Wie geht es der Demokratie in Polen, Sonia Horonziak?

Donald Tusk auf einer diesjährigen Wahlkampfveranstaltung.
Wie geht es der Demokratie in Polen, Sonia Horonziak?
Autor: Felix Jung 13.05.2025

Am 18. Mai wählt Polen einen neuen Staats­präsidenten. Europa blickt mit Sorge auf die nahende Abstimmung. Zwar regiert seit Ende 2023 mit Donald Tusk wieder eine pro­europäische Koalition, doch das Land ist tief gespalten. Das Vertrauen der Bürger*innen in staatliche Institutionen sei erschüttert, russische Versuche, den Wahlkampf zu beeinflussen, seien spürbar, sagt Sonia Horonziak vom Institut für öffentliche Angelegen­heiten (Instytut Spraw Publicznych), einem Thinktank in Warschau. Als Expertin für Wahl­prozesse in Zentral- und Ost­europa arbeitet sie mit dem Thinktank Democracy Reporting Inter­national zusammen. Wie der polnische Staat Vertrauen zurück­gewinnen kann und warum es Grund zur Hoffnung gibt, erklärt Sonia Horonziak im Gespräch mit AufRuhr.

Frau Horonziak, wie würden Sie den aktuellen Zustand der Demokratie in Polen beschreiben?

Polen ist nach wie vor eine Demokratie – wenngleich ich von einer „mangel­haften Demokratie“ spreche. Denn unsere Gewalten­teilung wurde systematisch geschwächt: Viele unserer heutigen Probleme sind ein Erbe der acht­jährigen PiS-Regierung unter Jarosław Kaczyński. Obwohl Donald Tusk seit 2023 polnischer Minister­präsident war, wird die neue Regierung noch immer viel zu tun haben, wenn sie das Vertrauen wieder­herstellen und rechts­staatliche Prinzipien stärken will.

Wo sehen Sie die größten Schwächen im demokratischen System Polens?

Besonders kritisch ist der Zustand der polnischen Justiz. Der Fakt, dass mindestens 40 der Richter*innen des Obersten Gerichtes von der PiS-Partei entfernt und mit ihr nahe­stehenden Richter*innen ersetzt wurden, ist weiter­hin problematisch. Denn gerade dieses Gericht soll nach der Wahl über die Recht­mäßigkeit der Wahl­ergebnisse entscheiden.

Sonia Horonziak
© Emilia Plawska

Dr. Sonia Horonziak ist Expertin für demokratische Wahlen und politische Teilhabe. Als Programm­leiterin am Institut für öffentliche Angelegenheiten in Warschau analysiert sie die Heraus­forderungen für Demokratie und Rechts­staatlichkeit in Polen und Mittel­europa – mit besonderem Fokus auf Wahlen, Desinformation und gesellschaftliche Polarisierung. Hierfür arbeitet sie mit Democracy Reporting International zusammen.

Beeinträchtigt diese Situation das Vertrauen der Bürger*innen in den Staat?

Auf jeden Fall. Das Vertrauen befindet sich auf einem historischen Tiefstand, dafür ist auch die vorherige Regierung mit verantwortlich. In aktuellen Umfragen zeigt sich, dass viele Menschen wenig Vertrauen in die politischen Parteien, Gerichte und staatlichen Institutionen Polens haben. Selbst wenn die Präsidentschafts­wahl korrekt abläuft, bleibt bei vielen ein Gefühl des Misstrauens.

Demokratie braucht digitale Transparenz

Democracy Reporting International (DRI) setzt sich nicht nur in Polen für faire Wahlen ein: In Deutschland klagt die Organisation derzeit gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheits­rechte (GFF) gegen die Social-Media-Plattform X (ehemals Twitter), um einen besseren Zugang zu öffentlichen Daten zu erstreiten. Ihr Ziel: freie Forschung zur digitalen Wahl­beeinflussung – ein zentrales Thema auch bei den Wahlen in Polen.

Welche Rolle spielen soziale Medien in diesem Wahlkampf?

Eine entscheidende. Gerade junge Wähler*innen beziehen ihre Informationen fast ausschließlich über soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube, Instagram und TikTok. Leider ist Polen beim Thema Regulierung hinten­dran: Der Digital Services Act (DSA) der EU wird hier noch nicht umgesetzt, da es keine zuständige nationale Behörde gibt. Das ist ein Vorteil für alle, die Desinformation, darunter auch prorussische Narrative, verbreiten.

Hat die Desinformation einen großen Einfluss auf den Wahlkampf?

Ja, sehr! Fast täglich finden Cyberangriffe auf die Regierung und andere politische Parteien statt. Die wichtigsten Plattformen wie die Website der Regierungs­partei wurden bereits gehackt. Dazu kommen gezielte Desinformations­kampagnen, die online gestreut werden. Meistens handelt es sich dabei um Propaganda gegen die Ukraine, mit dem Ziel, anti­ukrainische Stimmung unter den Pol*innen zu verbreiten oder Kandidat*innen zu unter­stützen, die kritischer gegen­über der Europäischen Union oder der NATO eingestellt sind.

