„Klima-Diagnose noch nicht verstanden“

Eine Zeichnung mit einem zur Hälfte blauen Himmel mit Wolken und Regen und zur anderen Hälfte mit Sonne. Im unteren Teil mit einem grünen Wald unter den Regenwolken und einer ausgetrockneten Landschaft unter der Sonne.
„Klima-Diagnose noch nicht verstanden“
Autor: Matthias Klein 25.06.2020

Schon jetzt sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit spürbar. “Wir stecken mitten in einem planetaren Gesundheitsnotfall und müssen sofort handeln“, sagt Sabine Gabrysch, die die erste Universitätsprofessur in Deutschland für Klimawandel und Gesundheit innehat. Die Gesundheitsberufe seien besonders gefragt.

Frau Gabrysch, wann ist Ihnen persönlich bewusst geworden, wie sehr der Klimawandel die Gesundheit beeinträchtigt?

Sabine Gabrysch: Mir ist schon früh klar gewesen, dass wir Menschen ein Teil des großen Netzwerks des Lebens auf diesem Planeten sind und dass wir durch Umweltzerstörung und Klimawandel unsere eigene Lebensgrundlage und Gesundheit gefährden.

Die Sommer werden heißer und trockener, das ist für jeden spürbar. Was bedeutet das aus gesundheitlicher Sicht?

Gabrysch: Die Hitze belastet den Kreislauf – man ist weniger leistungsfähig und viele können auch schlechter schlafen, wenn es nachts zu warm ist. Es kann zu Dehydration kommen und zu Hitzschlägen, und insgesamt führt Hitze zu erhöhter Sterblichkeit vor allem bei chronisch kranken und älteren Menschen.

Welche weiteren Veränderungen durch den Klimawandel gefährden die Gesundheit der Menschen hierzulande?

Gabrysch: Krankheitserreger können sich in neue Gebiete ausbreiten, zum Beispiel Infektionen, die durch Mücken oder Zecken übertragen werden. Problematisch für Allergiker ist, dass es länger Pollen gibt.

Porträt von Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit
© Greb/PIK

Sabine Gabrysch

Sabine Gabrysch hat die erste Professur für Klimawandel und Gesundheit an einer medizinischen Fakultät in Deutschland inne, eine gemeinsame Berufung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Sie ist Gründungsmitglied der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Zunehmende Überschwemmungen oder Brände nach Dürren bedeuten hierzulande zwar meist keine unmittelbare Lebensgefahr, können für die Betroffenen aber langfristige psychische Folgen haben.

Der Punkt ist: Schon jetzt spüren wir die Auswirkungen auf die Gesundheit. Und die gesundheitlichen Folgen, die noch auf uns zukommen, wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht, sind noch viel gravierender. Hierzulande und im Rest der Welt, mit dem wir ja ganz eng verbunden sind, wie uns durch Corona gerade vor Augen geführt wird.

Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels sind eine Riesenchance für die globale Gesundheit.

Wie sieht es denn in anderen Teilen der Welt aus?

Gabrysch: Durch den Klimawandel nehmen Extremwetterereignisse weltweit zu, also Dürren, Starkregen, mal kommt der Regen zu früh, mal zu spät, dadurch sind Ernten bedroht und damit die Ernährungssicherheit. Das kann zu Hunger und Unterernährung mit all ihren schlimmen Folgen führen, besonders auch für die Entwicklung von Kindern. Missernten können auch Konflikte und Fluchtbewegungen verstärken, was dann wieder massive Gesundheitsfolgen hat. Es trifft zuerst und vor allem Menschen, die schon jetzt am Rand des Existenzminimums leben und wenig Pufferkapazitäten haben.

Wo auf der Welt wird sich der Klimawandel am dramatischsten auf die Gesundheit auswirken?

Gabrysch: Die zunehmende Hitze ist zum Beispiel in Südasien schon jetzt an der Grenze des Erträglichen. Es gibt künftig immer mehr Tage, an denen man kaum draußen sein kann, ohne seine Gesundheit zu gefährden – und das birgt natürlich enorme Probleme auch für die Arbeitsproduktivität, insbesondere in der Landwirtschaft, aber auch im Baugewerbe. Schon jetzt sind die Grundbedürfnisse nicht für alle Menschen erfüllt: sauberes Wasser, gesunde Nahrung, saubere Luft, ein Dach über dem Kopf. Der Klimawandel verschärft diese Probleme.

Wie ist Ihre Einschätzung: Ist das Problem international erkannt?

Gabrysch: Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet hat den Klimawandel als die größte Bedrohung für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert bezeichnet. Die Weltgesundheitsorganisation nennt den Klimawandel ein akutes Problem für die globale Gesundheit, das sofortiges Handeln verlangt. Aber in der Politik ist diese Diagnose offenbar noch nicht voll verstanden in ihrer Dimension und Dringlichkeit, also dass der Klimawandel die Grundlagen unserer Gesellschaft, Wirtschaft, Gesundheit bedroht und höchste Priorität im Handeln haben muss, wie in einem Notfall.

Serie: Klimawandel und Gesundheit

Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Gesundheit der Menschen aus? Was wird schon getan, was muss noch geschehen? Darüber berichten wir in unserer Serie.

In den kommenden Wochen folgen weitere Beiträge.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden?

Gabrysch: Wir brauchen eine große Transformation unserer Gesellschaft, eine grundlegende Umgestaltung, wie wir leben und wirtschaften in den nächsten zehn Jahren. Wir können unser Klima stabilisieren und unsere Gesundheit schützen, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen rasch herunterfahren. Wir müssen damit aber jetzt sofort anfangen.

Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels sind eine Riesenchance für die globale Gesundheit. Viele Änderungen unserer Lebensweise, die gut sind für den Planeten, sind ja gleichzeitig nicht nur langfristig, sondern auch kurzfristig gut für die Gesundheit, zum Beispiel Fahrradfahren statt Autofahren oder eine pflanzenbasierte Ernährung.

Und wenn wir noch einmal auf Deutschland schauen: Ist das Thema hier schon im Gesundheitssektor angekommen?

Gabrysch: Wir stecken mitten in einem planetaren Gesundheitsnotfall und wir müssen handeln wie in einem Notfall, es geht um die Lebenschancen und die Gesundheit künftiger Generationen. Die Gesundheitsberufe hierzulande wachen jetzt auf und werden sich ihrer Verantwortung bewusst, nicht zuletzt auch befeuert durch Fridays for Future, und es gründen sich gerade in vielen deutschen Städten Health for Future-Gruppen, das ist das Aktionsforum für alle Angehörigen des Gesundheitsbereichs. Auch die Ärztekammern, der deutsche Ärztetag, der Pflegetag und diverse Fachgesellschaften haben das Thema Klimawandel erkannt. Momentan ist das auch Thema bei der  „Planetary Health Academy“, einer Online-Vorlesungsreihe für Auszubildende und Berufstätige in den Gesundheitsberufen. Wir brauchen die Gesundheitsberufe dringend, denn es ist weiter Druck nötig auf die Politik, damit endlich gehandelt wird – noch haben wir es in der Hand und können das Ruder herumreißen, das ist die gute Nachricht.

Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) 

Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) ist ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich. Sie wollen deutlich machen, welche weitreichenden Folgen die Klimakrise auf die Gesundheit hat.

https://www.klimawandel-gesundheit.de/


 

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