„Die Brandmauer wird nicht ewig halten“ – Thorsten Benner über den Bundestagswahlkampf 2025

Die Bundestagswahl ist entschieden, CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz wird der neue Bundeskanzler – doch war dieser Wahlkampf wirklich zukunftsweisend? Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute, zieht für AufRuhr Bilanz. Im Gespräch erklärt er, warum zentrale geopolitische Fragen kaum eine Rolle spielten, die politische Kultur Schaden nimmt und welche drohenden Szenarien es für die AfD und künftige Einflussversuche aus dem Ausland gibt.
Herr Benner, wie würden Sie den diesjährigen Wahlkampf in drei Begriffen zusammenfassen?
Nabelschau, Zukunftsblindheit und Fahrlässigkeit.
Das klingt nicht sehr positiv. Was meinen Sie mit Nabelschau?
Beim diesjährigen Wahlkampf haben wir ein politisches Ping-Pong gesehen, ohne Sinn und Verstand für die Welt da draußen. Die Diskrepanz zwischen dem, was diskutiert wurde, und dem, was tatsächlich wichtig ist, war enorm.
Welche Themen fehlten Ihnen?
Wir haben nicht ehrlich über grundlegende Herausforderungen wie den Umgang mit US-Präsident Donald Trump, die Zukunft der Ukraine oder die europäische Sicherheitspolitik ohne US-amerikanische Garantien gesprochen. Das ist beunruhigend. Auch die zentralen Themen der Zukunft – Klimakrise, Technologie, Künstliche Intelligenz – kamen schlicht nicht vor. Ich fand es frappierend, dass diese Zukunftsthemen in den TV-Duellen keine Rolle gespielt haben.

Thorsten Benner ist Mitbegründer und Direktor des Global Public Policy Institute. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Zusammenspiel der USA, Europas und nichtwestlicher Mächte bei der Gestaltung globaler (Un-)Ordnung, deutsche und europäische Politik gegenüber China und Asien-Pazifik, Frieden und Sicherheit sowie Daten- und Technologiepolitik.
Sie sprechen auch von Fahrlässigkeit.
Ich sehe einen fahrlässigen Umgang mit unserer politischen Kultur, und zwar von allen Seiten. Friedrich Merz provoziert mit Tabubrüchen wie dem Zustrombegrenzungsgesetz, aber auch seine Kritiker*innen reagieren oft reflexartig und mit rhetorischen Keulen. Dabei bräuchten wir eine politische Debatte, die unsere politische Mitte von Mitte-links bis Mitte-rechts kooperationsfähig hält.
Wie sollten die Kritiker*innen von Merz Ihrer Meinung nach reagieren?
Sie sollten weniger moralisieren und präziser vorgehen. Ich würde mir zum Beispiel mehr Kevin Kühnert wünschen: Er hat Friedrich Merz in seiner Abschiedsrede im Bundestag klar und sachlich kritisiert.
Ein großes Thema in diesem Wahlkampf war die sogenannte Brandmauer zu der in Teilen als rechtsextrem gesicherten AfD. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte es für unrealistisch, dass diese Brandmauer auf Dauer bestehen bleibt. Das heißt nicht, dass wir sie aktiv einreißen sollten. Aber wer verhindern will, dass eine rechte Partei in die Nähe politischer Gestaltungsmacht kommt, muss ernsthaft über ein Parteiverbotsverfahren nachdenken – oder akzeptieren, dass die Brandmauer nicht ewig halten wird.

