„Frauen mit Fluchterfahrung bringen wertvolle Kompetenzen für den Arbeitsmarkt mit“
Sie haben Uniabschlüsse, jahrelange Berufserfahrung und praktische Fähigkeiten – und trotzdem ist in Deutschland fair bezahlte Arbeit für Frauen mit Fluchterfahrung kaum erreichbar. Warum ist das so? Und wie lässt es sich ändern? Lejla Medanhodžić vom Projekt Sefa (Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung) erklärt, welche strukturellen Hürden den Einstieg in den Arbeitsmarkt erschweren. Und warum es sich für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft lohnt, Frauen mit Fluchterfahrung gezielter zu fördern.
Frau Medanhodžić, mit welchen besonderen Hürden sind Frauen mit Fluchterfahrung auf dem deutschen Arbeitsmarkt konfrontiert?
Viele dieser Frauen bringen Ausbildungen, Studienabschlüsse und Berufserfahrung mit, gelten in Deutschland aber als formal gering qualifiziert. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Oft werden Abschlüsse wegen fehlender Unterlagen nicht anerkannt, etwa weil die Frauen ihre Zeugnisse vor der Flucht nicht mitnehmen konnten. Einige Frauen haben zudem keine Abschlüsse oder formal anerkannte Berufserfahrungen, obwohl sie viele Jahre im Handwerk oder in anderen Bereichen gearbeitet haben. Hinzu kommen fehlende Sprachkenntnisse, begrenzte Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt oder die Herausforderung, Kinderbetreuung und Arbeit miteinander zu vereinbaren. Auch der Aufenthaltstitel spielt eine große Rolle: Während etwa ukrainische Frauen zeitweise einfacher Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, gelten für andere Gruppen strengere Auflagen. Nicht zuletzt erschweren Vorurteile und Diskriminierung den Einstieg.
Gibt es darüber hinaus besondere Belastungen, die gerade Frauen mit Fluchterfahrung betreffen?
Viele von ihnen leiden unter gesundheitlichen oder psychischen Belastungen, häufig infolge traumatischer Erfahrungen. Dazu zählt auch sexualisierte Gewalt, die Frauen etwa im Krieg oder auf der Flucht erleben mussten. Auch werden diese Frauen mehrfach diskriminiert, etwa aufgrund ihres Geschlecht, ihrer Herkunft oder Religion.
Viele Frauen mit Fluchterfahrung arbeiten im Niedriglohnsektor. Wie schaffen sie es aus diesem wieder heraus?
Zunächst ist wichtig, zu verstehen, warum sie Tätigkeiten in diesem Sektor überhaupt annehmen. Denn oft hängt es mit dem Aufenthaltstitel der Frauen zusammen. Viele nehmen prekäre Jobs an, weil sie dadurch einen höheren Status ihrer Duldung erreichen wollen. Andere haben schlicht zu wenig Kenntnis über den deutschen Arbeitsmarkt und bleiben unter anderem auch deshalb im Niedriglohnsektor. Mit unserem Projekt Sefa möchten wir dazu beitragen, strukturelle Hürden abzubauen, um die Teilhabe am Arbeitsmarkt sowie gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen.
Lejla Medanhodžić ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung in Berlin. Im Rahmen des Forschungsprojektes Sefa beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Fluchterfahrung.
Wie gehen Sie dabei vor?
Zuerst recherchieren wir: Welche Initiativen, Angebote, Maßnahmen und Ansätze gibt es? Dafür sind wir im Austausch mit vielen Arbeitsmarktakteuren, zum Beispiel mit dem Jobcenter, der Bundesagentur für Arbeit, Projekt- und Bildungsträgern sowie einzelnen Unternehmen und natürlich mit den Frauen selbst. In Phase zwei extrahieren wir konkrete Erfolgsfaktoren, die sich bewährt haben, und analysieren sie mit einer Facharbeitsgruppe, um übertragbare Modelle und Empfehlungen für verschiedene Kontexte zu entwickeln. In der dritten Phase tragen wir unsere Erkenntnisse in die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Welche Erfolgsfaktoren haben Sie ausfindig gemacht?
