Biodiversität in der Landwirtschaft: Ein sächsischer Landwirt macht vor, wie es geht

Das weltweite Artensterben ist dramatisch. Mitverantwortlich ist die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren: mit wenig Vielfalt in der Agrarlandschaft. Doch es geht auch anders, wie Landwirt Jonas Hommel zeigt. Der junge Vogtländer setzt auf Agroforst, seltene Obstsorten und eine bedrohte Rinderrasse. AufRuhr hat ihn auf seinem Hof in Sachsen besucht.
Ein schwüler Vormittag im sächsischen Tobertitz in der Region Vogtland. Regen liegt in der Luft, der Himmel ist verhangen. Doch Jonas Hommel strahlt: In ein paar Stunden beginnt das Richtfest für seine Mosterei. Sie ist das größte von vielen Projekten, die er in den vergangenen Jahren angestoßen hat. Das Rote Höhenvieh, die Obstbäume, die Sache mit der Arche – das alles soll er heute mal erklären. Und auch, was das mit der Zukunft der Landwirtschaft zu tun hat.
Doch von vorne. Jonas Hommel ist 24 Jahre alt, gebürtiger Tobertitzer und gelernter Vermessungstechniker. Er ist mit Viehhaltung groß geworden, doch in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in seiner Branche. Er setzt auf ganzheitliche und langfristige Konzepte statt auf schnelle Erträge. Und er probiert Dinge aus, die in der konventionellen Landwirtschaft eher selten sind. Zum Beispiel Rindvieh auf Obstwiesen weiden zu lassen. Zeit für einen Rundgang.
Landwirtschaft mit langem Atem
„Das war mal ein Acker, auf dem Mais angebaut wurde“, sagt Hommel, während er auf eine drei Hektar große Fläche zu seiner Linken weist. Eine Monokultur, wie sie typisch ist für die deutsche Landwirtschaft: optimiert, um maximalen Ertrag zu bringen, und ziemlich schlecht für die Artenvielfalt, weil dort nichts anderes wachsen und leben kann. „Den Acker haben wir 2022 in eine Streuobstwiese umgewandelt“, erzählt der Landwirt. Genauer: in eine submontane Goldhafer-Frischwiese, die Lebensraum für seltene Pflanzenarten bietet und Sicherungsstandort für 115 bedrohte sächsische Obstsorten ist. Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen und einiges mehr sollen hier einmal reifen. Doch noch werfen die jungen Bäume kaum Früchte ab. „Erst in zehn Jahren bringe ich die in die Ertragsphase“, erklärt Hommel, der eine Qualifizierung zum Obstbaumwart durchlaufen hat. Bis dahin werden junge Früchte abgenommen, sodass die Bäume alle Energie ins Wachstum stecken können. So entwickeln sie ein großes Kronengerüst. „In 20 Jahren werfen die Bäume jährlich je 200 bis 300 Kilogramm Früchte ab“, sagt Hommel. „Die Obstbäume sind meine Rente.“

Jonas Hommel ist Landwirt, Obstbaumwart und engagierter Naturschützer. Mit seinem Arche-Projekt setzt er sich für den Erhalt alter Obstsorten und gefährdeter Nutztierrassen ein. In Tobertitz pflanzte er eine drei Hektar große Streuobstwiese mit über 115 seltenen sächsischen Sorten und gründete gemeinsam mit Mitstreiter*innen die Arche-Region Vogtland. Für sein Engagement wurde er 2024 mit dem Deutschen Kulturlandschafts-Preis ausgezeichnet.
Die Obstbäume sind meine Rente.
Die Fläche wurde vorher von einer Agrargenossenschaft konventionell bewirtschaftet. Dazu gehörte auch, Bäume abzuholzen, damit Traktoren freie Fahrt hatten. „Dann haben wir wieder Bäume hingepflanzt“, lacht Hommel. „Die Streuobstwiese war ein Sakrileg für viele.“ Auch sonst macht er einiges anders als konventionell arbeitende Landwirt*innen. Rund um die Wiese hat er eine Fruchthecke gepflanzt, die den wertvollen Boden vor dem Austrocknen durch Wind schützt. Im Sommer lässt er beim Heumachen Altgrasstreifen stehen, damit Insekten einen Rückzugsraum haben.
Mit Agroforstwirtschaft setzt der Hof auf Biodiversität
Das Handy von Jonas Hommel klingelt, immer wieder muss er kurz Dinge regeln. Er jongliert viele Bälle gleichzeitig in der Luft. Der Rundgang stoppt an einer separaten Wiese, auf der Hommels kleine Rinderherde unter einem Altbestand an Obstbäumen liegt. Er hält Rotes Höhenvieh, eine Nutztierrasse, die beinahe ausgestorben wäre. Die Tiere bringen weniger Ertrag als Hochleistungsrassen, doch sie kommen mit der harschen Witterung im Vogtland gut klar. „Die haben noch nie einen Stall von innen gesehen“, sagt er. Das Fleisch sei von besonderer Qualität, schon der sächsische König hätte nichts anderes gegessen. Er lächelt: „Zu einem guten Produkt brauchst du immer auch eine gute Story.“
Die Rinder sind ein wichtiger Teil des Ökosystems, das Hommel mit seinem Hof aufbauen möchte. Dabei folgt er dem Ansatz der Agroforstwirtschaft, die die mehrfache Nutzung einer Fläche vorsieht – eine Abkehr von der Reinkultur konventioneller Landwirtschaft. Zweimal im Jahr lässt Jonas Hommel seine Rinder über die große Streuobstwiese ziehen. Sie fressen Gras, Gräser und Blumen und düngen nebenbei den Boden. Für die jungen Bäume ist das ein doppelter Gewinn: Sie bekommen nicht nur frische Nährstoffe, sondern auch mehr Licht und Wasser, weil sie mit weniger Pflanzen in direkter Konkurrenz stehen.
„Agroforst hat in vielen Regionen großes ökologisches Potenzial“, meint auch Tom Hollander, Referent für Ackerbau beim Thinktank Agora Agrar. „Bäume oder Hecken binden Kohlenstoff, mindern die Erosionsgefahr und können dazu beitragen, dass Böden Wasser besser speichern.“ Agroforstsysteme könnten zudem Lebensräume von Tieren miteinander verbinden, so der Experte: „Das stärkt die Biodiversität.“

