Klimadepression: „Was der Erde schadet, schadet auch der menschlichen Psyche“

Klimadepression: „Was der Erde schadet, schadet auch der menschlichen Psyche“
Autorin: Michelle Maier 12.11.2024

Überschwemmungen, Dürre, Depression: Klimawandel und Umweltverschmutzung belasten nicht nur unsere körperliche Gesundheit – sondern auch die mentale. Der Medienservice Klima & Gesundheit gibt Lokaljournalist*innen Daten an die Hand, damit sie besser über das Thema berichten können. Im Interview erklärt Katharina Weiss-Tuider, Kommunikationsleiterin der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ und verantwortlich für den Medienservice Klima & Gesundheit, wie sich Klimaangst äußert und welche Relevanz der Themenkomplex für unsere Gesellschaft hat.

Frau Weiss-Tuider, dass sich der Klimawandel auf die körperliche Gesundheit auswirkt, leuchtet schnell ein. Wir alle kennen es, wenn eine Hitzewelle im Sommer dem Kreislauf zusetzt. Gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Klimakrise und mentaler Gesundheit?

Weiss-Tuider: Ja, der Klimawandel hat auf verschiedene, oft überraschende Weise Auswirkungen auf die mentale Gesundheit – Zusammenhänge, auf die der Medienservice Klima & Gesundheit alltagsnah eingeht. Extremwetterereignisse wie Flutkatastrophen können psychische Erkrankungen auslösen, das konnte man nach der Flut im Ahrtal 2021 beobachten. Auch Hitzewellen können die mentale Gesundheit beeinflussen. Nicht nur, weil bei hohen Temperaturen unsere kognitive und kreative Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Es steigt auch das Risiko für Stress und psychische Erkrankungen wie Depressionen. Hitze lässt Menschen zudem aggressiver werden. Besonders im städtischen Raum, wo durch Flächenversiegelung wahre „Hitzeinseln“ entstehen und die Luft mit Feinstaub belastet ist, kommt einiges an Risikofaktoren zusammen. Luftschadstoffe gelangen bis ins Gehirn – und können, wie Studien zeigen, das Risiko für Depressionen oder Demenzerkrankungen steigern. Was die Erde krank macht, gefährdet auch unsere eigene Gesundheit.

Katharina Weiss-Tuider
© Dominik Butzmann

Katharina Weiss-Tuider ist Wissenschaftskommunikatorin und Autorin. Seit 2022 ist sie Kommunikationsleiterin der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ und verantwortlich für den Medienservice Klima & Gesundheit.

Gibt es neue mentale Phänomene, die infolge des Klimawandels aufgekommen sind?

Syndrome wie Solastalgie spielen eine immer stärkere Rolle, also das Gefühl von Verlust oder Trauer beim Anblick von Umweltzerstörung, bei Schäden an der vertrauten Lebenswelt. Oder auch Klimaangst, die allerdings keine psychische Erkrankung ist, sondern eine nachvollziehbare Reaktion auf die realen Gefahren des Klimawandels.

Klimaschutz bedeutet auch Schutz der menschlichen Psyche.

Sind junge Menschen stärker davon betroffen?

Der Klimawandel betrifft jede Altersgruppe. Jugendstudien stellen allerdings heraus, wie stark die Angst vor dem Klimawandel junge Menschen prägt. Aber auch andere negative Gefühle, beispielsweise Wut und Enttäuschung darüber, dass die Politik nicht genug gegen die Klimakrise unternimmt. Mit deren Auswirkungen haben Kinder und Jugendliche ja viel länger zu kämpfen als die Älteren.

Die Dimensionen der Klimakrise oder auch des Verlustes der Artenvielfalt sind viel größer und reichen bis tief hinein in unsere Psyche.

Wie werden die Daten dazu wissenschaftlich erfasst?

Das ist unterschiedlich. Jugendstudien versuchen, die Befindlichkeit von jungen Menschen zu erfassen – und wo sich der Klimawandel auf ihrem Sorgenspektrum befindet. Andere Studien stellen konkrete Bezüge zwischen Umwelteinflüssen und mentaler Gesundheit her. Eine Studie des RWI hat beispielsweise kürzlich deutlich gemacht, dass in Umweltzonen mit einer geringeren Konzentration an Luftschadstoffen die Zahl psychischer Erkrankungen geringer ist. In vielen Ländern wird auch der Anstieg von posttraumatischen Belastungsstörungen nach Extremwetterereignissen ausgewertet. Es gibt aber noch erheblichen Forschungsbedarf.

