„Trump wird nie aufhören, sich Europa gegenüber feindlich zu verhalten“

Was passiert mit der transatlantischen Partnerschaft, wenn sich die USA zunehmend zurückziehen? Der US-amerikanische Politikwissenschaftler, Historiker und Publizist Robert Kagan ist vor allem für seine Arbeiten über die amerikanische Außenpolitik bekannt. Als prominenter Neokonservativer setzte er sich lange für eine aktive Rolle der USA in der Weltpolitik ein. Kagan hat mehrere US-Regierungen beraten, kritisiert die neue unter Präsident Donald Trump jedoch scharf. Dimitar Bechev leitet das Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College der University of Oxford. Vor einem Gastvortrag Kagans in Oxford im Mai trafen sich die beiden für AufRuhr zu einem Gespräch über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen.
Herr Kagan, heute halten Sie Ihre erste Vorlesung in Oxford. Wie fühlen Sie sich?
Robert Kagan: Es ist eine große Ehre, und ich freue mich sehr. Ich wünschte nur, dass es nicht auch das Jahr wäre, in dem die Vereinigten Staaten die Weltordnung zerstören (lacht). Ich habe die meiste Zeit meiner Karriere damit verbracht, die USA und die von ihr unterstützte Weltordnung gegen Kritiker*innen zu verteidigen. Aber jetzt ist die Situation umgekehrt: Die Vereinigten Staaten sind einer der größten Feinde der internationalen Ordnung. Das versetzt mich in eine sehr unangenehme und einzigartige Situation.
Wie stark sind die transatlantischen Beziehungen beschädigt?
Kagan: Ich weiß nicht, ob die Europäer*innen den Vereinigten Staaten jemals wieder trauen können. Diese Beziehung beruhte stark auf Vertrauen – darauf, dass die USA Europa nicht nur schützen, sondern ihre Macht auch nicht gegen europäische Interessen einsetzen würden. Jetzt aber nutzen die USA ihre Macht, unter anderem im Zollstreit, um Europa unter Druck zu setzen.

Robert Kagan ist ein renommierter US-amerikanischer Autor, Redner und Politikberater, der sowohl mit Regierungen der Demokraten als auch der Republikaner zusammenarbeitete. Er gehört zu den bekanntesten Vertreter*innen des Neokonservatismus in den USA. Als Experte für internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik hat Kagan umfassende Kenntnisse in Bereichen wie Terrorismus, zur Situation auf dem Balkan, zu den Beziehungen zwischen Russland und den USA sowie zur NATO-Erweiterung.
Dimitar Bechev: Es ist immer noch schwer zu verkraften, dass die USA nun die „Anderen“ sein könnten – nicht mehr der vertraute Partner, sondern ein Akteur, der demokratische Werte infrage stellt. Manche Aussagen aus dem Trump-Lager wirken doppelt irritierend: Sie lassen nicht nur innenpolitische Kämpfe um Kultur und Identität erkennen, sondern exportieren auch antidemokratische Narrative, die in Europa auf fruchtbaren Boden fallen. JD Vance’ Rede in München ist ein Paradebeispiel dafür. Dabei mangelt es Europa ja nicht an Antiliberalen. Es gibt einige Länder, in denen die Eliten Trumps Wahlsieg als Chance begriffen haben. Rund um Viktor Orbán existiert beispielsweise ein ganzes Ökosystem, das Trump nahesteht. Die Trennung zwischen den USA und Europa betrifft also nicht alle europäischen Länder.
Herr Kagan, Sie haben einmal geschrieben, dass die Sicherheitsgarantien für Europa unter anderem darauf abzielten, die Europäer*innen davon abzuhalten, eigene große Armeen aufzubauen. Tragen die USA also nicht teilweise selbst die Verantwortung für die heutige Situation?
Kagan: Teilweise schon. Aber die Europäer*innen haben in den 1990er-Jahren und später auch eigene Entscheidungen getroffen. Als über eine Stärkung der europäischen militärischen Fähigkeiten gesprochen wurde, haben sie diese nicht umgesetzt. Europa hatte sich eingeredet, dass militärische Macht nicht mehr relevant ist. Trump nutzt das nun schamlos aus. Es ist ein gewaltiger Verrat am Nordatlantikvertrag, einem Abkommen, das seit fast 80 Jahren besteht.

Dr. Dimitar Bechev ist Direktor des Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College, das sich mit der Rolle Europas in einer sich wandelnden Welt befasst. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Balkan, die Türkei, das Schwarze Meer und die russische Außenpolitik.
Ist eine feindliche Haltung gegenüber Europa wie die von Vance eine Fortsetzung alter Gesinnungen oder etwas Neues?
Kagan: Antieuropäische Bewegungen in den USA gibt es schon seit der Amerikanischen Revolution. Im 19. Jahrhundert waren sie besonders ausgeprägt, weil Europa die imperialen Großmächte stellte und die USA sich von diesen herumgeschubst fühlten. Auch in den 1920er-Jahren gab es solche Tendenzen aus Groll darüber, von den Europäer*innen in den Ersten Weltkrieg hineingezogen worden zu sein. In den 1930er-Jahren gab es erneut den Eindruck, dass die Europäer*innen versuchen, die USA in den Zweiten Weltkrieg zu verwickeln. Doch das war keine ideologische Feindschaft. Die heutige Feindseligkeit ist anders.


