„Frauen mit Flucht­erfahrung bringen wertvolle Kompetenzen für den Arbeits­markt mit“

Wie können Frauen mit Fluchterfahrung am besten in den Arbeitsmarkt integriert werden? Ein Projekt aus Berlin hat es untersucht.
„Frauen mit Flucht­erfahrung bringen wertvolle Kompetenzen für den Arbeits­markt mit“
Autorin: Elisabeth Krainer 22.07.2025

Sie haben Uniabschlüsse, jahrelange Berufs­erfahrung und praktische Fähigkeiten – und trotzdem ist in Deutschland fair bezahlte Arbeit für Frauen mit Flucht­erfahrung kaum erreich­bar. Warum ist das so? Und wie lässt es sich ändern? Lejla Medanhodžić vom Projekt Sefa (Minor – Projekt­kontor für Bildung und Forschung) erklärt, welche strukturellen Hürden den Einstieg in den Arbeits­markt erschweren. Und warum es sich für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft lohnt, Frauen mit Flucht­erfahrung gezielter zu fördern.

Frau Medanhodžić, mit welchen besonderen Hürden sind Frauen mit Flucht­erfahrung auf dem deutschen Arbeits­markt konfrontiert?

Viele dieser Frauen bringen Ausbildungen, Studien­abschlüsse und Berufs­erfahrung mit, gelten in Deutschland aber als formal gering qualifiziert. Die Gründe hierfür sind viel­fältig. Oft werden Abschlüsse wegen fehlender Unterlagen nicht anerkannt, etwa weil die Frauen ihre Zeugnisse vor der Flucht nicht mitnehmen konnten. Einige Frauen haben zudem keine Abschlüsse oder formal anerkannte Berufs­erfahrungen, obwohl sie viele Jahre im Handwerk oder in anderen Bereichen gearbeitet haben. Hinzu kommen fehlende Sprach­kenntnisse, begrenzte Informationen über den deutschen Arbeits­markt oder die Heraus­forderung, Kinder­betreuung und Arbeit miteinander zu vereinbaren. Auch der Aufenthalts­titel spielt eine große Rolle: Während etwa ukrainische Frauen zeit­weise einfacher Zugang zum Arbeits­markt hatten, gelten für andere Gruppen strengere Auflagen. Nicht zuletzt erschweren Vorurteile und Diskriminierung den Einstieg.

Gibt es darüber hinaus besondere Belastungen, die gerade Frauen mit Flucht­erfahrung betreffen?

Viele von ihnen leiden unter gesundheitlichen oder psychischen Belastungen, häufig infolge traumatischer Erfahrungen. Dazu zählt auch sexualisierte Gewalt, die Frauen etwa im Krieg oder auf der Flucht erleben mussten. Auch werden diese Frauen mehrfach diskriminiert, etwa aufgrund ihres Geschlecht, ihrer Herkunft oder Religion.

Viele Frauen mit Flucht­erfahrung arbeiten im Niedrig­lohn­sektor. Wie schaffen sie es aus diesem wieder heraus?

Zunächst ist wichtig, zu verstehen, warum sie Tätigkeiten in diesem Sektor überhaupt annehmen. Denn oft hängt es mit dem Aufenthalts­titel der Frauen zusammen. Viele nehmen prekäre Jobs an, weil sie dadurch einen höheren Status ihrer Duldung erreichen wollen. Andere haben schlicht zu wenig Kenntnis über den deutschen Arbeits­markt und bleiben unter anderem auch deshalb im Niedrig­lohn­sektor. Mit unserem Projekt Sefa möchten wir dazu beitragen, strukturelle Hürden abzubauen, um die Teilhabe am Arbeits­markt sowie gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen.

Lejla Medanhodžić
© privat

Lejla Medanhodžić ist Politik­wissen­schaftlerin und arbeitet als wissen­schaftliche Mitarbeiterin bei Minor – Projekt­kontor für Bildung und Forschung in Berlin. Im Rahmen des Forschungs­projektes Sefa beschäftigt sie sich mit der Arbeits­markt­integration von Frauen mit Flucht­erfahrung.

Wie gehen Sie dabei vor?

Zuerst recherchieren wir: Welche Initiativen, Angebote, Maßnahmen und Ansätze gibt es? Dafür sind wir im Austausch mit vielen Arbeits­markt­akteuren, zum Beispiel mit dem Jobcenter, der Bundes­agentur für Arbeit, Projekt- und Bildungs­trägern sowie einzelnen Unternehmen und natürlich mit den Frauen selbst. In Phase zwei extrahieren wir konkrete Erfolgs­faktoren, die sich bewährt haben, und analysieren sie mit einer Fach­arbeits­gruppe, um über­trag­bare Modelle und Empfehlungen für verschiedene Kontexte zu entwickeln. In der dritten Phase tragen wir unsere Erkenntnisse in die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Welche Erfolgs­faktoren haben Sie aus­findig gemacht?

