Klimafinanzierung auf dem Prüfstand: Was braucht der Globale Süden wirklich?

Ein Pappschild mit dem Schriftzug: "The climate is changing; why aren't we?"
Klimafinanzierung auf dem Prüfstand: Was braucht der Globale Süden wirklich?
Autor: Philipp Nagels 27.05.2025

Die globale Klimakrise lässt sich nur mit inter­nationaler Solidarität bewältigen. Ein zentrales Instrument dafür sind Klima­hilfen: Gelder, mit denen Industrie­staaten Entwicklungs- und Schwellen­länder – den sogenannten Globalen Süden – beim Umgang mit den Folgen der Erderwärmung unter­stützen sollen. Doch in der aktuellen politischen Lage ist diese Finanzierung längst nicht mehr selbst­verständlich, von vielen Staaten wird sie zurück­gefahren. Wie Klima­gerechtigkeit dennoch erreicht werden kann, diskutierten Expert*innen Anfang Mai beim Global Solutions Summit 2025 in Berlin. AufRuhr war dabei.

Ein Konferenzraum in der renommierten Wirtschafts­hoch­schule ESMT Berlin. Vor einem imposanten Gemälde sitzen rund 25 Menschen aus aller Welt an einem lang­gestreckten Tisch und besprechen eine der großen Fragen unserer Zeit: Wie finanzieren wir eine grüne, gerechte Zukunft? Die anwesenden Expert*innen tauschen Perspektiven zu diesem Thema aus, heute ist ihr erstes gemeinsames Treffen im Rahmen des Summit. In den kommenden zwei­einhalb Jahren werden weitere Zusammen­künfte und Workshops sowie die Etablierung einer „Community of Practice“ folgen, einer festen Arbeits­gruppe, die das Thema „Klima­finanzierung und nach­haltige Entwicklungs­ziele“ kritisch analysieren und Lösungs­ansätze heraus­arbeiten wird.

„Es geht weniger um Finanzierung als um Investitionen. Auch um private“, sagt Sébastien Treyer, einer der Teilnehmer*innen und Mitglied der neuen Arbeits­gruppe. Er zitiert die Baku-Belém-Roadmap, die im vergangenen Jahr auf der Weltklimakonferenz COP29 in Aserbeidschan beschlossen wurde. Darin fordern die Länder des Globalen Südens, die finanzielle Unter­stützung bis 2035 auf jährlich bis zu 1,3 Billionen US-Dollar hoch­zu­fahren. Doch nur ein Bruch­teil dieser Summe – 300 Milliarden – wurde bisher von den Industrie­nationen konkret zugesagt. Den Rest sollen die Länder des Globalen Südens über andere Kanäle organisieren, etwa durch private Investitionen oder eigene Haus­halts­mittel. Ein Anspruch, der in der Realität kaum erfüllbar ist. Was muss sich also an der inter­nationalen Klima­finanzierung ändern? Drei Expert*innen der Arbeits­gruppe, Sébastien Treyer, Shuva Raha und Nithi Nesadurai, geben Antworten.

Global Solutions Summit 2025 in Berlin
Das erste Treffen der "Community of Practice" in Berlin. © Reinaldo Coddou

Sébastien Treyer

Geschäftsführer des Internationalen Instituts für nach­haltige Entwicklung und inter­nationale Beziehungen (IDDRI), Frankreich

Welches Projekt bringt Sie auf den Global Solutions Summit?

Als IDDRI versuchen wir, eine neue Art von Handels- und Investitions­partnerschaften zwischen Europa und Ländern des Globalen Südens zu definieren. Wir fragen uns: Wie können wir Anreize für Privat­investor*innen dort schaffen, wo sie in den vergangenen Jahr­zehnten verschwunden sind? Ziel ist es, der Europäischen Kommission und ihren Mitglieds­staaten ein Konzept für ein gemeinsames industrielles Öko­system vor­zu­schlagen. Denn wenn Europa in Afrika investiert, steigert das auch die europäische Wettbewerbs­fähigkeit. Besonders jetzt, in Zeiten, in denen öffentliche Investitionen für die Auslands­hilfe in vielen Ländern reduziert werden, ist dieser Ansatz besonders relevant.

Sébastien Treyer
© Reinaldo Coddou

Sébastien Treyer ist seit Januar 2019 geschäftsführender Direktor des IDDRI, 2010 kam er als Programmdirektor zum Institut. Er ist außerdem Vorsitzender des wissenschaftlich-technischen Ausschusses der französischen Globalen Umwelt­fazilität (FFEM) und Mitglied der Lead Faculty des Earth System Governance Network.

