„Trump wird nie auf­hören, sich Europa gegen­über feindlich zu verhalten“

„Trump wird nie auf­hören, sich Europa gegen­über feindlich zu verhalten“
Autor: Sascha Zastiral Fotos: Ben Hoskins 20.05.2025

Was passiert mit der trans­atlantischen Partnerschaft, wenn sich die USA zunehmend zurück­ziehen? Der US-amerikanische Politik­wissenschaftler, Historiker und Publizist Robert Kagan ist vor allem für seine Arbeiten über die amerikanische Außen­politik bekannt. Als prominenter Neo­konservativer setzte er sich lange für eine aktive Rolle der USA in der Welt­politik ein. Kagan hat mehrere US-Regierungen beraten, kritisiert die neue unter Präsident Donald Trump jedoch scharf. Dimitar Bechev leitet das Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College der University of Oxford. Vor einem Gast­vortrag Kagans in Oxford im Mai trafen sich die beiden für AufRuhr zu einem Gespräch über die Zukunft der trans­atlantischen Beziehungen.

Herr Kagan, heute halten Sie Ihre erste Vorlesung in Oxford. Wie fühlen Sie sich?

Robert Kagan: Es ist eine große Ehre, und ich freue mich sehr. Ich wünschte nur, dass es nicht auch das Jahr wäre, in dem die Vereinigten Staaten die Welt­ordnung zerstören (lacht). Ich habe die meiste Zeit meiner Karriere damit verbracht, die USA und die von ihr unter­stützte Welt­ordnung gegen Kritiker*innen zu verteidigen. Aber jetzt ist die Situation umgekehrt: Die Vereinigten Staaten sind einer der größten Feinde der inter­nationalen Ordnung. Das versetzt mich in eine sehr unangenehme und einzig­artige Situation.

Wie stark sind die trans­atlantischen Beziehungen beschädigt?

Kagan: Ich weiß nicht, ob die Europäer*innen den Vereinigten Staaten jemals wieder trauen können. Diese Beziehung beruhte stark auf Vertrauen – darauf, dass die USA Europa nicht nur schützen, sondern ihre Macht auch nicht gegen europäische Interessen einsetzen würden. Jetzt aber nutzen die USA ihre Macht, unter anderem im Zoll­streit, um Europa unter Druck zu setzen.

Robert Kagan
© Ben Hoskins

Robert Kagan ist ein renommierter US-amerikanischer Autor, Redner und Politik­berater, der sowohl mit Regierungen der Demokraten als auch der Republikaner zusammen­arbeitete. Er gehört zu den bekanntesten Vertreter*innen des Neo­konser­vatismus in den USA. Als Experte für inter­nationale Beziehungen und Sicher­heits­politik hat Kagan umfassende Kenntnisse in Bereichen wie Terrorismus, zur Situation auf dem Balkan, zu den Beziehungen zwischen Russland und den USA sowie zur NATO-Erweiterung.

Dimitar Bechev: Es ist immer noch schwer zu verkraften, dass die USA nun die „Anderen“ sein könnten – nicht mehr der vertraute Partner, sondern ein Akteur, der demokratische Werte infrage stellt. Manche Aussagen aus dem Trump-Lager wirken doppelt irritierend: Sie lassen nicht nur innen­politische Kämpfe um Kultur und Identität erkennen, sondern exportieren auch anti­demokratische Narrative, die in Europa auf frucht­baren Boden fallen. JD Vance’ Rede in München ist ein Parade­beispiel dafür. Dabei mangelt es Europa ja nicht an Anti­liberalen. Es gibt einige Länder, in denen die Eliten Trumps Wahl­sieg als Chance begriffen haben. Rund um Viktor Orbán existiert beispiels­weise ein ganzes Öko­system, das Trump nahe­steht. Die Trennung zwischen den USA und Europa betrifft also nicht alle europäischen Länder.

