„Mit Klimazielen schmücken Politiker sich gerne“

Autobahnauffahrt
„Mit Klimazielen schmücken Politiker sich gerne“
Autorin: Maren Beck Fotos: Reinaldo Coddou 30.07.2019

Bis 2020 will Deutschland 40 Prozent der Treib­haus­gas­emissionen gegen­über 1990 einsparen. Inzwischen ist klar: Das schaffen wir nicht. Woran liegt es, und was hätte anders laufen müssen? Darüber sprechen wir mit Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.

Herr Creutzig, Deutschland wird es bis 2020 nicht schaffen, die Treib­haus­gas­emissionen um 40 Prozent zu reduzieren. Sind wir Versager?

Felix Creutzig: (lacht) Ja, wobei ich denke, dass das Versagen hauptsächlich aufseiten der Politik liegt. Sie ist die Instanz, die die nötigen Maßnahmen ergreifen kann.

Was ist der Grund, warum es „nur“ etwa 32 Prozent weniger Emissionen werden?

Creutzig: Man kann nicht sagen, dass ein einzelner Sektor allein verantwortlich ist – in allen Bereichen hätte mehr getan werden müssen. Den dominantesten Anteil hat der Kohle­aus­stieg beziehungs­weise der schnellere Umstieg auf erneuerbare Energien. Das ist ein großer Batzen, der am günstigsten und schnellsten zu haben wäre, und hier hätte sicherlich mehr passieren können.

Prof. Dr. Felix Creutzig sitzt auf einem orangen Sofa und lächelt
Prof. Dr. Felix Creutzig leitet im Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change die Arbeits­gruppe Land­nutzung, Infra­struktur und Transport. © Reinaldo Coddou

Es fehlen etwa acht von den geplanten 40 Prozent. Könnte man sie bis Silvester noch aufholen?

Creutzig: Es geht tatsächlich mehr, als man denkt. Deutschland produziert zum Beispiel einen Strom­über­schuss. Man könnte die Herstellung inner­halb des Landes also reduzieren. Ich denke, dass wir etwa vier bis fünf Prozent erreichen könnten, indem wir einige Braun­kohle­kraft­werke stilllegen. Um die ganzen acht Prozent zu schaffen, müssten aber etwa 14 solcher Kraft­werke außer Betrieb gesetzt werden. Dann kämen wir allerdings in einen Versorgungs­eng­pass, da der Ausbau der erneuer­baren Energien relativ langsam vorangeht, und so viel kann man dann doch nicht auffangen.

Wie viel könnten Einzel­personen zu den acht Prozent noch beitragen? Das Engagement ist derzeit ja sehr hoch.

Creutzig: Die Motivation ist sicherlich vorhanden, ja. Allerdings können wir als Einzel­personen nur Dinge ändern, die unter unserer eigenen Kontrolle liegen. Am einfachsten geht das über Nahrungs­mittel. Weniger Fleisch und Milch­produkte zu konsumieren senkt den CO2-Ausstoß tatsächlich. Eine andere Möglichkeit ist die individuelle Mobilität – dass wir zum Beispiel öfter aufs Fahr­rad umsteigen und in den öffentlichen Nah­verkehr. Für diese Bereiche gilt aber: Das alleine reicht auf Dauer nicht aus und ist auch nicht der alleinige Weg. Wir können nicht sämtliche Verantwortung auf die Individuen schieben. Gerade unsere Mobilität wird sehr stark von den Strukturen geformt. Daran können wir nicht viel ändern und wenn, dann nur unter erheblichem Einsatz. Hier ist es eher wichtig, dass die Einzelnen politisch aktiv werden, sich also organisieren und darauf hinwirken, dass beispiels­weise in Mensen kein Rindfleisch mehr angeboten wird oder dass Städte die Fahr­rad­infra­struktur verbessern. Unsere eigene Verantwortung ist somit, aktiv zu werden und konkrete Forderungen an die Politik zu stellen.

