Klimafinanzierung auf dem Prüfstand: Was braucht der Globale Süden wirklich?

Die globale Klimakrise lässt sich nur mit internationaler Solidarität bewältigen. Ein zentrales Instrument dafür sind Klimahilfen: Gelder, mit denen Industriestaaten Entwicklungs- und Schwellenländer – den sogenannten Globalen Süden – beim Umgang mit den Folgen der Erderwärmung unterstützen sollen. Doch in der aktuellen politischen Lage ist diese Finanzierung längst nicht mehr selbstverständlich, von vielen Staaten wird sie zurückgefahren. Wie Klimagerechtigkeit dennoch erreicht werden kann, diskutierten Expert*innen Anfang Mai beim Global Solutions Summit 2025 in Berlin. AufRuhr war dabei.
Ein Konferenzraum in der renommierten Wirtschaftshochschule ESMT Berlin. Vor einem imposanten Gemälde sitzen rund 25 Menschen aus aller Welt an einem langgestreckten Tisch und besprechen eine der großen Fragen unserer Zeit: Wie finanzieren wir eine grüne, gerechte Zukunft? Die anwesenden Expert*innen tauschen Perspektiven zu diesem Thema aus, heute ist ihr erstes gemeinsames Treffen im Rahmen des Summit. In den kommenden zweieinhalb Jahren werden weitere Zusammenkünfte und Workshops sowie die Etablierung einer „Community of Practice“ folgen, einer festen Arbeitsgruppe, die das Thema „Klimafinanzierung und nachhaltige Entwicklungsziele“ kritisch analysieren und Lösungsansätze herausarbeiten wird.
„Es geht weniger um Finanzierung als um Investitionen. Auch um private“, sagt Sébastien Treyer, einer der Teilnehmer*innen und Mitglied der neuen Arbeitsgruppe. Er zitiert die Baku-Belém-Roadmap, die im vergangenen Jahr auf der Weltklimakonferenz COP29 in Aserbeidschan beschlossen wurde. Darin fordern die Länder des Globalen Südens, die finanzielle Unterstützung bis 2035 auf jährlich bis zu 1,3 Billionen US-Dollar hochzufahren. Doch nur ein Bruchteil dieser Summe – 300 Milliarden – wurde bisher von den Industrienationen konkret zugesagt. Den Rest sollen die Länder des Globalen Südens über andere Kanäle organisieren, etwa durch private Investitionen oder eigene Haushaltsmittel. Ein Anspruch, der in der Realität kaum erfüllbar ist. Was muss sich also an der internationalen Klimafinanzierung ändern? Drei Expert*innen der Arbeitsgruppe, Sébastien Treyer, Shuva Raha und Nithi Nesadurai, geben Antworten.

Sébastien Treyer
Geschäftsführer des Internationalen Instituts für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen (IDDRI), Frankreich
Welches Projekt bringt Sie auf den Global Solutions Summit?
Als IDDRI versuchen wir, eine neue Art von Handels- und Investitionspartnerschaften zwischen Europa und Ländern des Globalen Südens zu definieren. Wir fragen uns: Wie können wir Anreize für Privatinvestor*innen dort schaffen, wo sie in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden sind? Ziel ist es, der Europäischen Kommission und ihren Mitgliedsstaaten ein Konzept für ein gemeinsames industrielles Ökosystem vorzuschlagen. Denn wenn Europa in Afrika investiert, steigert das auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Besonders jetzt, in Zeiten, in denen öffentliche Investitionen für die Auslandshilfe in vielen Ländern reduziert werden, ist dieser Ansatz besonders relevant.

