Konfliktmoderation in Ostdeutschland: „Es muss Platz für Emotionen sein“

Katja Hilbert auf einem Bahnhof
Konfliktmoderation in Ostdeutschland: „Es muss Platz für Emotionen sein“
Autorin: Annette Walter Fotos: Reinaldo Coddou 13.08.2024

Aufgeheizte Bürger­dialoge zu moderieren erfordert Können und Nerven – besonders vor den Wahlen in Ost­deutschland. Katja Hilbert und Daniel Strobel sind ausgebildete Konflikt­manager*innen in Sachsen und wissen, wie man Konflikte professionell handhabt. AufRuhr hat die beiden besucht und sie dazu befragt.

Katja Hilbert, Referentin im Sächsischen Staats­ministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleich­stellung

Frau Hilbert, wieso brauchen wir Konflikt­manager*innen?

Katja Hilbert: Als Moderatorin arbeite ich vor allem bei Bürger­versammlungen, Wahlforen und öffentlichen Veranstaltungen. Bei manchen Themen ist die Stimmung so aufgeheizt, dass jemand diesen Prozess professionell begleiten muss. Als ausgebildete Konflikt­moderatorin gehe ich dorthin, wo es ohne diese Begleitung aus­zu­ufern droht.

Welche Themen sind besonders aufgeheizt?

Strittig sind meist die Themen rund um große politische Entscheidungen. Klimawandel, Corona, Migration, Integration sowie die Verteilung von Geflüchteten.

Wann und wo werden Sie als Konflikt­managerin aktiv?

Derzeit sind es häufig Wahlforen für die Land­tags­wahlen am 1. September 2024 in Sachsen. Früher gab es auch Corona-Dialoge und Gesprächs­runden zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Immer, wenn es potenziell konfliktreich wird, können die Verantwortlichen den Aktion Zivilcourage e.V. für eine Konflikt­moderation anfragen.

Katja Hilbert engagiert sich seit langem politisch – der Zusammenhalt der Gesellschaft liegt ihr am Herzen.
Katja Hilbert engagiert sich seit langem politisch – der Zusammenhalt der Gesellschaft liegt ihr am Herzen. © Reinaldo Coddou

Wie lösen Sie solche Konflikte?

Als Moderatorin bin ich Anwältin des Prozesses. Ich beteilige mich nicht inhaltlich, sondern halte die Gespräche in der Hand, behalte das Ziel der Veranstaltung im Blick und sorge für Fairness in der Debatte. Es muss aber auch Platz für Emotionen geben. Die Menschen müssen ihren Frust rauslassen können. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Situation in einem konstruktiven Rahmen bleibt.

Was erreichen Sie mit Ihrem Engagement als Konflikt­managerin?

Es ist für unsere Gesellschaft unabdingbar, gut und fair im Gespräch zu bleiben. Wenn es keinen echten Austausch mehr gibt: Was machen wir dann? Manchmal komme ich an einen Ort und stelle fest, dass die Fronten verhärtet sind und niemand mehr bereit ist, einen Schritt in die Richtung des*der anderen zu gehen. Mir geht es darum, den Dialog so zu gestalten, dass alle ihre Meinungen einbringen können.

Es ist für unsere Gesellschaft unabdingbar, gut und fair im Gespräch zu bleiben.

Katja Hilbert, Referentin im Sächsischen Staats­ministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung

Gibt es einen Punkt, an dem Sie eine Diskussion abbrechen?

Wir bewegen uns im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung. Es kommt häufig vor, dass es bei Veranstaltungen massive Störungen gibt. Wenn ich merke, dass jemand nur zum Pöbeln kommt, gibt es ein bis zwei Verwarnungen. Wer sich dann immer noch nicht an die Gesprächs­regeln hält, muss gehen.

Was hören Sie von den Teilnehmer*innen?

Die überwiegende Mehrheit erkennt positiv überrascht an, dass es uns um einen echten und fairen Austausch geht. Das heißt, jeder und jede kann zu Wort kommen und gehört werden, verschiedene Perspektiven sind gewollt. Daran kann man gute Krisen- und Konflikt­moderation messen. Und wenn ich merke, dass sich Menschen ernsthaft begegnen, sich zuhören und mit einem Denk­anstoß nach Hause gehen, dann habe ich viel erreicht.

Seit 2022 ist Daniel Strobel Bürgermeister von Großpösna bei Leipzig und moderiert zudem Informationsveranstaltungen für die Menschen in Sachsen.
Seit 2022 ist Daniel Strobel Bürgermeister von Großpösna bei Leipzig und moderiert zudem Informationsveranstaltungen für die Menschen in Sachsen. © Reinaldo Coddou

Daniel Strobel, Bürgermeister von Großpösna

AufRuhr: Herr Strobel, warum sind Sie Konflikt­manager geworden?

Daniel Strobel: Für mich hat Frank Richter, der jahrelang die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen geleitet hat, mal einen wichtigen Satz gesagt: „Miteinander reden kann scheitern. Nicht mit­einander reden scheitert auf jeden Fall.“ Das hat mich angesprochen.

Was sind die häufigsten Konflikt­felder in Ihrer Arbeit?

Das ist von der politischen Groß­wetter­lage abhängig. Das Thema der Unter­bringung von Geflüchteten ist immer noch emotional aufgeladen, auch wenn die Intensität abgenommen hat. Aktuell sind außerdem erneuer­bare Energien und der Ausbau von Wind­energie­anlagen präsent. Beides ist in Sachsen sehr umstritten.

Haben Sie ein Geheim­rezept, um einen Konflikt zu lösen?

Ganz wichtig sind nach meiner persönlichen Erfahrung die Bedürfnisse der einzelnen Akteur*innen. Ich muss heraus­finden, was hinter einer bestimmten Meinungs­äußerung steckt. Woher kommt die Wut? Ich ergründe das in aller Ruhe und begreife dann, warum mein Gegen­über so agiert. Ich will Verständnis für die Hinter­gründe aufbringen. Manchmal ist es eine vage, undefinierte Angst, die sich hinter einem Schein­argument verbirgt.

Wie gehen Sie mit solchen Emotionen um?

Die große Kunst ist es, Emotionen zuzulassen und zugleich auf der Sach­ebene miteinander zu diskutieren. Das zu gewähr­leisten ist meine Aufgabe als Moderator und Konflikt­manager.

Wann brechen Sie eine Diskussion ab?

Es gibt Punkte, an denen Gespräche sinnlos sind – gerade wenn es zu strafbaren und rassistischen Äußerungen kommt. Meine Strategie ist dann, das zu benennen und es nicht einfach hin­zu­nehmen. Ich muss ganz klar machen, dass so etwas in der Gesprächs­runde nicht statt­finden kann.

Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?

Ich bin ein absoluter Demokratie­fan. Wir brauchen aber mehr Elemente, um die repräsentative Demokratie zu ergänzen. Und zwar Bürger­beteiligungs­formate, um den Menschen nicht bloß alle paar Jahre die Gelegenheit zu geben, ihre Stimme bei Wahlen geltend zu machen. Wir müssen es schaffen, die Menschen zu aktivieren, damit sie mehr mitmachen und mitreden.


Aktion Zivilcourage

Die Aktion Zivilcourage ist ein partei­unabhängiger Verein, der gesellschaftliche und politische Bildungs­arbeit für alle Alters­gruppen anbietet und staatlichen sowie nicht-staatlichen Organisationen unter die Arme greift. Der Verein will demokratische Prozesse und Engagement fördern. Die Arbeit findet in ganz Sachsen statt, vor allem für Menschen im ländlichen Raum.

www.aktion-zivilcourage.de