Tom Hollander ist seit Juli 2023 Referent für Ackerbau bei Agora Agrar. Vorher war er in Niedersachsen ein Jahr lang als Projektmanager im Landkreis Hameln-Pyrmont für die Weiterentwicklung und die Stärkung des Ökolandbaus in der Ökomodellregion zuständig. Dort hatte er zuvor zwei Jahre in der praktischen Landwirtschaft gearbeitet.
Der Bauer als Bürokratieprofi
Apropos: Die Bäume werfen noch nichts ab, die Rinderherde ist überschaubar, der Bau der Mosterei kostet einen sechsstelligen Betrag – wie finanziert ein 24-jähriger Landwirt all das? „Mein Haupterwerb ist aktuell die Fördermittelberatung“, erzählt Hommel. „Ich stelle für Landwirt*innen und Vereine die Anträge und bekomme eine Provision, wenn sie erfolgreich sind.“ Viele Landwirt*innen würden nicht alle Fördermöglichkeiten kennen oder scheuten den bürokratischen Aufwand, sagt er. „Eigentlich bräuchte es in jeder Verwaltung eine*n Fördermittelberater*in, der*die Landwirt*innen unterstützt.“ Ein solcher Ansatz wird in den Niederlanden bereits umgesetzt: Landwirt*innen arbeiten dort in Kooperativen zusammen, Fachleute beraten sie vor Ort. Eine Win-win-Situation für die Höfe und die Biodiversität.


„Biodiversitäts- und Klimaschutzleistungen sollten sich für Landwirt*innen finanziell lohnen und den Betrieben eine ökonomische Chance bieten“, sagt auch Tom Hollander. „Finanzielle Mittel dafür sind vorhanden, nur sollten diese Gelder zielgerichteter ausgegeben werden.“
Auch die neue Streuobstwiese hat Hommel nicht aus eigenen Mitteln gestemmt, sondern über eine Ausgleichsmaßnahme. 2020 plante der Netzbetreiber 50Hertz die Verlegung eines Erdkabels durch Tobertitz und brauchte eine Ausgleichsfläche, um die Eingriffe in die Landschaft zu kompensieren. „Ich habe bei 50Hertz angerufen und meine geplante Streuobstwiese dafür angeboten“, erinnert er sich. Das Unternehmen sagte zu, 2021 ging es in die Planung, 2022 standen die Bäume. Die Trasse für das Erdkabel läuft heute direkt durch die Wiese hindurch.
Viele Ideen und ein fester Glaube
Es ist Zeit, alles fürs Richtfest vorzubereiten. Bierbänke werden aufgebaut, der Rohbau mit Birkenästen geschmückt. Rund 50 Menschen haben sich inzwischen auf dem Hof eingefunden. Hommel kennt alle persönlich, mit vielen ist er verwandt. Auch Steffen Raab, Bürgermeister der Gemeinde Weischlitz, zu der Tobertitz gehört, kennt Hommel schon lange. Dieser ist mit seinem Sohn zur Schule gegangen: „Jonas ist ein Hansdampf in allen Gassen, der viele neue Ideen einbringt. Es ist immer spannend, wenn junge Leute sich für ihre Region entscheiden und bereit sind, Risiken einzugehen“, sagt Raab.
Der Bauherr steht nun auf dem Dach seiner zukünftigen Mosterei und dankt zuerst Gott. Vor wenigen Jahren sei er noch durchs Abitur gefallen, sagt er. Jetzt habe er diesen Bau realisieren können. „Mein Glaube gibt mir die Energie, das alles anzupacken“, erklärt er später. Das nächste Großprojekt hat er auch schon angestoßen: Er möchte im Vogtland eine Arche-Region etablieren. Das ist ein Gebiet, das sich dem Erhalt alter, seltener Nutztierrassen und Kulturpflanzen widmet und damit die genetische Vielfalt in der Landwirtschaft bewahrt. Es wäre die erste Arche-Region in Ostdeutschland. Hommel ist überzeugt: „Das wird ein richtiger Tourismusturbo und ein tolles Aushängeschild.“
Die Studie „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ernährung in einer klimaneutralen EU“ von Agora Agrar ist hier verfügbar.
Agora Agrar
Agora Agrar möchte zu einer evidenzbasierten und lösungsorientierten Debatte über die Zukunft von Ernährung, Land- und Forstwirtschaft beitragen. Das interdisziplinäre Projektteam erstellt hierfür Studien, organisiert Dialoge und entwickelt politisch umsetzbare Lösungswege für ein breites Themenspektrum, etwa für die Weiterentwicklung von Nutztierhaltung und Ackerbau, die nasse Nutzung von Mooren, die Landnutzung in der Bioökonomie oder eine nachhaltige Ernährung.