Warten und hoffen: der ungewisse Weg zum deutschen Pass

Ende Januar ließ die CDU/CSU im Bundestag über einen Fünf-Punkte-Plan abstimmen, der vorsieht, Geflüchtete an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Der Antrag ging durch – unter anderem mit Stimmen der AfD. Während die politische Debatte über Migration hitzig geführt wird, kämpfen gut integrierte Geflüchtete wie Idrees Haidarpoor mit einem anderen Problem: den bürokratischen Hürden auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft. Ein Erfahrungsbericht.
An einem verregneten Winterabend öffnet Idrees Haidarpoor mit einem freundlichen Lächeln die Tür seines Büros: „Hallo, ich bin Idrees.“ In einer ruhigen Seitenstraße in Berlin-Charlottenburg unterstützt er als Kreditanalyst Unternehmen in Afghanistan bei ihren Finanzierungsvorhaben. Am Tag zuvor haben die Unionsparteien im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durchgebracht – mit Stimmen der FDP sowie der in Teilen rechtsextremen AfD.
Haidarpoor serviert Kaffee und klappt seinen Laptop auf. Er hat sich penibel auf das Gespräch vorbereitet. Es soll um seinen Weg zum deutschen Pass gehen, um Behörden, Fristen und den Wunsch nach Sicherheit. 2021 ist Idrees Haidarpoor vor den Taliban nach Deutschland geflohen und tut seitdem alles, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Der 35-Jährige hat in kürzester Zeit fließend Deutsch gelernt und erfüllt auch sonst alle Kriterien für eine Einbürgerung, darunter ein fester Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung. Trotzdem lebt er in ständiger Ungewissheit, und das nicht nur wegen der laufenden Asyldebatte.
August 2021: Die Taliban ergreifen die Macht in Afghanistan
Seine Fluchtgeschichte beginnt vor drei Jahren, als die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan an sich reißen. Haidarpoor erfährt, dass er zusammen mit seiner Familie von der Deutschen Bundeswehr evakuiert werden kann, weil er für eine deutsche Organisation arbeitet. „Ich hatte vorher noch nie darüber nachgedacht, in Deutschland zu leben“, erinnert er sich. Doch als Mitarbeiter einer deutschen Firma steht er auf einer Liste der Taliban, kann das Haus nicht mehr verlassen. Er sagt: „Wir hatten keine andere Wahl, als zu fliehen. Es war zu gefährlich in Kabul.“

Idrees Haidarpoor arbeitet als Kreditanalyst bei einer internationalen Organisation, die sich für Entwicklungsfinanzierung in Afghanistan einsetzt. Seit Oktober 2021 leben er und seine Familie in Deutschland.
18. Oktober 2021: Ankommen in Berlin
Anfang Oktober 2021 werden die Haidarpoors nach Pakistan evakuiert: Idrees, seine Frau, seine Töchter, seine Mutter und seine Schwester. Über mehrere Zwischenstopps kommt die Familie zwei Wochen später in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft in Treptow-Köpenick unter.
18. Januar 2022: Aufenthaltserlaubnis wird genehmigt
„Die ersten drei Monate waren die schwierigsten“, sagt Haidarpoor heute. Die neue Sprache und der graue Winter in Berlin machen ihm zu schaffen. Zudem darf er in Deutschland zunächst nicht arbeiten. Mit Unterstützung der Flüchtlingsunterkunft beantragt er bei der Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes. Diese Aufenthaltserlaubnis wird „aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ gewährt, das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan baut auf ihr auf. Am 18. Januar 2022 erhält Haidarpoor die Bestätigung, dass er in Deutschland bleiben kann. Am nächsten Tag nimmt er seine Arbeit als Kreditanalyst wieder auf, ein Mindestmaß an Normalität tritt ein.
23. Juni 2024: Hoffen auf schnelle Einbürgerung
Nach eineinhalb Jahren stellt Haidarpoor bei der Ausländerbehörde den Antrag für einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Er hat gehört, dass man damit den Prozess zur Einbürgerung bereits nach drei statt fünf Jahren starten kann. Einbürgerung, das bedeutet Sicherheit und Planbarkeit. Wenige Monate zuvor haben die Haidarpoors nach rund 500 Bewerbungen eine Wohnung gefunden. Das eigene Zuhause gibt ihnen das Gefühl, angekommen zu sein – und ist eine der Voraussetzungen für die Einbürgerung.