Inwiefern?
Kagan: Das gesamte Trump-Projekt ist antiliberal. Seine Anhänger*innen sehen Europa – insbesondere die EU – als das Hauptsymbol einer globalistischen liberalen Vorherrschaft. Deshalb werden sie nie aufhören, sich Europa gegenüber feindlich zu verhalten. Es sei denn, die AfD regiert. Dann wäre alles in Ordnung. Diese Haltung ist sehr ideologisch, und das ist neu im amerikanischen Kontext.
Bechev: Ich denke, dass auch Großbritannien in dieser Geschichte eine Rolle spielt. Denn viele dieser US-amerikanischen Narrative über Europa stammen aus britischen Boulevardzeitungen.


Haben sich die USA nicht schon seit einiger Zeit von Europa abgewendet?
Bechev: Das stimmt. Schon unter US-Präsident Barack Obama war das zentrale Narrativ ein posteuropäisches Amerika. Alles drehte sich um den Pazifik.
Kagan: Aber Obama brachte eher eine amerikanische Gleichgültigkeit gegenüber Europa zum Ausdruck, keine Feindseligkeit. Und ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass Obama besonders großes Interesse an Asien hatte. Er war der erste US-Präsident nach dem Irakkrieg, der sich in Zurückhaltung übte. Aber es gab keine Tradition der Feindschaft gegenüber Europa als liberalem Projekt, weil die USA selbst eine liberale Einheit waren. Die angesprochene Feindschaft zwischen den USA und Europa ist neu.
Herr Kagan, Sie waren damals ein prominenter Befürworter des Irakkrieges. Inwiefern unterschied sich dieser Krieg vom Ukraine-Krieg?
Kagan: Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Im Fall der Ukraine glaubt Putin offensichtlich, dass die Ukraine ein Teil Russlands ist. Er will sie kontrollieren, sie zu einem Teil Russlands machen. Das war nicht das Ziel der USA im Irak. Der Krieg im Irak war vielleicht ein Fehler, aber die Motive waren letztlich nicht eigennützig. Er war vielmehr Teil des Managements der Weltordnung.
Jüngst haben Sie in einem Interview Deutschland als Führungsmacht des neuen Europas bezeichnet. Hat Großbritannien nicht bisher eine viel entschlossenere Rolle gespielt?
Kagan: Ich glaube nicht, dass Großbritannien die Führungsmacht Europas sein kann, wenn es sich absichtlich aus der EU herausgezogen hat. Wenn wir uns fragen, wer in der Lage ist, Macht und Kapazitäten zu bündeln, um in einer multipolaren Welt eine europäische Führungsrolle zu übernehmen, dann geht das meiner Meinung nach nicht ohne Deutschland.
Bechev: Es gibt auch noch einen Dritten: Frankreich. Immerhin hat Macron die Idee einer europäischen Streitmacht ins Gespräch gebracht. Frankreichs Blick auf Russland hat sich ebenfalls verändert. Die Idee, einen Modus Vivendi mit Russland zu finden, ist verschwunden.
Gibt es eine Möglichkeit, das Vertrauen zwischen Europa und den USA wiederherzustellen?
Kagan: Die Vereinigten Staaten müssen sich selbst reparieren. Und wir stehen noch nicht einmal am Anfang dieses Prozesses. Wir befinden uns immer noch in der Phase der Zerstörung. Aus meiner Sicht muss sich Europa umfassend neu bewaffnen, gerade so, als ob es allein wäre. Denn in gewisser Hinsicht ist es das auch. Europa wird in vielerlei Hinsicht zur Bastion des Liberalismus in der Welt werden. Das ist der Weg.
Dahrendorf Programme
Das Dahrendorf Programme am European Studies Centre des St. Antony’s College der University of Oxford untersucht unterschiedliche Perspektiven auf Europa und die EU. In der aktuellen Phase stehen die gegenseitigen Wahrnehmungen und die Beziehungen Europas zu internationalen Schlüsselländern im Fokus, darunter China, Indien, die Türkei, Russland und die USA. Durch Forschung, Workshops und Konferenzen schafft das Projekt einen Austauschraum für angehende und etablierte Wissenschaftler*innen. Es liefert politikrelevante Impulse für eine neue europäische Strategie in einem sich wandelnden globalen Umfeld. Die jährliche Ralf Dahrendorf Memorial Lecture wird von führenden Denker*innen zu einem ausgesuchten Thema gehalten, das mit Ralf Dahrendorfs Schaffen in Verbindung steht.