„Die Brandmauer wird nicht ewig halten“ – Thorsten Benner über den Bundes­tags­wahl­kampf 2025

Ein Überblick einiger der diesjährigen Wahlkampagnen.
„Die Brandmauer wird nicht ewig halten“ – Thorsten Benner über den Bundes­tags­wahl­kampf 2025
Autor: Felix Jung 25.02.2025

Die Bundestagswahl ist entschieden, CDU-Spitzen­kandidat Friedrich Merz wird der neue Bundes­kanzler – doch war dieser Wahlkampf wirklich zukunfts­weisend? Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute, zieht für AufRuhr Bilanz. Im Gespräch erklärt er, warum zentrale geopolitische Fragen kaum eine Rolle spielten, die politische Kultur Schaden nimmt und welche drohenden Szenarien es für die AfD und künftige Einfluss­versuche aus dem Ausland gibt.

Herr Benner, wie würden Sie den diesjährigen Wahlkampf in drei Begriffen zusammenfassen?

Nabelschau, Zukunfts­blindheit und Fahrlässigkeit.

Das klingt nicht sehr positiv. Was meinen Sie mit Nabelschau?

Beim diesjährigen Wahlkampf haben wir ein politisches Ping-Pong gesehen, ohne Sinn und Verstand für die Welt da draußen. Die Diskrepanz zwischen dem, was diskutiert wurde, und dem, was tatsächlich wichtig ist, war enorm.

Welche Themen fehlten Ihnen?

Wir haben nicht ehrlich über grund­legende Heraus­forderungen wie den Umgang mit US-Präsident Donald Trump, die Zukunft der Ukraine oder die europäische Sicherheits­politik ohne US-amerikanische Garantien gesprochen. Das ist beunruhigend. Auch die zentralen Themen der Zukunft – Klimakrise, Technologie, Künstliche Intelligenz – kamen schlicht nicht vor. Ich fand es frappierend, dass diese Zukunfts­themen in den TV-Duellen keine Rolle gespielt haben.

Thorsten Benner
© GPPi

Thorsten Benner ist Mit­begründer und Direktor des Global Public Policy Institute. Seine Forschungs­schwer­punkte sind das Zusammen­spiel der USA, Europas und nicht­westlicher Mächte bei der Gestaltung globaler (Un-)Ordnung, deutsche und europäische Politik gegenüber China und Asien-Pazifik, Frieden und Sicherheit sowie Daten- und Technologie­politik.

Sie sprechen auch von Fahrlässigkeit.

Ich sehe einen fahrlässigen Umgang mit unserer politischen Kultur, und zwar von allen Seiten. Friedrich Merz provoziert mit Tabubrüchen wie dem Zustrom­begrenzungs­gesetz, aber auch seine Kritiker*innen reagieren oft reflex­artig und mit rhetorischen Keulen. Dabei bräuchten wir eine politische Debatte, die unsere politische Mitte von Mitte-links bis Mitte-rechts kooperations­fähig hält.

Wie sollten die Kritiker*innen von Merz Ihrer Meinung nach reagieren?

Sie sollten weniger moralisieren und präziser vorgehen. Ich würde mir zum Beispiel mehr Kevin Kühnert wünschen: Er hat Friedrich Merz in seiner Abschieds­rede im Bundestag klar und sachlich kritisiert.

Ein großes Thema in diesem Wahlkampf war die sogenannte Brand­mauer zu der in Teilen als rechtsextrem gesicherten AfD. Wie stehen Sie dazu?

Ich halte es für unrealistisch, dass diese Brandmauer auf Dauer bestehen bleibt. Das heißt nicht, dass wir sie aktiv einreißen sollten. Aber wer verhindern will, dass eine rechte Partei in die Nähe politischer Gestaltungs­macht kommt, muss ernsthaft über ein Partei­verbots­verfahren nach­denken – oder akzeptieren, dass die Brand­mauer nicht ewig halten wird.

Demonstrierende halten ein Poster auf einer Kundgebung in Berlin.
Demonstrierende halten ein Poster auf einer Kundgebung in München. © picture alliance

Gibt es keinen anderen Weg?

Die Brandmauer sorgt dafür, dass die AfD momentan die einzige Partei ist, die glaub­haft sagen kann: Wenn wir an die Macht kommen, dann wird wirklich alles anders. Die anderen Parteien werden in immer absurdere Koalitions­regierungen gezwungen, in denen sie immer größere Kompromisse eingehen müssen und die einzig der Zweck zusammen­hält, eine rechts­populistische Partei von der Macht fern­zu­halten. Als Gegen­gift zur AfD müssten die Regierungs­parteien besser zusammen­arbeiten und die Probleme lösen, die die Menschen wirklich umtreiben. Aber genau das ist in solch heterogenen Koalitionen immer schwerer möglich – ein Teufels­kreis, der nur der selbst ernannten Alternative für Deutschland nützt.

Als Gegengift zur AfD müssten die Regierungs­parteien besser zusammen­arbeiten und die Probleme lösen, die die Menschen wirklich umtreiben.

