„KI kann helfen, die Menschen­rechte zu stärken“

„KI kann helfen, die Menschen­rechte zu stärken“
Autor: Philipp Nagels Fotos: Mika Volkmann 11.02.2025

Regierungen können Onlineplattformen nutzen, um Zensur und Kontrolle auszuüben. Doch Künstliche Intelligenz (KI) und Social Media hätten auch das Potenzial, die Demokratie zu stärken, sagt Politik- und Rechts­expertin Melody Musoni. Wie afrikanische Staaten KI bereits erfolgreich zur Stimm­abgabe nutzen und wie sich Risiken der Technologie minimieren lassen, erklärt sie im Gespräch mit AufRuhr.

Es war eine drastische Maßnahme, als die Regierung der Demokratischen Republik Kongo Ende Januar 2025 das Internet in Goma und anderen Teilen der Provinz Nord-Kivu abschalten ließ. Die Maßnahme fiel mit einer Offensive der M23-Rebellen zusammen, bei der Teile der Stadt Goma ein­genommen wurden. Durch die Blockade von Social Media und Messenger­diensten wurde die Kommunikation in der Bevölkerung massiv eingeschränkt – in einer Region, die ohnehin von Konflikten und humanitärer Not geprägt ist. Menschen­rechts­organisationen kritisierten den Shutdown als Versuch, kritische Stimmen und Unruhen in der Bevölkerung zu unter­binden.

„Einige afrikanische Regierungen schalten das Internet ab, wenn sie nicht mehr kontrollieren können, welche Narrative sich online verbreiten“, sagt Melody Musoni. „Sie instrumentalisieren den Begriff Fake News und geben vor, gegen angebliche Desinformation vorzugehen.“ Die promovierte Juristin forscht am European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht und ist Expertin für Digital­politik und die Steuerung Künstlicher Intelligenz. Was es bedeutet, wenn eine Regierung plötzlich das Internet lahmlegt, weiß Musoni aus erster Hand. Während der Unruhen in ihrem Heimatland Simbabwe im Jahr 2019 wusste sie nicht, ob ihre Familie und Freund*innen in Sicherheit waren. „Es war unmöglich, sie zu erreichen“, sagt sie.

Melody Musoni arbeitet als Policy Officer beim ECDPM. © Mika Volkmann

Dr. Melody Musoni ist Policy Officer im „Digital Economy & Governance“-Team des European Centre for Development Policy Management. Zuvor war sie als Senior­expertin und Beraterin für Daten­schutz beim Sekretariat der Southern African Development Community tätig. Sie hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der juristischen Praxis und Wissenschaft mit Schwerpunkt auf Daten­schutz­recht, Cyber­sicherheit und IT-Recht.

KI als Helferin für die Demokratie?

Auch in westlichen Demokratien ist längst spürbar, wie digitale Technologien politische Prozesse beeinflussen. Sei es der Daten­miss­brauch von Cambridge Analytica, der Donald Trump mutmaßlich zu seinem ersten Wahl­sieg verhalf, oder Musks Änderungen der Richtlinien der Plattform X (ehemals Twitter), durch die User*innen Falsch­informationen einfacher posten und verbreiten können.

In vielen Ländern Afrikas funktioniert die Einflussnahme jedoch direkter. Zwei Drittel der dortigen Staaten gelten nach dem Bertelsmann Transformations­index als gemäßigte oder harte Autokratien, die restlichen als mehr oder weniger defizitäre demokratische Systeme. Haben einzelne Personen und Gruppen sehr viel Macht, ist auch die Gefahr des Macht­miss­brauchs durch digitale Methoden groß.

