Warten und hoffen: der ungewisse Weg zum deutschen Pass

Wer deutsche*r Staatsbürger*in werden will, muss einiges an Bürokratie erledigen.
Warten und hoffen: der ungewisse Weg zum deutschen Pass
Autor: Philipp Nagels Fotos: Reinaldo Coddou 20.02.2025

Ende Januar ließ die CDU/CSU im Bundestag über einen Fünf-Punkte-Plan abstimmen, der vorsieht, Geflüchtete an der deutschen Grenze zurück­zu­weisen. Der Antrag ging durch – unter anderem mit Stimmen der AfD. Während die politische Debatte über Migration hitzig geführt wird, kämpfen gut integrierte Geflüchtete wie Idrees Haidarpoor mit einem anderen Problem: den bürokratischen Hürden auf dem Weg zur deutschen Staats­bürgerschaft. Ein Erfahrungs­bericht.

An einem verregneten Winterabend öffnet Idrees Haidarpoor mit einem freundlichen Lächeln die Tür seines Büros: „Hallo, ich bin Idrees.“ In einer ruhigen Seiten­straße in Berlin-Charlottenburg unterstützt er als Kredit­analyst Unternehmen in Afghanistan bei ihren Finanzierungs­vorhaben. Am Tag zuvor haben die Unions­parteien im Bundes­tag einen Antrag zur Verschärfung der Migrations­politik durch­gebracht – mit Stimmen der FDP sowie der in Teilen rechts­extremen AfD.

Haidarpoor serviert Kaffee und klappt seinen Laptop auf. Er hat sich penibel auf das Gespräch vorbereitet. Es soll um seinen Weg zum deutschen Pass gehen, um Behörden, Fristen und den Wunsch nach Sicherheit. 2021 ist Idrees Haidarpoor vor den Taliban nach Deutschland geflohen und tut seitdem alles, um sich hier ein neues Leben auf­zu­bauen. Der 35-Jährige hat in kürzester Zeit fließend Deutsch gelernt und erfüllt auch sonst alle Kriterien für eine Einbürgerung, darunter ein fester Arbeits­platz und eine eigene Wohnung. Trotzdem lebt er in ständiger Ungewissheit, und das nicht nur wegen der laufenden Asyl­debatte.

August 2021: Die Taliban ergreifen die Macht in Afghanistan
Seine Fluchtgeschichte beginnt vor drei Jahren, als die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan an sich reißen. Haidarpoor erfährt, dass er zusammen mit seiner Familie von der Deutschen Bundeswehr evakuiert werden kann, weil er für eine deutsche Organisation arbeitet. „Ich hatte vorher noch nie darüber nach­gedacht, in Deutschland zu leben“, erinnert er sich. Doch als Mitarbeiter einer deutschen Firma steht er auf einer Liste der Taliban, kann das Haus nicht mehr verlassen. Er sagt: „Wir hatten keine andere Wahl, als zu fliehen. Es war zu gefährlich in Kabul.“

Idrees Haidarpoor kam 2021 nach Deutschland, nachdem die Taliban die afghanische Hauptstadt eingenommen hatten. © Reinaldo Coddou

Idrees Haidarpoor arbeitet als Kredit­analyst bei einer inter­nationalen Organisation, die sich für Entwicklungs­finanzierung in Afghanistan einsetzt. Seit Oktober 2021 leben er und seine Familie in Deutschland.

18. Oktober 2021: Ankommen in Berlin
Anfang Oktober 2021 werden die Haidarpoors nach Pakistan evakuiert: Idrees, seine Frau, seine Töchter, seine Mutter und seine Schwester. Über mehrere Zwischen­stopps kommt die Familie zwei Wochen später in einer Berliner Flüchtlings­unterkunft in Treptow-Köpenick unter.

18. Januar 2022: Aufenthalts­erlaubnis wird genehmigt
„Die ersten drei Monate waren die schwierigsten“, sagt Haidarpoor heute. Die neue Sprache und der graue Winter in Berlin machen ihm zu schaffen. Zudem darf er in Deutschland zunächst nicht arbeiten. Mit Unter­stützung der Flüchtlings­unterkunft beantragt er bei der Ausländer­behörde die Aufenthalts­erlaubnis nach § 22 des Aufenthalts­gesetzes. Diese Aufenthalts­erlaubnis wird „aus völker­rechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ gewährt, das Bundes­aufnahme­programm für Afghanistan baut auf ihr auf. Am 18. Januar 2022 erhält Haidarpoor die Bestätigung, dass er in Deutschland bleiben kann. Am nächsten Tag nimmt er seine Arbeit als Kredit­analyst wieder auf, ein Mindestmaß an Normalität tritt ein.

23. Juni 2024: Hoffen auf schnelle Einbürgerung
Nach eineinhalb Jahren stellt Haidarpoor bei der Ausländer­behörde den Antrag für einen unbefristeten Aufenthalts­titel. Er hat gehört, dass man damit den Prozess zur Einbürgerung bereits nach drei statt fünf Jahren starten kann. Einbürgerung, das bedeutet Sicherheit und Planbarkeit. Wenige Monate zuvor haben die Haidarpoors nach rund 500 Bewerbungen eine Wohnung gefunden. Das eigene Zuhause gibt ihnen das Gefühl, angekommen zu sein – und ist eine der Voraussetzungen für die Einbürgerung.