Vielen werden die Auswirkungen des Klimawandels erst bewusst, wenn sie selbst davon betroffen sind.

Warum hört man in den Medien bisher selten davon?

Die Diskussion um die Folgen des Klimawandels bleibt meist beim Offensichtlichen – brennende Wälder, abgedeckte Dächer, überschwemmte Häuser. Und selbst dann fehlt in den Medien oft der Klimabezug. Doch die Dimensionen der Klimakrise oder auch des Verlustes der Artenvielfalt sind viel größer und reichen bis tief hinein in unsere Psyche. Wir diskutieren viel häufiger darüber, was uns Klimaschutz kostet, als über die ungleich höheren gesundheitlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Kosten, die uns treffen, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten.

Wir müssen erkennen, dass wir nicht nur das Klima retten, sondern uns.

Ihr Medienservice Klima & Gesundheit stellt Informationen über diesen Zusammenhang für Lokaljournalist*innen zur Verfügung. Was ist das Ziel des Angebotes?

Die Informationen sollen die Lokalpresse erreichen, da diese Medien am Alltag der Menschen am nächsten dran sind und besonderes Vertrauen genießen. Wir unterstützen Lokaljournalist*innen, mehr über diese Klimathemen zu berichten und zu zeigen, wo Menschen heute schon vom Klimawandel betroffen sind – und welche Lösungsansätze es auch bundesweit auf lokaler Ebene gibt. Unsere Dossiers sind so aufbereitet, dass sie einen schnellen journalistischen Einstieg bieten und einen Überblick über die wichtigsten Fakten, Zusammenhänge, hilfreiche Datenbanken und Ansprechpartner*innen geben. Sie liefern zudem Tipps, wie Infos sich so aufbereiten lassen, dass Menschen nicht noch krisenmüder werden, sondern ins Handeln kommen.

Wie konnten Sie Medien schon weiterhelfen?

Ein Beispiel ist die rasante Ausbreitung der Blauzungenkrankheit in Niedersachsen im Sommer 2024 – eine von Landwirt*innen gefürchtete Erkrankung bei Rindern und Schafen. Regionalzeitungen wie die Peiner Allgemeine Zeitung erweiterten ihre Berichterstattung durch unseren Medienservice um einen Fakt, der meist unerwähnt bleibt: Die Krankheit wird durch bestimmte Stechmücken übertragen, die vom Klimawandel profitieren.

Was hilft gegen die mentale Belastung durch den Klimawandel?

Nichts so sehr, wie den Klimawandel aufzuhalten, und dafür brauchen wir die richtige Politik. Wir müssen erkennen, dass wir nicht nur das Klima retten, sondern uns. Wenn wir für saubere Luft und erträgliche Temperaturen sorgen, schützen wir nicht nur den Planeten, sondern unsere Lebensgrundlagen, unsere körperliche und mentale Gesundheit. Darüber hinaus muss die Versorgung im Bereich psychischer Gesundheit dringend besser und nachhaltiger werden. Das bedeutet auch, die klimawandelbedingten Folgen für die mentale Gesundheit stärker in Psychotherapie und Psychiatrie zu verankern.


Medienservice Klima & Gesundheit

Der Medienservice Klima & Gesundheit macht auf Zusammenhänge von Klimakrise, Gesundheit und Biodiversität aufmerksam, über die Medien bislang kaum berichten. Er will den Einstieg in die Recherche zu diesem Themenkomplex erleichtern, einen Überblick verschaffen, auf nützliche Informationsquellen hinweisen und Ansatzpunkte insbesondere für eine konstruktive lokale Berichterstattung liefern.

Der Medienservice ist ein Angebot der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ (GEGM), die 2020 von Eckart von Hirschhausen gegründet wurde. GEGM hat das Ziel, die Bedeutung der Klimakrise für unsere Gesundheit zu vermitteln und nachhaltige Lebensmodelle zu fördern.

https://medienservice-klima-gesundheit.de/dossiers/mentalegesundheit/