In unserer Arbeit haben sich bisher fünf Erfolgsfaktoren herauskristallisiert, die von allen Arbeitsmarktakteuren, mit denen wir gesprochen haben, und von vielen Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen genannt wurden. Das sind zum einen die deutschen Sprachkenntnisse, unabhängig davon, wie qualifiziert die jeweilige Frau für einen Job ist. Auch das Wissen über das Rechts- und Verwaltungssystem in Deutschland ist entscheidend. Zum Beispiel: Welche Anforderungen muss ich erfüllen? Wie schreibe ich einen Brief? Welche Gesetze sind für mich relevant? Zudem geht es um die eigenen finanziellen, zeitlichen und psychischen Ressourcen. Ein weiterer Faktor sind gute Netzwerke: Wenn Frauen schon Kontakte in Deutschland haben oder in Gruppen vernetzt sind, können sie sich zum Beispiel gegenseitig passende Stellen schicken. Das bringt uns dann zum Thema Digitalisierung: Wie gut ist die Medienkompetenz der Frauen? Können sie zum Beispiel mit ChatGPT umgehen, und haben sie Zugang zu Laptops oder Smartphones, um sich Informationen zu beschaffen?
Was können Unternehmen, Behörden oder andere Projektträger tun, um ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern?
Es gibt viele Unternehmen, die aktiv Frauen mit Fluchterfahrung einstellen wollen. Dabei gibt es aber bürokratische Hürden und Fragen: Wie lange bleibt die Frau in Deutschland? Kann das Unternehmen sie mit dem aktuellen Aufenthaltstitel einstellen? Wen können die Frauen oder die Unternehmen bei Unklarheiten fragen? Antworten auf diese Fragen mitzugestalten, ist eines der Ziele unseres Projektes. Unsere Facharbeitsgruppe ist eine Art Kompetenznetzwerk, das unter anderem darauf schaut, wie Behörden, Projektträger und Unternehmen vernetzt werden können und welche Rahmenbedingungen sie für ihre Zusammenarbeit brauchen. Wichtig ist dabei, dass die Frauen miteinbezogen werden und potenzielle Arbeitgeber ihre vielschichtigen und komplexen Lebensrealitäten anerkennen.
Größere Unternehmen haben oft Ressourcen zur Verfügung, um zum Beispiel ein passendes Onboarding zu gestalten oder ein Buddy-System mit Mentoring einzuführen.
Wie kann diese Einbindung in der Praxis aussehen?
Größere Unternehmen haben oft Ressourcen zur Verfügung, um zum Beispiel ein passendes Onboarding zu gestalten oder ein Buddy-System mit Mentoring einzuführen und damit auch das persönliche Netzwerk der Frauen mit Fluchterfahrung zu stärken. Ein gelungenes Beispiel ist das Projekt einer gemeinnützigen Organisation mit Zugang zu Frauen mit Fluchterfahrung und eines großen Unternehmens: Gemeinsam unterstützen sie kleine Handwerksbetriebe – in diesem Fall Frisiersalons – dabei, den Fachkräftemangel zu beheben und gleichzeitig Frauen in Ausbildung oder Beschäftigung zu bringen.
Entscheidend für den Erfolg solcher Projekte sind vor allem praxisnahe Einstiege, persönliche Kontakte und die Bereitschaft, Zeit und Vertrauen in Mentoring zu investieren.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich sehe eine große Chance für alle darin, Frauen mit Fluchterfahrung sichtbarer zu machen. Natürlich sind sie Opfer von Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit tiefen Lebenseinschnitten. Allerdings wollen wir Narrative etablieren, die ihre Selbstermächtigung, Erfahrungen und Fähigkeiten betonen. Denn sie bringen auch wertvolle Perspektiven mit, die unseren Arbeitsmarkt bereichern können. Etwa durch sprachliche und kulturelle Vielfalt und neue Ideen. Ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ist deshalb nicht nur eine Antwort auf den Fachkräftemangel, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Dafür braucht es mehr Sichtbarkeit und die Bereitschaft von Politik, Medien und Gesellschaft, diese Frauen als das zu sehen, was sie sind: ein Gewinn für unsere Gesellschaft.
Sefa – Nachhaltige Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Fluchterfahrung
Das Projekt Sefa von Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung identifiziert zwar Hürden, fokussiert sich aber vor allem auf die Erfolgsfaktoren für die berufliche und die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen mit Fluchterfahrung. In enger Zusammenarbeit mit Fachakteur*innen, Behörden, Arbeitgebern, Zivilgesellschaft und den Frauen selbst werden Lösungen erarbeitet, um deren Integration praxisnah und nachhaltig zu gestalten.
minor-kontor.de/sefa-nachhaltige-arbeitsmarktintegration-von-frauen-mit-fluchterfahrung/