Welche Skills braucht die nächste Generation von Diplomat*innen? Das Mercator Kolleg im Wandel
Was zeichnet die nächste Generation von Diplomat*innen aus? Sabine Sparwasser, die die Leitung des Mercator Kollegs von Klaus Scharioth übernimmt, stellt sich genau dieser Frage. AufRuhr hat die beiden beim 15-jährigen Jubiläum des Kollegs im September in Berlin getroffen. Im Gespräch erzählen sie, wie sie selbst Diplomat*innen im Auswärtigen Amt wurden, welche Fähigkeiten es dafür braucht und was sie Mercator Kollegiat*innen in der heutigen Weltlage mit auf den Weg geben.
Herr Scharioth, Sie haben das Mercator Kolleg viele Jahre geleitet. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Scharioth: Meine Bilanz ist überaus positiv. Die große Leistung des Mercator Kollegs besteht darin, junge engagierte Menschen zu unterstützen, die was verändern wollen und ihnen die notwendigen Werkzeuge dafür zu geben.
Welche Fähigkeiten müssen die Kollegiat*innen Ihrer Meinung nach in der heutigen, durchaus schwierigen politischen Situation mitbringen, Herr Scharioth?
Scharioth: Ganz wichtig war mir mein Kurs „Das mündliche Briefing“. Denn die meisten Entscheidungen werden mündlich getroffen, nicht schriftlich. Viele Menschen von hohem Rang haben zudem sehr wenig Zeit. Als Diplomat*in haben wir meistens nur zwei Minuten, um jemanden zu überzeugen. Man muss lernen, diese zwei Minuten so zu nutzen, dass man alles Wichtige sagt, aber auf alles Nebensächliche verzichtet. Das ist die absolute Schlüsselkompetenz.
Was ist die zweite essenzielle Fähigkeit, die Diplomat*innen und Personen, die im globalen Kontext arbeiten, heute brauchen, Herr Scharioth?
Scharioth: Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, hinter verschlossenen Türen, sehr klar auch Kritisches zu formulieren, also Mut vor Königsthronen zu zeigen. Ich bin vor dem Irakkrieg nach Washington geflogen und habe versucht, Condoleezza Rice und Stephen Hadley vom geplanten Angriff abzubringen. Wie Sie wissen, ohne Erfolg. In Washington haben wir damals ganz klar, aber freundlich, miteinander gesprochen. Ich habe gesagt, dass sieben Punkte gegen den Krieg sprechen. Zum Beispiel, dass sie durch den Krieg unfreiwillig das Nachwuchsproblem von Al-Quaida lösen, weil der Krieg für Zulauf sorgen wird.
Klaus Scharioth ist ein deutscher Diplomat und Jurist. Er diente von 2006 bis 2011 als deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten. Zuvor war er von 2002 bis 2006 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Seine Karriere im diplomatischen Dienst begann Scharioth 1976 und hatte seitdem verschiedene hochrangige Positionen inne, darunter als Politischer Direktor. Er lehrt bis heute an der Fletcher School of Law and Diplomacy in Medford, Massachusetts.
Frau Sparwasser, im September haben Sie die Leitung des Mercator Kollegs von Herrn Scharioth übernommen. Was sind für Sie die Kernkompetenzen für eine Karriere in der internationalen Zusammenarbeit?
Sparwasser: Es gibt viele Fähigkeiten, die früher genauso wichtig waren und es auch heute noch sind: Weltoffenheit, Neugier, die Bereitschaft, sich immer wieder neu zu erfinden und auf neue Lebenssituationen einzustellen.
Und welche Kompetenzen muss die jüngere Generation heutzutage mitbringen?
Sparwasser: Die jüngere Generation muss in einer härter gewordenen Realität mehr Tiefenkenntnis komplexer Zusammenhänge und Resilienz in Krisensituationen beweisen. Heute haben wir im Kolleg beispielsweise über Klimawandel gesprochen. Oder über die Problematik, dass unsere Demokratien von innen heraus unter Beschuss stehen, dass demokratische Systeme gleichzeitig auch von außen infrage gestellt werden. Diplomat*innen und Personen, die sich globalen Herausforderungen stellen, werden heute in einem Umfeld vieler paralleler, zum Teil einander verstärkender, Krisen eingesetzt. Sie müssen robuster sein.
Welchen Rat haben Sie für angehende Diplomat*innen, wenn es um den Umgang mit schwierigen Situationen geht?
