Biodiversität in der Landwirtschaft: Ein sächsischer Landwirt macht vor, wie es geht

Jonas Hommel auf einer Weide, die nach dem Prinzip der Agroforstwirtschaft genutzt wird.
Biodiversität in der Landwirtschaft: Ein sächsischer Landwirt macht vor, wie es geht
Autor: Philipp Nagels Fotos: Jens Schlüter 24.06.2025

Das weltweite Artensterben ist dramatisch. Mit­verantwortlich ist die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren: mit wenig Vielfalt in der Agrar­landschaft. Doch es geht auch anders, wie Landwirt Jonas Hommel zeigt. Der junge Vogtländer setzt auf Agroforst, seltene Obst­sorten und eine bedrohte Rinder­rasse. AufRuhr hat ihn auf seinem Hof in Sachsen besucht.

Ein schwüler Vormittag im sächsischen Tobertitz in der Region Vogtland. Regen liegt in der Luft, der Himmel ist verhangen. Doch Jonas Hommel strahlt: In ein paar Stunden beginnt das Richt­fest für seine Mosterei. Sie ist das größte von vielen Projekten, die er in den vergangenen Jahren angestoßen hat. Das Rote Höhen­vieh, die Obst­bäume, die Sache mit der Arche – das alles soll er heute mal erklären. Und auch, was das mit der Zukunft der Land­wirtschaft zu tun hat.

Doch von vorne. Jonas Hommel ist 24 Jahre alt, gebürtiger Tobertitzer und gelernter Vermessungs­techniker. Er ist mit Vieh­haltung groß geworden, doch in vielerlei Hinsicht eine Aus­nahme­erscheinung in seiner Branche. Er setzt auf ganz­heitliche und lang­fristige Konzepte statt auf schnelle Erträge. Und er probiert Dinge aus, die in der konventionellen Land­wirtschaft eher selten sind. Zum Beispiel Rindvieh auf Obst­wiesen weiden zu lassen. Zeit für einen Rundgang.

Landwirtschaft mit langem Atem

„Das war mal ein Acker, auf dem Mais angebaut wurde“, sagt Hommel, während er auf eine drei Hektar große Fläche zu seiner Linken weist. Eine Mono­kultur, wie sie typisch ist für die deutsche Land­wirtschaft: optimiert, um maximalen Ertrag zu bringen, und ziemlich schlecht für die Arten­vielfalt, weil dort nichts anderes wachsen und leben kann. „Den Acker haben wir 2022 in eine Streu­obst­wiese umgewandelt“, erzählt der Landwirt. Genauer: in eine sub­montane Goldhafer-Frischwiese, die Lebens­raum für seltene Pflanzen­arten bietet und Sicherungs­stand­ort für 115 bedrohte sächsische Obst­sorten ist. Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen und einiges mehr sollen hier einmal reifen. Doch noch werfen die jungen Bäume kaum Früchte ab. „Erst in zehn Jahren bringe ich die in die Ertrags­phase“, erklärt Hommel, der eine Qualifizierung zum Obst­baum­wart durch­laufen hat. Bis dahin werden junge Früchte abgenommen, sodass die Bäume alle Energie ins Wachstum stecken können. So entwickeln sie ein großes Kronen­gerüst. „In 20 Jahren werfen die Bäume jährlich je 200 bis 300 Kilogramm Früchte ab“, sagt Hommel. „Die Obstbäume sind meine Rente.“

Jonas Hommel
© Jens Schlüter

Jonas Hommel ist Landwirt, Obst­baum­wart und engagierter Natur­schützer. Mit seinem Arche-Projekt setzt er sich für den Erhalt alter Obst­sorten und gefährdeter Nutz­tier­rassen ein. In Tobertitz pflanzte er eine drei Hektar große Streu­obst­wiese mit über 115 seltenen sächsischen Sorten und gründete gemeinsam mit Mit­streiter*innen die Arche-Region Vogtland. Für sein Engagement wurde er 2024 mit dem Deutschen Kultur­landschafts-Preis aus­gezeichnet.

Die Obstbäume sind meine Rente.

