„Die Wissenschaft zeichnet Landkarten des Wissens, die Politik steuert“
Welche Maßnahmen gegen den Klimawandel funktionieren wirklich? Klimafolgenforscher Jan Minx spricht im Gespräch mit AufRuhr über die Rolle der Wissenschaft in der Politik. Minx arbeitet am Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).
Herr Minx, am MCC erforschen Sie die Wirkung von politischen Klimaschutzmaßnahmen. Wie gehen Sie dabei vor?
Minx: Wir konzentrieren uns darauf, Klimaschutzmaßnahmen mit den besten wissenschaftlichen Methoden auszuwerten. In einer aktuellen Metaanalyse haben wir beispielsweise 20 CO2-Bepreisungssysteme betrachtet. Wir konnten zeigen, dass die CO2-Einsparungen trotz geringer Preise groß waren. Diese Maßnahmen funktionieren also.
Die CO2-Bepreisung zielt auf Unternehmen ab. Wie werden Menschen zu Hause zum nachhaltigen Handeln animiert?
Wir haben auch die Effektivität verschiedener Anreizsysteme für Energieeinsparungen in Privathaushalten untersucht. Dabei haben wir Preisanreize betrachtet, Ansätze wie den Social Comparison. Bei diesem sozialen Vergleich sehen die Haushalte, wie viel Energie sie im Vergleich zu ihren Nachbar*innen verbrauchen. Oder Feedback, bei dem regelmäßig Informationen zum eigenen Energieverbrauch bereitgestellt werden. Die Studie zeigt, dass Preisanreize am besten funktionieren, eine Kombination mit anderen Maßnahmen aber zusätzliche Energieeinsparungen bringt.
Und welche Maßnahmen funktionieren weniger?
Nehmen wir mal das Deutschlandticket. Hier ist die Frage, wie effektiv es tatsächlich CO2 einspart – und zu welchem Preis. Diese Frage ist viel komplizierter zu beantworten, denn das Ticket ist erst mal eine Subvention für die, die sowieso den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Zweifelsohne wird zusätzlich CO2 eingespart, aber diese CO2-Einsparungen sind sehr teuer. Das Deutschlandticket kann zwar für die Transportwende wichtig sein, aber nicht, um CO2 einzusparen.
Dr. Jan Minx leitet die MCC-Arbeitsgruppe „Angewandte Nachhaltigkeitsforschung“ und ist Gastprofessor für Klimawandel und öffentliche Politik am Priestley Centre for Climate Futures an der University of Leeds. Er bearbeitet ein breites Themenspektrum in der Klima- und Nachhaltigkeitspolitik.
Ist nicht das Wichtigste, dass überhaupt CO2 eingespart wird?
Es ist wichtig, die Frage der Effektivität von der Effizienz zu trennen. Nicht selten sind Klimaschutzmaßnahmen überhaupt nicht effizient, sondern fördern lediglich extrem teure CO2-Einsparungen. Wir müssen in Deutschland beim Klimaschutz mehr auf die Kosten achten, wenn wir Treibhausneutralität erreichen wollen.
Welche Rolle spielen Wissenschaftler*innen bei der Politikberatung?
Das MCC hat im Juni den What Works Climate Solutions Summit organisiert. Die Klimaforschung muss sich heute viel mehr mit Klimapolitikmaßnahmen befassen. Wir müssen schauen, welche Maßnahmen funktionieren, wie gut, unter welchen Rahmenbedingungen und warum. Wenn nun die Frage lautet, wie man als Wissenschaftler*in Politikberatung betreiben sollte, dann ist die Auswertung des wissenschaftlichen Sachstandes zentral. Denn evidenzbasierte Klimapolitik sollte auf belastbaren wissenschaftlichen Einsichten beruhen.
Das klingt, als würden Sie die Beratung scheuen.
Als Wissenschaftler*innen zeichnen wir Landkarten des Wissens, Politik und Gesellschaft steuern. Das heißt: Es ist nicht an uns, zu sagen, was die Politik zu tun hat. Wir bewerten die Optionen auf transparente Art und Weise und so, dass die Wissenslandkarten genutzt werden können.
Wie reagiert die Politik auf diesen Vorschlag?
Die angesprochene Kultur des Auswertens fehlt uns in der Politik noch. Für die Wissenschaft spielt die Auswertung eine wichtige Rolle, doch die Politik will häufig gar nicht evaluiert werden. Das ist also der erste Schritt: Wir brauchen Evaluationen durch die Wissenschaft. Jede Politikmaßnahme bräuchte ein Budget, mit dem diese auch evaluiert werden könnte. Wenn wir auf evidenzbasierte Klimapolitik umstellen wollen, wäre das für mich eine zentrale Vorgabe.
Haben Sie nicht den Wunsch, dass die Politik auf Basis Ihrer Forschung und Vorschläge handelt?
Natürlich sollte sie das, aber die Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik muss gewahrt bleiben. Wissenschaftler*innen müssen alternative Handlungsoptionen darstellen, Politiker*innen und Gesellschaft müssen sie bewerten und auswählen. Vorzugeben, dass die Politik dieses und jenes tun sollte, entspricht nicht meinem Bild von Politik und Demokratie. Zudem unterläuft es die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft – auch wenn die Politik oft konkrete Handlungsempfehlungen einfordert.
Wissenschaftliche Institutionen sind zwar nicht gewählt, trotzdem schlägt ihnen in den vergangenen Jahren dieselbe Skepsis wie der Politik entgegen. Kommen Sie mit Antiintellektualismus und postfaktischen Einstellungen in Ihrer Arbeit in Kontakt?
Meine Kolleg*innen in der Klimaphysik haben am meisten damit zu tun. Dort versuchen Wissenschaftsleugner*innen häufig, ganz bewusst Unsicherheiten zu schaffen. Sprich: Gibt es den Klimawandel überhaupt? Und es gibt immer mehr Leute, die sogenannte Klimafolgenskeptiker*innen sind. Sie leugnen nicht den Klimawandel selbst, sondern behaupten, die Folgen seien nicht so schlimm. Das ist versteckter, funktioniert aber auch durch wissenschaftsfeindliches Argumentieren und die Verbreitung von Falschinformationen.
Wie gehen Sie mit solchen Einstellungen um?
Wir müssen dahin kommen, dass wissenschaftliche Ergebnisse keine Fragen des Glaubens sind. Und genau das ist das Ziel von Forschungssynthese: ganz klar zu benennen, wie belastbar Forschungsergebnisse sind und was sie uns sagen. Gerade jetzt, im Zeitalter des Postfaktischen, müssen wir noch besser darin werden, die Evidenz sehr sorgfältig aufzuarbeiten und zusammenzufassen. Das Einzige, was wir tun können, ist, alles transparent und methodisch sauber aufzuarbeiten. Und ich glaube, das ist immer das Entwaffnendste.
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change
Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) ist eine gemeinsame Gründung der Stiftung Mercator und des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Es befasst sich mit den großen Herausforderungen des Klimawandels und der Nutzung globaler Gemeinschaftsgüter. Seine Forschung ist vor allem in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beheimatet. Das MCC bietet wissenschaftliche Beratung und möchte relevante Problemlösungen für die Politik identifizieren.
www.mcc-berlin.net