Hilfe im weißen Kittel

Maijuran Rajeswaran
Hilfe im weißen Kittel
Autorin: Matthias Klein 08.10.2019

Psychotherapeut, das ist das Berufsziel von Maijuran Rajeswaran. Bei der meet! – Mercator Europa Tour hospitierte der 20-Jährige in einer Psychiatrie in der Schweiz – und machte eine ganz neue Erfahrung.

Sie drückt ihm einen weißen Kittel in die Hand. Gleich soll es losgehen mit der Visite, vorher bekommt er noch das typische Accessoire. „Ich habe den natürlich gleich angezogen“, erzählt Maijuran Rajeswaran. „Ein tolles Gefühl.“ Gerade erst ist er bei den Universitären Psychiatrischen Diensten in Bern in der Schweiz angekommen. Und schon soll er das Ärzteteam beim täglichen Rundgang begleiten. Vorher schießt er noch schnell ein Selfie in dem Kittel.

Schon seit mehreren Jahren will Maijuran Kinder- und Jugendtherapeut werden. Als er die Psychiatrie in Bern betritt, spürt er Nervosität. Wie soll er sich verhalten? Wie mit den kranken Menschen umgehen? Die Unsicherheit gibt sich schnell. Dafür ist auch viel zu viel zu tun. Gleich nach der Visite steht ein Erstaufnahmegespräch an. Eine alte Dame erzählt von den Zwangsstörungen, unter denen sie leidet. Sie fängt an zu weinen. „Auch bei mir hat sich einen Moment lang alles zusammengezogen“, erzählt Maijuran. „Ihre Geschichte hat mich betroffen gemacht.“

Viel zu debattieren

Maijuran Rajeswaran war mit der meet! – Mercator Europa Tour in Bern. Die Tour ist eine dreiwöchige Reise in mehrere Länder, bei der junge Erwachsene Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft treffen sowie internationale Organisationen kennenlernen. Das Programm richtet sich besonders an Teilnehmer*innen, die als Erste in ihrer Familie Abitur gemacht haben oder studieren und die bisher noch keine Gelegenheit hatten, Auslandserfahrung zu sammeln.

Maijuran ist im Norden des Ruhrgebiets aufgewachsen, in Dortmund. Seine Eltern sind Tamilen, sie verließen Sri Lanka auf der Flucht vor dem Krieg. Als sein Vater nach Deutschland kam, war er gerade 17 Jahre alt. Einen Schulabschluss konnte er in der Heimat nicht machen, heute arbeitet er als Küchenhilfe.

„Meine Eltern haben sich in Deutschland voll integriert“, sagt Maijuran. Die bekannten Traditionen aus Sri Lanka spielten für sie aber weiterhin eine wichtige Rolle. „Ich hingegen fühle deutsch“, sagt Maijuran. „Oder besser: Ich fühle deutsch, Schrägstrich europäisch.“ Klar, das führe manchmal zu Diskussionen. „Ich bombardiere vor allem meine Mutter mit meinen Ideen und Sichtweisen“, sagt Maijuran und lacht laut. „Da gibt es manchmal viel zu debattieren.“

Maijuran Rajeswaran
Maijuran Rajeswaran © Adam Karas
Maijuran Rajeswaran
© Adam Karas

Die Bewerbung für die meet!-Tour sei ihm nicht leichtgefallen. „Ich bin nicht gewohnt, mich zu präsentieren. Ich habe viel zu erzählen, aber wie das Wichtigste für eine Bewerbung aussuchen?“ Maijuran lacht erneut. Der 20-Jährige hat vor kurzem Abitur gemacht. Er erzählt offen, streut immer wieder einen Witz ein und lacht dann selbst gerne mit.

Ich weiß jetzt noch mehr, warum ich unbedingt Therapeut werden will.

