenzugang ermöglichen. Jakob Ohme hat deshalb mit Ulrike Klinger und Lukas Seiling das Kollektiv DSA 40 Data Access Collaboratory gegründet. Im Interview erklärt er, was dahintersteckt und warum auch die Plattformen selbst von der wissenschaftlichen Analyse ihrer Daten profitieren würden.
Herr Ohme, was macht das DSA 40 Data Access Collaboratory?
Wir informieren die wissenschaftliche Community über Entwicklungen beim Thema Datenzugang von sozialen Netzwerken und beraten politische Akteure. Die Nachfrage ist enorm: Wir sind im Austausch mit der EU-Kommission, der Bundesnetzagentur, auch mit dem Weißen Haus, weil dort mit großem Interesse verfolgt wird, was hier in Europa passiert. Neben der Informationsarbeit stellen wir auch selbst Anfragen an Plattformen.
Ihr Kollektiv hat sich nach Artikel 40 des Digital Services Act benannt. Warum interessiert Sie ausgerechnet dieser Artikel?
Weil er der zentrale Artikel für die Wissenschaft ist. Er soll erstmals garantieren, dass Forscher*innen systematisch Zugang zu Plattformdaten bekommen.
Warum ist es so wichtig, dass Forschende auf Daten von Social-Media-Plattformen zugreifen können?
Wenn der Zugang funktioniert, lassen sich viele für die Gesellschaft relevante Fragen beantworten. Zum Beispiel: Welche Parteien oder Akteur*innen sind besonders aktiv auf den Plattformen? Welche Inhalte erzielen hohe Reichweiten? Für das Forschungsprojekt „Dein Feed, Deine Wahl“ zur Bundestagswahl 2025 haben wir uns zum Beispiel TikTok-Daten angeschaut. Auf TikTok waren vor allem die AfD und Die Linke erfolgreich, sowohl was die Zahl der veröffentlichten Videos angeht als auch beim Engagement der Nutzer*innen. Um zu klären, warum dies so ist und ob Wähler*innen davon beeinflusst werden, brauchen wir jedoch einen besseren Datenzugang.

Dr. Jakob Ohme ist zusammen mit Ulrike Klinger Co-Principal Investigator im DSA 40 Data Access Collaboratory. Am Berliner Weizenbaum-Institut leitet er zudem die interdisziplinäre Forschungsgruppe Digital News Dynamics, die den Einfluss und die Verbreitung von professionellem Journalismus auf digitalen Plattformen im Vergleich zu anderen Informationsquellen wie Influencer*innen oder Künstlicher Intelligenz analysiert. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den Auswirkungen digitaler, mobiler Kommunikation auf den Nachrichtenkonsum und das politische Engagement – mit besonderem Blick auf unterschiedliche Generationen.
Wie können Forschende aktuell auf Daten zugreifen?
Bei öffentlichen Daten funktioniert das meist über Scraping-Verfahren und sogenannte APIs, also Application Programming Interfaces. Das sind Schnittstellen, über die Programme automatisiert auf Daten zugreifen können. Forschende fragen darüber Daten mit ihren gewünschten Parametern ab. Die APIs von X und TikTok sind nur teilweise zugänglich, und Meta drückt sich vor der Verantwortung mit undurchsichtigen Content Libraries. Als Forschende können wir bei solchen Datenarchiven nicht nachvollziehen, nach welchen Kriterien die Daten zusammengestellt wurden und ob sie vollständig sind.
Ist das legal?
Nein. Deshalb laufen gegen Meta, X Corp. und TikTok bereits mehrere EU-Verfahren. Anfragen zu nicht öffentlichen Daten, zum Beispiel zu algorithmischen Prozessen, können aktuell noch nicht bearbeitet werden, da der delegierte Rechtsakt der EU-Kommission noch auf sich warten lässt. Forschende, die mit nicht öffentlichen Daten arbeiten wollen, wissen aktuell nicht, ob und wann ihre Anfrage erfolgreich sein wird. Dabei regelt der DSA eigentlich, dass Social-Media-Konzerne ihre Daten ohne großen Aufwand zugänglich machen sollen. Aber auch bei den öffentlichen Daten zwingen uns die Plattformen in bürokratische Schleifen.