Sébastien Treyer ist seit Januar 2019 geschäftsführender Direktor des IDDRI, 2010 kam er als Programmdirektor zum Institut. Er ist außerdem Vorsitzender des wissenschaftlich-technischen Ausschusses der französischen Globalen Umweltfazilität (FFEM) und Mitglied der Lead Faculty des Earth System Governance Network.
Wenn Sie in Sachen Klimahilfe eine Sache direkt ändern könnten: Was wäre das?
Dass europäische Staaten Handels- und Investitionspartnerschaften nicht nur transaktional betrachten, sondern dabei die Bedürfnisse und die Forderungen der Länder des Globalen Südens berücksichtigen. Das gilt auch für die Gestaltung von Großinvestitionen wie der Baku-Belém-Roadmap. Wir Europäer*innen würden damit die Situation in Ländern des Globalen Südens substanziell verbessern.
Die Baku-Belém-Roadmap ist ein Fahrplan für das neue globale Klimafinanzierungsziel. Darin fordern die Länder des Globalen Südens, bis 2035 jährlich 1,3 Billionen US-Dollar für Klimaschutz und -anpassung in Schwellen-und Entwicklungsländern zu mobilisieren. Mindestens 300 Milliarden US-Dollar davon sollen aus öffentlichen Mitteln stammen, den Rest sollen private und internationale Geldgeber*innen beisteuern. Ziel ist es, neben nationalen Klimazielen auch klimaresiliente Infrastrukturen zu finanzieren. Die Umsetzung ist jedoch komplex – unter anderem wegen hoher Schulden und begrenztem Zugang zu Kapital im Globalen Süden. Bis zur nächsten Klimakonferenz COP30 in Belém sollen konkrete Schritte erarbeitet werden.
Shuva Raha
Fellow and Lead International Cooperation beim Council on Energy, Environment and Water (CEEW), Indien
Welches Projekt bringt Sie auf den Climate Solutions Summit?
Eines unserer Projekte heißt „One Size Does Not Fit All“. Darin erforschen wir die wirtschaftlichen Entwicklungspfade einzelner Entwicklungsländer und wie diese ihre nationalen Strategien für Energiesicherheit und Energiewende bestimmen. Das ist wichtig, weil der Globale Süden kein homogener Block ist – jedes Land ist anders. Unsere Forschung zeigt, wie jedes Land seine wirtschaftlichen Prioritäten danach ausrichtet, was es in 5, 25 oder 50 Jahren sein möchte – dazu gehören der Netto-Null- oder Dekarbonisierungsplan sowie weitere quantitative und qualitative Faktoren wie Bevölkerungsgröße, geografische Lage oder der Einfluss auf multilaterale Organisationen. Wirtschaftliche und soziale Prioritäten bestimmen die Energiesicherheit und -wende, nicht umgekehrt.

Shuva Reha leitet das Programm für internationale Zusammenarbeit des CEEW, das sich über fünf Regionen erstreckt: Asien-Ozeanien, Westasien, Afrika, Europa und Amerika. Sie ist Mitglied des Foresight-Teams des CEO. Zu ihrem Portfolio gehören Energie- und Ressourcensicherheit, kohlenstoffarmes Wachstum, internationale Finanzen, Klimaresilienz, Nexus-Herausforderungen und Global Governance.
Was läuft Ihrer Meinung nach schief bei der Finanzierung von Klimahilfen?
Private Investor*innen wollen in der Regel Gewinne erzielen, sie investieren in klar definierte Projekte mit einem überschaubaren Zeitrahmen, festen Leistungen oder Produkten. Doch nationale Pläne für eine klimafreundliche und widerstandsfähige Entwicklung passen nicht besonders gut in dieses Schema. Auch gibt es einen Haken beim privaten Kapital: die tatsächlichen oder wahrgenommenen Risiken bei der Kreditvergabe. Ratingagenturen stufen Entwicklungsländer oft als politisch und wirtschaftlich risikoreich ein, was zu hohen Kreditzinsen führt und privates Kapital für Entwicklungsprojekte unerschwinglich macht. So entsteht ein Teufelskreis. Wir müssen daher die Bedingungen für die Klimafinanzierung neu definieren, indem wir solche Risiken einpreisen und Entwicklungsprojekte gleichzeitig „bankfähig“ machen.

