Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Chancen für alle?

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (kurz FEG) erleichtert es Menschen aus dem Ausland, in Deutschland Fuß zu fassen. Im Juli 2023 wurde es vom deutschen Bundesrat verabschiedet und tritt seit November letzten Jahres sukzessive in Kraft. Neuerungen gab es am 1. Juni 2024: Seither erleichtert die sogenannte Westbalkanregelung Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Zudem wurde die Chancenkarte eingeführt. Mit ihr können Bewerber*innen aus Nicht-EU-Ländern ein Jahr in Deutschland leben, um eine Arbeitsstelle zu suchen. Bislang musste ein Anstellungsvertrag bereits vorliegen, um überhaupt nach Deutschland kommen zu können. Zudem erschwerten komplizierte Einreiseverfahren die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte.
Welche Vorteile das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz für Zuwander*innen hat und wo noch Luft nach oben ist, erklärt Ekin Polat im Interview. Sie ist stellvertretende Projektleiterin bei „Handbook Germany : Together – Zentrale digitale Anlaufstelle“. Das Projekt hilft Neuankömmlingen, in Deutschland Fuß zu fassen. Im Rahmen zweier Veranstaltungsreihen beantworteten das Team des Projekts und Expert*innen der Beratungsstellen die Fragen der Einwanderer-Community.
Frau Polat, das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz – kurz FEG – bringt viele Änderungen mit sich. Und ist nicht so leicht zu verstehen, insbesondere wenn man nicht aus Deutschland kommt. Welche Fragen beschäftigen Ihre Community am meisten?
Wir stehen täglich in direktem Kontakt mit neun Sprach-Communitys, denn unsere Informations- und Beratungsangebote sind auf Arabisch, Deutsch, Englisch, Farsi, Französisch, Paschto, Russisch, Türkisch und Ukrainisch verfügbar. Die Bedürfnisse und Fragen unserer Communitys in Bezug auf das FEG sind mitunter sehr unterschiedlich.
Einige Themen treten jedoch in allen Sprach-Communitys oft auf. Vor allem gibt es viele Fragen zu den Neuerungen der Blauen Karte EU. Häufig erreichen uns auch Fragen zum Visum für Fachkräfte oder Arbeitssuchende, zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse und zum Thema Familienzusammenführung.

Welche Besonderheiten innerhalb der Communitys gibt es?
Die Besonderheiten entstehen meistens aufgrund der politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse in den Herkunftsländern der Menschen. Ein Teil der Ratsuchenden verfügt über formell erworbene Kenntnisse und hohe Qualifikationen. Sie sind oft interessiert an Themen wie der Blauen Karte EU, der neuen Chancenkarte oder an der Anerkennung ihrer Qualifikationen für die Arbeitssuche.
Ein anderer Teil hatte aufgrund jahrelanger Kriege und Unruhen in den Herkunftsländern kaum Möglichkeiten, die formalen Voraussetzungen für ein Fachkräftevisum zu erfüllen. Diese Menschen interessieren sich häufig für ein Visum zur Ausbildung oder zur Ausbildungssuche. Diese Gruppe steht oft vor großen Hürden – es geht um Sprachkenntnisse und die Sicherung des Lebensunterhalts.
Es gibt mittlerweile rund 1,16 Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Welche Fragen in Bezug auf das FEG stellt dieser Gruppe am häufigsten?
Geflüchtete aus der Ukraine haben oft den vorübergehenden Schutz nach § 24 des Aufenthaltgesetzes, der bis 2025 gültig ist. Viele haben seit 2022 Sprachkenntnisse und Qualifikationen erlangt und wünschen sich, langfristig in Deutschland bleiben und arbeiten zu können. Sie interessieren sich oft für Informationen rund um den Aufenthaltstitel für qualifiziert Beschäftigte, zu Ausbildungen oder auch zur Blauen Karte EU.