Jonas Hommel, Landwirt, Obst­baum­wart und Natur­schützer

Die Fläche wurde vorher von einer Agrar­genossenschaft konventionell bewirtschaftet. Dazu gehörte auch, Bäume ab­zu­holzen, damit Traktoren freie Fahrt hatten. „Dann haben wir wieder Bäume hingepflanzt“, lacht Hommel. „Die Streu­obst­wiese war ein Sakrileg für viele.“ Auch sonst macht er einiges anders als konventionell arbeitende Land­wirt*innen. Rund um die Wiese hat er eine Frucht­hecke gepflanzt, die den wert­vollen Boden vor dem Aus­trocknen durch Wind schützt. Im Sommer lässt er beim Heumachen Alt­gras­streifen stehen, damit Insekten einen Rück­zugs­raum haben.

Mit Agroforst­wirtschaft setzt der Hof auf Bio­diversität

Das Handy von Jonas Hommel klingelt, immer wieder muss er kurz Dinge regeln. Er jongliert viele Bälle gleich­zeitig in der Luft. Der Rundgang stoppt an einer separaten Wiese, auf der Hommels kleine Rinderherde unter einem Altbestand an Obst­bäumen liegt. Er hält Rotes Höhenvieh, eine Nutz­tier­rasse, die beinahe aus­gestorben wäre. Die Tiere bringen weniger Ertrag als Hoch­leistungs­rassen, doch sie kommen mit der harschen Witterung im Vogtland gut klar. „Die haben noch nie einen Stall von innen gesehen“, sagt er. Das Fleisch sei von besonderer Qualität, schon der sächsische König hätte nichts anderes gegessen. Er lächelt: „Zu einem guten Produkt brauchst du immer auch eine gute Story.“

Die Rinder sind ein wichtiger Teil des Ökosystems, das Hommel mit seinem Hof aufbauen möchte. Dabei folgt er dem Ansatz der Agro­forst­wirtschaft, die die mehr­fache Nutzung einer Fläche vorsieht – eine Abkehr von der Rein­kultur konventioneller Land­wirtschaft. Zweimal im Jahr lässt Jonas Hommel seine Rinder über die große Streu­obst­wiese ziehen. Sie fressen Gras, Gräser und Blumen und düngen neben­bei den Boden. Für die jungen Bäume ist das ein doppelter Gewinn: Sie bekommen nicht nur frische Nährstoffe, sondern auch mehr Licht und Wasser, weil sie mit weniger Pflanzen in direkter Konkurrenz stehen.

„Agroforst hat in vielen Regionen großes ökologisches Potenzial“, meint auch Tom Hollander, Referent für Ackerbau beim Thinktank Agora Agrar. „Bäume oder Hecken binden Kohlen­stoff, mindern die Erosions­gefahr und können dazu beitragen, dass Böden Wasser besser speichern.“ Agro­forst­systeme könnten zudem Lebens­räume von Tieren miteinander verbinden, so der Experte: „Das stärkt die Biodiversität.“

Tom Hollander
© Agora Agrar

Tom Hollander ist seit Juli 2023 Referent für Acker­bau bei Agora Agrar. Vorher war er in Nieder­sachsen ein Jahr lang als Projekt­manager im Landkreis Hameln-Pyrmont für die Weiter­entwicklung und die Stärkung des Öko­land­baus in der Öko­model­lregion zuständig. Dort hatte er zuvor zwei Jahre in der praktischen Land­wirtschaft gearbeitet.

Der Bauer als Bürokratie­profi

Apropos: Die Bäume werfen noch nichts ab, die Rinder­herde ist über­schau­bar, der Bau der Mosterei kostet einen sechs­stelligen Betrag – wie finanziert ein 24-jähriger Landwirt all das? „Mein Haupt­erwerb ist aktuell die Förder­mittel­beratung“, erzählt Hommel. „Ich stelle für Land­wirt*innen und Vereine die Anträge und bekomme eine Provision, wenn sie erfolgreich sind.“ Viele Landwirt*innen würden nicht alle Förder­möglichkeiten kennen oder scheuten den bürokratischen Aufwand, sagt er. „Eigentlich bräuchte es in jeder Verwaltung eine*n Förder­mittel­berater*in, der*die Land­wirt*innen unterstützt.“ Ein solcher Ansatz wird in den Nieder­landen bereits umgesetzt: Land­wirt*innen arbeiten dort in Kooperativen zusammen, Fachleute beraten sie vor Ort. Eine Win-win-Situation für die Höfe und die Bio­diversität.

