Kommunales Mobilitätsmanagement – wie geht das?
Um die Klimaziele Deutschlands zu erreichen, muss Mobilität nachhaltiger werden. Doch was heißt das konkret für Städte und Gemeinden? Antworten darauf gibt Henning Schwarze, der seit gut zweieinhalb Jahren als Mobilitätsmanager in Schlangen tätig ist und dort die Verkehrswende voranbringt. AufRuhr hat ihn in der nordrhein-westfälischen Gemeinde besucht.
Aus allen Richtungen strömen Besucher*innen zum Kreisverkehr am Rande von Schlangen, dem „Tor zum Teutoburger Wald“. Ältere, Jüngere, Familien mit Kindern – alle sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad gekommen. Hinter der rot-weißen Absperrung und auf einer angrenzenden Streuobstwiese parken unzählige Lasten-, Mountain-, City- und Kinderfahrräder. Man kennt sich, begrüßt Nachbar*innen und Freund*innen, hält hier und da ein Schwätzchen, schlendert an Infoständen vorbei und lässt sich von der aufgeregten Atmosphäre anstecken. Denn heute ist ein besonderer Tag für den 9.500-Seelen-Ort: Schlangen ist zum ersten Mal Etappenort der Lidl Deutschland Tour, dem bedeutendsten nationalen Profiradrennen. Gleich wird die Crème de la Crème des Radsports durch den Kreisverkehr sausen.
Ein Fest im Zeichen der Mobilitätswende
Mitten im Gewimmel steht in neongelber Warnweste Henning Schwarze, Geograf und der erste Mobilitätsmanager der Gemeinde. Er strahlt übers ganze Gesicht: „Radsport auf Weltniveau, begleitet von einem bunten Streckenfest im Zeichen der Mobilität: Top!“
Offizieller Startschuss am Morgen war die Einweihung einer barrierefrei ausgebauten Bushaltestelle. Schließlich sollen die öffentlichen Verkehrsmittel auch für Menschen nutzbar sein, die körperlich eingeschränkt oder zum Beispiel mit dem Kinderwagen unterwegs sind. Später, wenn die Rennradfahrer durch sind, folgt das nächste Highlight: die Versteigerung eines Originaltrikots von Jonathan Milan, Olympia- sowie Sprintwertungssieger der diesjährigen Tour de France, für einen guten Zweck. Den Abschluss macht die große Siegerehrung der STADTRADELN-Kampagne 2025 in Schlangen. STADTRADELN ist eine Aktion des Netzwerkes Klima-Bündnis, um die individuellen und kommunalen CO2-Emissionen zu senken. Drei Wochen im Frühling waren alle Schlänger*innen eingeladen, möglichst viele Alltagswege mit dem Fahrrad zurückzulegen und dabei Kilometer für sich selbst, ihre Teams, die Kommune und den Klimaschutz zu sammeln.
Henning Schwarze ist seit 2023 Klimaschutzmanager und inzwischen Leiter der Stabsstelle Klimaschutz, Mobilität und Nachhaltigkeit der Gemeinde Schlangen. Als Mobilitätsmanager unterstützt er die Kommune in Nordrhein-Westfalen dabei, die internationalen Klimaschutzziele auf lokaler Ebene umzusetzen, und steuert die Förderung nachhaltiger Mobilität sowie Projekte zur nachhaltigen Gemeindeentwicklung. In seiner Rolle ist er zudem Ansprechpartner für Politik und Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Bürgerschaft.
„Für uns ist dieses Streckenfest eine einmalige Gelegenheit, nicht nur Spitzensport zu erleben und unsere Gemeinschaft zu feiern, sondern vor allem das Thema nachhaltige Mobilität sichtbar zu machen und mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, so Henning Schwarze. Kommunikation ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeit als Mobilitätsmanager. Für diesen Job hat der 53-Jährige, der auch als Klimaschutzmanager für die Gemeinde arbeitet, beim Zukunftsnetz Mobilität NRW eine spezielle Fortbildung durchlaufen.
Mobilitätswende durch viele Maßnahmen
Schwarze will Schlangen in Sachen Mobilität voranbringen. Auf sein Konto gehen schon mehrere Projekte. Zum Beispiel eine Schulstraße, die zu den Bringzeiten am Morgen für Autos gesperrt ist. Stattdessen wurden gesonderte Haltestellen für „Elterntaxis“ eingerichtet. Für Ideen wie diese sei viel Überzeugungsarbeit nötig, so Schwarze. Unermüdlich führt er Gespräche auf dem Schulhof, im Lehrkräftezimmer und auf Elternabenden, verteilt Flyer und Broschüren. Mit mäßigem Erfolg bislang: „Manche Eltern fahren ihr Kind aus Angst vor zu viel Verkehr zur Schule und machen den Verkehr damit selbst schlimmer.“
Ein anderes Projekt sind die Mobilitätsachsen zur Förderung des Radverkehrs. Sie sollen die Ortsteile von Schlangen miteinander verbinden, mit dem Ortskern sowie mit dem Gewerbegebiet. Aus den vorhandenen Rad- und Fußwegen sollen Fahrradstraßen entstehen, die Sicherheit und Komfort für Radfahrende und Fußgänger*innen gewährleisten. Für den reibungslosen Umstieg auf den ÖPNV ist eine attraktiv gestaltete Mobilstation in Planung – gut erreichbar und mit sicheren Ab- und Unterstellmöglichkeiten für Räder und E-Scooter, Sitzgelegenheiten und WCs.
