Frauengesundheit als Politikum: Charité-Projekt baut Diskriminierung ab

Frauengesundheit als Politikum: Charité-Projekt baut Diskriminierung ab
Autorin: Judith Jenner Fotos: Jens Schlüter 08.07.2025

Mit dem Projekt „Empowerment für Diversität – Allianz für Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung“ geht die Charité – Universitätsmedizin Berlin mit bundesweit sieben Frauenkliniken gegen Diskriminierung in der Medizin vor. Im Fokus stehen dabei Patient*innen und Mitarbeitende mit Rassismuserfahrung, Flucht- oder Migrationsgeschichte. AufRuhr war bei einem Aktionstag am Universitätsklinikum Leipzig dabei.

Eine Gebärmutter aus Kunststoff liegt auf dem Tisch des Vereins NURA.Leipzig vor dem hellen Sitzungs­saal in der Universitäts­klinik Leipzig. Die Vertreter*innen des Vereins nutzen das Modell, um über den weiblichen Zyklus oder das Thema Schwanger­schaft ins Gespräch zu kommen. NURA.Leipzig ist eine von neun Leipziger Initiativen, die anlässlich des Inter­nationalen Aktions­tages für Frauen­gesundheit am 28. Mai auf dem „Markt der Möglichkeiten“ Fragen beantworten und Flyer verteilen. Nebenan halten Expertinnen Vorträge zu Kinder­wunsch­behandlungen oder zur Erkrankung Endometriose, begleitet von dem leisen Flüstern mehrerer Dolmetscher*innen.

Weil Türkisch nicht dabei ist, setzt sich Professorin Bahriye Aktas, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Frauen­heil­kunde am Universitäts­klinikum Leipzig, spontan zu einer Gruppe Frauen und über­setzt selbst. „Ich bin schon als Kind mit Verwandten zu Gynäkolog*innen gegangen, die die Sprache nicht konnten“, erzählt die renommierte Krebs­forscherin. „Dadurch entstand bei mir früh der Wunsch, Frauen­ärztin zu werden. Ich wollte, dass die gynäkologische Vorstellung nicht mehr Über­windung kostet als die haus­ärztliche.“

Bei der Bewerbung ihrer Klinik um das Programm „Empowerment für Diversität – Allianz für Chancen­gleich­heit in der Gesund­heits­versorgung“ war Aktas feder­führend. „Wer wie ich einen Migrations­hinter­grund hat, erlebt gewisse Dinge. Viel stärker von Diskriminierung betroffen sind aber Menschen, die die deutsche Sprache nicht oder nur unzureichend sprechen.“ Denn diese Menschen werden oft respektlos behandelt. Der Klassiker: Das Gegen­über wird immer lauter, dabei hat die Person kein Hör-, sondern ein Sprach­problem. Doch Sprach­barrieren sind nur eine von vielen Hürden: Auch rassistische Zuschreibungen, queer­feindliche Bemerkungen oder abwertende Reaktionen auf die soziale Herkunft kommen in Kliniken vor.

Prof. Bahriye Aktas
© Jens Schlüter

Prof. Dr. Bahriye Aktas ist Direktorin der Klinik und Poli­klinik für Frauen­heil­kunde am Universitäts­klinikum Leipzig. Sie ist vor allem im Bereich der Krebs­feld­chirurgie in der gynäkologischen Onkologie tätig. Neben der minimalinvasiven und roboter­assistierten Chirurgie beschäftigt sie sich mit der Senologie, der Medizin der weiblichen Brust. Außerdem ist sie eine der Initiator*innen des Projektes „Empowerment für Diversität – Allianz für Chancen­gleichheit in der Gesundheits­versorgung“.

Damit Vorurteile und Diskriminierung in Zukunft nicht mehr die Qualität der medizinischen Behandlung beeinträchtigen, hat die Berliner Charité vor zweieinhalb Jahren das Projekt ins Leben gerufen. Sieben Frauen­kliniken in ganz Deutschland erhalten eine Teil­förderung, das Universitäts­klinikum Leipzig ist eine von ihnen. Die Förderung ermöglicht den Kliniken, Mitarbeitende zu Diskriminierungs­themen zu schulen, elektronische Übersetzungs­hilfen anzuschaffen, Internet­seiten und Flyer zu über­setzen oder Veranstaltungen zur Sensibilisierung von Personal und Patient*innen aus­zu­richten. „Ziel ist es, in den Organisations­strukturen nachhaltig Prozesse und Maßnahmen zu verankern, die Diskriminierung, beispiels­weise aufgrund von Herkunft, sexueller Orientierung oder sozialem Status, verhindern“, erklärt Sybill Schulz. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Organisations­entwicklung der am Projekt beteiligten Kliniken und ist seit vielen Jahren als Beraterin im Gesundheits- und Integrations­bereich tätig.

Sprachbarrieren überwinden

Mittlerweile hat Assistenzärztin Rosa Schulte-Frohlinde die Koordination des Projektes in Leipzig übernommen. Sie organisiert Veranstaltungen und verpflichtende Trainings für Kolleg*innen. Dabei gehe es viel um Kommunikation und Selbst­reflexion. Im stressigen Klinikalltag fehle es oft an Zeit. Wenn dann ein*e Patient*in mehr Aufmerksamkeit benötige als üblich, steige das Stress­level bei den zuständigen Ärzt*innen und Pflege­kräften. Insbesondere die Triage – die Sichtung und die Priorisierung von Verletzten und Erkrankten bei einem Massen­anfall – werde von internalisierten, oft auch diskriminierenden Bewertungs­mustern beeinflusst. Die Ungeduld sei oft ein Resultat von mangelndem Verständnis: Warum spricht jemand, der in Deutschland lebt, die Sprache nicht oder nur unzureichend? Rosa Schulte-Frohlinde: „Nicht jede Person kommt freiwillig hierher. Manchmal sind die Lebens­umstände auch so fordernd, dass keine Zeit bleibt, einen Sprachkurs zu besuchen.“ Über solche Fragen ins Gespräch zu kommen, helfe Ärzt*innen und Pflege­personal, in Zukunft verständnis­voller zu reagieren.