Herr Kagan, Sie haben einmal geschrieben, dass die Sicherheits­garantien für Europa unter anderem darauf abzielten, die Europäer*innen davon ab­zu­halten, eigene große Armeen auf­zu­bauen. Tragen die USA also nicht teil­weise selbst die Verantwortung für die heutige Situation?

Kagan: Teilweise schon. Aber die Europäer*innen haben in den 1990er-Jahren und später auch eigene Entscheidungen getroffen. Als über eine Stärkung der europäischen militärischen Fähig­keiten gesprochen wurde, haben sie diese nicht umgesetzt. Europa hatte sich eingeredet, dass militärische Macht nicht mehr relevant ist. Trump nutzt das nun schamlos aus. Es ist ein gewaltiger Verrat am Nord­atlantik­vertrag, einem Abkommen, das seit fast 80 Jahren besteht.

Dr. Dimitar Bechev
© Ben Hoskins

Dr. Dimitar Bechev ist Direktor des Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College, das sich mit der Rolle Europas in einer sich wandelnden Welt befasst. Seine Forschungs­schwer­punkte sind der Balkan, die Türkei, das Schwarze Meer und die russische Außen­politik.

Ist eine feindliche Haltung gegenüber Europa wie die von Vance eine Fortsetzung alter Gesinnungen oder etwas Neues?

Kagan: Antieuropäische Bewegungen in den USA gibt es schon seit der Amerikanischen Revolution. Im 19. Jahrhundert waren sie besonders aus­geprägt, weil Europa die imperialen Groß­mächte stellte und die USA sich von diesen herum­geschubst fühlten. Auch in den 1920er-Jahren gab es solche Tendenzen aus Groll darüber, von den Europäer*innen in den Ersten Weltkrieg hinein­gezogen worden zu sein. In den 1930er-Jahren gab es erneut den Eindruck, dass die Europäer*innen versuchen, die USA in den Zweiten Weltkrieg zu verwickeln. Doch das war keine ideologische Feindschaft. Die heutige Feindseligkeit ist anders.

Robert Kagan (links) und Dimitar Bechev (links) diskutieren in Oxford über die trans­atlantische Partnerschaft.
© Ben Hoskins
In Oxford, umgeben von historischen Mauern und akademischer Atmosphäre, diskutieren Robert Kagan (links) und Dimitar Bechev (rechts) über die transatlantische Partnerschaft.
In Oxford, umgeben von historischen Mauern und akademischer Atmosphäre, diskutieren Robert Kagan (oben, links) und Dimitar Bechev (oben, rechts) über die transatlantische Partnerschaft. © Ben Hoskins

Inwiefern?

Kagan: Das gesamte Trump-Projekt ist anti­liberal. Seine Anhänger*innen sehen Europa – insbesondere die EU – als das Haupt­symbol einer globalistischen liberalen Vorherrschaft. Deshalb werden sie nie aufhören, sich Europa gegen­über feindlich zu verhalten. Es sei denn, die AfD regiert. Dann wäre alles in Ordnung. Diese Haltung ist sehr ideologisch, und das ist neu im amerikanischen Kontext.

Bechev: Ich denke, dass auch Großbritannien in dieser Geschichte eine Rolle spielt. Denn viele dieser US-amerikanischen Narrative über Europa stammen aus britischen Boulevardzeitungen.

Robert Kagan beriet sowohl demokratische als auch republikanische US-Regierungen. Die Trump-Administration kritisiert er jedoch scharf.
Robert Kagan beriet sowohl demokratische als auch republikanische US-Regierungen. Die Trump-Administration kritisiert er jedoch scharf. © Ben Hoskins
Dimitar Bechev ist Leiter des Dahrendorf Programmes an der Universität Oxford, er lud Kagan zu einem Gastvortrag ein.
Dimitar Bechev ist Leiter des Dahrendorf Programmes an der Universität Oxford, er lud Kagan zu einem Gastvortrag ein. © Ben Hoskins

Haben sich die USA nicht schon seit einiger Zeit von Europa abgewendet?

