„Die #MeTwo-Debatte war dringend nötig“

Sprecherin mit Kopftuch vor Publikum
„Die #MeTwo-Debatte war dringend nötig“
Autor: Matthias Klein 23.08.2018

In der Schule, bei der Wohnungssuche oder im Zug: Auf Twitter berichteten in den vergangenen Wochen Tausende unter #MeTwo von alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus. Der Hashtag sei genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen, bilanziert Ferda Ataman im Interview. Sie ist Sprecherin des Netzwerks neue deutsche organisationen, das wir fördern.

Menschen mit Zuwanderungsgeschichte von Diskriminierungserfahrungen berichtet. Wie haben Sie die folgende Debatte erlebt?

Ferda Ataman: Sie war dringend nötig. Schon vor Mesut Özils Rücktritt brodelte es unter jüngeren Menschen aus Einwandererfamilien, weil die Debatte zeigte, dass der Nationalspieler für manche offenbar nur „Deutsch auf Probe“ war. Nach seinem Fehlverhalten wurde er von manchen quasi moralisch ausgebürgert. Diese Dauerbringschuld-Erwartung gegenüber Deutschen mit Migrationshintergrund ist ärgerlich. Hinzu kommen die Migrationsdebatten der letzten Jahre, die einen politischen Rechtsruck spürbar machen. Insofern kam #MeTwo zum richtigen Zeitpunkt. Da hatte sich etwas aufgestaut.

Sie sprechen davon, dass sich etwas aufgestaut hat. Wie schwierig ist es, solche Erlebnisse in der Gesellschaft zur Sprache zu bringen?

Ataman: Es sind sehr persönliche Geschichten, das ist nie leicht. Aber viele haben bei Twitter erlebt, dass sie mit diesen unangenehmen Alltagserfahrungen nicht alleine sind und das hat gut getan. Und: Es wurde deutlich, in wie vielen Lebensbereichen Menschen solche Erfahrungen machen.

Portrait von Ferda Ataman
© Andreas Labes

Ferda Ataman

Ferda Ataman ist Sprecherin des Vereins neue deutsche organisationen.

#MeTwo zeigt vor allem, dass gesellschaftliche Veränderungen im Bewusstsein vieler Menschen noch nicht angekommen sind.

Was hat Sie an den Schilderungen besonders beeindruckt?

Ataman: Es wurden Geschichten von Menschen öffentlich, die man sonst selten hört: Afrodeutsche, Juden und Frauen mit Kopftuch schilderten rassistische Erfahrungen in allen Lebensbereichen. Ob auf dem Spielplatz, in der U-Bahn oder beim Date, wo sie sich von dummen Sprüchen bis Beleidigungen alles Mögliche anhören mussten. Das Besondere an den Berichten ist: Es geht nicht um strukturellen Rassismus, sondern um das persönliche Erlebnis, dass man nicht als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft betrachtet wird. Eine Ausnahme ist das Thema Schule: Das kam so oft vor, dass man hier wohl schon von strukturellen Problemen reden muss.

Warum ist das jenseits des strukturellen Rassismus ein wesentlicher Aspekt?

Ataman: Es ist natürlich auch wichtig, über strukturellen Rassismus zu sprechen. Aber #MeTwo zeigt vor allem, dass gesellschaftliche Veränderungen im Bewusstsein vieler Menschen noch nicht angekommen sind. Wer keinen typisch deutschen Namen hat, der kann nicht deutsch sein – diese Denkweise ist immer noch weit verbreitet. Dabei ist Deutschland doch schon lange ein Einwanderungsland. Die zweite und die dritte Generation erwarten zurecht, dass sie selbstverständlich Teil der Gesellschaft sind.

Viele Medien griffen den Hashtag auf. Ist es dadurch gelungen, das Thema in der Gesellschaft breit zu diskutieren?

Ataman: Wir diskutieren intensiv über die Themen Zugehörigkeit und Ausgrenzung nicht über, sondern ausgehend von Menschen, die das betrifft – das ist ein großer Fortschritt. Die persönlichen Geschichten, die Menschen auf Twitter erzählt haben, machen sichtbar und hoffentlich verständlich, worum es ihnen geht. Vielen war es dabei wichtig, dass nicht der Eindruck eines pauschalen Vorwurfs entsteht. Deswegen haben sie den Hashtag #germandream damit verbunden und auch die positiven Geschichten erzählt, die das Zusammenleben in Deutschland haufenweise schreibt.

Zuerst die Özil-Debatte, danach #MeTwo: Glauben Sie, dass sich im gesellschaftlichen Bewusstsein etwas verändert hat?

Ataman: Dass eine Twitter-Debatte das gesellschaftliche Bewusstsein ändert, würde ich eher bezweifeln. Aber ich denke schon, dass das Thema im politischen Bewusstsein ankommt. Denn zuletzt ging es ja sehr viel um die Belange sogenannter „besorgter Bürger“, die die AfD wählen. Es war auf einmal nicht mehr selbstverständlich, von Deutschland als Einwanderungsland zu sprechen. Dabei ist Deutschland längst superdivers, quasi super-multikulti – das ist eine Tatsache, die man nicht leugnen kann. Und #MeTwo hat gezeigt, dass die Vielfaltsdeutschen auch laut sein und ihren Unmut äußern können.

neue deutsche organisationen

neue deutsche organisationen e.V. sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten. Der Verein sieht sich als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland.

https://neuedeutsche.org/de/


 

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