Hafen mit Zukunft: Wie Rostock Port auf Nachhaltigkeit setzt
Kann ein Hafen klimaneutral werden? Jens Aurel Scharner glaubt daran. Nach einer Weiterbildung für Führungskräfte und Aufsichtsräte will der Geschäftsführer der Rostock Port GmbH Nachhaltigkeit nicht länger als Pflicht betrachten, sondern als strategischen Vorteil nutzen.
Jens Aurel Scharner ist groß und hat einen festen Händedruck. In einem dunkelblauen Anzug steht er vor den riesigen Kränen an der Kaikante des Rostocker Hafens. Er zeigt auf eine Fähre, die gerade in Richtung Dänemark ausläuft. „Sie fährt im Hafen nur mit Hybridantrieb“, sagt der 60-Jährige. „Damit spart sie Treibstoff, vermeidet Lärm und CO2-Emissionen.“ Der Hafen belohnt alternative Antriebe mit geringeren Liegegebühren – eine Stellschraube, um den Betrieb ökologischer zu gestalten und die Partner bei nachhaltigen Projekten zu unterstützen. Eine andere sind sogenannte Landstrom-Anlagen. Damit können die im Hafen liegenden Kreuzfahrtschiffe ihren Energiebedarf mit grünem Strom decken. Das spart unter anderem Treibhausgasemissionen und erhöht damit die Akzeptanz von Schifffahrt in Hafenstädten.
Doch Fähren mit Hybridantrieb sind nur der Anfang. Um sein Wissen in Sachen Nachhaltigkeit auszubauen, hat Jens Aurel Scharner an einer Weiterbildung für Aufsichtsräte und oberste Führungskräfte des Berliner Instituts für Governance & Leadership (BIGL) teilgenommen. Das Programm „Good Sustainable Corporate Governance“ vermittelt den Teilnehmenden einen Einblick in bestehende und zu erwartende Rechtsvorschriften und in das Klimareporting. Es klärt aber auch über Artenvielfalt und die wissenschaftlichen Prognosen zur Erderwärmung auf. „Mir war es wichtig, über diese Fortbildung alle Aspekte vermittelt zu bekommen, um das Thema Nachhaltigkeit intern besser vertreten zu können sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Geschäftsmodelle aktiv zu gestalten“, sagt Jens Aurel Scharner. „Ich wollte die Vielfältigkeit und das Zusammenwirken von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und regulatorischen Aspekten des Nachhaltigkeitsthemas besser verstehen. Im nächsten Schritt kann ich diese Aspekte in das operative Geschäft übertragen, unser Team dafür begeistern und auch in meiner Beiratstätigkeit entsprechende Verantwortung übernehmen.“
Jens Aurel Scharner ist seit 2015 Geschäftsführer der Rostock Port GmbH und verantwortet unter anderem die Bereiche Finanzen, Recht & Personal, IT und Cruise Operations. Er ist seit mehr als 20 Jahren in der maritimen Branche tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bei verschiedenen europäischen Reedereien lagen im Finanz- und Rechnungswesen sowie in der strategischen und der operativen Neuausrichtung der Unternehmen. Die Transformation des Rostocker Hafens von fossilen zu regenerativen Energiequellen ist sein aktueller Arbeitsschwerpunkt.
Dass Scharner sich so intensiv mit Nachhaltigkeit beschäftigt, überrascht manche. Der Ingenieur und Betriebswirt hat 17 Jahre bei Reedereien gearbeitet, bevor er die Seiten vom Nachfrager zum Anbieter wechselte und vor zehn Jahren seinen jetzigen Posten antrat. In der Geschäftsführung, die er sich mit einem Kollegen teilt, ist er für den kaufmännischen Part zuständig, aber auch für die Bereiche Recht, Personal und IT. Inhaber von Rostock Port mit knapp 180 Mitarbeitenden sind das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Hansestadt Rostock. Im Aufsichtsrat sitzen Politiker*innen der gewählten Parteien, von der Linken bis zur AfD.
Im Spannungsfeld der Interessen
Die Theorie des nachhaltigen Wirtschaftens ist das eine, die Praxis das andere. Von der Weiterbildung zurück im Büro, sah sich Scharner mit der Realität konfrontiert: mit widersprüchlichen Erwartungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist der öffentlichen Hand ebenso verpflichtet wie den Unternehmen auf dem großen Industriegebiet am Hafen und den Reedereien. Er bewegt sich in einem Spannungsfeld: Würde die Stadtgesellschaft beschließen, schneller klimaneutral zu werden, müsste Rostock Port mitziehen. „Der Hafen ist ein Kristallisationspunkt technologischer Entwicklungen und Seismograf der Wirtschaftsentwicklung“, sagt der Geschäftsführer. „Wenn Reedereien zum Beispiel Schiffe mit alternativen Antrieben bauen, stellen wir die notwendige Infrastruktur bereit.“ Das Gleiche gilt für EU-Verordnungen zum Schiffsverkehr oder Warentransport.
