Kommunales Mobilitäts­management – wie geht das?

Radsportfans aus Schlangen bejubeln die Profis auf ihrer Etappe der Lidl Deutschland Tour
Kommunales Mobilitäts­management – wie geht das?
Autorin: Bettina Brakelmann 07.10.2025

Um die Klimaziele Deutschlands zu erreichen, muss Mobilität nach­haltiger werden. Doch was heißt das konkret für Städte und Gemeinden? Antworten darauf gibt Henning Schwarze, der seit gut zweieinhalb Jahren als Mobilitäts­manager in Schlangen tätig ist und dort die Verkehrs­wende voranbringt. AufRuhr hat ihn in der nordrhein-westfälischen Gemeinde besucht.

Aus allen Richtungen strömen Besucher*innen zum Kreis­verkehr am Rande von Schlangen, dem „Tor zum Teutoburger Wald“. Ältere, Jüngere, Familien mit Kindern – alle sind zu Fuß oder mit dem Fahr­rad gekommen. Hinter der rot-weißen Absperrung und auf einer angrenzenden Streu­obst­wiese parken unzählige Lasten-, Mountain-, City- und Kinder­fahr­räder. Man kennt sich, begrüßt Nachbar*innen und Freund*innen, hält hier und da ein Schwätzchen, schlendert an Info­ständen vorbei und lässt sich von der aufgeregten Atmosphäre anstecken. Denn heute ist ein besonderer Tag für den 9.500-Seelen-Ort: Schlangen ist zum ersten Mal Etappen­ort der Lidl Deutschland Tour, dem bedeutendsten nationalen Profi­rad­rennen. Gleich wird die Crème de la Crème des Rad­sports durch den Kreis­verkehr sausen.

Ein Fest im Zeichen der Mobilitätswende

Mitten im Gewimmel steht in neongelber Warn­weste Henning Schwarze, Geograf und der erste Mobilitäts­manager der Gemeinde. Er strahlt übers ganze Gesicht: „Radsport auf Welt­niveau, begleitet von einem bunten Strecken­fest im Zeichen der Mobilität: Top!“

Offizieller Startschuss am Morgen war die Einweihung einer barriere­frei ausgebauten Bus­halte­stelle. Schließlich sollen die öffentlichen Verkehrs­mittel auch für Menschen nutzbar sein, die körperlich eingeschränkt oder zum Beispiel mit dem Kinder­wagen unter­wegs sind. Später, wenn die Renn­rad­fahrer durch sind, folgt das nächste Highlight: die Versteigerung eines Original­trikots von Jonathan Milan, Olympia- sowie Sprint­wertungs­sieger der dies­jährigen Tour de France, für einen guten Zweck. Den Abschluss macht die große Sieger­ehrung der STADTRADELN-Kampagne 2025 in Schlangen. STADTRADELN ist eine Aktion des Netzwerkes Klima-Bündnis, um die individuellen und kommunalen CO2-Emissionen zu senken. Drei Wochen im Frühling waren alle Schlänger*innen eingeladen, möglichst viele All­tags­wege mit dem Fahrrad zurück­zu­legen und dabei Kilometer für sich selbst, ihre Teams, die Kommune und den Klima­schutz zu sammeln.

Henning Schwarze
© Christian Protte

Henning Schwarze ist seit 2023 Klima­schutz­manager und inzwischen Leiter der Stabs­stelle Klima­schutz, Mobilität und Nach­haltigkeit der Gemeinde Schlangen. Als Mobilitäts­manager unter­stützt er die Kommune in Nordrhein-Westfalen dabei, die inter­nationalen Klima­schutz­ziele auf lokaler Ebene um­zu­setzen, und steuert die Förderung nach­haltiger Mobilität sowie Projekte zur nach­haltigen Gemeinde­entwicklung. In seiner Rolle ist er zudem Ansprech­partner für Politik und Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Bürger­schaft.

„Für uns ist dieses Strecken­fest eine einmalige Gelegenheit, nicht nur Spitzen­sport zu erleben und unsere Gemeinschaft zu feiern, sondern vor allem das Thema nach­haltige Mobilität sichtbar zu machen und mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, so Henning Schwarze. Kommunikation ist der Dreh- und Angel­punkt seiner Arbeit als Mobilitäts­manager. Für diesen Job hat der 53-Jährige, der auch als Klima­schutz­manager für die Gemeinde arbeitet, beim Zukunfts­netz Mobilität NRW eine spezielle Fort­bildung durch­laufen.

Henning Schwarze im Gespräch mit Schlangens Bürgermeister Marcus Püster (rechts). © Christian Protte

Mobilitäts­wende durch viele Maßnahmen

Schwarze will Schlangen in Sachen Mobilität voranbringen. Auf sein Konto gehen schon mehrere Projekte. Zum Beispiel eine Schul­straße, die zu den Bring­zeiten am Morgen für Autos gesperrt ist. Statt­dessen wurden gesonderte Halte­stellen für „Eltern­taxis“ eingerichtet. Für Ideen wie diese sei viel Über­zeugungs­arbeit nötig, so Schwarze. Unermüdlich führt er Gespräche auf dem Schulhof, im Lehr­kräfte­zimmer und auf Eltern­abenden, verteilt Flyer und Broschüren. Mit mäßigem Erfolg bislang: „Manche Eltern fahren ihr Kind aus Angst vor zu viel Verkehr zur Schule und machen den Verkehr damit selbst schlimmer.“

Ein anderes Projekt sind die Mobilität­sachsen zur Förderung des Radverkehrs. Sie sollen die Ortsteile von Schlangen miteinander verbinden, mit dem Ortskern sowie mit dem Gewerbe­gebiet. Aus den vorhandenen Rad- und Fuß­wegen sollen Fahr­rad­straßen entstehen, die Sicherheit und Komfort für Rad­fahrende und Fuß­gänger*innen gewähr­leisten. Für den reibungs­losen Umstieg auf den ÖPNV ist eine attraktiv gestaltete Mobilstation in Planung – gut erreichbar und mit sicheren Ab- und Unter­stell­möglichkeiten für Räder und E-Scooter, Sitz­gelegenheiten und WCs.

