Wer steigt ein bei der E-Mobilität – und wer wird stehen gelassen?
Autor: Philipp Nagels 17.12.2024

Wer einen Neu- oder Gebraucht­wagen kauft, stellt sich heute die Frage:
Verbrenner oder E-Auto?
Doch neben persönlicher Präferenz und dem Aspekt der Nach­haltig­keit entscheidet vor allem eines über den Kauf – der Preis. Und aktuell sind elektrisch angetriebene Modelle noch immer teurer als ihre Verbrenner­äquivalente. Wie sozial gerecht ist die Antriebs­wende also? Das hat der International Council on Clean Transportation (ICCT) untersucht. Es zeigt sich: Besonders fünf Faktoren beeinflussen die soziale Teilhabe an der E-Mobilität.

Deutschland ist ein Autoland, das gilt nach wie vor.

Fast 50 Millionen Pkw sind heute zugelassen, die aller­meisten davon Verbrenner. Nicht ohne Grund trägt der motorisierte Individual­verkehr erheblich zu den CO2-Emissionen hier­zu­lande bei. Die Politik hat sich derweil ambitionierte Ziele gesetzt, um den Verkehr klima­freundlicher zu machen: Bis 2030 sollen 15 Millionen Elektro­autos auf deutschen Straßen fahren. Doch wie schnell kann Deutschland zum E-Autoland werden? Und wer wird sich die Antriebs­wende finanziell leisten können? Der neue ICCT-Monitor gibt Aufschluss.

Faktor 1: Ungleiche Einkommens­verteilung

 

Die E-Mobilität in Deutschland steckt noch in den Kinder­schuhen, doch sie macht Fort­schritte. Zu Beginn dieses Jahres waren in Deutschland mehr als 1,4 Millionen Elektro-Pkw zugelassen, mehr als doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor. Fast jeder fünfte Pkw, der 2023 neu zugelassen wurde, ist elektrisch angetrieben. Allerdings ist die Entscheidung für ein E-Auto sehr ungleich verteilt in Deutschland.

Die fünf Regionen, in denen 2023 anteilig die meisten Elektro-Pkw neu zugelassen wurden, liegen in Bayern und Nieder­sachen. Im Osten ist der Anteil im Durch­schnitt niedriger als in den anderen Teilen Deutschlands.

Räumliche Verteilung von Elektro-Pkw-Neuzulassungen im Jahr 2023 in Relation zum Bundesdurchschnitt nach städtischen, suburbanen und ländlichen Kreisen und kreisfreien Städten.

Woher kommen diese Unterschiede?

Sandra Wappelhorst, Senior Researcher beim ICCT, erklärt:

„Tendenziell gibt es dort mehr Neu­zu­lassungen von Elektro-Pkw, wo das durch­schnittliche verfügbare Einkommen und die Dichte an öffentlich zugänglichen Lade­punkten höher ist. Auch die Möglichkeit, zu Hause zu laden, spielt dabei eine Rolle.“

Ein Grund könnte also die ungleiche Ein­kommens­verteilung sein. Menschen in Regionen mit über­durch­schnittlich hohem Pro-Kopf-Einkommen entscheiden sich öfter für ein Elektro­auto als in ärmeren Regionen. Sandra Wappelhorst betont jedoch, dass es sich dabei um eine Korrelation und keine Kausalität handelt.

Zwar kommen immer mehr neue E-Modelle auf den Markt, doch bisher gibt es in den unteren und mittleren Preis­segmenten relativ wenig Auswahl. 2023 waren fast alle der acht meist­zu­gelassenen Pkw-Modelle mit Elektro­motor teurer in der Anschaffung als die Pendants mit Verbrennungs­motor. Dies erschwert Menschen mit geringem Einkommen den Zugang zur Elektro­mobilität.

Faktor 2: Das Stadt-Land-Gefälle

 

Menschen in Großstädten treiben die Elektro­mobilitäts­wende voran, auf dem Land kommt sie zum Erliegen? Dieses Klischee stimmt nicht, das zeigt der Monitor des ICCT. Im vergangenen Jahr machten Elektro-Pkw in allen städtischen Regionen 17 Prozent der Neuzulassungen aus. In suburbanen Regionen waren es 19 Prozent, in ländlichen sogar 21 Prozent. Der Gesamt­durch­schnitt für Deutschland lag bei 18 Prozent.

Auch bei der Ladeinfrastruktur stehen ländliche Regionen gut da. Insgesamt hat sich die Anzahl von öffentlichen Lade­punkten in Deutschland seit 2021 verdreifacht. In städtischen Regionen gab es zu Beginn dieses Jahres im Durchschnitt 3,3 Normal­lade­punkte pro 10.000 Einwohner*innen, in suburbanen 5,9 und in ländlichen 7,9.

Faktor 3: Staatliche Förderungen für Nutzer*innen­gruppen

 

Die jährlichen Neuzulassungen von Pkw verteilen sich in Deutschland zu ähnlichen Anteilen auf private Haus­halte, Flotten­betreiber sowie Hersteller, Handel und Auto­vermietungen. In allen drei Halter­gruppen machten Verbrenner 2023 mindestens zwei Drittel der Neuzulassungen aus. Es waren jedoch die Privat­personen, die sich in immerhin 24 Prozent der Fälle für neue Elektro-Pkw entschieden haben. Bei den anderen beiden Gruppen machten E-Autos 19 und 13 Prozent aus.

