Ruhrtriennale 2025: „Kultur ist eine Übung in Empathie“

Ruhrtriennale 2025: „Kultur ist eine Übung in Empathie“
Autorin: Elisabeth Krainer 17.06.2025

Die Ruhrtriennale 2025 macht Hoffnung: Unter dem Motto „Longing for Tomorrow“ lassen Intendant Ivo Van Hove und Dramaturgin Britta Schünemann Ende August im Ruhr­gebiet eine Theater­welt entstehen, die sich gesellschaftlichen Heraus­forderungen stellt, aber auch tröstet. Ein Gespräch über Ängste, Hoffnung und die Kraft der Gemeinschaft.

AufRuhr: Herr Van Hove, die dies­jährige Ruhr­triennale trägt das Motto „Longing for Tomorrow“. Nach welcher Zukunft sehnen Sie sich?

Ivo Van Hove: Sehnsucht bezieht sich ja oft auf die Vergangenheit – aber sie kann auch zukunfts­gewandt sein: hin zu einer besseren Welt, einem neuen Miteinander. Ich habe den Eindruck: Oft sprechen wir nur noch über das Ich und vergessen dabei das Wir. Das Gemeinschaftliche wollen wir mit der Ruhr­triennale 2025 wieder erleb­bar machen, besonders angesichts der heutigen gesellschaftlichen Krisen.

Frau Schünemann, spüren Sie diese Sehnsucht auch beim jungen Publikum?

Britta Schünemann: Unser Programm der Jungen Triennale soll die Generation Z und Alpha ansprechen – und für sie passt das Motto sehr gut. Junge Menschen sehen sich gerade mit Krisen und Krieg konfrontiert und haben zum Teil Angst vor der Zukunft. Trotzdem spüre ich auch die große Hoffnung auf ein besseres Morgen.

Um welche Wünsche und Ängste geht es konkret?

Britta Schünemann: Für das Stück „GenZ Don’t Cry“ haben wir Menschen zwischen 15 und 25 Jahren interviewt. Ihre Antworten zeigen, dass ihr Start in ein selbst­bestimmtes Leben nicht leicht ist. Sie sehnen sich nach der Erfüllung grund­legender Bedürfnisse. Zum Beispiel nach der Sicherheit, in Frieden leben zu können, eine gesunde Familie zu haben und selbst gesund zu sein. Natürlich gibt es auch materielle Wünsche, aber im Kern ging es den meisten um das Gleiche.

Ivo Van Hove
© Thomas Berns

Ivo Van Hove ist Intendant der Ruhr­triennale für die Spiel­zeiten von 2024 bis 2026. Schon vorher war der belgische Theater­regisseur mit dem Festival verbunden. Insgesamt fünfmal inszenierte er unter wechselnden Intendant*innen für die Ruhr­triennale. So brachte er 2015 bis 2017 mit seiner Trilogie die Romane des Niederländers Louis Couperus – beginnend mit „Die stille Kraft“ über „Die Dinge, die vorüber­gehen“ und zuletzt „Kleine Seelen“ – auf die Bühne.

Wären die Antworten älterer Generationen, etwa der Millennials oder der Baby­boomer, anders ausgefallen?

Britta Schünemann: Ich denke, hier gibt es große Über­schneidungen. Aber Gen Z und Gen Alpha wachsen in einer Zeit tief­greifender Umbrüche des Klimas, von Technologien und Gesellschaft auf. Sie müssen sich in einer neu entstehenden Welt verorten. Darin sehe ich eine große Heraus­forderung.

Ein szenischer Ausschnitt des Stückes "Gen Z Don't Cry" © Sounddramaturgien Kollektiv

Hat die Gen Z also Grund zu weinen?

Britta Schünemann: Die Teilnehmenden unseres Projektes „GenZ Don’t Cry“ haben den Titel unter­schiedlich interpretiert: Manche verstehen ihn als ein Mutmachen, ein „Du musst nicht weinen, alles wird gut“. Andere sehen darin eine Provokation: Wenn auf TikTok und Instagram junge Menschen das perfekte Abziehbild ihres Lebens zeigen, bleibt kein Platz für Tränen. Und wenn, dann sind sie inszeniert. Das ist genau die Ambivalenz, die wir mit unserer Arbeit zeigen wollen.

Was bietet die Ruhrtriennale, was Menschen nicht über ihre Smart­phones und Bild­schirme erfahren können?