Das polnische Justizsystem ist nach wie vor problematisch, es wird sowohl von polnischen Expert*innen als auch von Expert*innen der EU als verfassungs­widrig eingestuft.

Dr. Sonia Horonziak, Expertin für demokratische Wahlen und politische Teilhabe

Wie bewertet die EU die Lage der Demokratie in Polen?

Die EU hatte wegen Verstößen gegen die Rechts­staatlichkeit ein Verfahren gegen Polen eingeleitet, das von 2015 bis 2023 lief. Es wurde jedoch nach dem Regierungs­wechsel von Donald Tusk vorschnell beendet. Das war aus meiner Sicht ein Fehler. Das polnische Justiz­system ist nach wie vor problematisch, es wird sowohl von polnischen Expert*innen als auch von Expert*innen der EU als verfassungs­widrig eingestuft. Das Oberste Gericht ist nicht neutral und könnte beispiels­weise die Wahl für ungültig erklären, wenn ein*e Kandidat*in gewinnt, der*die nicht aus derselben Partei stammt wie die Richter*innen. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, könnte die Entscheidung des Gerichtes von beiden Seiten des politischen Spektrums infrage gestellt werden.

Ist es möglich, dass die Menge an Desinformation die Präsidentschafts­wahl so stark beeinflussen könnte, wie es Ende 2024 in Rumänien der Fall war?

Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Art von Desinformation die pro­russische Stimmung im Land stärkt, immerhin vertreten einige Kandidat*innen bei den Präsidentschafts­wahlen genau solche Ansichten. Glücklicher­weise ist der gesellschaftliche Wider­stand gegen pro­russische Narrative groß, und die Spitzen­kandidat*innen lehnen solche Ideen ab. Auch wenn ein ähnliches Szenario wie in Rumänien eher unwahrscheinlich erscheint, bedeutet das nicht, dass solche Inhalte nicht entschieden bekämpft werden sollten.

Ist nachvollzieh­bar, woher diese Fake News stammen?

Die genaue Quelle dieser Angriffe lässt sich nur schwer ermitteln. Wir können jedoch orten, dass sie aus dem Osten Polens und höchst­wahrscheinlich aus Russland oder Belarus kommen. Das passt auch damit zusammen, dass hauptsächlich jene Parteien Ziel­scheibe der Cyber­angriffe und Desinformations­kampagnen sind, die pro­europäisch oder pro­ukrainisch eingestellt sind.

Grzegorz Braun auf seiner Wahlversammlung in Krakau.
Grzegorz Braun auf seiner Wahlversammlung in Krakau. © picture alliance

Wie reagieren die Präsidentschafts­kandidat*innen auf diese Desinformations­kampagnen?

Für mich ist besonders alarmierend, dass prorussische Desinformation zunehmend von Kandidat*innen selbst verbreitet wird. Der rechtsextreme Präsidentschafts­kandidat Grzegorz Braun postet beispiels­weise nachweislich prorussische Narrative und schürt Ängste vor ukrainischen Geflüchteten. Es gibt auch einen offen Pro-Putin-Kandidaten, Maciej Maciak, der den russischen Präsidenten für seinen Widerstand gegen den Westen lobt.

Die polnische Regierung hat das „Umbrella Project“ als Mittel gegen Desinformation lanciert. Für wie effektiv halten Sie es?

Bisher ist dessen Bilanz eher enttäuschend. Zwar können Bürger*innen nun Falsch­informationen in den sozialen Medien melden, doch die Masse an Desinformation ist schlicht­weg über­wältigend. Hinzu kommt, dass Plattformen wie Facebook ihre eigenen Fakten­checks reduziert beziehungs­weise abgeschafft haben. Das verschärft die Situation zusätzlich.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um die polnische Demokratie zu stärken?

In der Regel wird erst reagiert, wenn offensichtlich gegen die demokratische Grundordnung verstoßen wurde. Das muss sich ändern: Wir brauchen nicht nur Mechanismen, die nach einer Wahl aktiv werden, sondern solche, die während des Wahl­kampfes eingreifen. Außerdem müssen wir Bürger*innen besser schulen, wenn es um Medien­kompetenz und den Umgang mit Desinformation geht.

Gibt es trotzdem Anlass zur Hoffnung?

Natürlich. Einige Präsidentschafts­kandidat*innen setzen klare proeuropäische und konstruktive Akzente: Sie sprechen über Polens Rolle in der NATO, über die Unter­stützung der Ukraine und über die Chancen einer starken Einbindung in die EU. Ich hoffe sehr, dass diese Stimmen bei der Wahl mehr Gehör finden. Und dass Polen im Herzen Europas zurück zu einer stabilen liberalen Demokratie findet.


Democracy Reporting International

Democracy Reporting International (DRI) ist eine unabhängige Organisation mit Sitz in Berlin, die sich welt­weit für die Förderung von Demokratie, Rechts­staatlichkeit und politischer Teilhabe einsetzt. DRI arbeitet mit lokalen Partnern, beobachtet Wahl­prozesse, analysiert Desinformation und berät Regierungen, Parlamente und die Zivil­gesellschaft. In Polen unter­stützt DRI Projekte zur Stärkung transparenter Wahlen und zur Abwehr von Desinformations­kampagnen.

www.democracy-reporting.org