Konfliktmanagement in Kommunen: 7 Tipps für konstruktive Lösungen
Unsere Demokratie lebt von Meinungsvielfalt und konstruktivem Streit. Doch unter anderem bei den Themen Einwanderung und Integration drohen Konflikte zu eskalieren. Julia Schatzschneider koordiniert ein Projekt, das Mitarbeiter*innen der kommunalen Integrationszentren und benachbarter Ressorts zu Konfliktmanager*innen ausbildet. Diese sollen Wege für die Bearbeitung lokaler Konflikte entwickeln und so gesellschaftlicher Spaltung entgegenwirken. Für AufRuhr gibt sie sieben Tipps, um Konflikte professionell zu lösen.
Über dreißig Prozent aller Menschen in Deutschland haben heute eine Migrationsbiografie. Für die meisten ist das Zusammenleben mit Personen unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Lebensweise Normalität. Trotzdem kommt es wegen dieser kulturellen Vielfalt auch zu Konflikten. Seit Jahren versuchen Rechtspopulist*innen, das Thema Migration zu instrumentalisieren, um die Gesellschaft zu spalten. Doch es gibt ein wirksames Gegenmittel: Werden interkulturelle Konflikte professionell angegangen, kann rechten Narrativen die Grundlage entzogen werden. Außerdem zeigt sich, dass hinter den Konflikten oft nicht Migration per se, sondern andere Ursachen stecken.
In neun Kommunen in Nordrhein-Westfalen wurden seit 2022 insgesamt 18 Konfliktmanager*innen ausgebildet. Sie kümmern sich sowohl um Konflikte in den Quartieren als auch darum, dass Verwaltungen besser auf den Umgang mit Konflikten vorbereitet sind. Was gutes kommunales Konfliktmanagement ausmacht, weiß Julia Schatzschneider. Als Projektkoordinatorin hat sie drei Jahre lang den Aufbau professioneller Systeme zur Konfliktbearbeitung begleitet.
Julia Schatzschneider ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SO.CON Institut für Forschung und Entwicklung in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Dort leitet sie das Projekt „KoKo II – Kommunales Konfliktmanagement fördern – Kommunen für Integration stärken“. Außerdem ist sie ausgebildete Sozialarbeiterin und Mediatorin.
1. Präventiv agieren
Ein professioneller Umgang mit Konflikten beginnt frühzeitig. Menschen, die mit der kommunalen Konfliktbearbeitung betraut werden, brauchen den guten Kontakt zu ihren Quartieren. Auch benötigen sie einen Blick für alles, was auf kommunaler Ebene geplant wird. Bei Entwicklungen mit Konfliktpotenzial – beispielsweise der Einrichtung einer Unterkunft für geflüchtete Menschen – sollte die Bevölkerung früh beteiligt werden.
Konfliktmanager*innen erkennen solche Spannungsfelder und können so einer Eskalation entgegenwirken. Zum Beispiel, indem Räume geschaffen werden, in denen Bürger*innen ihre Positionen und Befürchtungen äußern können. Und sie darüber informiert werden, wie sie kommunale Entscheidungen beeinflussen können. Ein guter Informationsfluss und regelmäßiger Austausch zwischen Bevölkerung und Verwaltung sind hierfür das A und O.
2. Auch „den Leisen“ zuhören
Achtsame Konfliktbearbeitung hört genau hin – und stellt so sicher, dass alle Perspektiven eines Konfliktes erfasst werden. Zurückhaltende Personen sind überproportional jene, die individuell und strukturell diskriminiert werden. Junge Frauen mit Migrationsgeschichte zum Beispiel. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe werden sie oft übersehen, abgewertet und benachteiligt.
Wer einen Konflikt moderiert, sollte sich also die Frage stellen: Wer oder welche Personengruppe hat die Situation als Konflikt gemeldet? Wird allen Beteiligten Gehör geschenkt und nicht nur jenen, die sich oft äußern? Wenn auch zurückhaltende Beteiligte zu Wort kommen, wird sichergestellt, dass nicht allein die laute Minderheit das Konfliktmanagement in den Kommunen diktiert.
3. Mehr Mut zum Konflikt
Konflikte sind unangenehm, die Angst vor einer Eskalation ist groß. Zu häufig werden gesellschaftliche Konflikte deshalb vermieden. Doch in ihnen steckt großes Potenzial: das Potenzial der demokratischen Teilhabe. Indem sich deutsche Kommunen, dortige Entscheider*innen und Mitarbeiter*innen zu professionellen Konfliktmanager*innen weiterbilden, tragen sie aktiv dazu bei. Um in Zukunft konstruktiver zu streiten, braucht es vor allem eines: Mut. Und der ist es wert. Wie Helmut Schmidt schon sagte: „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“
4. Wertschätzung aller beteiligten Akteur*innen
Neben professionell ausgebildeten Konfliktmanager*innen gibt es in vielen Kommunen haupt- und ehrenamtlich Engagierte, die in Konflikten vermitteln und sich für konstruktive Lösungen einsetzen. Es lohnt sich für alle Beteiligten, diese Ressource zu nutzen und wertzuschätzen.
5. Ein gutes Netzwerk aufbauen und pflegen
Ob die Konfliktbearbeitung in einer Kommune gelingt, hängt maßgeblich vom Netzwerk der Konfliktmanager*innen ab. Sie können Bezirksbürgermeister*innen, Quartiermanager*innen, Religionsvertreter*innen oder Kioskbesitzer*innen sein. Sie kennen sich sowohl in der lokalen Verwaltung aus als auch in jenen Stadtteilen und Quartieren, in denen es öfter zu Konflikten kommt. Sie erkennen Konflikte frühzeitig und wissen im Ernstfall, welche professionellen, aber auch informellen Ressourcen die Beteiligten zur Lösung von Konflikten nutzen können.
6. Support durch Führungskräfte
Wer Konflikte lösen will, braucht eine konstruktive Konfliktkultur. Doch diese Kultur kann nur entstehen, wenn Entscheider*innen der Kommunen dahinterstehen – tatkräftig und mit den entsprechenden Ressourcen. Erfahrene Konfliktmanager*innen nennen diese Art der Unterstützung als wichtigsten Erfolgsfaktor. Stehen Führungskräfte oder kommunale Entscheider*innen nicht ausreichend hinter ihnen, kann dies schnell zu Überarbeitung oder Burn-out führen. Denn die Konfliktmanager*innen sind es, die mit sämtlichen Konflikten persönlich umgehen müssen.
7) Konfliktmanagement ist ein Prozess
Gute Konfliktbearbeitung fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht durch professionelle Aus- und Weiterbildungen, ist anspruchsvoll und ein langer Prozess. Das Fachwissen gibt den Konfliktmanager*innen Verhandlungssicherheit und kann so das Gefühl der Ohnmacht in konfliktreichen Situationen reduzieren.
Kommunales Konfliktmanagement fördern – Kommunen für Integration stärken
Im Zentrum des Projektes steht eine von der Hochschule Niederrhein zertifizierte Fortbildung, die Mitarbeiter*innen der kommunalen Verwaltung zu Konfliktmanager*innen ausbildet. Sie werden befähigt und unterstützt, ein passgenaues Konfliktmanagementsystem für ihre Kommune zu entwickeln. Hier geht es darum, eine konstruktive Umgangsweise mit Konflikten zu erarbeiten und ein Netzwerk zu etablieren, das im Krisenfall agieren kann.