Sparwasser: Hierzu hatten wir heute einen Konflikt-Workshop, bei dem der Leiter erklärt hat, wie man zu einem nachhaltigen Interessensausgleich kommen kann. Er hat aber auch deutlich gesagt: Man muss in bestimmten Situationen Kontra geben. Es ging darum, wie man sich in einer Situation verhält, in der es keine Gesprächsbasis gibt, um eine Lösung zu finden. In einem solchen Fall muss man auch mal Unverschämtheiten parieren.
Sabine Sparwasser ist eine deutsche Diplomatin und war zwischen 2017 und 2024 deutsche Botschafterin in Kanada. 1984 trat sie in den Auswärtigen Dienst ein und bekleidete zahlreiche Posten im In- und Ausland, im Inland zuletzt als Leiterin der Abteilung für Nah-Mittelost, Afrika, Asien, Lateinamerika. Sparwasser war außerdem Afghanistan Beauftragte und hat zuvor die Akademie Auswärtiger Dienst geleitet.
Herr Scharioth, Sie blicken auf eine beachtliche und ereignisreiche Karriere als Diplomat zurück. 1976 haben Sie im Auswärtigen Amt begonnen. Wie kam es dazu, dass Sie den Beruf des Diplomaten ergriffen haben?
Scharioth: Bei mir war es ein echter Glücksfall. Nach meinem Wehrdienst bin ich über ein Stipendium an ein kleines amerikanisches College in Idaho gegangen. Ich habe damals Politikwissenschaft studiert. In Idaho unterrichtete mich ein toller Professor in Außenpolitik und ich bekam die Möglichkeit, zu den Models United Nations zu fahren. Damals war ich 21, und mir wurde klar: Du musst Außenpolitik machen! Es gibt kein wichtiges Problem mehr, das sich allein national lösen ließe.
Man muss in bestimmten Situationen Kontra geben
Hatten Sie ein Vorbild, das Sie inspirierte?
Scharioth: Wie die meisten jungen Menschen wollte ich natürlich gestalten und etwas erleben. Beeindruckt haben mich insbesondere einige außenpolitischen Analysen von George Kennan, der in den 1940er-Jahren den Planungsstab des U.S. Außenministeriums geleitet hat. Ein unglaublich kluger Mann, auch wenn ich nicht in allen Bereichen seiner Meinung bin.
Wer hat Sie zu Ihrer Berufswahl inspiriert, Frau Sparwasser?
Sparwasser: Das war Alfred Grosser, bei dem ich in Paris Politikwissenschaft studiert habe. Ein großartiger Lehrer, ein Vorbild. Er war ein deutscher Jude, der sich sofort nach Ende des Zweiten Weltkrieges für die deutsch-französische Aussöhnung und für die europäische Einigung eingesetzt hat. Das hat mich als seine Studentin inspiriert und mitgerissen.
Wie sieht die Zukunft des Mercator Kollegs aus, Frau Sparwasser? Sie wollen künftig das Thema „Europa in der Welt 2030 – Nachhaltige Visionen für eine inklusive und sichere Zukunft“ mit 20 Kollegiat*innen bearbeiten.
Sparwasser: Das Kolleg hat sich neu ausgerichtet und einen stärkeren Schwerpunkt auf Teilnehmer*innen gelegt, die am Anfang oder in der Mitte ihrer Karriere stehen und globale Leadership-Positionen in verschiedensten Feldern anstreben. Uns ist wichtig, ihnen Raum für Perspektivwechsel, Vernetzung und intersektionale Ansätze zu bieten. Neben Themen wie Klimawandel, Migration, innerer Zusammenhalt unserer Gesellschaft muss auch Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle spielen. Als neue Rektorin bin ich froh, dass wir diesem Anspruch mit der neu ausgewählten Gruppe von Kollegiat*innen sicher gerecht werden können.
Mercator Kolleg
Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben ist ein gemeinsames Projekt der Studienstiftung und der Stiftung Mercator. Es fördert jährlich 25 engagierte deutschsprachige Hochschulabsolvent*innen und junge Berufstätige aller Fachrichtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen.
Ab 2025 werden erstmalig jährlich 20 Stipendien an berufserfahrene Changemaker*innen, Transfermeister*innen und Strategieentwickler*innen aller Fachbereiche und Branchen vergeben.
www.mercator-kolleg.de