Idrees Haidarpoor in einem Hauseingang in Berlin-Charlottenburg. © Reinaldo Coddou
Warten – das Gefühl kennt Idrees Haidarpoor mittlerweile gut. Wie es mit seiner Einbürgerung weitergeht, ist noch unklar. © Reinaldo Coddou

2. Juli 2024: Der Antrag wird abgelehnt
Idrees Haidarpoor besteht den Sprachtest für das fortgeschrittene C1-Level. Er gehört zu den „besonderen Integrations­leistungen“, die für eine Ein­bürgerung nach drei Jahren erforderlich sind. Doch für den unbefristeten Aufenthalts­titel erteilt ihm die Ausländer­behörde eine Absage. Begründung: Man müsse dafür bereits 60 Monate in die Renten­versicherung eingezahlt haben. Die Enttäuschung sei groß gewesen, sagt er rück­blickend. „Ich habe alles gemacht: die Sprache gelernt, eine Wohnung gefunden und von Anfang an gearbeitet.“ Doch ohne unbefristeten Aufenthalts­titel rückt die Einbürgerung vorerst in weite Ferne, denn Menschen mit einer Aufenthalts­erlaubnis nach § 22 des Aufenthalts­gesetzes haben keinen Anspruch auf eine Einbürgerung.

Ich habe die Sprache gelernt, eine Wohnung gefunden und von Anfang an gearbeitet. Trotzdem konnte ich mich nicht für die Einbürgerung bewerben.

Idrees Haidarpoor

19. Dezember 2024: Überraschung bei der Ausländer­behörde
Ohne Aussicht auf Einbürgerung nimmt Haidarpoor den Termin zur Verlängerung seiner Aufenthalts­erlaubnis wahr. Das Gespräch bei der Ausländer­behörde hält eine Überraschung für ihn bereit: Trotz begrenzter Aufenthalts­genehmigung nach § 22 könne er sich nach drei Jahren doch um eine Einbürgerung bewerben. Noch am selben Abend füllt er hoffnungs­voll die Online­bewerbung aus.

„Tatsächlich haben Menschen mit einem Aufenthalts­titel nach § 22 des Aufenthalts­gesetzes auch nach der Reform des Staats­angehörigkeits­rechts im Jahr 2024 keinen Anspruch auf Einbürgerung“ sagt Marie Walter-Franke, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Einbürgerung als ‚Integrations­booster‘ für Geflüchtete“. Personen, die über die humanitären Aufnahme­programme der Bundesländer nach Deutschland kommen, haben ihn hingegen schon – wenn sie die Voraus­setzungen dafür erfüllen. Eine sogenannte Ermessens­einbürgerung schließt diese Lücke: „Ist eine Einbürgerung im öffentlichen Interesse und liegen besondere Integrations­leistungen vor, kann im Rahmen einer Ermessens­einbürgerung die Mindest­dauer des Aufenthalts auf bis zu drei Jahren verkürzt werden“, erklärt Walter-Franke. Dies sei in den „Verfahrens­hinweisen zum Aufenthalt in Berlin“ des dortigen Landes­amtes für Einwanderung so fest­gelegt.

Der deutsche Pass ist der drittwertvollste der Welt, 192 Länder können damit visumfrei bereist werden.
Der deutsche Pass ist der dritt­wert­vollste der Welt, 192 Länder können damit visum­frei bereist werden. © picture alliance

30. Januar 2025: abwarten und hoffen
Im Konferenzraum seines Büros nimmt Idrees Haidarpoor den letzten Schluck aus seiner Kaffee­tasse. Drei Jahre und vier Monate sind vergangen, seit er seine Heimat verlassen musste. Vieles sei bei ihm und seiner Familie zwar gut gelaufen, sagt er. „Doch die bürokratischen Prozesse können sehr langwierig sein.“ Die deutsche Staats­bürgerschaft würde für ihn und seine Familie langfristige Sicherheit bedeuten, insbesondere für seine Töchter. „Sie hätten dadurch uneingeschränkte Rechte und bessere Zukunftschancen in Deutschland“, sagt er. Wie lange die Bearbeitung des Einbürgerungs­antrages dauert, weiß er nicht. „Sechs Monate? Zwölf Monate? Ich habe dazu keine Aussage“, sagt er. „Das bringt erhebliche Unsicherheiten mit sich.“

Zudem stehen die Aufnahme­programme des Bundes und der Länder aktuell auf der Kippe. Obwohl sie das ermöglichen, was von allen Seiten gefordert wird: eine sichere und geordnete Aufnahme von Schutz­bedürftigen. Die hitzige Asyl­debatte in der deutschen Politik verfolgt Idrees Haidarpoor mit gemischten Gefühlen. Vom deutschen Staat wünscht er sich ein effizienteres System für Aufenthalts­genehmigungen und die Einbürgerung: „Für gut integrierte Personen mit stabilem Einkommen und ausreichenden Sprach­kenntnissen sollte der Prozess schneller und weniger bürokratisch gestaltet werden, um ihre gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.“

Idrees Haidarpoors Geschichte zeigt, wie viele Hürden Menschen nehmen müssen, um sich in Deutschland ein neues Leben auf­zu­bauen. Sie zeigt aber vor allem auch, dass Integration – entgegen den populistischen Parolen – funktionieren kann. „Trotz aller Heraus­forderungen“, resümiert Idrees Haidarpoor, „habe ich gelernt, dass mit Durch­halte­vermögen, harter Arbeit und der richtigen Einstellung ein neues Leben in Deutschland nicht nur möglich ist, sondern auch bereichernd sein kann.“

Einbürgerung als „Integrations­booster“ für Geflüchtete

Der wissenschaftliche Stab des Sach­verständigen­rats für Integration und Migration (SVR) untersucht das Ein­bürgerungs­verhalten von Geflüchteten sowie die Bedeutung der Einbürgerung für den Integrations­prozess und ihre administrative Umsetzung. Das Projekt entwickelt zudem Lösungs­ansätze, die den Einbürgerungs­prozess verbessern und die Integration von Geflüchteten stärken.
www.svr-migration.de/einbuergerung-als-integrationsbooster/