Thorsten Benner

Vor einigen Wochen kam es zu Sabotage­aktionen von Autos: Sie wurden mit dem Slogan „Sei grüner!“ und einem Bild von Robert Habeck versehen. Russland soll dahinterstecken. Welche Rolle spielten gezielte Kampagnen aus dem Ausland im dies­jährigen Wahlkampf?

Wir haben gezielte Kampagnen gesehen, offenbar insbesondere aus Russland, die Ressentiments gegen die Grünen schüren oder die Unter­stützung für die Ukraine unter­graben sollten. Gleich­zeitig erleben wir eine offene Einfluss­nahme durch Akteur*innen wie Tech-Milliardär Elon Musk, der sich auf die Seite der AfD stellt. Sollte sich die amerikanische Rechte unter Donald Trump mit all ihren Ressourcen zum Ziel setzen, der rechten Partei in Deutschland zur Macht zu verhelfen, wäre das ein echter Gamechanger für die deutsche Politik.

War das schon in diesem Wahlkampf der Fall?

Ich glaube nicht, dass Musks Unter­stützung der AfD in diesem Wahlkampf einen riesigen Unter­schied gemacht hat. Aber die Forderung des US-Vize­präsidenten J.D. Vance auf der Münchner Sicherheits­konferenz Mitte Februar, mit der AfD zu koalieren, und sein Treffen mit Alice Weidel zeigen, wohin die Reise geht. Viele Trump-Anhänger*innen scheinen fest an der Seite der Neuen Rechten in Europa zu stehen. Auch weil sie wollen, dass die Europäische Union als Akteurin von innen zerstört wird, damit deren Regulierungen US-Interessen nicht mehr gefährlich werden können.

Was können Gesellschaft und Politik dagegen ausrichten?

Wir sollten Transparenz über politisch motivierte Finanzflüsse herstellen und generell darüber, wer mit welchen Mitteln online wie offline versucht, Einfluss auf demokratische Wahlen zu nehmen. Als Bürger*innen können wir uns fragen, ob wir ein E-Auto eines Multi­milliardärs kaufen, der aktiv gegen die liberale Demokratie agiert oder nicht. Die Politik sollte sich bewusst machen, dass es künftig nicht nur um Desinformation geht, sondern auch um eine handfeste politische Einfluss­nahme. Medien und Politiker*innen, die auf Zukunfts­themen verzichten und statt­dessen taktisch nur auf Clickbait-Themen wie Migration und Brand­mauer setzen, verspielen das Vertrauen der Wähler*innen.

Was erwartet uns in den kommenden Koalitionsverhandlungen?

Eine harte Konfrontation mit der fiskalischen sowie wirtschafts- und sicher­heits­politischen Realität und mit der Notwendigkeit, Kompromisse zu schmieden.

Vielleicht ist dies der letzte Schuss der politischen Mitte. Das muss allen Beteiligten klar sein, in Regierung wie Opposition.

Thorsten Benner

Wie könnten diese Kompromisse aussehen?

Fiskalpolitisch braucht es eine Kombination aus Einsparungen, Steuer­erhöhungen für Vermögende sowie eine Reform der Schulden­bremse mit einer Ausnahme für Investitionen. Wirtschafts­politisch benötigen wir eine Kombination aus Entbüro­kratisierung, Technologie­offensive im öffentlichen Sektor, Einreißen der Barrieren des EU-Binnen­marktes und Fördern von transformativen Investitionen. Sicherheits­politisch muss die neue Regierung eine Lösung für die Notlage finden, in der sich Deutschland nach jahr­zehnte­langer Vernachlässigung dieses Themas befindet.

Was sagen Sie: Wie können wir die Demokratie in Deutschland trotz allem stärken?

Indem die nächste Regierung liefert. Vielleicht ist dies der letzte Schuss der politischen Mitte. Das muss allen Beteiligten klar sein, in Regierung wie Opposition. Die CDU/CSU hat das Scheitern der Ampel weitgehend hämisch von der Seiten­linie angefeuert, anstatt die Regierung kritisch zu begleiten. Aber so schwer es vielen auch fallen mag nach den letzten Wochen: An einem Erfolg eines Kanzlers namens Merz sollte allen Demokrat*innen gelegen sein.

Und darüber hinaus?

Wenn wir die Demokratie stärken wollen, müssen wir aus dem defensiven Modus herauskommen. Oft kommt die Verteidigung der Demokratie wie ein seltsam ideen­los-konservatives Projekt rüber. Wir werden Demokratie nicht ohne Neugier auf Veränderung stärken – sei es durch direkte Bürger­beteiligung oder andere Maßnahmen.


GPPi

Das Global Public Policy Institute (GPPi) ist eine unabhängige, gemein­nützige Denk­fabrik mit Sitz in Berlin. Seine Aufgabe ist es, die Global Governance durch Forschung, Politik­beratung und Diskussionen zu verbessern.
gppi.net