Vor ihrer Rolle beim ECDPM war Melody Musoni bei der Southern African Development Community (SADC) tätig. © Mika Volkmann
© Mika Volkmann
Melody Musoni am Roten Stern, einem Symbol für den Aufbau Europas. © Mika Volkmann

Dennoch böten digitale Technologien große Chancen für afrikanische Länder, sagt Melody Musoni. In einer aktuellen Analyse für die European Think Tanks Group (ETTG) unter­sucht sie, welche Rolle Künstliche Intelligenz für politische Wahlen in Afrika spielt. Sie erklärt, dass sich viele demokratische Prozesse durch KI fördern ließen: „KI-basierte Tools können Behörden helfen, die Verwaltung von Wahlen effizienter zu machen.“ Zu beobachten sei dies bei den Wahlen in Süd­afrika im vergangenen Jahr gewesen. Diese wurden voll­ständig digital durchgeführt, um unter anderem dem Problem der doppelten Stimm­abgabe entgegen­zu­wirken. „Es gab einen riesigen Bildschirm, auf dem in Echtzeit zu sehen war, wie sich die Stimmen berechneten“, erinnert sich die Juristin. Trotz kleinerer Pannen habe der Einsatz von KI für Transparenz gesorgt und das Vertrauen der Wähler*innen in den demokratischen Prozess gestärkt. Gerade in Ländern, die mit Korruption zu kämpfen hätten, sei dies ein wichtiger Faktor. So nutzten die Parteien KI beispiels­weise, um personalisierte Informationen über Wahllokale und Registrierungs­fristen bereitzustellen oder die Stimmung der Wähler*innen besser zu verstehen.

Die Gefahr von Deepfakes

Trotz positivem Nutzen der KI bleiben Desinformation und Deepfakes ein Problem. Vor zwei Jahren nutzten Cyber­kriminelle beispiels­weise gefälschte Video- und Tonaufnahmen des Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union, Moussa Faki, um afrikanische Regierungen und EU-Amts­träger*innen um Meetings zu bitten. „Stellen Sie sich vor, gefälschte Videos werden vor Wahlen an Menschen geschickt, die in ländlichen Regionen leben und noch nie von KI gehört haben“, sagt Musoni. „Die werden einfach glauben, was sie sehen.“ In ihrer ETTG-Analyse fordert Melody Musoni daher: „Afrikanische Wahl­kommissionen müssen die Wähler*innen aktiv über die Risiken von KI-generierter Desinformation aufklären.“ Außerdem seien traditionelle Medien wie Radiosender weiterhin sinnvoll, um verschiedene Bevölkerungs­gruppen zu erreichen.

Zwischen Abhängigkeiten und Koalitionen

Die Technologien hinter den positiven wie negativen Beispielen stammen derzeit noch aus dem Ausland. Da es keine heimischen Alternativen gebe, nutzten afrikanische Staaten häufig Software und Plattformen aus den USA, China oder Europa, erklärt Musoni. „Es wird Zeit, dass unsere afrikanischen Regierungen zusammen­arbeiten und ein eigenes afrikanisches KI-Ökosystem entwickeln“, sagt sie weiter.

Die Grundlagen für dieses Vorhaben seien gelegt: „Afrikanische Regierungen haben bereits viele Maßnahmen zum Umgang mit KI in Gang gesetzt“, fasst Melody Musoni zusammen. „Jetzt geht es darum, diese Maßnahmen auszuweiten.“ Dazu zählen neben der Aufklärung von Wähler*innen über Desinformation auch die Ausbildung von Fakten­prüfer*innen in NGOs sowie KI-Schulungen für Mitarbeitende der Wahl­behörden. Auch einige EU-Staaten rollen derweil Testläufe des E-Votings aus.

Sind Sie insgesamt optimistisch, was KI und Demokratie angeht, Frau Musoni? „Ja, ich bin überzeugt, dass Technologien Menschen in Afrika helfen können, ihre Menschen­rechte und Freiheiten stärker auszuleben als bisher“, sagt sie. „Alles, was wir dafür brauchen, ist der richtige politische Rahmen.“


Partnership of Equals

Die gemeinsame Initiative der European Think Tanks Group (ETTG) und der Stiftung Mercator setzt sich für gerechtere Partner­schaften zwischen Afrika und Europa ein – abseits traditioneller Nord-Süd-Abhängigkeiten. Durch eine Reihe von Events auf beiden Kontinenten sowie verschiedene Publikationen schafft das Projekt Raum für konstruktive Diskussionen rund um Demokratie und Digitalisierung.

Die Studie „Artificial Intelligence for Electoral Administration and Management: A Pathway for Africa-EU Partnership“ ist hier verfügbar.
ettg.eu/ai-electoral-admin-africa-eu/