Welche Mobilitäts­ziele hat die Gemeinde Schlangen?

In ihrer Nachhaltigkeits­strategie hat die Gemeinde Schlangen Ziele für die örtliche Mobilität fest­gelegt, die sie in den nächsten Jahren umsetzen will. Unter anderem sollen bis 2030:

  • die Treibhausgas­emissionen im Verkehrs­sektor um 30 Prozent reduziert werden
  • die Zahl der Verkehrs­toten bei unter 1 pro 1.000 Einwohner*innen liegen
  • alle zentralen Orte des täglichen Lebens wie die medizinische Versorgung, Einkaufs­möglichkeiten oder Bildungs­einrichtungen vom Orts­kern oder von Mobilitäts­punkten sicher fuß­läufig erreich­bar sein
  • alle Wege für Fahrräder eindeutig und sicher gekennzeichnet sein

Die Arbeit von Henning Schwarze trägt schon erste Früchte. Zu seinen Erfolgen gehören Fuß­verkehrs­checks, bei denen Bürger*innen Schwach­stellen im Ort auf­zeigen. Natürlich auch das STADTRADELN, für das sich immer mehr Menschen begeistern, oder ein Fahr­sicherheits­training für E-Bike-Fahrende. Beim „Pendler­früh­stück“ steht Schwarze gemeinsam mit Bürger­meister Marcus Püster um sechs Uhr morgens an der Straße – und wer mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit vorbei­kommt, erhält ein belegtes Brötchen. „Insgesamt werden unsere Angebote gut angenommen“, sagt er.

Schwarze betrachtet Mobilität ganzheitlich. Die Kommune hat sich in ihrer Nach­haltig­keits­strategie eine Leitlinie für das Handlungsfeld Mobilität gesetzt: „Da Schlangen ein Ort der kurzen Wege ist, wird dem Fuß- und Radverkehr in der Planung Vorrang eingeräumt“, erklärt er.

Portrait von Ann-Kathrin Schneider
© Emad Ette

Ann-Kathrin Schneider ist Geschäfts­führerin der Deutschen Platt­form für Mobilitäts­management (DEPOMM). Als Expertin für die Mobilitäts­wende treibt sie vor allem betriebliche und kommunale Themen der umwelt­verträglichen Mobilität voran.

Für Henning Schwarze ist die Mobilitätswende zudem Teamwork. „Es ist ein Quer­schnitts­thema, das alle betrifft: verschiedene Ämter, die Schulen, die Verkehrs­gesellschaft, die Betriebe. Ich bin dafür da, alle Beteiligten an einen Tisch und ihre Interessen unter einen Hut zu bekommen und Maßnahmen sinnvoll zu koordinieren.“ In verschiedenen Netz­werken – sowohl im Bereich Klima­schutz als auch im Bereich Mobilität – träfe man sich mindestens alle drei Monate.

Und der Blick aufs große Ganze?

Henning Schwarze setzt in Schlangen um, wofür sich die Deutsche Plattform für Mobilitäts­management (DEPOMM) bundes­weit einsetzt. Erst im Juni 2025 hatte die DEPOMM den „Tag des Mobilitäts­managements“ auf der EUROBIKE, der welt­weit führenden Messe für das Fahrrad- und Mobilitäts­ökosystem, gestaltet. Dort ging es in Keynotes und Panel­diskussionen um die großen und kleinen Fragen rund um das Thema Mobilitäts­management, um die strategische Ausrichtung und die operative Umsetzung der Mobilitäts­wende. Für DEPOMM-Geschäfts­führerin Ann-Kathrin Schneider ist das regionale Engagement ein besonders wichtiger Hebel: „Genau das ist die Aufgabe eines modernen Mobilitäts­managements auf kommunaler Ebene: all diese Maßnahmen nicht nur zu bündeln, sondern auch strategisch das Ganze im Blick zu haben.“

Dabei verfolgt die DEPOMM einen inter­disziplinären Ansatz, weg von einer rein ingenieur­stechnischen Planung hin zu einer sozial­wissenschaftlichen Sicht auf Mobilität. Schneider erklärt: „Wir stellen Fragen wie: Welche Wege legen Menschen täglich zurück? Was brauchen sie, um sich sicher zu fühlen? Wo liegen Hürden und wie räumen wir diese aus dem Weg? Diese Perspektive funktioniert in ländlichen Räumen ebenso wie in dicht besiedelten Quartieren.“

In Schlangen ist derweil das Radrennen unter dem Jubel der Zuschauenden am Kreisverkehr vorbei­gerauscht. Das Trikot ist versteigert, alle Preise sind verliehen, die Streu­obst­wiese leert sich. Henning Schwarze zieht Bilanz: „Meine Erwartungen wurden weit über­troffen: Es gab durch­weg positives Feedback und viele konstruktive Gespräche.“


Deutsche Plattform für Mobilitäts­management

Die Deutsche Plattform für Mobilitäts­management (DEPOMM) hat das Ziel, die nach­haltige und umwelt­verträgliche Mobilität in Deutschland zu fördern, insbesondere durch die bundes­weite Umsetzung von Mobilitäts­management. Ihr Engagement auf kommunaler Ebene wird von der Stiftung Mercator gefördert.

depomm.de/kommunales-mobilitaetsmanagement