Erleichtert das neue FEG Ukrainer*innen, eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung zu erhalten?
Das FEG bietet Ukrainer*innen neue Möglichkeiten, ja. Doch viele, die sich an uns wenden, können die hohen Anforderungen dafür nicht erfüllen und profitieren daher nicht vom FEG. Ohne anerkannte Berufs- oder Hochschulqualifikation sind die Möglichkeiten für einen Aufenthaltstitel zur Beschäftigung begrenzt. Eine große Hürde ist auch das im FEG geforderte Mindestgehalt, das für den deutschen Arbeitsmarkt utopisch ist.
Von den strengen Anerkennungsvoraussetzungen sind aber nicht nur Menschen aus der Ukraine betroffen, sondern all unsere Communitys. In Deutschland wird unterschieden zwischen reglementierten und nicht reglementierten Berufen. Reglementiert sind zum Beispiel Medizin-, Rechts- oder Lehramtsberufe oder Berufe im öffentlichen Dienst. Wer in diesen Feldern arbeiten möchte, braucht eine Anerkennung der im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen. Vielen ist nicht bewusst, dass 25 Jahre Berufserfahrung als Ärzt*in oder Anwält*in im Herkunftsland nicht automatisch ausreichen, um in Deutschland eine Anstellung zu finden.
Was ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz?
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz erleichtert es Fachkräften mit Berufsausbildung und Personen mit berufspraktischen Kenntnissen, nach Deutschland einzuwandern. Das Gesetz soll mehr Menschen den Zugang zur Blauen Karte EU ermöglichen – etwa indem der Personenkreis der Berechtigten erweitert und die benötigten Gehaltsgrenzen abgesenkt wurden. Zudem wurde die Liste von sogenannten Mangelberufen – also Berufe, in denen dringend Fachkräfte benötigt werden – erweitert.
Mehr Informationen zum FEG gibt es hier.
Um über das FEG zu informieren, haben Sie eine Reihe von Veranstaltungen durchgeführt. Was sind Ihre Erkenntnisse?
Genau, bis Mitte Mai 2024 haben wir das Projekt „Handbook Germany – Ausbildung im Fokus“ umgesetzt. Es ging uns zunächst darum, das Bewusstsein für duale Ausbildungen zu schärfen. Aufgrund der Weiterentwicklung des FEG haben wir auch seine neuen Möglichkeiten mit aufgegriffen. Die Veranstaltungen fanden digital und in neun Sprachen statt. So konnten wir unterschiedlichste Expert*innen und Beratungsstellen einbinden. Uns fiel dabei auf, dass viele Ratsuchende sehr konkrete und detaillierte Fragen hatten. Das zeigt, dass sie sich zuvor intensiv mit den Optionen auseinandergesetzt haben. Die Menschen investieren viel Zeit und Geld, um sich eine Zukunft in Deutschland aufzubauen.
Was müsste sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich tun, um ausländischen Fachkräften mehr Chancen in Deutschland zu bieten?
Deutschland muss dringend bessere Bedingungen für Migration schaffen. Das kann nur durch umfassende strukturelle Transformationen und gezielte Maßnahmen in Richtung einer migrationssensiblen Politik gelingen. Das Land muss die Fachkräfteeinwanderung als Teil einer inklusiven, menschenrechtsbasierten Migrationspolitik betrachten. Rassismuskritische Haltungen müssen in einer offenen Gesellschaft Platz haben. Nur so kann Deutschland gesellschaftlich und wirtschaftlich profitieren.
Was heißt das konkret?
Ganz konkret heißt das: Für Menschen, die in Deutschland leben wollen, muss das Ankommen erleichtert werden. Die Gespräche mit unseren Communitys zeigen immer wieder, dass es zentrale Herausforderungen gibt, vor denen nahezu alle stehen: Die komplizierte und teure Anerkennung ausländischer Abschlüsse muss vereinfacht werden. Die oft überzogenen Sprachanforderungen müssen realistisch und berufsspezifisch angepasst werden. Bürokratische Hürden müssen abgebaut und die noch immer schleppende Digitalisierung in Fahrt gebracht werden.
Wir brauchen eine radikale Reform der bürokratischen Abläufe. Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine direkte Arbeitserlaubnis und der sofortige Zugang zu Sprachkursen den Integrationsprozess erheblich fördern. Arbeitsverbote hingegen verzögern die Integration und gefährden zudem den sicheren Aufenthalt in Deutschland.
Handbook Germany : Together
Wie wird Deutschland zu einer neuen Heimat? Das Projekt „Handbook Germany : Together“ ist eine zentrale digitale Anlaufstelle für Information, Austausch und Beratung für Menschen, die neu in Deutschland sind. In neun Sprachen bekommen sie wichtige Tipps zu aufenthaltsrechtlichen Fragen, Wohnen, Gesundheit, Kinderbetreuung, Arbeit, Ausbildung, Studium und vielem mehr. Auch umfassende Informationen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz und mehrsprachige Onlineinfoveranstaltungen zur Fachkräfteeinwanderung werden vom Team des Projekts bereitgestellt.
Die Stiftung Mercator unterstützt das Projekt.
handbookgermany.de
together-in-germany.de