(K)eine Frage der Diplomatie – Manja Kliese über Frauen in Führungspositionen

Manja Kliese ist Diplomatin und leitet das Krisenreaktionszentrum im Auswärtigen Amt – als erste Frau auf diesem Posten. Ihren Karriereweg hat sie sich mit Fleiß und Entschlossenheit erarbeitet, doch eines wurde ihr erst später klar: Gute Arbeit allein reicht nicht. In diesem Interview spricht sie über ihren Werdegang, die Kraft von Frauennetzwerken, wie dem Mercatora-Programm der Stiftung Mercator, und warum gezielte Vernetzung unverzichtbar ist – nicht nur in der Diplomatie.
Ihr Weg in den diplomatischen Dienst führt von Ihrer Heimat in Ostdeutschland über viele internationale Stationen. War Diplomatin auf diesem Weg schon immer Ihr Karriereziel?
Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen, und mit der Wende kam für meine erwachsenen Bezugspersonen ein großer beruflicher Schock. Ich wusste zwar früh, dass ich gerne mit Sprachen arbeiten und ins Ausland gehen wollte – aber eine echte Beratung gab es nicht. Wir hörten oft: „Wenn du studierst, musst du später Taxi fahren.“ Der Fokus lag darauf, überhaupt Arbeit zu haben, nicht darauf, was glücklich macht. Ich habe mich damals bei verschiedenen Ausbildungsberufen beworben, obwohl ich eine Eins im Abitur hatte, weil das so die sichere Variante war. Dann stieß ich zufällig auf eine Anzeige des Auswärtigen Amtes: eine bezahlte Ausbildung mit Auslandsaufenthalten. Ich habe mich beworben, und zur Sicherheit aber auch noch ein Auswahlverfahren bei einer Landesbehörde gemacht. Am Ende wurde ich mit zwei weiteren Kandidatinnen gefragt: „Wenn Geld, familiäre Umstände und körperliche Voraussetzungen keine Rolle spielen würden, was wäre ihr Traumberuf?“ Ich war 17 und die anderen beiden antworteten „Kinderärztin“ und „Stewardess“. Als ich an der Reihe war, sagte ich aus tiefstem Innern „Botschafterin“. Die Jury schaute mich an und sagte, ja, das passt am besten.

Manja Kliese ist Diplomatin und leitet derzeit das Krisenreaktionszentrums des Auswärtigen Amts. Sie war ehemals stellvertretende Leiterin der Mission bei der Deutschen Botschaft in Riga/
Und heute sind Sie Diplomatin…
Ich habe die Außenpolitische Arbeit von der Pike auf gelernt. Nach meiner Ausbildung reifte in mir der Entschluss, einen Studienabschluss nachzuholen, um auf die politisch-diplomatische Laufbahn im Auswärtigen Amt zu wechseln. Das habe ich gezielt vorbereitet und dann in Paris studiert. Nach dem Abschluss habe ich mich direkt wieder beim AA beworben. Heute leite ich ein Team von 50 Mitarbeiter*innen – für ein Ministerium eine relativ große Einheit. Wir versuchen jeden Tag wie kleine Zahnrädchen ineinanderzugreifen, um unsere Instrumente zur Krisenbewältigung und zur Krisenvorsorge voll auszuschöpfen.

Ihr Karriereweg wirkt sehr zielstrebig – Sie hatten eine klare Vorstellung und haben sie konsequent verfolgt. Gab es dabei besondere Herausforderungen?
Ja, absolut. Ich war und bin immer von mir selbst getrieben, mit einem eigenen kleinen Plan. Unter anderem habe ich mir für mein Studium einen eigenen Fonds angespart, um unabhängig zu bleiben. Auf meinem Weg habe ich zwei Seiten der Medaille kennengelernt: Ich wusste, dass ich mehr kann, aber es gab immer wieder Menschen, wie Gesprächspartner oder Vorgesetzte, die mich kleiner halten wollen. Als Frau stößt man immer wieder auf Herausforderungen. Bei einem Empfang unterhielt ich mich mal mit einem Herrn, der mich fragte, wo ich Jura studiert hätte. Als ich sagte, dass ich gar kein Jura studiert habe, drehte er sich einfach um und ging. Solche Momente wurden für mich zum Antrieb. Bis dahin war mir nicht klar, dass es unausgesprochene Regeln und Erwartungen gab, die ich nicht kannte – weil ich keine direkten Vorbilder auf diesem Weg hatte.


Hat es Ihnen gefehlt Vorbilder zu haben, oder hatten Sie andere Netzwerke, die das aufgefangen haben?
Formal hat es an Vorbildern gefehlt. Mein kleiner Ausbildungslehrgang bot zwar Zusammenhalt, aber der Blick über den Tellerrand fehlte. Anfang der 2000er gab es zudem weniger digitale Möglichkeiten, um Netzwerke zu knüpfen. Besonders wertvoll war für mich der Austausch mit meiner Schwester. Sie ist selbst in die Politik gegangen, und wir haben voneinander viel darüber gelernt, wie man sich in männlich dominierten Bereichen behauptet.
Wie wichtig sind Ihnen Netzwerke speziell unter Frauen?
Netzwerke und Austausch zwischen Frauen habe ich immer als wertvoll empfunden – ich kam nur spät dazu, aktiv danach zu suchen. Vielleicht, weil ich so etwas nicht kannte, oder weil ich es nicht besser wusste. Aber ab dem Moment, in dem ich mich aktiv um diesen Austausch bemüht habe, habe ich gemerkt, wie sehr mir das als Inspiration geholfen hat.