Allerdings können wir als Einzel­personen nur Dinge ändern, die unter unserer eigenen Kontrolle liegen.

Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Das heißt, der Einzelne erreicht irgendwann eine Grenze …

Creutzig: Genau. Das Interessante ist aber: Wenn wir zum Beispiel weniger Fleisch essen oder mehr Fahrrad fahren, dann sehen andere, dass das möglich und gut ist und ziehen nach. So entsteht eine soziale Norm, die tatsächlich auch eine politische Funktion hat.

Als Ursache für das Verfehlen des Etappen­ziels für 2020 nennt die Bundes­regierung höhere Emissionen in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Was ist hier schief­gelaufen?

Creutzig: Was den Verkehr betrifft, ist eine grund­legende Ursache, dass es einfach mehr gibt. Die Zersiedelung spielt hier eine Rolle, also dass zusätzlicher Wohn­raum oft in den peri-urbanen Räumen mit schlechterem Nah­verkehrs­anschluss entsteht. Der andere Aspekt ist, dass der Verkehrs­bereich vor allem auf EU-Ebene reguliert wird. Es gibt zum Beispiel die Treib­stoff­effizienz­standards. Sie werden nach einem gewissen Test­zyklus gemessen – und der ist leicht zu manipulieren, was auch gemacht wurde. Das ist zwar nicht illegal, aber illegitim, denn so werden die CO2-Ziele unter­laufen. Auch schwere Fahrzeuge wie SUVs werden in diesen Effizienz­standards bevorzugt. Eine Detail­regulierung, die problematisch ist.

Felix Creutzig verschränkt die Arme und lächelt. Pflanzen sind im Hintergrund.
Wenn Einzelpersonen ihr Verhalten ändern, kann es zur sozialen Norm werden, sagt Felix Creutzig. Es ist also keine vergebene Mühe, zum Beispiel den Fleischkonsum einzuschränken. © Reinaldo Coddou

Liegen die höheren Emissionen nur an Autos?

Creutzig: Die zusätzlichen Kilometer­leistungen der Pkw spielen in der Tat eine Rolle. Dazu kommt aber noch der Flug­verkehr. Hier sind die Emissionen relativ dramatisch, da sich der Effekt von CO2 in den oberen Luft­schichten verschlimmert. Zudem steigt der Flug­verkehr sehr stark an, schneller als der auf der Straße. Er wird in Zukunft eines der größten Probleme sein und kommt gleich­zeitig finanziell am günstigsten weg. Es gibt keine Kerosin­steuer, keine vernünftige Bepreisung – im Gegen­satz zur Bahn, die voll bepreist wird. Hier werden also die umwelt­schädlichsten Verkehrs­mittel bevorzugt. Das ist eine Perversion der deutschen, aber auch der europäischen Anreiz­regulierung durch Preis­instrumente.

Warum ist das so?

Creutzig: Es gibt einen historischen Grund. Vor sechzig, siebzig Jahren wurden bilaterale Abkommen geschlossen, die von einer Kerosin­steuer absahen. Das basierte auf der guten Idee, dass es mehr Austausch, Völker­verständigung und Handels­möglich­keiten geben sollte. Damals war das Klima auch noch kein Thema. Jetzt ist es sehr schwierig, solche Abmachungen rück­gängig zu machen. Es ist jedoch möglich, inner­europäische Flüge mit einer relevanten Kerosin­steuer von etwa 33 Cent pro Liter zu belegen, wie es der belgische Vorschlag nahelegt.

Welchen Anteil an diesen Entwicklungen tragen die Verbraucher*innen? Wir sind es ja, die ins Auto steigen und Flüge buchen.