Wenn Sie in Sachen Klimahilfe eine Sache direkt ändern könnten: Was wäre das?

Dass europäische Staaten Handels- und Investitions­partnerschaften nicht nur trans­aktional betrachten, sondern dabei die Bedürfnisse und die Forderungen der Länder des Globalen Südens berücksichtigen. Das gilt auch für die Gestaltung von Groß­investitionen wie der Baku-Belém-Roadmap. Wir Europäer*innen würden damit die Situation in Ländern des Globalen Südens substanziell verbessern.

Die Baku-Belém-Roadmap ist ein Fahrplan für das neue globale Klima­finanzierungs­ziel. Darin fordern die Länder des Globalen Südens, bis 2035 jährlich 1,3 Billionen US-Dollar für Klima­schutz und -anpassung in Schwellen-und Entwicklungs­ländern zu mobilisieren. Mindestens 300 Milliarden US-Dollar davon sollen aus öffentlichen Mitteln stammen, den Rest sollen private und inter­nationale Geld­geber*innen beisteuern. Ziel ist es, neben nationalen Klimazielen auch klima­resiliente Infra­strukturen zu finanzieren. Die Umsetzung ist jedoch komplex – unter anderem wegen hoher Schulden und begrenztem Zugang zu Kapital im Globalen Süden. Bis zur nächsten Klimakonferenz COP30 in Belém sollen konkrete Schritte erarbeitet werden.

Shuva Raha

Fellow and Lead International Cooperation beim Council on Energy, Environment and Water (CEEW), Indien

Welches Projekt bringt Sie auf den Climate Solutions Summit?

Eines unserer Projekte heißt „One Size Does Not Fit All“. Darin erforschen wir die wirtschaftlichen Entwicklungs­pfade einzelner Entwicklungs­länder und wie diese ihre nationalen Strategien für Energie­sicherheit und Energie­wende bestimmen. Das ist wichtig, weil der Globale Süden kein homogener Block ist – jedes Land ist anders. Unsere Forschung zeigt, wie jedes Land seine wirtschaftlichen Prioritäten danach ausrichtet, was es in 5, 25 oder 50 Jahren sein möchte – dazu gehören der Netto-Null- oder Dekarbonisierungs­plan sowie weitere quantitative und qualitative Faktoren wie Bevölkerungs­größe, geografische Lage oder der Einfluss auf multi­laterale Organisationen. Wirtschaftliche und soziale Prioritäten bestimmen die Energie­sicherheit und -wende, nicht umgekehrt.

Shuva Reha
© Reinaldo Coddou

Shuva Reha leitet das Programm für internationale Zusammenarbeit des CEEW, das sich über fünf Regionen erstreckt: Asien-Ozeanien, West­asien, Afrika, Europa und Amerika. Sie ist Mitglied des Foresight-Teams des CEO. Zu ihrem Portfolio gehören Energie- und Ressourcen­sicherheit, kohlen­stoff­armes Wachstum, inter­nationale Finanzen, Klima­resilienz, Nexus-Heraus­forderungen und Global Governance.

Was läuft Ihrer Meinung nach schief bei der Finanzierung von Klima­hilfen?

Private Investor*innen wollen in der Regel Gewinne erzielen, sie investieren in klar definierte Projekte mit einem über­schaubaren Zeit­rahmen, festen Leistungen oder Produkten. Doch nationale Pläne für eine klima­freundliche und wider­stands­fähige Entwicklung passen nicht besonders gut in dieses Schema. Auch gibt es einen Haken beim privaten Kapital: die tatsächlichen oder wahr­genommenen Risiken bei der Kredit­vergabe. Rating­agenturen stufen Entwicklungs­länder oft als politisch und wirtschaftlich risikoreich ein, was zu hohen Kreditzinsen führt und privates Kapital für Entwicklungs­projekte unerschwinglich macht. So entsteht ein Teufelskreis. Wir müssen daher die Bedingungen für die Klima­finanzierung neu definieren, indem wir solche Risiken einpreisen und Entwicklungs­projekte gleich­zeitig „bankfähig“ machen.

Das erste Gruppenfoto der Expert*innenrunde nach dem gemeinsamen Treffen auf dem Global Solutions Summit. © Reinaldo Coddou

Wenn Sie in Sachen Klima­finanzierung eine Sache sofort ändern könnten: Was wäre das?

