„Broligarchen“ auf Angriff: Kann sich die EU ihre digitale Souveränität bewahren?

Die sozialen Medien sind kein rechtsfreier Raum – zumindest noch nicht. Denn Trump und die Techunternehmer in seiner Nähe wollen die europäischen Digitalgesetze aushebeln. Unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung werden Desinformation, Hass und Hetze ungehindert verbreitet. Ist die EU dafür gewappnet? Digitalexperte Felix Kartte gibt Antworten.
„Wir müssen über die Elefanten im Raum sprechen“, sagt Felix Kartte. Der Politikwissenschaftler und Experte für Digitalpolitik ist diese Februarwoche in Brüssel unterwegs. Zu den Elefanten, so sagt er, gehöre Elon Musk, seit Oktober 2022 Eigentümer der Plattform X (ehemals Twitter). Musk gilt als einer der „Broligarchen“ um US-Präsident Donald Trump: jene Tech- und Finanzunternehmer, die die Macht ihrer digitalen Plattformen politisch nutzen und ausweiten. Entsprechend wenig Interesse haben sie an Gesetzen und Regulierungen. Das zeigte sich schon 2018, noch bevor Twitter Elon Musk gehörte. Damals versuchte die EU erstmals, mit dem Verhaltenskodex 2018 zur Bekämpfung von Desinformation freiwillige Auflagen für Social-Media-Plattformen einzuführen. Es blieb bei Lippenbekenntnissen der US-amerikanischen Unternehmen.
„Mit der Wiederwahl von Donald Trump haben wir gesehen, wie schnell einige Konzerne ihre Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten gegen einen autoritären Kurs austauschten“, sagt Felix Kartte. Er ist nicht überrascht. „Diese Unternehmen funktionieren nach einer anderen Logik als Gesellschaften: Es geht ihnen nicht darum, im öffentlichen Interesse zu handeln, es geht um Profit.“ Neu sei hingegen, dass diese Bestrebungen für so viel Aufmerksamkeit sorgten. Musks wenig subtiles Vorgehen habe dazu geführt, dass die Macht der Plattformbetreiber mittlerweile ernst genommen würde. „Weil wir in Echtzeit beobachten können, wie sich seine unternehmerischen Entscheidungen und seine politische Ideologie auf die Plattform X auswirken.“ So wird diskriminierender oder extremistischer Content auf X beispielsweise kaum noch moderiert.
Nach einer Verschärfung des Verhaltenskodex 2022 zur Bekämpfung von Desinformation hat die EU 2024 den Digital Services Act (DSA) und den Artificial Intelligence Act (AI Act) eingeführt. Die verpflichtenden EU-Gesetze sollen User*innen Werkzeuge gegen die übermächtigen Konzerne an die Hand geben und Transparenz schaffen. So verpflichtet der DSA Plattformen dazu, User*innen eine nichtpersonalisierte Feed-Option zur Verfügung zu stellen. Also zum Beispiel einen chronologischen Feed, der nicht von Algorithmen kuratiert wird. Sie sehen dann ausschließlich Inhalte von Accounts, denen sie bewusst folgen. Das verringert die Gefahr, dass Algorithmen extremistische Inhalte gezielt in die Timelines spielen, obwohl User*innen diese gar nicht sehen wollen. Zudem sind Plattformen verpflichtet, Auskunft darüber zu geben, warum Content gelöscht wurde. User*innen müssen darüber informiert werden und können dagegen vorgehen.

Felix Kartte ist Policy-Unternehmer, Journalist und Experte für Technologie- und Europapolitik. Als Mercator Fellow konzentriert er sich darauf, demokratische Modelle zur Regulierung digitaler Technologien weiterzuentwickeln. Hierfür arbeitet er mit der Europäischen Kommission in Brüssel zusammen, um vielfältige gesellschaftliche Perspektiven und wissenschaftliche Expertisen einzubeziehen.
Wunsch nach schnellen Lösungen
Trotzdem haben die neuen Digitalgesetze kein besonders gutes Image. Kritiker*innen bemängeln sie als zu bürokratisch, zu vage und zusätzliche Belastung für eine ohnehin schwächelnde Wirtschaft Europas. Seit Trump wiedergewählt wurde und Elon Musk seine ideologischen Statements ungebremst auf User*innen loslässt, beobachtet Kartte, dass sich europäische Journalist*innen und Politiker*innen schnelle Lösungen vom DSA wünschen: Wieso greift niemand ein? Warum stoppt die EU Musk nicht? Felix Kartte sagt, die digitalen Mühlen in der EU mahlten dafür zu langsam. Und doch habe das sein Gutes: „Es sollte nicht zu einfach sein, einzelne Unternehmer*innen stark einzuschränken, egal wie unliebsam ihre Aussagen sein mögen. Sonst läuft der DSA Gefahr, europäische Grundrechte wie die Meinungsfreiheit zu unterwandern“, sagt Kartte. Das Bedürfnis, Techkonzerne und „Broligarchen“ einzuschränken, kann der DSA also nicht befriedigen – zumindest nicht kurzfristig.