Wenn Sie in Sachen Klimafinanzierung eine Sache sofort ändern könnten: Was wäre das?
Rund 75 Prozent der Infrastruktur, die weltweit bis zur Mitte des Jahrhunderts gebaut werden soll – Straßen, Häfen, Bahnstrecken, Kraftwerke, Wohn-, Gewerbe- und Industriegebiete – werden in Entwicklungsländern entstehen, die überproportional vom Klimawandel betroffen sind. Diese Infrastruktur, die rund sechs Milliarden Menschen dienen soll, muss von Anfang an klimaresilient geplant werden, einschließlich angemessener Versicherungen. Ohne vorausschauende Planung und Investitionen werden diese Länder die Verluste an Menschenleben, Lebensgrundlagen und Ökosystemen durch Klima- und Naturkatastrophen nicht tragen können.
Nithi Nesadurai
Director and Regional Coordinator, Climate Action Network Southeast Asia (CANSEA), Malaysia
Welches Projekt bringt Sie auf den Global Solutions Summit?
Wir setzen uns mit CANSEA für die gerechte Energiewende in den aktiven Kohleabbaugebieten Indonesiens ein. Das Land ist einer der größten Produzenten und Exporteure von Kohle weltweit. Das muss sich ändern, denn Südostasien ist eine der Regionen, die weltweit am stärksten von Klimarisiken betroffen sind. Gemeinsam mit der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, und weiteren Partnern unterstützen wir Kohlearbeiter*innen und die von Kohle abhängigen Gemeinden dabei, sich eine neue Existenzgrundlage aufzubauen.

Nithi Nesadurai ist Direktor und Regionalkoordinator des Climate Action Network Southeast Asia (CANSEA), dem regionalen Knotenpunkt des Climate Action Network mit mehr als 2.000 Mitgliedsorganisationen in über 130 Ländern. Auf nationaler Ebene ist Nithi Nesadurai Präsident der Environmental Protection Society Malaysia (EPSM), einer ehrenamtlich arbeitenden Mitgliederorganisation.
Was ist Ihre wichtigste Politikempfehlung für eine nachhaltigere Zukunft?
Tax the billionaires! Wir müssen Milliardär*innen und Unternehmen, die die Umwelt verschmutzen, stärker besteuern. Diese Maßnahme würde Abermilliarden Dollar bringen, um in Entwicklungsländern einen gerechten Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien zu finanzieren.
Das erste Treffen der neuen Arbeitsgruppe nähert sich dem Ende. In den Gesprächen wird deutlich: Aktuell ist die globale Finanzierung von Klimahilfen ein herausforderndes Thema. Der politische Zeitgeist wandert nach rechts, national orientiertes Denken ist im Aufschwung. Länder wie die USA, Deutschland und Frankreich haben ihre öffentlichen Entwicklungsleistungen (ODA) seit 2023 spürbar verringert, der Trend wird sich wahrscheinlich fortsetzen.
Zugleich machen die Gespräche Hoffnung: Es gibt viele Lösungsansätze und Projekte, die den Weg in eine nachhaltigere Zukunft weisen. Wie sich dieser Übergang finanzieren und gerecht gestalten lässt, werden die Expert*innen in den nächsten zweieinhalb Jahren zusammen erarbeiten. Das nächste Treffen findet im Herbst in Südafrika statt.
Global Solutions Initiative
Die Global Solutions Initiative ist eine Thinktank-Plattform, die die G20-Staaten bei der Gestaltung des G20-Prozesses und bei der Erarbeitung von politischen Lösungen für globale Herausforderungen unterstützt. Mit einem umfangreichen Programm aus Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Beratung bringt die Initiative Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen. Die jährliche Agenda gipfelt im Global Solutions Summit. In ihren Schwerpunktthemen widmet sich die Global Solutions Initiative bestimmten Fragestellungen. Unter anderem steht die Identifizierung von Strategien zur Finanzierung globaler Nachhaltigkeitsagenden im Fokus des Projektes.
www.global-solutions-initiative.org/