Grünes Weimarer Dreieck: „Gute Gesetze entziehen Populist*innen die Kraft“
Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, verfehlt jedoch aktuell seine selbst gesetzten Ziele. Ein neues klimapolitisches Bündnis zwischen Deutschland, Frankreich und Polen will das ändern. Mit AufRuhr sprachen Sylwia Andralojc-Bodych und Marion Guénard von Germanwatch über ungewöhnliche Methoden, Klimapolitik voranzubringen. Und darüber, wie man optimistisch bleibt.
AufRuhr: Frau Andralojc-Bodych, Frau Guénard, bei Germanwatch setzen Sie sich für die klimapolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Polen ein. Was macht Ihre Initiative besonders?
Sylwia Andralojc-Bodych: Wir bringen Regierungsvertreter*innen, Thinktanks und Wirtschaftsvertreter*innen in einer sogenannten Vertrauensgruppe zusammen. Das bedeutet, dass sich die Gruppe nicht ändert und bewusst klein bleibt, damit wir genügend Zeit für einen tiefen klimapolitischen Austausch abseits von Brüssel haben. Derzeit besteht die Gruppe aus ungefähr fünf bis sechs Personen pro Land.
Marion Guénard: Der Austausch in dieser Gruppe ist vertraulich und darf nicht nach außen getragen werden. Wenn wir beispielsweise Empfehlungen an Ministerien aussprechen, werden diese anonymisiert weitergegeben. Es soll dabei nur um den Inhalt und nicht darum gehen, von wem die Empfehlungen stammen.
Warum ausgerechnet Deutschland, Frankreich und Polen?
Sylwia Andralojc-Bodych: Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Idee, diese drei Länder zusammenzubringen, nicht neu ist. Das Weimarer Dreieck existiert als Format bereits seit 33 Jahren. Gegründet wurde es ursprünglich, um außenpolitische Themen gemeinsam zu besprechen und Polen näher an die EU zu bringen.
Sylwia Andralojc-Bodych ist Referentin für EU-Klimapolitik und polnisch-deutsche Klimazusammenarbeit bei Germanwatch. Sie ist Expertin für Klima- und Energiepolitik sowie für das deutsche Recht und Rechtssystem.
Marion Guénard: Klimapolitisch haben die Länder eine besondere Bedeutung, da sie zusammen fast die Hälfte der Emissionen in Europa verursachen. Wenn diese drei Länder also die Transformation schaffen, wird das zu schnellen Emissionsreduktionen für ganz Europa führen. Zudem sind die Länder unerlässlich, um im Rat der Europäischen Union eine qualifizierte Mehrheit zu erreichen, die ambitionierte Klimagesetze ermöglichen kann.
Hatte das Weimarer Dreieck schon immer einen Fokus auf Klimapolitik?
Sylwia Andralojc-Bodych: Nein, ursprünglich ging es hauptsächlich um außenpolitische Fragen und eine geopolitisch starke EU. Vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine passierte zudem jahrelang wenig im Weimarer Dreieck. Der Regierungswechsel in Polen Ende 2023 hat einen Neuanfang ermöglicht. Das Weimarer Dreieck wurde wiederbelebt und bespielt nun auch klimapolitische Themen. Die Initiative „Grünes Weimarer Dreieck“, die Germanwatch mit Vertreter*innen führender Thinktanks, Umweltorganisationen und wissenschaftlicher Institutionen in Deutschland, Frankreich und Polen gefordert hatte, wurde im Mai von den jeweiligen Außenminister*innen ins Leben gerufen.
Wie unterscheidet sich die Klimapolitik der drei Länder?
Marion Guénard: Die EU gibt zwar den Takt für die Klimapolitik vor. Doch wie die Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Das französische Generalsekretariat für ökologische Planung, das dem Premierminister unterstellt ist, koordiniert die nationale Strategie und die Zusammenarbeit der Ministerien in den Bereichen Klima, Energie, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Außerdem setzt sich Frankreich in der EU stark für Technologieneutralität ein, um seine Atomindustrie zu schützen.
Sylwia Andralojc-Bodych: In Polen spielte Klimapolitik bis vor einigen Jahren kaum eine Rolle. Die Debatte über Luftverschmutzung brachte das Thema ins Bewusstsein. Hierfür gibt es mittlerweile Förderprogramme und Initiativen. Aber auf EU-Ebene zählt Polen zu den konservativeren Ländern, die Klimapolitik skeptisch gegenüberstehen.
Marion Guénard ist Referentin für EU-Klimapolitik und französisch-deutsche Klimazusammenarbeit bei Germanwatch. Sie ist Expertin für Klima- und Energiepolitik und berät seit sieben Jahren lokale und nationale Regierungen zu ihrer Klimapolitik.
Und Deutschland?
Marion Guénard: Deutschland setzt ganz klar auf erneuerbare Energien, Industriepolitik und CO2-Bepreisung, um die Klimaziele zu erreichen. Als Exportnation ist Deutschland weit weniger an protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der europäischen Märkte interessiert als Frankreich. Deutschland hat also geringere Bestrebungen, inländische Anbieter vor ausländischer Konkurrenz zu schützen als Frankreich.
Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe und die Klimakrise unsere gemeinsame Herausforderung.
Was haben die Länder gemeinsam?
Marion Guénard: Leider verfehlen die drei Länder einige EU-Klima- und Energieziele. Deutschland etwa verfehlt deutlich die EU-Ziele der Klimaschutzverordnung wegen fehlender Maßnahmen in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Auch Frankreich und Polen haben Schwierigkeiten, diese Ziele zu erreichen. Frankreich weigert sich, Ziele im Bereich erneuerbare Energie zu setzen, und spricht stattdessen von „dekarbonisierter Energie“.
Sylwia Andralojc-Bodych: Polen hat immerhin bis 2020 die Ziele für erneuerbare Energie knapp erreicht. Was die drei Länder außerdem verbindet, ist die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten. Entscheidungsträger*innen, zivilgesellschaftliche Akteur*innen, Thinktanks und Unternehmen arbeiten bereits im Bereich Klimaschutz erfolgreich zusammen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der trinationalen Zusammenarbeit?
Sylwia Andralojc-Bodych: Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe und die Klimakrise unsere gemeinsame Herausforderung. Wir wollen die europäische Klimapolitik weiterentwickeln und die Klimaziele erreichen. Wir wollen sicherstellen, dass die drei Länder im Vorfeld gemeinsam darüber sprechen und ein Verständnis füreinander entwickeln. Es geht nicht immer um Kompromisse, sondern um gute Zusammenarbeit.
Marion Guénard: Diese Zusammenarbeit wünschen sich auch Umweltverbände und Unternehmen in den drei Ländern. Wenn man frühzeitig Klimagesetze mit Stakeholder*innen bespricht, wenn sie gemeinsam mit ihnen entwickelt werden, werden viele verschiedene Perspektiven von Anfang an berücksichtigt. Das schafft Legitimität. Durch diese Legitimität werden Gesetze weniger angreifbar, und Populist*innen wird die Kraft entzogen. Daran sollten die drei Länder ein Interesse haben.
Germanwatch
Germanwatch ist eine unabhängige Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation, die sich seit über 30 Jahren für eine zukunftsfähige globale Entwicklung einsetzt. Die Organisation schafft Transparenz über die globalen Auswirkungen unseres Lebens- und Wirtschaftsstils, vernetzt sich mit von der Klimakrise betroffenen Menschen und engagiert sich für nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsmodelle.