Rechtsextremismus in der Polizei – kriegt die Demokratie die Kurve?

Rechtsextremismus in der Polizei – kriegt die Demokratie die Kurve?
Autor: Felix Jung 21.01.2025

Von Versäumnissen beim NSU-Prozess bis zu extremistischen Chatgruppen – immer wieder steht die Polizei wegen Rechts­extremismus in den eigenen Reihen in der Kritik. Als zuständige Ministerin stellte Nancy Faeser im März 2022 ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor, bereits seit 2019 entstehen auch innerhalb der Polizei entsprechende Aktions­bündnisse. Doch wie reformiert sich die Polizei? Und was hilft wirklich gegen anti­demokratische Gesinnungen? AufRuhr hat nach­gefragt, bei Aylin Akbulut und Michael Butt von der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ der Polizei Niedersachsen.

Liebenau. Es ist ein diesiger Januartag im ländlichen Nieder­sachsen auf halbem Weg zwischen Bremen und Hannover. Auf dem weit­läufigen Gelände der ehemaligen Pulver­fabrik Liebenau haben sich Aylin Akbulut und Michael Butt verabredet. Akbulut ist Juristin und bildet Polizist*innen an der Polizei­akademie Nieder­sachsen aus. Butt ist Polizei­haupt­kommissar und leitet den Einsatz- und Streifen­dienst im ländlichen Rotenburg. Sie sind beide Demokratie­pat*innen der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“, die sich für Rechts­staatlichkeit und eine offene und pluralistische Gesellschaft einsetzt. Die Gedenk- und Bildungs­stätte Liebenau spielt für die Initiative eine besondere Rolle: Zwischen 1940 und 1945 nutzte die Gestapo, die Geheime Staats­polizei der Nazis, die Pulver­fabrik als Arbeits­erziehungs­lager. Circa 20.000 Fremd- und Zwangsarbeiter*innen mussten unter härtesten Bedingungen Schieß­pulver herstellen, etwa 2.000 von ihnen starben an Mangel­erkrankungen, Hunger und Schlägen sowie durch Erschießungen und Hinrichtungen.

Aylin Akbulut
Aylin Akbulut ist Dozentin an der Polizeiakademie Niedersachsen und als Demokratiepatin bei der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ tätig. © Teresa Kröger
Michael Butt
Michael Butt ist Polizeihauptkommissar bei der Polizeiinspektion Rotenburg. Seit 2020 engagiert er sich bei der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“. © Teresa Kröger

„Wir nutzen die Besuche in dieser Gedenk­stätte, um Kolleg*innen an die Verantwortung der Polizei heran­zu­führen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen“, erklärt Michael Butt. Mit dem Besuch gehe auch die Frage einher, wie sich die Lehren der deutschen Geschichte in eine plurale, offene Gesellschaft überführen lassen. „In Gesprächen reflektieren wir uns selbst: Wie gehen wir als Polizei mit der Demokratie um, mit den Bürger*innen und unserer Verfassung?“

Der Totenschein eines in Liebenau verstorbenen Zwangsarbeiters. © Teresa Kröger
Ein altes Warnschild vom Schießplatz der ehemaligen Pulverfabrik. © Teresa Kröger
Eine alte Verpackung von Nebelwurfkörpern. © Teresa Kröger

Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit

Michael Butt und Aylin Akbulut teilen das Ziel, demokratische Werte in ihrer Arbeit zu verankern und andere davon zu überzeugen. Der gegen­seitige Respekt der beiden ist während der Führung durch die Gedenk­stätte spürbar. Bereits der erste Raum dokumentiert eindrucks­voll, weshalb alle Anwärter*innen der Polizei­akademie Nieder­sachsen diesen Ort mindestens einmal während ihrer Ausbildung besuchen. Die Wände der 2023 eröffneten Ausstellung sind mit Toten­scheinen übersät. Sie dokumentieren, woran die Zwangs­arbeiter*innen während des Zweiten Welt­krieges starben. „Kreis­lauf­schwäche“ oder „Lungen­entzündung“ steht dort oft – Beschönigungen, die die unmenschlichen Bedingungen in der Pulver­fabrik verschleiern sollten.

Aylin Akbulut in der Hauptausstellung der Gedenkstätte Liebenau. © Teresa Kröger

„Wir haben einen besonderen Auftrag als Polizei, als Exekutive mit einem Gewalt­monopol“, sagt Aylin Akbulut überzeugt. „Indem wir zurück­gehen an Orte wie diesen, schaffen wir Transparenz. Und nur so entwickeln wir uns weiter.“ Die Konfrontation mit der Vergangenheit der Polizei sei entscheidend, um mit den Studierenden der Polizei­akademie ins Gespräch über das Hier und Jetzt zu kommen. Akbulut: „Natürlich könnte ich auch in meinem Vorlesungs­saal darüber reden. Aber Besuche in solchen Gedenk­stätten sind zum Anfassen, sie sind Arbeit, und sie transportieren die Studierenden in die Vergangenheit.“ Schließlich gelangten die Besuchs­gruppen so zu den wichtigen Fragen: Wie ist es denn heute? Könnte so etwas wieder passieren?