Wie sehen diese Schleifen konkret aus?
Die Plattformen fordern immer wieder neue Informationen nach – und Forschende müssen sehr schnell reagieren, weil sonst der Antrag geschlossen wird. Die Plattformen selbst lassen sich dagegen oft monatelang Zeit oder reagieren erst nach mehreren Nachfragen. Zudem reicht manchmal schon ein falsch gesetztes Komma, damit ein Antrag abgelehnt wird. Ein Beispiel: Im DSA steht, dass die Daten zur Erforschung systemischer Risiken, z.B. hinsichtlich der Demokratie, für die EU genutzt werden sollen. X Corp. interpretiert das als Beweispflicht für Forschende, die Daten ausschließlich dafür zu verwenden. Allerdings steht das so nicht im Gesetz und ist auch sonst unmöglich umzusetzen.
Warum nicht?
Die Nutzung von Forschungsdaten ist flexibel, manchmal ergibt sich aus ersten Erkenntnissen neue Fragen. Die Plattformen verlangen aber detaillierte Projektbeschreibungen, inklusive Forschungsfragen, Methodik und Keyword-Listen. Meines Erachtens sollte das nicht erlaubt sein, weil das weder dem offenen Forschungsprozess entspricht noch im Sinne des Gesetzes ist.
Wie häufig gehen Anträge durch?
Nach unserer Erfahrung genehmigen die Konzerne etwa die Hälfte der Anträge auf Zugang zu öffentlichen Daten, allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Plattformen.

Welchen Vorteil hätte es für Plattformen, wenn sie aktiv mit Forschenden zusammenarbeiten würden?
Unser Ziel ist es, zu untersuchen, wie Plattformkommunikation Menschen beeinflusst, im Positiven wie im Negativen. Oft könnten Plattformen auch von unabhängigen Analysen profitieren und Missverständnisse ausräumen. Aber durch das Abschotten drängen sie sich selbst in eine Ecke. Als Forschender kann ich dann irgendwann gar nichts Positives mehr über die Plattformen sagen. Weil ich keinen ausreichenden Einblick erhalte, um differenziert bewerten zu können.
Sie haben bereits mehrere Probleme beim Umsetzen des DSA geschildert. Ist er wirklich das richtige Instrument, um den Datenzugang zu regeln?
Der DSA und der Artikel 40 sind eine wichtige rechtliche Blaupause für Forschende auf der ganzen Welt. Australien, Großbritannien und die USA sind schon auf uns zugekommen, weil sie wissen wollten, wie die EU das regelt. Aber: „The Brussels Way“ bedeutet eben auch, dass alles sehr lange dauert.
Warum ist das Tempo entscheidend?
Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Inhalte werden aus unterschiedlichen Gründen gelöscht. Das heißt: Je langsamer Forschende Zugang zu Daten erhalten, desto kleiner wird in manchen Fällen die Datengrundlage. Außerdem können wir Dinge, die in der Welt passieren, nicht ordentlich erforschen, solange entscheidende Paragrafen oder Artikel wie der DSA 40 noch nicht vollständig greifen. Für Elon Musk und seine Kollegen ist er zudem ein rotes Tuch. Sie sehen Artikel 40 als Einschränkung der Meinungsfreiheit, haben aber vor allem Angst davor, weil er die Ansammlung von Meinungsmacht von Plattformen wie X aufdecken kann.
Welches Vorgehen wünschen Sie sich seitens der EU?
Ich wünsche mir eine klare Haltung der EU-Kommission. Der DSA darf nicht zur Verhandlungsmasse deklariert werden, wenn die USA mit Strafzöllen drohen. Das könnte passieren, wenn wirtschaftlicher Druck aufgebaut wird und der DSA noch nicht in allen Punkten fixiert ist. Es besteht die Gefahr, dass an bestimmten Stellen Zugeständnisse gemacht werden. Dabei hat Europa unter anderem beim Datenschutz gezeigt, wie sich weltweit anerkannte Standards setzen lassen. Mit dem DSA ist die EU erneut Vorreiterin. Viele Länder schauen genau hin, ob und wie Europa ihn durchsetzt. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission jetzt stark bleibt.
DSA 40 Data Access Collaboratory
Das DSA 40 Data Access Collaboratory begleitet und bewertet die Umsetzung des Digital Services Act (DSA). So möchte es sicherstellen, dass Wissenschaftler*innen und gemeinnützige Organisationen Zugang zu relevanten Plattformdaten erhalten. Ziel ist es, systemische Risiken – z.B. hinsichtlich der Demokratie – besser untersuchen zu können. Der Datenzugriff erfolgt über verschiedene Schnittstellen wie APIs, digitale Archive oder spezielle Testumgebungen wie Sandboxes. Hierfür müssen verschiedene Akteur*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik sowie die Plattformen selbst effektiv zusammenarbeiten.
dsa40collaboratory.eu