Das Rote Höhenvieh, eine besondere Rindtierrasse aus der Region.
Das Rote Höhen­vieh, eine besondere Rind­tier­rasse aus der Region. © Jens Schlüter
Richtfest für die neue Mosterei: Jonas Hommel (Zweiter von rechts) hielt eine kurze Ansprache.
Richtfest für die neue Mosterei: Jonas Hommel (Zweiter von rechts) hielt eine kurze Ansprache. © Jens Schlüter

„Biodiversitäts- und Klimaschutz­leistungen sollten sich für Land­wirt*innen finanziell lohnen und den Betrieben eine ökonomische Chance bieten“, sagt auch Tom Hollander. „Finanzielle Mittel dafür sind vorhanden, nur sollten diese Gelder ziel­gerichteter aus­gegeben werden.“

Auch die neue Streuobstwiese hat Hommel nicht aus eigenen Mitteln gestemmt, sondern über eine Ausgleichs­maßnahme. 2020 plante der Netz­betreiber 50Hertz die Verlegung eines Erdkabels durch Tobertitz und brauchte eine Ausgleichs­fläche, um die Eingriffe in die Landschaft zu kompensieren. „Ich habe bei 50Hertz angerufen und meine geplante Streu­obst­wiese dafür angeboten“, erinnert er sich. Das Unternehmen sagte zu, 2021 ging es in die Planung, 2022 standen die Bäume. Die Trasse für das Erdkabel läuft heute direkt durch die Wiese hindurch.

Viele Ideen und ein fester Glaube

Es ist Zeit, alles fürs Richt­fest vor­zu­bereiten. Bier­bänke werden aufgebaut, der Rohbau mit Birken­ästen geschmückt. Rund 50 Menschen haben sich inzwischen auf dem Hof ein­gefunden. Hommel kennt alle persönlich, mit vielen ist er verwandt. Auch Steffen Raab, Bürgermeister der Gemeinde Weischlitz, zu der Tobertitz gehört, kennt Hommel schon lange. Dieser ist mit seinem Sohn zur Schule gegangen: „Jonas ist ein Hans­dampf in allen Gassen, der viele neue Ideen einbringt. Es ist immer spannend, wenn junge Leute sich für ihre Region entscheiden und bereit sind, Risiken ein­zu­gehen“, sagt Raab.

Der Bauherr steht nun auf dem Dach seiner zukünftigen Mosterei und dankt zuerst Gott. Vor wenigen Jahren sei er noch durchs Abitur gefallen, sagt er. Jetzt habe er diesen Bau realisieren können. „Mein Glaube gibt mir die Energie, das alles an­zu­packen“, erklärt er später. Das nächste Groß­projekt hat er auch schon angestoßen: Er möchte im Vogtland eine Arche-Region etablieren. Das ist ein Gebiet, das sich dem Erhalt alter, seltener Nutz­tier­rassen und Kultur­pflanzen widmet und damit die genetische Vielfalt in der Land­wirtschaft bewahrt. Es wäre die erste Arche-Region in Ost­deutschland. Hommel ist über­zeugt: „Das wird ein richtiger Tourismus­turbo und ein tolles Aushänge­schild.“

Die Studie „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ernährung in einer klimaneutralen EU“ von Agora Agrar ist hier verfügbar.


Agora Agrar

Agora Agrar möchte zu einer evidenz­basierten und lösungs­orientierten Debatte über die Zukunft von Ernährung, Land- und Forst­wirtschaft beitragen. Das inter­disziplinäre Projekt­team erstellt hierfür Studien, organisiert Dialoge und entwickelt politisch umsetzbare Lösungs­wege für ein breites Themen­spektrum, etwa für die Weiter­entwicklung von Nutz­tier­haltung und Ackerbau, die nasse Nutzung von Mooren, die Land­nutzung in der Bio­ökonomie oder eine nach­haltige Ernährung.

www.agora-agrar.de