Nachhaltigkeit ist in Scharners Wahrnehmung ein emotionales Thema, das zur gesellschaftlichen Polarisierung beitrage. Den Grund dafür sieht er in Unsicherheiten, die durch starke Meinungen überspielt würden. Schon deshalb funktioniere ein Top-down-Führungsstil nicht, selbst wenn es gesetzliche Vorgaben zu erfüllen gelte. Sehr interessant fand er in der Weiterbildung, wie das 1,5-Grad-Ziel wissenschaftlich begründet wird. Was hat es mit dieser Kennzahl auf sich? Warum genau dieser Wert? Was bedeutet es für Häfen und Städte am Meer, wenn der Meeresspiegel perspektivisch steigt? Sollte schon jetzt bei baulichen Maßnahmen darauf Rücksicht genommen werden? „Viele unserer jetzigen Entscheidungen sind in die Zukunft gerichtet. Es ist unsere Verantwortung, bestimmte Szenarien zu entwickeln, auch wenn wir nicht wissen, ob sie dann später auch eintreten“, sagt er.
Das 1,5-Grad-Ziel und seine Folgen für Küstenhäfen
Was bedeutet das 1,5-Grad-Ziel?
Das 1,5-Grad-Ziel stammt aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Es besagt, dass die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll. Damit sollen schwerwiegende Folgen des Klimawandels wie extreme Wetterereignisse, Dürren und steigende Meeresspiegel eingedämmt werden.
Dieser Wert basiert auf wissenschaftlichen Analysen des IPCC, des Weltklimarates. Schon bei 2 Grad Celsius Erwärmung drohen Kippelemente im Klimasystem – wie das Abschmelzen der Eisschilde oder das Absterben von Korallenriffen – irreversibel aktiviert zu werden. Bei 1,5 Grad Celsius steigen Risiken ebenfalls, sie bleiben jedoch in vielen Bereichen beherrschbarer.
Wie sind der Meeresspiegel und die Häfen betroffen?
Selbst bei Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles wird der Meeresspiegel weiter steigen: bis 2100 voraussichtlich um 30 bis 60 Zentimeter, bei ungebremstem Ausstoß um bis zu einem Meter. Für Häfen wie Rostock bedeutet das: eine höhere Sturmflutgefahr, Überflutungsrisiken und zusätzliche Belastungen für die Infrastruktur.
Neubauten und Modernisierungen sollten daher auf höhere Pegelstände und Extremwetterereignisse ausgelegt sein, zum Beispiel durch höhere Kaikanten, robustere Befestigungen und Notfallkonzepte. Vorsorge spart langfristig Kosten und sichert die Wettbewerbsfähigkeit des Hafens.
Fossile treffen auf erneuerbare Energien
Wie widersprüchlich die grüne Transformation teils noch ist, zeigt ein Blick über den Bereich des Hafens, der für die Energieerzeugung zuständig ist. Über Förderbänder rollt hier Kohle aus Südamerika auf einen riesigen schwarzen Berg zu. Wenige hundert Meter weiter lagert das Unternehmen EEW Special Pipe Constructions Rohre mit bis zu 13 Metern Durchmesser. Sie kommen in Windkraftanlagen zum Einsatz – fossile Brennstoffe und alternative Energieerzeugung in trauter Nachbarschaft. Rostock Port profitiert momentan sowohl von erneuerbaren als auch von fossilen Energieträgern. Das Geld, das die Geschäftsführung mit der Kohle verdient, kann sie in Zukunftstechnologien investieren.
Ein mögliches Leuchtturmprojekt ist der Ort, an dem noch das Steinkohlekraftwerk steht. Es versorgt die Hansestadt mit Strom und Wärme. Perspektivisch soll im Rahmen des Projektes HyTechHafen Rostock ein 100-MW-Elektrolyseur – ein Gerät, das Wasser in seine chemischen Bestandteile zerlegen kann – auf dem Gelände entstehen. Mehrere Gesellschafter, unter anderem auch Rostock Port, wollen hier in einigen Jahren grünen Wasserstoff produzieren. „Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir einen wichtigen Schritt in die Zukunft und die Resilienz unserer Energieversorgung machen könnten und das perspektivisch qualifizierte Fachkräfte sichert“, meint Scharner. Momentan kämpft sein Team noch mit regulatorischen Herausforderungen. Wann der Elektrolyseur tatsächlich ans Netz geht, ist daher noch ungewiss.
Doch nicht nur bei Energieprojekten muss Jens Aurel Scharner Kompromisse finden. Denn die geplante Erweiterung des Hafens wird kontrovers diskutiert: In einem Areal wurde eine geschützte Unterart des Salzlaufkäfers gefunden, dieser Bereich ist für die Nutzung des Hafens aktuell tabu. Ein Bild des Tieres hängt an der Wand von Scharners Büro. Die Weiterbildung hat seinen Blick für die Artenvielfalt geschärft. „Eine absolute Gewissheit haben wir nie, ob die ökologische Vielfalt über Ausgleichsflächen gewahrt werden könnte“, räumt er ein. Trotzdem ist er überzeugt, dass Kompromisse zwischen Ökologie und Wirtschaft möglich sind, sofern nicht jede*r auf den eigenen Maximalforderungen beharrt.
Good Sustainable Corporate Governance
„Good Sustainable Corporate Governance“ ist ein Programm des Berliner Instituts für Governance & Leadership. Das Programm unterstützt Aufsichtsräte und oberste Führungskräfte dabei, den Nachhaltigkeitsdiskurs in ihren Organisationen mit fundierten Argumenten und zielgerichteten Lösungsmodellen zu führen. Hierfür erwerben sie umfassendes Wissen für die Systematik und die Inhalte der Nachhaltigkeitsregulierungen: von Offenlegungspflichten bis hin zur Analyse von Klimaszenarien. Sie lernen die Erfolgsfaktoren einer guten nachhaltigen Unternehmensführung kennen und wie man sie effizient umsetzen kann.
https://bigl.org/good-sustainable-governance/