Ivo Van Hove: Das körperliche Erleben wird immer wichtiger, besonders im Kontrast zur digitalisierten Welt. Kultur ist auch eine Übung in Empathie: sich vor­zu­stellen, wie andere Menschen leben, denken, fühlen. Im Theater ging es schon immer um Krisen, große und kleine, vergangene und zukünftige. Das Theater kann uns helfen zu erkennen, dass die Menschheit viele der Probleme, vor denen sie heute steht, schon einmal gemeistert hat.

Britta Schünemann
© Daniel Sadrowski

Britta Schünemann ist seit 2024 die leitende Dramaturgin der Ruhr­triennale sowie seit 2023 die Leiterin der Jungen Triennale, die Programm für Kinder, Jugendliche, Familien und Bildungs­einrichtungen anbietet. Von 2017-2022 war sie als leitende Musik­theater­pädagogin am Musik­theater im Revier (MiR) in Gelsen­kirchen tätig.

Britta Schünemann: Ich freue mich jedes Mal auf den Moment, wenn ich aus einer Produktion rausgehe und weiß, ich kann mit anderen darüber reden. Mich macht es neugierig zu erfahren: Was haben wir ähnlich wahr­genommen, was ganz anders? So kommen Themen auf, die ich ohne das Theater vielleicht nie besprochen hätte und die oft noch Tage oder Wochen später nach­hallen. Es ist also auch eine kleine Übung in Demokratie – die eigene Sicht mit der von anderen ab­zu­gleichen und einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Theater ist auch eine Übung in Demokratie – die eigene Sicht mit der anderen abzu­gleichen

Britta Schünemann

Welche Programmpunkte bieten sich hierfür besonders gut an?

Ivo Van Hove: Zum Beispiel „Guernica Guernica“, ein Stück des phänomenalen FC Bergman Theater­kollektivs aus Belgien. Es spielt in einer Kriegs­landschaft mit 80 Statist*innen. Die Vorstellung hat drei Teile, in jedem Teil nehmen die Statist*innen eine andere Position ein: mal sind sie die Opfer des Krieges, mal die Täter*innen. Und dann sind sie die, die wegsehen. Im ganzen Stück wird kein Wort gesprochen, es funktioniert nur über Bilder, Sound und Atmosphäre. Damit steht die Frage im Raum: Können wir über extreme Gewalt sprechen? Das ist für mich im besten Sinne innovatives Theater.

Britta Schünemann: Mir geht es so bei dem Stück „We Are the Lucky Ones“: Es handelt von der Generation, die zwischen 1940 und 1949 geboren ist. Im Stück sehen wir Szenen von 1940 bis heute, wie in einem Kaleidoskop. Es verwebt persönliche Schicksale mit gesell­schafts­politischen Ereignissen, quer durch die Jahr­zehnte. Die Zuschauenden haben das Gefühl, ein ganzes Leben gelebt zu haben. Spannend ist das vor allem im Dialog mit dem Stück „GenZ Don’t Cry“: Das Publikum erhält neue Perspektiven auf zwei Generationen, die sich unterscheiden, aber auch viele Berührungs­punkte haben.

Was sollen Besucher*innen der Ruhr­triennale 2025 mit­nehmen?

Ivo Van Hove: Das Gefühl von Gemeinschaft darf bei der Ruhr­triennale nicht zu kurz kommen. Wir wollen, dass Besucher*innen sich als Teil eines großen Ganzen erleben und mit anderen aus­tauschen. Unser Alltag ist oft von Rationalität geprägt, Theater bietet einen Gegenpol: Es spricht nicht nur den Verstand an, sondern auch die Gefühle und den Körper. Wenn eine Inszenierung nachhallt, im Denken und im Fühlen, dann hat sie etwas bewegt. Das ist unser Ziel.


Ruhrtriennale

Bereits seit 2018 fördert die Stiftung Mercator innerhalb der Ruhr­triennale mit der Jungen Triennale die Teil­habe­möglich­keiten von Kindern und Jugendlichen. Junge Menschen sollen die Gelegen­heit erhalten, sich aktiv mit künstlerischen Inhalten aus­einander­setzen und sie mit­zu­gestalten. Damit unter­stützt die Stiftung Mercator eine der heraus­ragenden kulturellen Veranstaltungen im Ruhr­gebiet, dem sie sich als Heimat der Stifter­familie und als Stiftungs­sitz besonders verbunden fühlt.
Die Ruhrtriennale findet vom 21. August bis 21. September 2025 statt.

www.ruhrtriennale.de

Ruhrtriennale 2025

Die Ruhrtriennale 2025 „Longing for Tomorrow“ findet vom 21.08. – 21.09.2025 in verschiedenen Spielstätten im gesamten Ruhrgebiet statt. Das Programm sowie Tickets gibt es auf der Website des Festivals.

Ruhrtriennale 2025
© Ruhrtriennale