Creutzig: Ich glaube, es gibt bei fast allen eine große Bereitschaft, sich umwelt­freundlich zu verhalten. Bloß heißt es bei vielen „Ich muss halt mit dem Auto fahren, weil ich keine andere Möglichkeit habe.“ Wir sprechen zwar überall über Klima­schutz, über Kohle­aus­stieg und effizientere Fahr­zeuge, aber es wird wenig über Infra­struktur gesprochen, etwa den Straßen- und Schienen­aus­bau. Auf den haben Verbraucher kaum Einfluss. Auf politischer Seite gibt es Instrumente wie den Bundes­verkehrs­wege­plan, der Investitionen in Verkehrs­wege fest­legt. Nur wird er über­haupt nicht aus der Klima­perspektive durch­gedacht und läuft im Ergebnis konträr zu den Klima­schutz­zielen. Es gäbe also insgesamt viel Potenzial, Investitionen auf politischer Ebene dramatisch umzulenken.

Der Sektor Energie soll bis 2030 ca. 62 Prozent weniger Emissionen produzieren (gegen­über 1990). Der Kohle­aus­stieg soll hier maß­gebend wirken. Ist er der Heilsbringer?

Creutzig: Der Großteil der Emissionen in Deutschland kommt aus der Kohle, deshalb ist der Kohle­aus­stieg absolut elementar und wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Ziele für 2030 zu erreichen. Alleine reicht der Kohle­aus­stieg aber nicht aus, weil indirekt dadurch die Emissionen in anderen EU-Ländern steigen und diese sogar den Klima­gewinn negieren könnten.

Braunkohletagebau. Im Hintergrund rauchen Kühltürme.
Etwa 14 Braunkohlekraftwerke müsste man sofort abschalten, um die 40% bis 2020 noch zu schaffen. © iStock
Flugzeug im Landeanflug.
Bislang gibt es keine Kerosinsteuer. Weil Fliegen günstig ist, steigen die Passagierzahlen. © unsplash

Was bedeutet das für die kohle­produzierenden Regionen? Ein umfassender Struktur­wandel muss gestemmt werden, den die Bevölkerung tragen muss …

Creutzig: Es fließen ja schon 40 Milliarden in die Braun­kohle­gebiete Mittel­deutschlands und der Lausitz. Die Frage ist, wie man die Mittel am besten einsetzt. Ich glaube, dass Geld nicht mal das Aller­wichtigste ist, obwohl es natürlich gebraucht wird. Es geht hier eher um Anerkennung. Den Kohle­arbeitern wird einfach gesagt: „Schön und gut, aber ihr werdet jetzt nicht mehr gebraucht.“ Das ist eine Botschaft, die über­haupt nicht gut ankommt – egal, was dazu an Geld fließt. Der Fokus sollte darauf liegen, wie man Expertise nutzen kann und welche Potenziale es in den Regionen gibt, zum Beispiel in der CO2-Abspeicherung, und dann gezielt Arbeits­plätze zu schaffen oder dahin­gehend umzuwandeln.

Die CO2-Steuer wird heiß diskutiert. Kann eine Steuer Emissionen senken?

Creutzig: Ja. Sie ist ein Preis­signal und dadurch, dass mit ihr möglichst viele Emissionen quer über alle Sektoren erfasst werden, auch insgesamt das wirksamste Instrument. Für den Auto­verkehr bedeutet eine CO2-Abgabe erst mal ein paar Cent mehr an der Zapf­säule, im Energie­sektor könnte sie bewirken, dass der Kohle­aus­stieg sogar schneller kommt.

Vielbefahrene, vierspurige Straße von oben
Der Einzelne hat keinen Einfluss darauf, wo und wie viele Straßen gebaut werden. Politische Instrumente wie der Bundesverkehrswegeplan sollten daher aus Klimasicht gedacht werden, meint Felix Creutzig. © unsplash

Insgesamt wäre die Steuer also ein Mittel zum Ziel?

Creutzig: Nicht nur ein Mittel, sondern das wichtigste. Obwohl es natürlich nicht das alleinige sein wird.

Die Klimaziele sind abhängig von den politischen Rahmen­bedingungen, die man dafür schafft. Warum tut man sich so schwer damit, so zu handeln, wie es die Situation erfordert?