2. Juli 2024: Der Antrag wird abgelehnt
Idrees Haidarpoor besteht den Sprachtest für das fortgeschrittene C1-Level. Er gehört zu den „besonderen Integrationsleistungen“, die für eine Einbürgerung nach drei Jahren erforderlich sind. Doch für den unbefristeten Aufenthaltstitel erteilt ihm die Ausländerbehörde eine Absage. Begründung: Man müsse dafür bereits 60 Monate in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Die Enttäuschung sei groß gewesen, sagt er rückblickend. „Ich habe alles gemacht: die Sprache gelernt, eine Wohnung gefunden und von Anfang an gearbeitet.“ Doch ohne unbefristeten Aufenthaltstitel rückt die Einbürgerung vorerst in weite Ferne, denn Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes haben keinen Anspruch auf eine Einbürgerung.
Ich habe die Sprache gelernt, eine Wohnung gefunden und von Anfang an gearbeitet. Trotzdem konnte ich mich nicht für die Einbürgerung bewerben.
19. Dezember 2024: Überraschung bei der Ausländerbehörde
Ohne Aussicht auf Einbürgerung nimmt Haidarpoor den Termin zur Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wahr. Das Gespräch bei der Ausländerbehörde hält eine Überraschung für ihn bereit: Trotz begrenzter Aufenthaltsgenehmigung nach § 22 könne er sich nach drei Jahren doch um eine Einbürgerung bewerben. Noch am selben Abend füllt er hoffnungsvoll die Onlinebewerbung aus.
„Tatsächlich haben Menschen mit einem Aufenthaltstitel nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes auch nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2024 keinen Anspruch auf Einbürgerung“ sagt Marie Walter-Franke, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Einbürgerung als ‚Integrationsbooster‘ für Geflüchtete“. Personen, die über die humanitären Aufnahmeprogramme der Bundesländer nach Deutschland kommen, haben ihn hingegen schon – wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Eine sogenannte Ermessenseinbürgerung schließt diese Lücke: „Ist eine Einbürgerung im öffentlichen Interesse und liegen besondere Integrationsleistungen vor, kann im Rahmen einer Ermessenseinbürgerung die Mindestdauer des Aufenthalts auf bis zu drei Jahren verkürzt werden“, erklärt Walter-Franke. Dies sei in den „Verfahrenshinweisen zum Aufenthalt in Berlin“ des dortigen Landesamtes für Einwanderung so festgelegt.

30. Januar 2025: abwarten und hoffen
Im Konferenzraum seines Büros nimmt Idrees Haidarpoor den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. Drei Jahre und vier Monate sind vergangen, seit er seine Heimat verlassen musste. Vieles sei bei ihm und seiner Familie zwar gut gelaufen, sagt er. „Doch die bürokratischen Prozesse können sehr langwierig sein.“ Die deutsche Staatsbürgerschaft würde für ihn und seine Familie langfristige Sicherheit bedeuten, insbesondere für seine Töchter. „Sie hätten dadurch uneingeschränkte Rechte und bessere Zukunftschancen in Deutschland“, sagt er. Wie lange die Bearbeitung des Einbürgerungsantrages dauert, weiß er nicht. „Sechs Monate? Zwölf Monate? Ich habe dazu keine Aussage“, sagt er. „Das bringt erhebliche Unsicherheiten mit sich.“
Zudem stehen die Aufnahmeprogramme des Bundes und der Länder aktuell auf der Kippe. Obwohl sie das ermöglichen, was von allen Seiten gefordert wird: eine sichere und geordnete Aufnahme von Schutzbedürftigen. Die hitzige Asyldebatte in der deutschen Politik verfolgt Idrees Haidarpoor mit gemischten Gefühlen. Vom deutschen Staat wünscht er sich ein effizienteres System für Aufenthaltsgenehmigungen und die Einbürgerung: „Für gut integrierte Personen mit stabilem Einkommen und ausreichenden Sprachkenntnissen sollte der Prozess schneller und weniger bürokratisch gestaltet werden, um ihre gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.“
Idrees Haidarpoors Geschichte zeigt, wie viele Hürden Menschen nehmen müssen, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Sie zeigt aber vor allem auch, dass Integration – entgegen den populistischen Parolen – funktionieren kann. „Trotz aller Herausforderungen“, resümiert Idrees Haidarpoor, „habe ich gelernt, dass mit Durchhaltevermögen, harter Arbeit und der richtigen Einstellung ein neues Leben in Deutschland nicht nur möglich ist, sondern auch bereichernd sein kann.“
Einbürgerung als „Integrationsbooster“ für Geflüchtete
Der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) untersucht das Einbürgerungsverhalten von Geflüchteten sowie die Bedeutung der Einbürgerung für den Integrationsprozess und ihre administrative Umsetzung. Das Projekt entwickelt zudem Lösungsansätze, die den Einbürgerungsprozess verbessern und die Integration von Geflüchteten stärken.
www.svr-migration.de/einbuergerung-als-integrationsbooster/