„Pflegekräfte müssen sich in Deutschland wohlfühlen, damit sie bleiben“

Eine Krankenschwester und ein Krankenpfleger laufen einen Krankenhausflur entlang
„Pflegekräfte müssen sich in Deutschland wohlfühlen, damit sie bleiben“
Autor: Philipp Nagels 24.04.2025

Jede sechste Pflegefachkraft in Deutschland kommt mittler­weile aus dem Ausland. Doch nicht alle von ihnen wollen hier bleiben. Ein Forschungs­projekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zeigt: Diskriminierung, Sprach­barrieren und soziale Isolation bereiten den Zugezogenen Probleme. Wie sich das ändern lässt und wie Kliniken, Pflege­einrichtungen und -dienste voran­gehen, erklären Theresa Wagner und Dr. Tobias Weidinger.

Auf dem Papier ist die Sache klar: Die deutsche Pflege braucht dringend Zuwanderung. Immer mehr Menschen werden im Alter pflege­bedürftig, gleich­zeitig lassen sich zu wenig Deutsche als Pflege­kräfte ausbilden. Seit einigen Jahren rekrutieren daher deutsche Kliniken, Pflege­einrichtungen und -dienste gezielt ausländische Pfleger*innen, um diese Versorgungs­lücke zu schließen. Doch nicht alle Menschen, die für diese Arbeit nach Deutschland kommen, werden mit offenen Armen empfangen.

„Diskriminierung gehört zu den häufigsten Problemen, von denen ausländische Pflege­kräfte berichten“, sagt Theresa Wagner. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am FAU Forschungs­zentrum Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg hat im Rahmen des Projektes „Gesundheit! Teilhabe im Pflege­sektor“ Pflege­kräfte wie Mariam* aus Burkina Faso interviewt. Ein roter Faden habe sich durch alle Gespräche gezogen, sagt sie: „Die Entscheidung, hier­zu­bleiben oder nicht, hängt stark davon ab, ob sich die Menschen in Deutschland wohl­fühlen.“

Das Forschungsprojekt untersucht seit 2022, unter welchen Bedingungen die lang­fristige Integration von Pflege­kräften aus dem Ausland gelingen kann. Die zentrale Erkenntnis: Zum Wohl­fühlen gehört wesentlich mehr, als nicht diskriminiert zu werden oder einen sicheren Job mit Sozial­versicherung zu haben. Zu häufig konzentriere sich die politische Debatte auf die Transaktion Arbeits­kraft gegen Bezahlung, so Tobias Weidinger vom Institut für Geographie der FAU. Zu wenig gehe es um soziale Teilhabe, Freizeit und Alltags­mobilität. Vermeintlich weiche Faktoren, die aber zu harten Entscheidungen führen: Ist Deutschland das neue Zuhause oder nur eine Zwischen­station?

Theresa Wagner
© fototeam dölzer

Theresa Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projektes „Gesundheit! Teilhabe im Pflege­sektor“ am FAU CHREN. Davor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projektes „Brenn­glas Corona. Lokale Integrations­arbeit in Zeiten einer globalen Pandemie“ im Forschungs­bereich Migration, Flucht und Integration tätig.

Dabei beginne ein guter Integrations­prozess schon mit dem entsprechenden Erwartungs­management im Heimatland, betont Weidinger. „Es reicht nicht, die Menschen vom Flughafen abzuholen und ihnen eine Wohnung zu geben“, erklärt er. „Um Enttäuschungen zu vermeiden, müssen Pflege­einrichtungen und Recruiting-Firmen frühzeitig über die Bedingungen in Deutschland informieren.“ Viele Pflegekräfte haben in ihrem Heimatland bereits jahrelange Berufs­erfahrungen gesammelt, sind an bestimmte Prozesse, Gesetze und Umgangs­formen gewöhnt. Diese können in Deutschland aber anders geregelt sein.

„Das eigene Land zu verlassen, war das größte Problem. Meine Eltern, meine Familie, meine Erinnerungen und meine besten Freund*innen sind dageblieben. Das zweitgrößte Problem war die fremde Kultur, die ich überhaupt nicht kannte.“ – Valentina*, Pflegekraft aus Albanien

Sprachbarrieren: B2 reicht oft nicht aus

Die ersten Wochen und Monate in Deutschland sind für ausländische Pflegekräfte besonders heraus­fordernd. Ausreichende Sprach­kenntnisse sind dabei eine der größten Hürden. Zwar müssen die angeworbenen Pflege­kräfte ein Sprach­niveau auf dem B2-Level nachweisen, doch oft liegen längere Zeiträume zwischen der Zertifizierung und der Einreise nach Deutschland. Wer nicht in Übung geblieben ist, hat vieles wieder vergessen. Auch Dialekte am neuen Wohnort können die Kommunikation erschweren.

Hinzu kommen alltägliche Probleme: Wie schließe ich einen Handy­vertrag ab? Wie richte ich ein Bank­konto ein? Und wie finde ich mich in einer neuen Stadt zurecht? „Der erste Kulturschock ist enorm“, sagt Weidinger. „Viele haben Schwierig­keiten, sich im neuen Alltag zurecht­zu­finden – sei es beim Einkaufen, im Verkehr oder im Umgang mit Behörden.“ Nicht zuletzt müssten sich gerade Pflege­kräfte aus südlichen Ländern auch mit dem deutschen Wetter arrangieren.