Bechev: Das stimmt. Schon unter US-Präsident Barack Obama war das zentrale Narrativ ein post­europäisches Amerika. Alles drehte sich um den Pazifik.

Kagan: Aber Obama brachte eher eine amerikanische Gleich­gültigkeit gegen­über Europa zum Ausdruck, keine Feind­seligkeit. Und ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass Obama besonders großes Interesse an Asien hatte. Er war der erste US-Präsident nach dem Irakkrieg, der sich in Zurückhaltung übte. Aber es gab keine Tradition der Feindschaft gegen­über Europa als liberalem Projekt, weil die USA selbst eine liberale Einheit waren. Die angesprochene Feindschaft zwischen den USA und Europa ist neu.

Herr Kagan, Sie waren damals ein prominenter Befürworter des Irak­krieges. Inwiefern unterschied sich dieser Krieg vom Ukraine-Krieg?

Kagan: Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Im Fall der Ukraine glaubt Putin offen­sichtlich, dass die Ukraine ein Teil Russlands ist. Er will sie kontrollieren, sie zu einem Teil Russlands machen. Das war nicht das Ziel der USA im Irak. Der Krieg im Irak war vielleicht ein Fehler, aber die Motive waren letztlich nicht eigen­nützig. Er war vielmehr Teil des Managements der Welt­ordnung.

Jüngst haben Sie in einem Interview Deutschland als Führungs­macht des neuen Europas bezeichnet. Hat Groß­britannien nicht bisher eine viel entschlossenere Rolle gespielt?

Kagan: Ich glaube nicht, dass Groß­britannien die Führungs­macht Europas sein kann, wenn es sich absichtlich aus der EU heraus­gezogen hat. Wenn wir uns fragen, wer in der Lage ist, Macht und Kapazitäten zu bündeln, um in einer multi­polaren Welt eine europäische Führungs­rolle zu über­nehmen, dann geht das meiner Meinung nach nicht ohne Deutschland.

Bechev: Es gibt auch noch einen Dritten: Frankreich. Immerhin hat Macron die Idee einer europäischen Streit­macht ins Gespräch gebracht. Frankreichs Blick auf Russland hat sich eben­falls verändert. Die Idee, einen Modus Vivendi mit Russland zu finden, ist verschwunden.

Gibt es eine Möglichkeit, das Vertrauen zwischen Europa und den USA wieder­her­zu­stellen?

Kagan: Die Vereinigten Staaten müssen sich selbst reparieren. Und wir stehen noch nicht einmal am Anfang dieses Prozesses. Wir befinden uns immer noch in der Phase der Zerstörung. Aus meiner Sicht muss sich Europa umfassend neu bewaffnen, gerade so, als ob es allein wäre. Denn in gewisser Hinsicht ist es das auch. Europa wird in vielerlei Hinsicht zur Bastion des Liberalismus in der Welt werden. Das ist der Weg.


Dahrendorf Programme

Das Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College der University of Oxford unter­sucht unter­schiedliche Perspektiven auf Europa und die EU. In der aktuellen Phase stehen die gegen­seitigen Wahr­nehmungen und die Beziehungen Europas zu inter­nationalen Schlüssel­ländern im Fokus, darunter China, Indien, die Türkei, Russland und die USA. Durch Forschung, Workshops und Konferenzen schafft das Projekt einen Austausch­raum für angehende und etablierte Wissenschaftler*innen. Es liefert politik­relevante Impulse für eine neue europäische Strategie in einem sich wandelnden globalen Umfeld. Die jährliche Ralf Dahrendorf Memorial Lecture wird von führenden Denker*innen zu einem aus­gesuchten Thema gehalten, das mit Ralf Dahrendorfs Schaffen in Verbindung steht.

www.sant.ox.ac.uk/dahrendorf-programme/