„Wir brauchen afrikanische Sicht­weisen in der Klima­politik“

„Wir brauchen afrikanische Sicht­weisen in der Klima­politik“
Autor: Philipp Nagels Fotos: Boris Streubel 24.09.2024

Amandine Gnanguenon ist Expertin für europäisch-afrikanische Beziehungen. Die Politik­wissenschaftlerin kennt beide Perspektiven, auch durch ihre eigene Biografie. Europa müsse Afrika eine Partnerschaft auf Augenhöhe anbieten, damit die grüne Transformation gelingen könne, meint sie.

Europa braucht Afrika, um grüner zu werden. Afrika braucht Europa, um die Industrialisierung voran­zu­treiben. Rohstoffe gegen Wissen und Investitionen – das könnte im Prinzip der Deal sein, von dem beide Seiten profitieren. Doch so einfach sei es in der Realität nicht, sagt Amandine Gnanguenon: „Es gibt eine kulturelle Kluft zwischen den Kontinenten, die wir besser verstehen müssen, um sie über­brücken zu können.“ Als Senior Fellow und Leiterin des geopolitischen Programms am African Policy Research Institute (APRI) in Berlin möchte sie genau dazu beitragen. Das Programm bietet Akteur*innen aus Politik, Forschung und Wirtschaft beider Seiten eine Plattform für den Dialog.

„Wir brauchen in der europäischen Klima- und Energie­politik mehr afrikanische Sichtweisen“, sagt Gnanguenon. Aufgewachsen ist sie in Frankreich, dem Heimatland ihrer Mutter. Ihr Vater stammt aus Benin in Westafrika. Das Brücken­bauen zwischen den Ländern ist für sie gewisser­maßen Beruf und Berufung. Sie ist überzeugt, dass beide Kontinente voneinander profitieren könnten – voraus­gesetzt, sie bewältigten gemeinsam die dafür nötigen Transformationen. Wie das gelingen kann, ist die Kern­frage ihrer Forschungs­tätigkeit am APRI. Natürlich gebe es hierauf viele Antworten, sagt sie. Der Beziehungs­status zwischen Afrika und Europa? Er ist kompliziert.

Es ist genau diese intellektuelle Herausforderung, die Amandine Gnanguenon reizt: „Ich mag es, komplexe Themen zu dekonstruieren“, so die promovierte Politik­wissenschaftlerin. Für ihre Doktor­arbeit analysierte sie, wie Konflikte in Subsahara-Afrika durch multilaterale Kooperation befriedet werden können. Später arbeitete sie in Dakar, unter anderem für die französische Botschaft. Sie recherchierte zudem für die UN und die EU zur politischen Lage in den G5-Sahel-Staaten und war für das Auswärtige Amt tätig. Heute ist Gnanguenon eine gefragte Afrika-Expertin, die den German Marshall Fund als Non-Resident Fellow berät. Sie schlägt dabei den Bogen zu ihrer Arbeit bei APRI und untersucht, wie Afrika sich in der aktuellen geopolitischen Landschaft zurecht­finden kann.

Amandine Gnanguenon ist eine französische und beninische Expertin für internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Fokus auf Westafrika. Sie ist Senior Policy Advisor und Senior Fellow am African Policy Research Institute (APRI) und hat an wegweisenden Projekten zur Konfliktlösung und Stabilität in der Sahelzone mitgewirkt.
Amandine Gnanguenon ist eine französische und beninische Expertin für internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Fokus auf Westafrika. Sie ist Senior Policy Advisor und Senior Fellow am African Policy Research Institute (APRI) und hat an wegweisenden Projekten zur Konfliktlösung und Stabilität in der Sahelzone mitgewirkt. © Boris Streubel

Theorie als Fundament guter Entscheidungen

„Mir ist wichtig, dass all die Theorie, mit der ich mich als Akademikerin beschäftige, einen wirklichen Nutzen für Politiker*innen hat“, sagt sie. Sie versteht sich als „Operational Researcher“, als Forscherin, deren Erkenntnisse direkt in die Praxis über­setzt werden – ein Grund, warum sie Anfang des Jahres die Position beim APRI angetreten hat. „Ich mag innovative Forschung, und hier habe ich eine Umgebung, die genau diese fördert. Wir sind ein Think-and-do-Tank.“

Grundsätzlich sieht sie aktuell gute Voraussetzungen dafür, das Verhältnis zwischen afrikanischen und europäischen Staaten neu zu gestalten. Auf Augenhöhe, weg von der Asymmetrie der Entwicklungs­hilfe. So gibt es in vielen Teilen Afrikas eine junge, wachsende Bevölkerung, die innen­politisch Veränderungs­druck auf die Regierungen ausübt. Gleich­zeitig machen natürliche Ressourcen afrikanische Länder zu attraktiven Handels­partnern. „Kritische Rohstoffe werden für die afrikanischen Volks­wirtschaften immer wichtiger“, erklärt Gnanguenon. „Denn sie werden für die grüne Transformation in Europa und der Welt gebraucht.“

Kritische Rohstoffe werden für die afrikanischen Volks­wirtschaften immer wichtiger, denn sie werden für die grüne Transformation in Europa und der Welt gebraucht.

Amandine Gnanguenon, Senior Policy Advisor am African Policy Research Institute (APRI)

Handel für die grüne Transformation

Als kritische Rohstoffe gelten Metalle, Mineralien und andere Natur­materialien, die essenziell für ganze Industrie­zweige sind und und deren Mangel die Versorgungs­sicherheit zugleich gefährden kann. Ein Beispiel: Die Europäische Kommission schätzt, dass sich in der EU allein die Nachfrage nach Aluminium bis 2050 mehr als verfünffachen wird. Mehr als ein Viertel der weltweiten Aluminium­erz­vorkommen liegt im west­afrikanischen Guinea.