Welche Mobilitätsziele hat die Gemeinde Schlangen?
In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie hat die Gemeinde Schlangen Ziele für die örtliche Mobilität festgelegt, die sie in den nächsten Jahren umsetzen will. Unter anderem sollen bis 2030:
- die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor um 30 Prozent reduziert werden
- die Zahl der Verkehrstoten bei unter 1 pro 1.000 Einwohner*innen liegen
- alle zentralen Orte des täglichen Lebens wie die medizinische Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten oder Bildungseinrichtungen vom Ortskern oder von Mobilitätspunkten sicher fußläufig erreichbar sein
- alle Wege für Fahrräder eindeutig und sicher gekennzeichnet sein
Die Arbeit von Henning Schwarze trägt schon erste Früchte. Zu seinen Erfolgen gehören Fußverkehrschecks, bei denen Bürger*innen Schwachstellen im Ort aufzeigen. Natürlich auch das STADTRADELN, für das sich immer mehr Menschen begeistern, oder ein Fahrsicherheitstraining für E-Bike-Fahrende. Beim „Pendlerfrühstück“ steht Schwarze gemeinsam mit Bürgermeister Marcus Püster um sechs Uhr morgens an der Straße – und wer mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommt, erhält ein belegtes Brötchen. „Insgesamt werden unsere Angebote gut angenommen“, sagt er.
Schwarze betrachtet Mobilität ganzheitlich. Die Kommune hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie eine Leitlinie für das Handlungsfeld Mobilität gesetzt: „Da Schlangen ein Ort der kurzen Wege ist, wird dem Fuß- und Radverkehr in der Planung Vorrang eingeräumt“, erklärt er.
Ann-Kathrin Schneider ist Geschäftsführerin der Deutschen Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM). Als Expertin für die Mobilitätswende treibt sie vor allem betriebliche und kommunale Themen der umweltverträglichen Mobilität voran.
Für Henning Schwarze ist die Mobilitätswende zudem Teamwork. „Es ist ein Querschnittsthema, das alle betrifft: verschiedene Ämter, die Schulen, die Verkehrsgesellschaft, die Betriebe. Ich bin dafür da, alle Beteiligten an einen Tisch und ihre Interessen unter einen Hut zu bekommen und Maßnahmen sinnvoll zu koordinieren.“ In verschiedenen Netzwerken – sowohl im Bereich Klimaschutz als auch im Bereich Mobilität – träfe man sich mindestens alle drei Monate.
Und der Blick aufs große Ganze?
Henning Schwarze setzt in Schlangen um, wofür sich die Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM) bundesweit einsetzt. Erst im Juni 2025 hatte die DEPOMM den „Tag des Mobilitätsmanagements“ auf der EUROBIKE, der weltweit führenden Messe für das Fahrrad- und Mobilitätsökosystem, gestaltet. Dort ging es in Keynotes und Paneldiskussionen um die großen und kleinen Fragen rund um das Thema Mobilitätsmanagement, um die strategische Ausrichtung und die operative Umsetzung der Mobilitätswende. Für DEPOMM-Geschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider ist das regionale Engagement ein besonders wichtiger Hebel: „Genau das ist die Aufgabe eines modernen Mobilitätsmanagements auf kommunaler Ebene: all diese Maßnahmen nicht nur zu bündeln, sondern auch strategisch das Ganze im Blick zu haben.“
Dabei verfolgt die DEPOMM einen interdisziplinären Ansatz, weg von einer rein ingenieurstechnischen Planung hin zu einer sozialwissenschaftlichen Sicht auf Mobilität. Schneider erklärt: „Wir stellen Fragen wie: Welche Wege legen Menschen täglich zurück? Was brauchen sie, um sich sicher zu fühlen? Wo liegen Hürden und wie räumen wir diese aus dem Weg? Diese Perspektive funktioniert in ländlichen Räumen ebenso wie in dicht besiedelten Quartieren.“
In Schlangen ist derweil das Radrennen unter dem Jubel der Zuschauenden am Kreisverkehr vorbeigerauscht. Das Trikot ist versteigert, alle Preise sind verliehen, die Streuobstwiese leert sich. Henning Schwarze zieht Bilanz: „Meine Erwartungen wurden weit übertroffen: Es gab durchweg positives Feedback und viele konstruktive Gespräche.“
Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement
Die Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM) hat das Ziel, die nachhaltige und umweltverträgliche Mobilität in Deutschland zu fördern, insbesondere durch die bundesweite Umsetzung von Mobilitätsmanagement. Ihr Engagement auf kommunaler Ebene wird von der Stiftung Mercator gefördert.