Gibt es keinen anderen Weg?
Die Brandmauer sorgt dafür, dass die AfD momentan die einzige Partei ist, die glaubhaft sagen kann: Wenn wir an die Macht kommen, dann wird wirklich alles anders. Die anderen Parteien werden in immer absurdere Koalitionsregierungen gezwungen, in denen sie immer größere Kompromisse eingehen müssen und die einzig der Zweck zusammenhält, eine rechtspopulistische Partei von der Macht fernzuhalten. Als Gegengift zur AfD müssten die Regierungsparteien besser zusammenarbeiten und die Probleme lösen, die die Menschen wirklich umtreiben. Aber genau das ist in solch heterogenen Koalitionen immer schwerer möglich – ein Teufelskreis, der nur der selbst ernannten Alternative für Deutschland nützt.
Als Gegengift zur AfD müssten die Regierungsparteien besser zusammenarbeiten und die Probleme lösen, die die Menschen wirklich umtreiben.
Vor einigen Wochen kam es zu Sabotageaktionen von Autos: Sie wurden mit dem Slogan „Sei grüner!“ und einem Bild von Robert Habeck versehen. Russland soll dahinterstecken. Welche Rolle spielten gezielte Kampagnen aus dem Ausland im diesjährigen Wahlkampf?
Wir haben gezielte Kampagnen gesehen, offenbar insbesondere aus Russland, die Ressentiments gegen die Grünen schüren oder die Unterstützung für die Ukraine untergraben sollten. Gleichzeitig erleben wir eine offene Einflussnahme durch Akteur*innen wie Tech-Milliardär Elon Musk, der sich auf die Seite der AfD stellt. Sollte sich die amerikanische Rechte unter Donald Trump mit all ihren Ressourcen zum Ziel setzen, der rechten Partei in Deutschland zur Macht zu verhelfen, wäre das ein echter Gamechanger für die deutsche Politik.
War das schon in diesem Wahlkampf der Fall?
Ich glaube nicht, dass Musks Unterstützung der AfD in diesem Wahlkampf einen riesigen Unterschied gemacht hat. Aber die Forderung des US-Vizepräsidenten J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar, mit der AfD zu koalieren, und sein Treffen mit Alice Weidel zeigen, wohin die Reise geht. Viele Trump-Anhänger*innen scheinen fest an der Seite der Neuen Rechten in Europa zu stehen. Auch weil sie wollen, dass die Europäische Union als Akteurin von innen zerstört wird, damit deren Regulierungen US-Interessen nicht mehr gefährlich werden können.
Was können Gesellschaft und Politik dagegen ausrichten?
Wir sollten Transparenz über politisch motivierte Finanzflüsse herstellen und generell darüber, wer mit welchen Mitteln online wie offline versucht, Einfluss auf demokratische Wahlen zu nehmen. Als Bürger*innen können wir uns fragen, ob wir ein E-Auto eines Multimilliardärs kaufen, der aktiv gegen die liberale Demokratie agiert oder nicht. Die Politik sollte sich bewusst machen, dass es künftig nicht nur um Desinformation geht, sondern auch um eine handfeste politische Einflussnahme. Medien und Politiker*innen, die auf Zukunftsthemen verzichten und stattdessen taktisch nur auf Clickbait-Themen wie Migration und Brandmauer setzen, verspielen das Vertrauen der Wähler*innen.
Was erwartet uns in den kommenden Koalitionsverhandlungen?
Eine harte Konfrontation mit der fiskalischen sowie wirtschafts- und sicherheitspolitischen Realität und mit der Notwendigkeit, Kompromisse zu schmieden.
Vielleicht ist dies der letzte Schuss der politischen Mitte. Das muss allen Beteiligten klar sein, in Regierung wie Opposition.
Wie könnten diese Kompromisse aussehen?
Fiskalpolitisch braucht es eine Kombination aus Einsparungen, Steuererhöhungen für Vermögende sowie eine Reform der Schuldenbremse mit einer Ausnahme für Investitionen. Wirtschaftspolitisch benötigen wir eine Kombination aus Entbürokratisierung, Technologieoffensive im öffentlichen Sektor, Einreißen der Barrieren des EU-Binnenmarktes und Fördern von transformativen Investitionen. Sicherheitspolitisch muss die neue Regierung eine Lösung für die Notlage finden, in der sich Deutschland nach jahrzehntelanger Vernachlässigung dieses Themas befindet.
Was sagen Sie: Wie können wir die Demokratie in Deutschland trotz allem stärken?
Indem die nächste Regierung liefert. Vielleicht ist dies der letzte Schuss der politischen Mitte. Das muss allen Beteiligten klar sein, in Regierung wie Opposition. Die CDU/CSU hat das Scheitern der Ampel weitgehend hämisch von der Seitenlinie angefeuert, anstatt die Regierung kritisch zu begleiten. Aber so schwer es vielen auch fallen mag nach den letzten Wochen: An einem Erfolg eines Kanzlers namens Merz sollte allen Demokrat*innen gelegen sein.
Und darüber hinaus?
Wenn wir die Demokratie stärken wollen, müssen wir aus dem defensiven Modus herauskommen. Oft kommt die Verteidigung der Demokratie wie ein seltsam ideenlos-konservatives Projekt rüber. Wir werden Demokratie nicht ohne Neugier auf Veränderung stärken – sei es durch direkte Bürgerbeteiligung oder andere Maßnahmen.
GPPi
Das Global Public Policy Institute (GPPi) ist eine unabhängige, gemeinnützige Denkfabrik mit Sitz in Berlin. Seine Aufgabe ist es, die Global Governance durch Forschung, Politikberatung und Diskussionen zu verbessern.
gppi.net