Trotzdem sind die neuen digitalen Gesetze eine Errungenschaft, wenn es darum geht, demokratische Strukturen in Europa zu verteidigen. Wie im Fall von Meta-Chef Mark Zuckerberg: Dieser hat angekündigt, auf seinen Plattformen Facebook, Instagram und Threads in den USA künftig auf Fact Checking zu verzichten. Zugleich ließ er viele Maßnahmen aufheben, die marginalisierte Gruppen im US-amerikanischen Internet schützen sollten. Dass das im europäischen Internet so nicht möglich ist, wertet Felix Kartte als Erfolg des DSA – denn ohne die Digitalgesetze hätte Zuckerberg auch in Europa freies Spiel. „Dank der Gesetzgebung müssen unternehmerische Entscheidungen wie diese im Licht unserer Grundrechte begründet werden. Das gilt auch für das Grundrecht auf Diskriminierungsfreiheit“, sagt Felix Kartte. Flankiert wird der DSA zudem bald vom AI Act, der im August 2026 vollständig in Kraft tritt. Während sich der DSA darauf fokussiert, wie große Plattforme Inhalte verbreiten, setzt das KI-Gesetz einen Schritt davor an: Es legt Regeln für die Produktion von KI-Inhalten fest. Unter anderem müssen KI-generierte Inhalte kenntlich gemacht werden, um besonders im Wahlkampf Irreführungen zu unterbinden. Halten sich Konzerne nicht an diese Gesetze, drohen hohe Strafzahlungen von bis zu 35 Millionen Euro oder – wie im Fall des DSA – sogar die Sperrung von Plattformen. „Strafzahlungen sind wirksam, solange man davon ausgehen kann, dass die Konzerne in erster Linie Geld verdienen wollen“, so der Experte. Das sei aber bei einigen nicht mehr so eindeutig. „Bei Elon Musk zeigt sich, dass er eine sehr politische Agenda verfolgt. Ihm dürften Strafzahlungen erst mal egal sein.“
Digitalpolitik von morgen – aber wie?
Aus dem ursprünglich demokratischen Versprechen der sozialen Medien ist also auch ein Schallverstärker für mächtige Politiker*innen und Unternehmer*innen geworden. Wie lässt sich das noch umkehren? „Ich denke, dass in Brüssel wieder mehr vorwärts gedacht werden muss“, sagt Kartte. Damit meint er eine Politik, die sich nicht nur damit befasst, wie man Schäden minimieren kann – sondern auch damit, wie man Technologien fördert, die Wirtschaft und Demokratie gleichermaßen dienen. „Ich wünsche mir eine positive, gestaltende Digitalpolitik“, sagt Kartte. „Wir sollten gesunde soziale Netzwerke aufbauen, die in der Aufmerksamkeitsökonomie bestehen, aber auch Raum für Gemeinschaft und marginalisierte Stimmen lassen. Das wird allerdings sehr, sehr schwer.“ Die Elefanten sind erkannt – jetzt geht es darum, ihnen etwas entgegenzusetzen.
Mercator Fellowship
Das Mercator Fellowship-Programm bietet seinen Stipendiat*innen den Freiraum, sich explorativ und ideenreich einem Forschungs- oder Praxisvorhaben zu widmen. Zielgruppe sind herausragende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Praxis, die zu spezifischen Fragen mit Bezug zu den Themen und den Handlungsfeldern der Stiftung Mercator arbeiten.
www.stiftung-mercator.de/fellows