Konfliktmoderation in Ostdeutschland: „Es muss Platz für Emotionen sein“
Aufgeheizte Bürgerdialoge zu moderieren erfordert Können und Nerven – besonders vor den Wahlen in Ostdeutschland. Katja Hilbert und Daniel Strobel sind ausgebildete Konfliktmanager*innen in Sachsen und wissen, wie man Konflikte professionell handhabt. AufRuhr hat die beiden besucht und sie dazu befragt.
Katja Hilbert, Referentin im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung
Frau Hilbert, wieso brauchen wir Konfliktmanager*innen?
Katja Hilbert: Als Moderatorin arbeite ich vor allem bei Bürgerversammlungen, Wahlforen und öffentlichen Veranstaltungen. Bei manchen Themen ist die Stimmung so aufgeheizt, dass jemand diesen Prozess professionell begleiten muss. Als ausgebildete Konfliktmoderatorin gehe ich dorthin, wo es ohne diese Begleitung auszuufern droht.
Welche Themen sind besonders aufgeheizt?
Strittig sind meist die Themen rund um große politische Entscheidungen. Klimawandel, Corona, Migration, Integration sowie die Verteilung von Geflüchteten.
Wann und wo werden Sie als Konfliktmanagerin aktiv?
Derzeit sind es häufig Wahlforen für die Landtagswahlen am 1. September 2024 in Sachsen. Früher gab es auch Corona-Dialoge und Gesprächsrunden zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Immer, wenn es potenziell konfliktreich wird, können die Verantwortlichen den Aktion Zivilcourage e.V. für eine Konfliktmoderation anfragen.
Wie lösen Sie solche Konflikte?
Als Moderatorin bin ich Anwältin des Prozesses. Ich beteilige mich nicht inhaltlich, sondern halte die Gespräche in der Hand, behalte das Ziel der Veranstaltung im Blick und sorge für Fairness in der Debatte. Es muss aber auch Platz für Emotionen geben. Die Menschen müssen ihren Frust rauslassen können. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Situation in einem konstruktiven Rahmen bleibt.
Was erreichen Sie mit Ihrem Engagement als Konfliktmanagerin?
Es ist für unsere Gesellschaft unabdingbar, gut und fair im Gespräch zu bleiben. Wenn es keinen echten Austausch mehr gibt: Was machen wir dann? Manchmal komme ich an einen Ort und stelle fest, dass die Fronten verhärtet sind und niemand mehr bereit ist, einen Schritt in die Richtung des*der anderen zu gehen. Mir geht es darum, den Dialog so zu gestalten, dass alle ihre Meinungen einbringen können.
Es ist für unsere Gesellschaft unabdingbar, gut und fair im Gespräch zu bleiben.
Gibt es einen Punkt, an dem Sie eine Diskussion abbrechen?
Wir bewegen uns im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es kommt häufig vor, dass es bei Veranstaltungen massive Störungen gibt. Wenn ich merke, dass jemand nur zum Pöbeln kommt, gibt es ein bis zwei Verwarnungen. Wer sich dann immer noch nicht an die Gesprächsregeln hält, muss gehen.
Was hören Sie von den Teilnehmer*innen?
Die überwiegende Mehrheit erkennt positiv überrascht an, dass es uns um einen echten und fairen Austausch geht. Das heißt, jeder und jede kann zu Wort kommen und gehört werden, verschiedene Perspektiven sind gewollt. Daran kann man gute Krisen- und Konfliktmoderation messen. Und wenn ich merke, dass sich Menschen ernsthaft begegnen, sich zuhören und mit einem Denkanstoß nach Hause gehen, dann habe ich viel erreicht.
Daniel Strobel, Bürgermeister von Großpösna
AufRuhr: Herr Strobel, warum sind Sie Konfliktmanager geworden?
Daniel Strobel: Für mich hat Frank Richter, der jahrelang die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen geleitet hat, mal einen wichtigen Satz gesagt: „Miteinander reden kann scheitern. Nicht miteinander reden scheitert auf jeden Fall.“ Das hat mich angesprochen.
Was sind die häufigsten Konfliktfelder in Ihrer Arbeit?
Das ist von der politischen Großwetterlage abhängig. Das Thema der Unterbringung von Geflüchteten ist immer noch emotional aufgeladen, auch wenn die Intensität abgenommen hat. Aktuell sind außerdem erneuerbare Energien und der Ausbau von Windenergieanlagen präsent. Beides ist in Sachsen sehr umstritten.
Haben Sie ein Geheimrezept, um einen Konflikt zu lösen?
Ganz wichtig sind nach meiner persönlichen Erfahrung die Bedürfnisse der einzelnen Akteur*innen. Ich muss herausfinden, was hinter einer bestimmten Meinungsäußerung steckt. Woher kommt die Wut? Ich ergründe das in aller Ruhe und begreife dann, warum mein Gegenüber so agiert. Ich will Verständnis für die Hintergründe aufbringen. Manchmal ist es eine vage, undefinierte Angst, die sich hinter einem Scheinargument verbirgt.
Wie gehen Sie mit solchen Emotionen um?
Die große Kunst ist es, Emotionen zuzulassen und zugleich auf der Sachebene miteinander zu diskutieren. Das zu gewährleisten ist meine Aufgabe als Moderator und Konfliktmanager.
Wann brechen Sie eine Diskussion ab?
Es gibt Punkte, an denen Gespräche sinnlos sind – gerade wenn es zu strafbaren und rassistischen Äußerungen kommt. Meine Strategie ist dann, das zu benennen und es nicht einfach hinzunehmen. Ich muss ganz klar machen, dass so etwas in der Gesprächsrunde nicht stattfinden kann.
Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?
Ich bin ein absoluter Demokratiefan. Wir brauchen aber mehr Elemente, um die repräsentative Demokratie zu ergänzen. Und zwar Bürgerbeteiligungsformate, um den Menschen nicht bloß alle paar Jahre die Gelegenheit zu geben, ihre Stimme bei Wahlen geltend zu machen. Wir müssen es schaffen, die Menschen zu aktivieren, damit sie mehr mitmachen und mitreden.
Aktion Zivilcourage
Die Aktion Zivilcourage ist ein parteiunabhängiger Verein, der gesellschaftliche und politische Bildungsarbeit für alle Altersgruppen anbietet und staatlichen sowie nicht-staatlichen Organisationen unter die Arme greift. Der Verein will demokratische Prozesse und Engagement fördern. Die Arbeit findet in ganz Sachsen statt, vor allem für Menschen im ländlichen Raum.