Einmal Minnesota und zurück

Portrait Alae Eddine Salaa
Einmal Minnesota und zurück
Autor: Matthias Klein Fotos: Peter Gwiazda 21.11.2018

Mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm verbrachte Alae Eddine Sanaa ein Schuljahr in den USA. Zurück in Deutschland steht nun das Abitur an. Hat ihn das Jahr verändert?

Als er den schwarzen Bundesadler auf dem Zettel entdeckte, war gleich sein Interesse geweckt. Im Sommer 2016 war Alae Eddine Sanaa bei der Summer School des NRW-Zentrums für Talentförderung. An verschiedenen Tischen konnten sich die Teilnehmenden über Stipendien informieren. „Mir fiel sofort der Bundesadler auf. Ich wusste: Das muss was für mich sein“, erzählt Alae. Der Zettel warb für das Parlamentarische Patenschafts-Programm, mit dem der Deutsche Bundestag Stipendien für ein Austauschjahr in den USA vergibt. „Ausgerechnet USA – mein Englisch war doch eine Katastrophe“, sagt Alae und lacht schallend. Abschrecken ließ er sich nicht.

Alae Eddine Salaa berichtet über sein Schuljahr in den USA.
Alae Eddine Salaa berichtet über sein Schuljahr in den USA. © Peter Gwiazda
Alae Eddine Salaa berichtet über sein Schuljahr in den USA.
Dabei unterstützt hat ihn das TalentKolleg Ruhr. © Peter Gwiazda

Der 19-Jährige wuchs im Essener Norden im Stadtteil Katernberg auf. Seine Mutter ist Tochter tunesischer Gastarbeiter, sein Vater stammt ebenfalls aus Tunesien. Beide arbeiten bei der Post in einem Briefzentrum. Alae ging zunächst auf eine Realschule „mitten in einem sozialen Brennpunkt, nur fünf Deutsche in meiner Klasse“, erzählt er.

Für Politik begeisterte er sich früh: „Mich fasziniert der Gedanke, das Leben von Menschen verbessern zu können. Ich möchte, dass arme Menschen nicht mehr länger arm sein müssen.“ Vor knapp drei Jahren schrieb Alae der damaligen nordrhein-westfälischen Schulministerin Sylvia Löhrmann eine Mail und lud sie in seine Schule ein. „Ich wollte über unsere Schülersicht auf das Schulsystem sprechen – wen hätte ich da sonst anschreiben können?“ Die Ministerin kam tatsächlich, die Lokalzeitung berichtete. „Es war ein spannendes Gespräch. Ich habe sie als authentisch erlebt“, sagt Alae.

Mit Talentscouts zum Erfolg

Löhrmann vermittelte ihn an einen Talentscout. Diese Scouts suchen in einem Programm junge Menschen, die das Potenzial und die Motivation für ein Studium haben, aber aus Familien kommen, in denen bisher niemand studiert hat oder geringe finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Sie bieten dann Unterstützung an. So kam Alae zum TalentKolleg Ruhr. Bei Exkursionen zu Universitäten und Hochschulen und Workshops zum Beispiel zu den Knigge-Regeln lernte er Neues kennen. „Und das Wichtigste ist, dass ich immer mit Fragen und Ideen kommen kann, das hilft mir sehr“, sagt Alae. „Ich habe bis heute einen sehr guten Kontakt zu den Mentoren.“ Inzwischen geht er in die 12. Klasse einer Gesamtschule, will Abitur machen.

"Mein Vater hat meine Mutter überzeugen müssen", berichtet Alae Eddine Sanaa.
"Mein Vater hat meine Mutter überzeugen müssen", berichtet Alae Eddine Sanaa. © Peter Gwiazda

Die Scouts halfen Alae auch bei seiner Bewerbung für das Parlamentarische Patenschafts-Programm. Mit Nachhilfe besserte er sein Englisch auf. „Für mich ist das Programm ideal, weil ich mein politisches Interesse mit einer Auslandserfahrung verbinden kann“, sagt Alae. Der 19-Jährige erzählt offen, lacht gerne und viel. Seine Mutter sei zunächst skeptisch gewesen, berichtet er. „Man kann es so ausdrücken: Mein Vater hat meine Mutter überzeugen müssen. Er fand ein Auslandsjahr gut, weil ich dadurch besser in Englisch werden konnte.“

Im August 2017 brach Alae auf, es ging nach Saint Paul, Hauptstadt des US-Bundesstaats Minnesota. „Sehr aufgeregt war ich nicht, ich habe mir gedacht, dass ich mein Leben dort schon fortsetzen kann“, sagt Alae nüchtern. In der neuen Schule beeindruckte ihn vor allem die Vielfalt der Unterrichtsfächer. Im Fach Sportmarketing ging er seiner Sportleidenschaft nach, im Fach Public Speaking übte er das Auftreten vor großen Gruppen – und beim Kochunterricht wurde er ein guter Pizzabäcker, „die Rezepte habe ich alle aufgehoben“. Selbstständiger sei er geworden, sagt Alae. Das Fasten im Ramadan hielt der gläubige Muslim zum Beispiel ganz alleine durch, „das war eine wichtige Erfahrung für mich.“

Nun könnte ich mir auch eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld vorstellen.

Und wie lief es mit der Sprache? „Ich habe quasi ganz nebenbei Englisch gelernt, gar kein Problem. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass die Menschen in den USA offener als in Deutschland auf andere zugehen.“ Dadurch fühle sich das Leben insgesamt leichter an, „das fand ich sehr angenehm.“

Sein Highlight: In Washington lernte er bei einer Exkursion die Mitarbeiter mehrerer Politiker kennen. „Die haben dort ein klasse Standing und einen großen Handlungsspielraum. Das hat mich fasziniert.“

Und hat ihn das Jahr verändert? „Ach was“, sagt Alae. „Ich bin doch immer noch derselbe Mensch.“ Manche erzählten nach ihrem Auslandsjahr, dass sie sich nun total verändert und mit ihrem alten Umfeld Schwierigkeiten hätten. „Das verstehe ich nicht. Ich sage dann: Jetzt bleibt doch mal auf dem Teppich.“

Sein Wunsch, nach dem Abitur einen Job in der Politik anzustreben, habe sich verstärkt. „Nun könnte ich mir auch eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld vorstellen.“ Aber genauer planen wolle er das nicht. „Warum soll ich anfangen, von irgendwas zu träumen?“, sagt Alae. „Ich lasse alles auf mich zukommen. Ich bleibe Realist.“

TalentKolleg Ruhr

Das Projekt TalentKolleg Ruhr will die Bildungs­teil­habe und den Bildungs­erfolg für Schüler*innen aus nicht-akademischen und/oder einkommens­schwachen Haushalten sowie aus Familien mit Zuwanderungs­geschichte aus dem Ruhr­gebiet erhöhen.

www.talentkolleg.ruhr