Rund 75 Prozent der Infrastruktur, die weltweit bis zur Mitte des Jahrhunderts gebaut werden soll – Straßen, Häfen, Bahn­strecken, Kraftwerke, Wohn-, Gewerbe- und Industrie­gebiete – werden in Entwicklungs­ländern entstehen, die über­proportional vom Klima­wandel betroffen sind. Diese Infra­struktur, die rund sechs Milliarden Menschen dienen soll, muss von Anfang an klima­resilient geplant werden, einschließlich angemessener Versicherungen. Ohne voraus­schauende Planung und Investitionen werden diese Länder die Verluste an Menschenleben, Lebens­grund­lagen und Öko­systemen durch Klima- und Natur­katastrophen nicht tragen können.

Nithi Nesadurai

Director and Regional Coordinator, Climate Action Network Southeast Asia (CANSEA), Malaysia

Welches Projekt bringt Sie auf den Global Solutions Summit?

Wir setzen uns mit CANSEA für die gerechte Energie­wende in den aktiven Kohle­ab­bau­gebieten Indonesiens ein. Das Land ist einer der größten Produzenten und Exporteure von Kohle welt­weit. Das muss sich ändern, denn Süd­ost­asien ist eine der Regionen, die weltweit am stärksten von Klima­risiken betroffen sind. Gemeinsam mit der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Inter­nationale Zusammen­arbeit, und weiteren Partnern unterstützen wir Kohle­arbeiter*innen und die von Kohle abhängigen Gemeinden dabei, sich eine neue Existenz­grund­lage aufzubauen.

Nithi Nesadurai
© Reinaldo Coddou

Nithi Nesadurai ist Direktor und Regionalkoordinator des Climate Action Network Southeast Asia (CANSEA), dem regionalen Knoten­punkt des Climate Action Network mit mehr als 2.000 Mitglieds­organisationen in über 130 Ländern. Auf nationaler Ebene ist Nithi Nesadurai Präsident der Environmental Protection Society Malaysia (EPSM), einer ehren­amtlich arbeitenden Mitglieder­organisation.

Was ist Ihre wichtigste Politik­empfehlung für eine nach­haltigere Zukunft?

Tax the billionaires! Wir müssen Milliardär*innen und Unternehmen, die die Umwelt verschmutzen, stärker besteuern. Diese Maßnahme würde Abermilliarden Dollar bringen, um in Entwicklungs­ländern einen gerechten Übergang von fossilen Brenn­stoffen zu erneuer­baren Energien zu finanzieren.

Das erste Treffen der neuen Arbeits­gruppe nähert sich dem Ende. In den Gesprächen wird deutlich: Aktuell ist die globale Finanzierung von Klimahilfen ein heraus­forderndes Thema. Der politische Zeit­geist wandert nach rechts, national orientiertes Denken ist im Aufschwung. Länder wie die USA, Deutschland und Frankreich haben ihre öffentlichen Entwicklungs­leistungen (ODA) seit 2023 spürbar verringert, der Trend wird sich wahrscheinlich fortsetzen.

Zugleich machen die Gespräche Hoffnung: Es gibt viele Lösungs­ansätze und Projekte, die den Weg in eine nach­haltigere Zukunft weisen. Wie sich dieser Übergang finanzieren und gerecht gestalten lässt, werden die Expert*innen in den nächsten zwei­einhalb Jahren zusammen erarbeiten. Das nächste Treffen findet im Herbst in Südafrika statt.


Global Solutions Initiative

Die Global Solutions Initiative ist eine Thinktank-Plattform, die die G20-Staaten bei der Gestaltung des G20-Prozesses und bei der Erarbeitung von politischen Lösungen für globale Heraus­forderungen unter­stützt. Mit einem umfang­reichen Programm aus Forschung, Öffentlichkeits­arbeit und Beratung bringt die Initiative Politik, Wissenschaft, Zivil­gesellschaft und Wirtschaft zusammen. Die jährliche Agenda gipfelt im Global Solutions Summit. In ihren Schwer­punkt­themen widmet sich die Global Solutions Initiative bestimmten Frage­stellungen. Unter anderem steht die Identifizierung von Strategien zur Finanzierung globaler Nachhaltig­keits­agenden im Fokus des Projektes.
www.global-solutions-initiative.org/