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Wie fördert die Bundesregierung die Anschaffung von E-Autos?

 

„Die Bundesregierung hat aktuell alle Förderungen von E-Autos eingestellt. Die Effekte waren direkt spürbar: Bei Flotten­betreibern sank der Anteil von Elektro-Pkw bei den Neuzulassungen von 37 Prozent im August 2023 auf 9 Prozent im Folge­monat, als die Förderungen eingestellt waren. Privat­kund*innen reagierten ähnlich sensibel: Nach Senkung des Umwelt­bonus verringerte sich die Anzahl der E-Neu­zulassungen von fast 48.500 im Dezember 2022 auf gut 8.300 im Januar 2023.“ – Sandra Wappelhorst, Senior Researcher beim ICCT

Während der Mangel an Förderungen für Privat­personen alle Käufer­schichten trifft, könnten insbesondere Menschen mit geringem Einkommen von zugeschnittenen Förderungen profitieren. Und die Antriebs­wende so sozial gerechter machen.

Faktor 4: Auswahl an preisgünstigen E-Autos

Die meisten Privatpersonen in Deutschland kaufen eher kleine bis mittel­große Autos. Zwei Drittel aller Neu­zu­lassungen entfielen 2023 auf Mini-, Klein- und Kompakt­wagen, also auf Pkw mit der Größe etwa eines Opel Astra, VW Golf oder Ford Focus. Etwa jede*r Fünfte entschied sich dabei für einen elektrisch angetriebenen Wagen.

Deutlich höher lag dieser Anteil bei Mittel­klasse­wagen, also bei Modellen von der Größe eines Volvo V60, einer Mercedes-Benz C-Klasse oder eines VW Passat. 45 Prozent der Menschen, die 2023 in diesem Segment kauften, setzten auf einen Elektro­antrieb. Doch den muss man sich leisten können: Sowohl auf dem Neu- als auch auf dem Gebraucht­markt unterscheiden sich die Modelle der Kompakt- und Mittel­klasse deutlich im Preis. Eine größere Auswahl an preis­günstigeren kleinen E-Autos würde vielen Menschen die Teilhabe an der Antriebs­wende erleichtern.

Besonders Mittelklassewagen werden oft als E-Modell gekauft. © Getty Images

Warum gibt es nicht mehr E-Modelle in den unteren Preis­segmenten?

 

„Aktuell gibt es für die Fahrzeug­hersteller keinen Anreiz, mehr Elektro­autos zu verkaufen – denn schon 2025 erfolgt die nächste Verschärfung einer entsprechenden Regulierung. Daher konzentrieren sich die Hersteller jetzt auf große Verbrenner mit hohen Gewinn­margen. Ab Januar wird der Fokus auf Elektro­autos liegen, was die Produktions­volumina als auch die Anschaffungs­preise vermutlich senken wird.“ – Sandra Wappelhorst, Senior Researcher beim ICCT

Faktor 5: Alter und Geschlecht

2023 wurden 70 Prozent der neuen Pkw auf männliche Besitzer zugelassen und gleichzeitig sechs von zehn Autos an Menschen zwischen 40 und 64 Jahren verkauft, zeigt der ICCT-Monitor. Es sind also vor allem Männer mittleren Alters, die Entscheidungen darüber treffen, welchen Antrieb ein neues Auto haben soll – und damit auch, welche Fahrzeuge auf dem Gebraucht­wagen­markt später zur Verfügung stehen.

Welche politischen Anreize können den E-Markt sozial gerechter machen?

 

„In anderen Ländern setzen Regierungen bereits Anreize für den Erwerb neuer und gebrauchter Elektro­fahr­zeuge. Sie sprechen zum Beispiel bestimmte demografische Gruppen an, berücksichtigen das Einkommen oder Mobilitäts­ein­schränkungen. Zins­freie Darlehen, Steuer­erleichterungen oder reduzierte Leasing­raten für Personen mit niedrigerem Einkommen sind weitere Beispiele, wie der E-Markt gerechter gemacht werden kann.“

Fazit

Das Autoland Deutschland wird elektrisch – in mancher Hinsicht schneller als in anderer. Obwohl der Ausbau der öffentlichen Lade­infra­struktur vorangeht und ein signifikanter Teil der Neuwagen­käufer*innen ein E-Auto wählt, ist das Straßen­bild noch von Verbrennern geprägt. Besonders für weniger wohlhabende Personen ist der Kauf eines E-Autos aktuell nicht attraktiv genug. Gezielte Förder­maßnahmen könnten Abhilfe schaffen – sodass weniger Menschen bei der Antriebs­wende stehen gelassen werden.

Der ICCT-Monitor 2024 „Elektromobilität und soziale Teilhabe“ ist HIER verfügbar.

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International Council on Clean Transportation

Der International Council on Clean Transportation (ICCT) ist eine unabhängige und gemein­nützige Forschungs­organisation. Sie wurde gegründet, um Behörden­vertreter*innen mit fundierten und objektiven wissenschaftlichen sowie technischen Analysen zeitnah in ihrer Arbeit zu unter­stützen. Die Forschung des ICCT hilft Entscheider*innen auf der ganzen Welt, die Umwelt­wirkungen des Straßen-, See- und Luft­verkehrs zu verringern, die öffentliche Gesundheit zu fördern und dem Klima­wandel entgegen­zu­wirken.
www.theicct.org