Für eine humanere Rückkehrpolitik

Jennifer Lehnen ist für eine humanere Rückkehrpolitik
Für eine humanere Rückkehrpolitik
Autor: Matthias Klein 27.08.2019

Müssen Migrant*innen in ihr Herkunftsland zurück, ist das für viele ein dramatischer Einschnitt. Sie gelten oft als gescheitert. Jennifer Lehnen beschäftigt sich in ihrem Jahr beim Mercator Kolleg mit der Rückkehr und Reintegration. „Viele Programme passen nicht zur Situation der Menschen“, hat sie erlebt.

Die Frau war total fertig. Aus Albanien war sie mit ihrem kleinen Sohn nach Deutschland gekommen, hoffte, hier als studierte Krankenschwester Arbeit zu finden. Sie hatte Deutsch gelernt und Asyl beantragt – aber der Antrag war abgelehnt worden, Albanien ist als sicheres Herkunftsland eingestuft. „Sie fürchtete sich sehr vor der Rückkehr“, erzählt Jennifer Lehnen. Als alleinerziehende Mutter habe die Frau in Albanien keine Chance für sich gesehen. „Ich habe sie dann beraten, welche legalen Migrationswege es gibt. Es ging darum, wie sie in ihrem Beruf in der EU arbeiten kann.“ Aber dafür habe sie zunächst nach Albanien zurückkehren müssen.

Spricht man mit Jennifer Lehnen über ihre Arbeit, erzählt sie von diesem Erlebnis. „Ich habe ganz tolle Menschen kennengelernt“, sagt sie. „Viele haben großes Potenzial, aber die Umstände machen sie kaputt. Sie geraten in Situationen, in denen sie Hilfe brauchen. Viele haben schwere Schicksale.“ Die 28-Jährige beschäftigt sich in ihrem Jahr beim Mercator Kolleg für internationale Aufgaben mit der Rückkehr und der Reintegration von Migrant*innen.

Jennifer Lehnen in Fès, Marokko.
Jennifer Lehnen in Fès, Marokko. © Jennifer Lehnen

Lieber selbst anpacken

An dem Thema arbeitet sie seit vier Jahren. Im Sommer 2015 kommen zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland an, Europa diskutiert über eine gemeinsame Migrationspolitik. Lehnen beginnt zu dieser Zeit gerade ihren Master in Public Policy and Human Development in Maastricht. „Mich hat das komplett frustriert. Ich habe mich theoretisch mit Migration im Studium beschäftigt, wäre aber viel lieber in Deutschland gewesen, um selbst mit anzupacken“, erinnert sie sich. Ihr Thema hat sie gefunden.

Nach dem Studium sammelt sie Arbeitserfahrung beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in Bogotá und bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Albanerin und ihren kleinen Sohn lernt sie in einer Existenzgründerberatung für rückkehrende Migrant*innen in Köln kennen.

„Ich finde an Migration so spannend, dass es diese immer gab und immer geben wird“, so beschreibt Lehnen ihre Motivation. „Gesellschaften können Migration nicht aufhalten.“ Deshalb gehe es darum, diese zu gestalten. „Ich bin der Meinung, dass Staaten das Recht haben, Migration zu steuern. Sie sollen es aber auf eine menschenwürdige Art und Weise machen. Ich will mich dafür einsetzen, dass es für alle Seiten fair ist.“

Ich bin der Meinung, dass Staaten das Recht haben, Migration zu steuern. Sie sollen es aber auf eine menschenwürdige Art und Weise machen.

Jennifer Lehnen

Jennifer Lehnens Jahr beim Mercator Kolleg
Markplatz in Marrakesch © Jennifer Lehnen
Graffiti in Rabat
Graffiti in Rabat © Jennifer Lehnen

„Rückkehr ist ein Stigma“

Schon seit Kindertagen ist Lehnen sehr gerne unterwegs. Besonders lange hat sie in Südamerika gelebt, inzwischen zweieinhalb Jahre in verschiedenen Ländern – „es ist mein Lieblingskontinent“, sagt sie und lacht. Was sie am Leben dort schätzt? „Ach, das klingt immer so klischeehaft.“ Einen Moment lang schweigt sie. „Trotzdem stimmt es, die Lebensfreude und die Offenheit der Menschen sind einfach toll.“

In ihrem Kollegjahr war Lehnen zunächst im ecuadorianischen Außenministerium und bei der GIZ im marokkanischen Rabat, in einem Zentrum, in dem Rückkehrende und Ausreisewillige beraten werden. „Rückkehr ist ein Stigma“, hat sie erlebt. Migrant*innen fürchteten sich sehr davor, weil sie in ihren Herkunftsländern oft als Gescheiterte angesehen werden. „Ihr Umfeld hatte erwartet, dass sie im Ausland erfolgreich sind, oft auch, dass sie Geld schicken. Es ist dann sehr schwer für sie, wieder Fuß zu fassen.“ Im Bundesinnenministerium lernte sie schließlich die Verwaltungsseite kennen.

Sorgen und Fähigkeiten sehen

„Wenn es um freiwillige Rückkehr geht, passen in vielen Ländern die Programme nicht zur Situation der Menschen“, hat Lehnen erlebt. Zum Beispiel bei einer Existenzgründungsberatung. Oft fehlen die strukturellen Bedingungen in ihren Herkunftsländern und das Startkapital für den Aufbau eines kleinen Unternehmens, damit Migrant*innen ihre Kompetenzen nutzen können.

Das sei ein grundsätzliches Problem bei der Entwicklungszusammenarbeit, sagt Lehnen: „Die Probleme vor Ort sind strukturelle. Es ist schwierig, diese mit Entwicklungsprojekten zu lösen.“ Wie können solche Projekte trotzdem besser werden? „Der Schlüssel ist, sich in die Situation der Migrant*innen hineinzuversetzen, ihre Sorgen zu sehen und ebenfalls ihre Fähigkeiten – das passiert aber viel zu selten.“ Außerdem sollten wissenschaftliche Grundlagen besser in die Migrationspolitik integriert werden. Um irreguläre Migration zu verringern, sei es wichtig, legale Wege auszubauen.

Hier an der Schnittstelle von theoretischen Konzepten und praktischer Umsetzung sieht Jennifer Lehnen eine spannende Aufgabe für sich. „Ich bin vom Herzen her Praktikerin“, sagt sie. Und gerade bei den konkreten Angeboten vor Ort gebe es noch viel zu tun.

Mercator Kolleg für internationale Aufgaben

Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte, deutschsprachige Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen und junge Berufstätige, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen wollen. Das Kolleg ist ein Projekt der Studienstiftung des deutschen Volkes und uns in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt sowie der Schweizerischen Studienstiftung und der Stiftung Mercator Schweiz in Kooperation mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten.

www.mercator-kolleg.de/