Ich hatte immer das Gefühl, meinen Weg selbstbestimmt zu gehen und habe mir Etappen fleißig selbst erarbeitet.
Doch nach vielen Jahren im Kosmos des Auswärtigen Amtes suchte ich dann doch die „Befruchtung von außen“, wie neue Ideen und neuen Drive. Ich bin dann zuerst bei der Stiftung Mercator Teil des Türkiye Europe Future Forums geworden, ein Fellowship Programm, welches perfekt an meine Türkei-Erfahrungen anknüpfte. Als dann der erste Mercatora-Jahrgang als Förderungsprogramm für Frauen in Führungspositionen ausgeschrieben wurde, stand in der Ausschreibung sinngemäß: „Wenn du gerade an der gläsernen Decke angekommen bist, ist jetzt der Moment, dich zu vernetzen.“
Und genau so fühlte es sich für mich an. Ich hatte immer gedacht, dass Fleiß allein meinen Weg ebnen würde, Fleiß war mein Glaubenssatz. Doch durch Mercatora habe ich gelernt, dass gute Arbeit nicht automatisch zu mehr Sichtbarkeit führt. Vor allem durch die Coaching-Komponente des Programms habe ich neuen Input erhalten und verstanden, dass man selbst aktiv für die eigene Sichtbarkeit sorgen muss.
Wo hatten Sie in Ihrer Arbeit das Gefühl, dass Netzwerke aktiv Veränderungen bewirken können?
Mercatora war wie ein Katalysator für mich, um mich auch in anderen Netzwerken zu engagieren. So habe ich im Auswärtigen Amt die Beschäftigteninitiative „Netzwerk Ost“ mitinitiiert. Wir haben uns als Ostdeutsche zusammengeschlossen, weil wir auch nach so vielen Jahren der Wiedervereinigung noch deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sehen. Jede Statistik macht es immer wieder deutlich, sei es bei der Einkommensverteilung oder Wahlergebnissen. Im Ausland kann man das oft ausblenden, aber als deutsche Diplomatin werde ich immer wieder gefragt: Was ist da los bei euch? Warum ist die AfD in Ostdeutschland so stark?
Diplomatie ist keine Erbdynastie, sondern ein Beruf, der allen offensteht.
Gleichzeitig sehe ich viele Parallelen zu Frauen in Führungspositionen: Auch Ostdeutsche sind in vielen Bereichen, wie Bundesbehörden, unterrepräsentiert. Es fehlt oft an Vorbildern, die den Weg für die nächste Generation ebnen. Unser Ziel ist es deshalb, das Berufsbild Diplomat*in bekannter zu machen, sodass sich mehr junge Ostdeutsche bewerben. Es geht nicht um Quoten, sondern darum, zu zeigen: Diplomatie ist keine Erbdynastie, sondern ein Beruf, der allen offensteht.
Welche konkreten Tipps würden Sie Frauen geben, die 2025 eine Führungsposition – sei es in der Diplomatie oder anderswo – anstreben?
Mein wichtigster Ratschlag: Traut euch, den nächsten Schritt zu gehen. Wenn sich eine neue Möglichkeit ergibt, denkt nicht zuerst an die Hindernisse, sondern daran, warum ihr diese Chance ergreifen wollt und wie ihr sie für euch umsetzen könnt. Herausforderungen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind real, aber die zentrale Frage sollte lauten: Wie kann ich das schaffen? – nicht: Woran könnte es scheitern? Ich selbst habe drei Kinder, und natürlich sind Absprachen notwendig. Aber sie sollten als Gestaltungsspielraum gesehen werden, nicht als Hürde.
Zweitens: Macht euch sichtbar. Bringt euch aktiv ins Gespräch, signalisiert frühzeitig, dass ihr bereit für mehr Verantwortung seid – idealerweise schon, bevor eine Position offiziell ausgeschrieben wird. Sagt bewusst in euren Unternehmen: Hey, ich bin hier, ich mache einen guten Job, ich kann mir übrigens mehr vorstellen.
Der Rest ist strukturell, da ist noch viel zu tun. Aber wir sind als Gesellschaft schon ein großes Stück vorangekommen – auch wenn wir noch nicht am Ziel sind.
Mercatora
Viele qualifizierte Frauen aus dem Netzwerk der Stiftung Mercator berichten von großen Heraus-forderungen auf dem Weg in die Führungsetagen ihrer Institutionen. Mit dem Mercatora-Programm wird Alumnae der Stiftung Mercator die Möglichkeit gegeben, innerhalb eines Programmjahres in einer vertrauten Kleingruppe und im geschützten Rahmen Handlungsstrategien zur beruflichen Weiterentwicklung zu erlernen und sich mit anderen Alumnae und berufserfahrenen Expertinnen aus dem Netzwerk der Stiftung Mercator auszutauschen und zu vernetzen.