Tobias Weidinger
© privat

Dr. Tobias Weidinger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geographie der FAU und ist am Projekt „Gesundheit! Teilhabe im Pflege­sektor“ beteiligt. Er forscht zu Fragen von Migration und Integration und engagiert sich in der Methodenentwicklung. Besonders beschäftigt er sich mit verschiedenen Formen der Zuwanderung in ländliche Räume und mit Folgen für die regionale Entwicklung.

„Ich hatte es mir anders vorgestellt, irgendwie. Es liegt an meiner Kultur, wie ich erzogen worden bin. Ich fühle mich hier nicht zu Hause. Das ist traurig, aber es ist halt so.“ – Luan*, Pflegekraft aus Albanien

Einsamkeit statt Integration?

Die Herausforderungen für viele eingewanderte Pflegekräfte ähneln sich. Wie gut sie mit ihnen zurecht­kommen, hängt stark davon ab, wie sie vor Ort unter­stützt werden. Theresa Wagner sagt: „Manche berichten von richtig guten Erfahrungen. Von ganzen Teams oder einzelnen Personen in den Pflege­einrichtungen, die den Zugezogenen auch über die Arbeit hinaus helfen und sie zu Vereins­treffen oder Stammtischen einladen.“

Andere Fachkräfte, so Wagner, berichteten von Einsamkeit und Heimweh. Fehlende soziale Kontakte führten dazu, dass manche innerhalb Deutschlands umzögen oder das Land ganz verließen. Im schlimmsten Fall würden die ausländischen Pflegekräfte in der Gesellschaft bewusst außen vor gelassen, sagt die Forscherin. „Einige Pflege­kräfte haben mir erzählt, dass sie von Patient*innen abgelehnt wurden – weil sie einen anderen Namen oder eine andere Hautfarbe haben.“

„Die Leute sind nicht so offen. Ich kann auch nichts unternehmen, weil das allein keinen Sinn macht. Ich habe einfach nicht so viele Leute, die ich kenne.“ – Marie*, Pflegefachkraft aus Kamerun

Diskriminierung kann sich auch auf die Ausbildung beziehen. Manche Pflege­kräfte fühlen sich nicht ausreichend wert­geschätzt oder bemerken, dass ihre Qualifikation nicht die gleiche Anerkennung erfährt wie eine deutsche Ausbildung. „Das ist paradox, denn tatsächlich ist die Pflege­ausbildung in den meisten Herkunfts­ländern viel intensiver als bei uns“, sagt Theresa Wagner.

Die entscheidende Frage: Bleiben oder gehen?

Die Forschungsergebnisse des Projektes „Gesundheit! Teilhabe im Pflege­sektor“, die im Herbst mit Handlungs­empfehlungen erscheinen, zeigen: Eine nachhaltige Integration von Pflege­kräften aus dem Ausland gelingt nur, wenn die Pflege­einrichtungen mit den Kommunen, Bildungs­einrichtungen und der Zivil­gesellschaft zusammen­arbeiten. Wagner erklärt: „Für eine nach­haltige Beschäftigung brauchen wir Netzwerke, Prozesse und ein Bewusstsein für die individuellen Lebens­realitäten.“ Zudem müssten Pflegekräfte mit Migrations­hinter­grund stärker in Entscheidungs­prozesse eingebunden werden.

Bis 2034 werden hierzulande 350.000 Pflegekräfte fehlen, schätzt das Statistische Bundesamt. Umso wichtiger ist es, diejenigen zu unter­stützen, die sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen wollen: beim ersten Kontakt im Herkunfts­land, mit weniger Bürokratie und mehr Verständnis für Alltags­heraus­forderungen. Denn nur, wer sich in Deutschland wohlfühlt, wird lang­fristig bleiben. Theresa Wagner: „Viele Einrichtungen sind bereits engagiert und sagen: Ohne inter­nationale Pflege­kräfte wird es nicht mehr gehen.“ Einige Kliniken, die sie durch ihre Arbeit kennen­gelernt habe, hätten bereits Rezepte für gelingende Integration: „In den Kliniken, in denen Integration gut funktioniert, gibt es meistens klare Prozesse. Denn es macht einen Unterschied, ob eine Pflege­kraft in der Anfangs­zeit eng begleitet – zum Beispiel durch eine feste Ansprech­person – oder ob sie einfach in den Schicht­plan geworfen wird“, sagt Wagner. Zudem organisierten einige Arbeitgeber Sprach­kurse oder Tandem­modelle mit bereits eingearbeiteten ausländischen Pfleger*innen – ein weiterer Erfolgs­faktor. Wegen solcher Beispiele blickt Wagner positiv in die Zukunft: „Viele Pflege­kräfte berichten, dass sie geblieben sind, weil sie sich gesehen fühlen – nicht nur als Arbeits­kraft, sondern als Mensch. Das stimmt mich zuversichtlich.“


Gesundheit! Teilhabe im Pflegesektor

Das Projekt „Gesundheit! Teilhabe im Pflege­sektor“ ist am FAU Forschungs­zentrum Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg (FAU CHREN) unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Bendel angesiedelt und kooperiert mit dem Institut der Geographie der FAU. Es unter­sucht, wie eine nach­haltige Beschäftigung von Pflege­kräften mit Migrations­geschichte gelingen kann. Fokus der Forschung ist die Bleibe­orientierung: Unter welchen Bedingungen entscheiden sich Menschen, lang­fristig in Deutschland zu leben?
www.migration-pflege.chren.fau.de

*Alle Namen von der Redaktion geändert