In unserer Arbeit haben sich bisher fünf Erfolgsfaktoren heraus­kristallisiert, die von allen Arbeits­markt­akteuren, mit denen wir gesprochen haben, und von vielen Frauen mit unter­schiedlichen Hinter­gründen genannt wurden. Das sind zum einen die deutschen Sprach­kenntnisse, unabhängig davon, wie qualifiziert die jeweilige Frau für einen Job ist. Auch das Wissen über das Rechts- und Verwaltungs­system in Deutschland ist entscheidend. Zum Beispiel: Welche Anforderungen muss ich erfüllen? Wie schreibe ich einen Brief? Welche Gesetze sind für mich relevant? Zudem geht es um die eigenen finanziellen, zeitlichen und psychischen Ressourcen. Ein weiterer Faktor sind gute Netzwerke: Wenn Frauen schon Kontakte in Deutschland haben oder in Gruppen vernetzt sind, können sie sich zum Beispiel gegen­seitig passende Stellen schicken. Das bringt uns dann zum Thema Digitalisierung: Wie gut ist die Medien­kompetenz der Frauen? Können sie zum Beispiel mit ChatGPT umgehen, und haben sie Zugang zu Laptops oder Smartphones, um sich Informationen zu beschaffen?

Was können Unternehmen, Behörden oder andere Projekt­träger tun, um ihre Integration in den Arbeits­markt zu verbessern?

Es gibt viele Unternehmen, die aktiv Frauen mit Flucht­erfahrung einstellen wollen. Dabei gibt es aber büro­kratische Hürden und Fragen: Wie lange bleibt die Frau in Deutschland? Kann das Unternehmen sie mit dem aktuellen Aufenthalts­titel einstellen? Wen können die Frauen oder die Unternehmen bei Unklarheiten fragen? Antworten auf diese Fragen mitzu­gestalten, ist eines der Ziele unseres Projektes. Unsere Fach­arbeits­gruppe ist eine Art Kompetenz­netz­werk, das unter anderem darauf schaut, wie Behörden, Projekt­träger und Unternehmen vernetzt werden können und welche Rahmen­bedingungen sie für ihre Zusammen­arbeit brauchen. Wichtig ist dabei, dass die Frauen mit­ein­bezogen werden und potenzielle Arbeit­geber ihre viel­schichtigen und komplexen Lebens­realitäten anerkennen.

Größere Unternehmen haben oft Ressourcen zur Verfügung, um zum Beispiel ein passendes Onboarding zu gestalten oder ein Buddy-System mit Mentoring ein­zu­führen.

Lejla Medanhodžić, Politik­wissen­schaftlerin

Wie kann diese Einbindung in der Praxis aussehen?

Größere Unternehmen haben oft Ressourcen zur Verfügung, um zum Beispiel ein passendes Onboarding zu gestalten oder ein Buddy-System mit Mentoring ein­zu­führen und damit auch das persönliche Netzwerk der Frauen mit Flucht­erfahrung zu stärken. Ein gelungenes Beispiel ist das Projekt einer gemein­nützigen Organisation mit Zugang zu Frauen mit Flucht­erfahrung und eines großen Unternehmens: Gemeinsam unter­stützen sie kleine Hand­werks­betriebe – in diesem Fall Frisier­salons – dabei, den Fach­kräfte­mangel zu beheben und gleich­zeitig Frauen in Ausbildung oder Beschäftigung zu bringen.

Entscheidend für den Erfolg solcher Projekte sind vor allem praxis­nahe Einstiege, persönliche Kontakte und die Bereitschaft, Zeit und Vertrauen in Mentoring zu investieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich sehe eine große Chance für alle darin, Frauen mit Flucht­erfahrung sicht­barer zu machen. Natürlich sind sie Opfer von Kriegen und gewaltsamen Auseinander­setzungen mit tiefen Lebens­einschnitten. Allerdings wollen wir Narrative etablieren, die ihre Selbst­ermächtigung, Erfahrungen und Fähigkeiten betonen. Denn sie bringen auch wertvolle Perspektiven mit, die unseren Arbeits­markt bereichern können. Etwa durch sprachliche und kulturelle Vielfalt und neue Ideen. Ihre Integration in den deutschen Arbeits­markt ist deshalb nicht nur eine Antwort auf den Fach­kräfte­mangel, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Dafür braucht es mehr Sichtbarkeit und die Bereitschaft von Politik, Medien und Gesellschaft, diese Frauen als das zu sehen, was sie sind: ein Gewinn für unsere Gesellschaft.


Sefa – Nach­haltige Arbeits­markt­integration von Frauen mit Flucht­erfahrung

Das Projekt Sefa von Minor – Projekt­kontor für Bildung und Forschung identifiziert zwar Hürden, fokussiert sich aber vor allem auf die Erfolgs­faktoren für die berufliche und die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen mit Flucht­erfahrung. In enger Zusammen­arbeit mit Fach­akteur*innen, Behörden, Arbeit­gebern, Zivil­gesellschaft und den Frauen selbst werden Lösungen erarbeitet, um deren Integration praxis­nah und nach­haltig zu gestalten.

minor-kontor.de/sefa-nachhaltige-arbeitsmarktintegration-von-frauen-mit-fluchterfahrung/