Rosa Schulte-Frohlinde
© Jens Schlüter

Dr. Rosa Schulte-Frohlinde ist Assistenz­ärztin der Klinik und Poli­klinik für Frauen­heil­kunde am Universitäts­klinikum Leipzig. Sie koordiniert das Projekt „Empowerment für Diversität – Allianz für Chancen­gleichheit in der Gesundheits­versorgung“ für den Standort Leipzig.

Meist sind die Patient*innen verpflichtet, sich selbst um eine*n Dolmetscher*in zu kümmern. Das kann auch ein*e Angehörige*r sein oder ein Mitglied einer Hilfs­organisation. Für Notfälle hat die Klinik nun mit Unter­stützung des Projektes Über­setzungs­geräte angeschafft. Die kleinen Apparate in der Größe eines Handys entsprechen den strengen Daten­schutz­standards der Klinik und funktionieren vor allem für weit­verbreitete Sprachen sehr gut. Dass diese aller­dings bei selteneren Sprachen, beispiels­weise Georgisch, an ihre Grenzen kommen, mussten Bahriye Aktas und Rosa Schulte-Frohlinde bereits fest­stellen.

Auch Anamnesebögen der gynäkologischen Ambulanz ließ die Universitäts­frauen­klinik in verschiedene Sprachen über­setzen. Mithilfe von Über­setzungs­apps können Patient*innen nun ihre Daten auf Deutsch eintragen, das spart Zeit. Eine zusätzliche Stütze in der Kommunikation ist das inter­national zusammen­gesetzte Team. Jede Station hat inzwischen über die Personal­abteilung Zugriff auf eine Liste mit Kolleg*innen, die über­setzen können – voraus­gesetzt, sie haben gerade Dienst und sind verfügbar.

Interne Leitlinie für Unversicherte

Ebenfalls eine vulnerable Gruppe sind Patient*innen ohne Kranken­versicherung. Annette Keller, Leiterin des Sozial­dienstes, kümmert sich mit ihrem Team um die Betroffenen und arbeitet dabei auch mit Behörden und externen Hilfs­organisationen wie dem Verein CABL zusammen. „Wichtig ist, dass alle – vom Klinik­empfang bis zu den Stationen – wissen, wie sie eine unversicherte Person unter­stützen können“, stellt Annette Keller klar. „Wir haben dazu eine interne Leit­linie verfasst und schulen aktuell Kolleg*innen aus der Pflege.“

© Jens Schlüter

Annette Keller ist Diplom-Sozial­pädagogin und Leiterin der Zentralen Einrichtung Klinik­sozial­dienst am Universitäts­klinikum Leipzig.

Das Projekt „Empowerment durch Diversität“ nimmt Frauen* und FLINTA*-Personen in den Fokus, da sie aufgrund ihres Geschlechts häufig unter Mehr­fach­diskriminierung leiden, wenn sie beispiels­weise nicht versichert oder von Rassismus betroffen sind. Unsicherheit nimmt Rosa Schulte-Frohlinde auch im Umgang mit queeren Menschen wahr. Sie hat sich angewöhnt, beim Aufrufen von Patient*innen nur den Nach­namen zu nennen. „Im Gespräch kann ich dann fragen, wie die Person angesprochen werden möchte“, sagt sie. Das zeigt: Die Gynäkologie ist ein politisches Fach. Ob Trans­identität, Schwanger­schafts­abbrüche oder Ei­zellen­spende: Vieles wird nicht nur in Sprech­zimmern be-, sondern auch in Parlamenten verhandelt.

Im Krankenhaus der Zukunft sollten Rechte von Frauen und FLINTA*-Personen mehr an Bedeutung gewinnen, wünscht sich Rosa Schulte-Frohlinde. Als Assistenz­ärztin lehrt sie auch am Kranken­haus, für Studierende hat sie im März erstmals ein Wahl­pflicht­seminar zur diskriminierungs­sensiblen Medizin angeboten. Das Feedback war durchweg positiv. Ein Satz hat ihr besonders Hoffnung für die Zukunft ihres Faches gegeben: „Jetzt weiß ich endlich, was ich für eine Ärztin werden möchte.“


Empowerment für Diversität – Allianz für Chancen­gleichheit in der Gesundheits­versorgung

„Empowerment für Diversität“ ist ein bundes­weites Projekt der Charité – Universitäts­medizin Berlin, das sich für mehr Chancen­gleichheit und Diversitäts­gerechtigkeit in der Gesundheits­versorgung einsetzt. Im Fokus stehen dabei Patient*innen und Mitarbeitende mit Rassismus­erfahrung, Flucht- oder Migrations­geschichte. Unter der Leitung von Professorin Dr. Theda Borde und Professor Dr. Jalid Sehouli fokussiert sich ein sechs­köpfiges Team gemeinsam mit sieben Partner­kliniken und zehn Qualifizierungs­partnern darauf, diskriminierungs­sensible Strukturen auf­zu­bauen, inter­sektionale Kompetenzen zu stärken und diversitäts­orientierte Lehr­formate zu entwickeln.

diversity.charite.de