Creutzig: Man muss unterscheiden: Es gibt Klima­ziele und Klima­schutz­instrumente. Da besteht eine Riesen­diskrepanz. Mit Klima­zielen schmücken sich Politiker gerne, und das kommt auch gut an. Aber bezüglich der Klima­schutz­instrumente gibt es auf politischer Seite viel Angst. Sie bedeuten eine Änderung der wirtschaftlichen Strukturen, und hier sind Politiker eher risiko­avers, weil sie fürchten, Wähler zu verlieren. Klima­schutz­instrumente müssen daher sehr stark im Einklang mit sozial­politischen Zielen gedacht werden. Es ist zum Beispiel eine große Frage, wie man damit umgeht, dass eine CO2-Bepreisung die ärmeren Bewohner ländlicher Regionen stärker belastet als die städtischen. Klar könnte eine Abgabe als Klima­geld pro Kopf wieder an die Bürger ausgezahlt werden. Härte­fälle gibt es dennoch. Beispiels­weise ärmere Pendler, die nicht viel verdienen, aber aufs Auto angewiesen sind. Die Politik muss sich Maßnahmen einfallen lassen, um so etwas abzufedern.

Welche drei strukturellen Veränderungen sind unverzichtbar, damit das nächste Etappen­ziel von 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030 erreicht wird?

Creutzig: Das Wichtigste wäre ein CO2-Preis, der bei 50 Euro pro Tonne ansetzt und sich jährlich um 10 Prozent steigert, bis auf 130 Euro im Jahr 2030. Damit wären wir schon ziemlich nah an den 2030er-Zielen. Das Zweite ist eine andere Infra­struktur­politik: im Verkehrs­bereich vor allem eine Ausweitung von umwelt­freundlicher Infra­struktur wie Fahr­rad­schnell­wegen, zusätzlichen Bahn­linien mit höherer Frequenz und Zuverlässigkeit. Eine Deregulierung und Neu­regulierung täten hier gut. Zum Beispiel sollten Carsharing-Anbieter viel einfacher in Städte kommen und Park­plätze generell genehmigungs­pflichtig sein. Auch der Bau­bereich bräuchte eine De- und Neuregulierung. Es sollte flexibler und günstiger sein, neue Ideen durchzusetzen, und sowohl Niedrig­zementlösungen wie auch die Holz­bau­weise sollten regulativ über­haupt erst mal ermöglicht werden. Sprich: Sie sollten der Normal­fall sein und keine Sonder­genehmigung erfordern. Und schließlich wird die Land­wirtschaft etwas unter­schätzt. Hier gäbe es noch Möglichkeiten, zu handeln, indem man beispiels­weise den Einsatz synthetischer Dünge­mittel reduziert.

Prof. Dr. Felix Creutzig

Prof. Dr. Felix Creutzig leitet im Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) die Arbeits­gruppe Land­nutzung, Infra­struktur und Transport und lehrt an der Technischen Universität Berlin. Zu seinen Forschungs­schwer­punkten gehören u. a. die Modellierung nachhaltiger urbaner Formen und Transport­systeme sowie die Konzeptualisierung und Quantifizierung der Treib­haus­gas­emissionen globaler Städte.

www.mcc-berlin.net


Logo Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Gibt es Länder, die vorbildlicher unterwegs sind?

Creutzig: Schweden und die Schweiz. Beide haben einen erheblichen CO2-Peis eingeführt, der sehr wirksam ist. Schweden hat tatsächlich auch zum ersten Mal die inner­schwedischen Flüge reduziert – auf Initiative einzelner Personen. Die Schweiz ist vorbildlich, was die Taktung des Bahn­verkehrs angeht. Vom Schweizer Modell kann man viel lernen, auch wenn das natürlich nicht ganz einfach auf Deutschland zu über­tragen ist.

Was tippen Sie für 2030: Schaffen wir’s oder nicht?

Creutzig: Es liegt in unserer eigenen Hand. Es ist keine Wette, es ist eine Frage unseres politischen Willens.