Sicher in der Gruppe

Von seiner Idee, bei der Tour durch Europa mitzumachen, habe er erst einmal seine Eltern überzeugen müssen. „Sie hatten schon Ängste. Der Gedanke war ungewohnt, dass ihr ältester Sohn einfach mal drei Wochen weg ist.“ Er selbst habe sich hauptsächlich gefreut. „Ich wusste ja, ich reise nicht alleine ins Ausland. Die Gruppe hat mir Sicherheit gegeben.“

Bei einem Vorbereitungswochenende lernte er die anderen kennen. Die Teilnehmer*innen stammen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, haben verschiedene Interessen und berufliche Ziele. „Wir haben uns aber gleich super verstanden, so als würden wir uns schon lange kennen. Wir hatten uns viel zu erzählen.“ Was da so die Themen waren? Maijuran stockt einen Moment. „Ach, ich sag mal, so Teenie-Kram halt.“ Er lacht wieder laut.

Berufswunsch bestätigt

Während der Europa-Woche besuchte die Gruppe gemeinsam Budapest und Wien. In Ungarn lernten sie unter anderem die NGO Political Capital kennen, erfuhren viel über die politische Situation in dem Land. „Ich bin ja eigentlich nicht so politikinteressiert“, sagt Maijuran. „Aber das hat mich in den Bann gezogen. Wir konnten kritische Fragen stellen und haben viel erfahren. Ich denke sehr gerne daran zurück.“

Danach ging es für die Teilnehmer*innen zu ihren individuellen Hospitationen. Maijuran reiste in die Schweiz. Dort betreute ihn Severin Pinilla, der Alumnus des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben ist Arzt und macht gerade seine Ausbildung zum Psychiater. Nach seinem ersten Tag in der Psychiatrie habe er abends im Hotel die Erlebnisse reflektiert, erzählt Maijuran. Er dachte noch einmal an die Dame, die am Vormittag von ihren Zwangsstörungen berichtet hatte. „Eine unheimlich traurige Geschichte. Aber zu wissen, dass wir ihr helfen können, war ein sehr schönes Gefühl“, sagt Maijuran leise. „Das hat mich begeistert und seitdem nicht mehr losgelassen. Ich weiß jetzt noch mehr, warum ich unbedingt Therapeut werden will.“

Collage zu Budapest
© Adam Karas
Eine Person hält ein Gruppenfoto in den Händen.
© Adam Karas

Bildung nutzen

Während seiner Hospitation besuchte er auch einen Psychologie-Kongress. Dort ging er zu einem Seminar über Stressabbau. Mit neun Ärzten probierte er eine neue Methode aus. „Vereinfacht gesagt ging es darum, ein Umdenken über stressige Situationen zu erreichen. Das ist sozusagen eine kleine Therapie.“

Als die Dozentin am Ende nach dem Erfolg fragte, sagten alle, es habe funktioniert. „Nur bei mir hat es einfach nicht geklappt. Oha, das hat mich vielleicht gestresst“, sagt Maijuran und lacht. Er ging gleich auf die Dozentin zu. „Ich fand es klasse, dass sie mich ernstgenommen hat, schließlich bin ich ja viel jünger.“ Jetzt lese er erstmal ein Buch über die Methode, sagt Maijuran. „Und dann werde ich das weiter ausprobieren.“

Zurück in Deutschland steht nun sein Studium an, in Dortmund will er einen Bachelor in Erziehungswissenschaften machen. „Meine Eltern haben immer großen Wert auf Bildung gelegt“, sagt Maijuran. „Ich weiß, sie hatten diese Möglichkeit nicht. Deshalb will ich das nun unbedingt nutzen.“ Eines Tages will er wieder einen weißen Kittel anziehen. Und dann selbst eine Visite machen.

meet! – Mercator Europa Tour

Die meet! – Mercator Europa Tour ermöglicht jungen Menschen aus dem Ruhrgebiet einen vollfinanzierten dreiwöchigen Aufenthalt in Europa. Das Programm richtet sich an Auszubildende nach dem (Fach-)Abitur sowie Studierende, die internationale Tätigkeitsfelder kennenlernen möchten.

https://www.meet-europa.de/


 

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