Dieser Ressourcenreichtum führe bereits dazu, dass sich Afrikas Position gegenüber den globalen Mächten gestärkt habe, sagt Gnanguenon. „Afrikanische Staaten treten in Verhandlungen selbst­bewusster auf. Sie diversifizieren ihre wirtschaftlichen Beziehungen und sprechen nicht nur mit Europa und China.“ Ein wichtiger Schritt für die „African Agency“, also das Vermögen afrikanischer Länder, als politische Akteure eigen­ständig zu handeln. Doch viele weitere müssten folgen, sagt Gnanguenon. Sie sieht vier zentrale Herausforderungen in der Kooperation zwischen Afrika und Europa.

Amandine Gnanguenon im Innenhof eines Coworking Spaces in Berlin. © Boris Streubel

Die erste Herausforderung sei die historisch gewachsene Macht­asymmetrie, so die APRI-Forscherin: „Dadurch werden afrikanische Belange in Handelsabkommen oder bei Investment­deals nicht adäquat berücksichtigt.“ Nicht selten spiegele sich hier die koloniale Vergangenheit. Zweitens: Ressourcen­nationalismus. Afrikanische Länder wollen Rohstoffe nicht nur fördern und exportieren, sondern auch verarbeiten, um einen größeren Teil der Wert­schöpfungs­kette im Land zu behalten. In der Folge kann die europäische Roh­stoff­nach­frage nicht immer voll bedient werden. Zudem müsse die EU-Gesetz­gebung die Gegeben­heiten vor Ort stärker berücksichtigen, sagt Gnanguenon. „Die Förderung von Rohstoffen hat große soziale und Umwelt­auswirkungen auf die lokalen Communitys.“

Mehr Sensibilität wünscht sich Gnanguenon drittens auch dafür, dass beide Kontinente unterschiedliche politische Prioritäten haben können: „Die EU hat sich sehr ehrgeizige Klima­ziele gesetzt. Gleich­zeitig gibt es in Afrika 600 Millionen Menschen, die keinen Zugang zu Elektrizität haben.“ Die vierte Heraus­forderung sei eine fehlende kohärente politische Agenda auf afrikanischer Seite: „Die nationalen und regionalen Interessen der Länder sind nicht immer aufeinander abgestimmt. Das können ausländische Akteure ausnutzen.“

Es sind also große Herausforderungen – die anzugehen jedoch im Interesse beider Seiten liegt. Europa möchte strategisch unabhängiger werden, was kritische Rohstoffe angeht. Afrika braucht europäisches Technologie­wissen und Investitionen in Infrastruktur, um wirtschaftlich wachsen und der Jugend eine lang­fristige Perspektive bieten zu können. „China hat dies schon vor zehn Jahren erkannt“, sagt Gnanguenon. „Europa ist spät dran.“ Doch nach ihrer Analyse nicht zu spät. Die EU könne konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Beziehungen zu afrikanischen Ländern zu verbessern.

Es gibt viel zu tun – und Ideen

So könne sich die EU stärker für fairen Handel und wirtschaftliche Gerechtigkeit einsetzen. „Wir brauchen transparentere Handels­abkommen und Verträge“, sagt die Politik­forscherin. Zwar habe die EU etwa mit mehreren Staaten Absichts­erklärungen zur Förderung von kritischen Rohstoffen geschlossen, die unter­zeichneten Umsetzungs­pläne jedoch geheim gehalten. „Die NGOs und die Menschen vor Ort, die von den Plänen betroffen sind, haben keine Chance zu verstehen, was da passiert.“

Handlungsbedarf sieht Gnanguenon auch beim Thema Investitionen. Sie fordert, dass die EU afrikanische Länder dabei unter­stützt, die Wert­schöpfung vor Ort auszubauen: „Nicht nur reden, sondern konkrete Dinge umsetzen. Dadurch hat sich China in Afrika einen Namen gemacht.“ Wichtig sei es, in eine ökologisch nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft zu investieren und für soziale und ökologische Standards einzutreten. Ein Balanceakt, denn auch inhaltlich richtige Argumente können aus europäischem Mund als Einmischung verstanden werden.

Relevant sei dafür auch, dass Europa sich mit seiner kolonialen Geschichte auseinandersetze, sagt Gnanguenon. Der Kontinent müsse seine Fehler anerkennen und eine Art von historischer Entschädigung anbieten – angefangen mit Verhandlungen: „Wir brauchen einen ausgeglicheneren politischen Dialog, in dem sich die afrikanischen Länder gleich­wertig fühlen und den Entscheidungs­prozess beeinflussen können“, erklärt sie.

Afrika und Europa: Die Beziehung zwischen den Kontinenten bedeutet viel Arbeit. Einfach kann der mögliche Deal nicht sein, aber er kann besser funktionieren als bisher. Dafür kämpft Amandine Gnanguenon mit ihrer Forschung am APRI. Sie sagt: „Wir wollen der afrikanischen Stimme mehr Gehör verschaffen – in Europa und der Welt.“


Geopolitics and Geoeconomics in Africa-Europe Relations

Das Projekt „Geopolitics and Geoeconomics in Africa-Europe Relations“ befasst sich mit der Frage, wie eine gestärkte, gleich­berechtigte und nutz­bringende Partnerschaft zwischen Europa und Afrika zur nach­haltigen Gestaltung des Energie­sektors aussehen kann. Insbesondere sollen Sichtweisen, Interessen und Bedarfe afrikanischer Stakeholder stärker in der EU-Klimaschutz- und Energie­politik verankert werden.
afripoli.org/geopolitics-and-geoeconomics