Die Demokratie ist ein Wert, und als Polizei sind wir nicht wert­neutral.

Aylin Akbulut

Allzu weit hergeholt ist dieser Gedanke nicht. Die Gruppe ist mittlerweile im Virtual-Reality-Raum angekommen, der einen digitalen Überblick über das gesamte Liebenauer Gelände ermöglicht. „Auf dem Weg hierher bin ich an vielen blauen Wahl­kampf­plakaten vorbei­gefahren“, erzählt Martin Guse, der die Tour leitet. „Wer also den Bogen zwischen damals und heute spannen will, muss sich nicht sonderlich anstrengen.“

Doch wie geht ein Staatsorgan wie die Polizei mit radikalen Meinungen in den eigenen Reihen um? Sollte die Polizei nicht mit allen sprechen, stets neutral bleiben? Obgleich sie eine staatliche Organisation sei, müsse die Polizei in gewissen Angelegenheiten Stellung beziehen, so Akbulut: „Sowohl unsere Forschungs­stelle als auch unser Direktor sagen: Die Demokratie ist ein Wert, und als Polizei sind wir nicht wert­neutral.“

Orte wie diesen hätte man vor etlichen Jahren noch tot­geschwiegen. Doch diese Vergangenheit ist auf­gearbeitet worden, und deshalb stehe ich mit meinem türkischen Background hinter diesem Projekt.

Aylin Akbulut

Von der virtuellen in die analoge Realität

Der letzte Teil des Rundgangs beginnt. Die Teilnehmer*innen steigen in Autos, mit denen das weit­läufige Gelände abgefahren wird. Dessen Dimensionen sind beeindruckend: 12 Quadrat­kilometer Fläche, 84 Kilometer Wege, über 400 alte Baracken, die von der Natur langsam zurück­erobert werden. Der Ort wirkt mystisch, beinahe wie eine Filmkulisse. Butt, der das Gelände zum ersten Mal besucht, ist sichtlich beeindruckt. Akbulut, die mit ihren Studierenden regel­mäßig zu Besuch ist, erläutert die Relevanz der neuen Polizeikultur, wie sie sie nennt. „Orte wie diesen hätte man vor etlichen Jahren noch tot­geschwiegen. Doch diese Vergangenheit ist aufgearbeitet worden, und deshalb stehe ich mit meinem türkischen Background hinter diesem Projekt.“ Insgesamt drei Stunden dauert die Rundfahrt unter Nadelbäumen, bei der sich die Fahrer*innen per Walkie-Talkie koordinieren.

Für Michael Butt ist es der erste Besuch in der Niedersächsischen Gedenkstätte. © Teresa Kröger

Ohne eine starke Polizei gibt es keine starke Demokratie. Und anders­herum genauso.

Michael Butt

Ein Fazit für die Zukunft

Wie blicken Aylin Akbulut und Michael Butt auf die anstehende Bundes­tags­wahl? Wie kriegt die deutsche Demokratie die Kurve? „Wir haben in unserer Demokratie so viele tolle Werte, für die wir uns weiterhin einsetzen und zu denen wir die Leute hinleiten müssen“, sagt Akbulut. Michael Butt ergänzt: „Ohne eine starke Polizei gibt es keine starke Demokratie. Und andersherum genauso.“ Teil ihres Engagements sei es, die Resilienz der neuen Generation in der Polizei zu stärken. „Es ist unser Auftrag, junge Menschen so widerstandsfähig zu machen, dass sie sich nicht von billigen politischen Botschaften kaufen lassen.“

Am Ende des Tages steht der Wunsch, mit mehr Zeit zurückzukehren. Akbulut und Butt wollen den Ort intensiver erkunden und ihre Erkenntnisse in ihre Arbeit einfließen lassen. Die Begegnung der beiden Demokratie­pat*innen macht deutlich: Der Schutz demokratischer Werte beginnt bei jeder einzelnen Person – und mit der Bereit­schaft, sich den Heraus­forderungen der Vergangen­heit und der Gegen­wart zu stellen. Michael Butt fasst es abschließend zusammen. „Ich werde immer emotional, wenn ich über darüber spreche“, sagt er mit Blick nach vorne. „Weil ich glaube, dass wir das hinkriegen.“


„Polizeischutz für die Demokratie“

Die Polizei Niedersachsen ist mir ihrer Initiative „Polizei­schutz für die Demokratie“ Teil des bundes­weit ausgerichteten Projektes Demokratiestarke Polizei, das sich für die freiheitliche Demokratie, den Rechts­staat und eine offene und pluralistische Gesellschaft einsetzt. Die Initiative bildet junge Polizist*innen zu Demokratie­pat*innen aus, indem sie neben historischen und rechtlichen Aspekten der Polizei­arbeit auch interkulturelle Kompetenz und Deeskalations­techniken vermittelt. Das erfolg­reiche Pilot­modell aus Niedersachsen wird mit dem Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie weiter­­geführt, lang­­fristig verankert und auf weitere Bundes­­länder ausgeweitet. 

https://www.pa.polizei-nds.de/polizeischutz_fuer_die_demokratie/