Rechtsextremismus in der Polizei – kriegt die Demokratie die Kurve?

Von Versäumnissen beim NSU-Prozess bis zu extremistischen Chatgruppen – immer wieder steht die Polizei wegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen in der Kritik. Als zuständige Ministerin stellte Nancy Faeser im März 2022 ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor, bereits seit 2019 entstehen auch innerhalb der Polizei entsprechende Aktionsbündnisse. Doch wie reformiert sich die Polizei? Und was hilft wirklich gegen antidemokratische Gesinnungen? AufRuhr hat nachgefragt, bei Aylin Akbulut und Michael Butt von der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ der Polizei Niedersachsen.
Liebenau. Es ist ein diesiger Januartag im ländlichen Niedersachsen auf halbem Weg zwischen Bremen und Hannover. Auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Pulverfabrik Liebenau haben sich Aylin Akbulut und Michael Butt verabredet. Akbulut ist Juristin und bildet Polizist*innen an der Polizeiakademie Niedersachsen aus. Butt ist Polizeihauptkommissar und leitet den Einsatz- und Streifendienst im ländlichen Rotenburg. Sie sind beide Demokratiepat*innen der Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“, die sich für Rechtsstaatlichkeit und eine offene und pluralistische Gesellschaft einsetzt. Die Gedenk- und Bildungsstätte Liebenau spielt für die Initiative eine besondere Rolle: Zwischen 1940 und 1945 nutzte die Gestapo, die Geheime Staatspolizei der Nazis, die Pulverfabrik als Arbeitserziehungslager. Circa 20.000 Fremd- und Zwangsarbeiter*innen mussten unter härtesten Bedingungen Schießpulver herstellen, etwa 2.000 von ihnen starben an Mangelerkrankungen, Hunger und Schlägen sowie durch Erschießungen und Hinrichtungen.


„Wir nutzen die Besuche in dieser Gedenkstätte, um Kolleg*innen an die Verantwortung der Polizei heranzuführen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen“, erklärt Michael Butt. Mit dem Besuch gehe auch die Frage einher, wie sich die Lehren der deutschen Geschichte in eine plurale, offene Gesellschaft überführen lassen. „In Gesprächen reflektieren wir uns selbst: Wie gehen wir als Polizei mit der Demokratie um, mit den Bürger*innen und unserer Verfassung?“



Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit
Michael Butt und Aylin Akbulut teilen das Ziel, demokratische Werte in ihrer Arbeit zu verankern und andere davon zu überzeugen. Der gegenseitige Respekt der beiden ist während der Führung durch die Gedenkstätte spürbar. Bereits der erste Raum dokumentiert eindrucksvoll, weshalb alle Anwärter*innen der Polizeiakademie Niedersachsen diesen Ort mindestens einmal während ihrer Ausbildung besuchen. Die Wände der 2023 eröffneten Ausstellung sind mit Totenscheinen übersät. Sie dokumentieren, woran die Zwangsarbeiter*innen während des Zweiten Weltkrieges starben. „Kreislaufschwäche“ oder „Lungenentzündung“ steht dort oft – Beschönigungen, die die unmenschlichen Bedingungen in der Pulverfabrik verschleiern sollten.

„Wir haben einen besonderen Auftrag als Polizei, als Exekutive mit einem Gewaltmonopol“, sagt Aylin Akbulut überzeugt. „Indem wir zurückgehen an Orte wie diesen, schaffen wir Transparenz. Und nur so entwickeln wir uns weiter.“ Die Konfrontation mit der Vergangenheit der Polizei sei entscheidend, um mit den Studierenden der Polizeiakademie ins Gespräch über das Hier und Jetzt zu kommen. Akbulut: „Natürlich könnte ich auch in meinem Vorlesungssaal darüber reden. Aber Besuche in solchen Gedenkstätten sind zum Anfassen, sie sind Arbeit, und sie transportieren die Studierenden in die Vergangenheit.“ Schließlich gelangten die Besuchsgruppen so zu den wichtigen Fragen: Wie ist es denn heute? Könnte so etwas wieder passieren?
Die Demokratie ist ein Wert, und als Polizei sind wir nicht wertneutral.
Allzu weit hergeholt ist dieser Gedanke nicht. Die Gruppe ist mittlerweile im Virtual-Reality-Raum angekommen, der einen digitalen Überblick über das gesamte Liebenauer Gelände ermöglicht. „Auf dem Weg hierher bin ich an vielen blauen Wahlkampfplakaten vorbeigefahren“, erzählt Martin Guse, der die Tour leitet. „Wer also den Bogen zwischen damals und heute spannen will, muss sich nicht sonderlich anstrengen.“
Doch wie geht ein Staatsorgan wie die Polizei mit radikalen Meinungen in den eigenen Reihen um? Sollte die Polizei nicht mit allen sprechen, stets neutral bleiben? Obgleich sie eine staatliche Organisation sei, müsse die Polizei in gewissen Angelegenheiten Stellung beziehen, so Akbulut: „Sowohl unsere Forschungsstelle als auch unser Direktor sagen: Die Demokratie ist ein Wert, und als Polizei sind wir nicht wertneutral.“
Orte wie diesen hätte man vor etlichen Jahren noch totgeschwiegen. Doch diese Vergangenheit ist aufgearbeitet worden, und deshalb stehe ich mit meinem türkischen Background hinter diesem Projekt.
Von der virtuellen in die analoge Realität
Der letzte Teil des Rundgangs beginnt. Die Teilnehmer*innen steigen in Autos, mit denen das weitläufige Gelände abgefahren wird. Dessen Dimensionen sind beeindruckend: 12 Quadratkilometer Fläche, 84 Kilometer Wege, über 400 alte Baracken, die von der Natur langsam zurückerobert werden. Der Ort wirkt mystisch, beinahe wie eine Filmkulisse. Butt, der das Gelände zum ersten Mal besucht, ist sichtlich beeindruckt. Akbulut, die mit ihren Studierenden regelmäßig zu Besuch ist, erläutert die Relevanz der neuen Polizeikultur, wie sie sie nennt. „Orte wie diesen hätte man vor etlichen Jahren noch totgeschwiegen. Doch diese Vergangenheit ist aufgearbeitet worden, und deshalb stehe ich mit meinem türkischen Background hinter diesem Projekt.“ Insgesamt drei Stunden dauert die Rundfahrt unter Nadelbäumen, bei der sich die Fahrer*innen per Walkie-Talkie koordinieren.

Ohne eine starke Polizei gibt es keine starke Demokratie. Und andersherum genauso.
Ein Fazit für die Zukunft
Wie blicken Aylin Akbulut und Michael Butt auf die anstehende Bundestagswahl? Wie kriegt die deutsche Demokratie die Kurve? „Wir haben in unserer Demokratie so viele tolle Werte, für die wir uns weiterhin einsetzen und zu denen wir die Leute hinleiten müssen“, sagt Akbulut. Michael Butt ergänzt: „Ohne eine starke Polizei gibt es keine starke Demokratie. Und andersherum genauso.“ Teil ihres Engagements sei es, die Resilienz der neuen Generation in der Polizei zu stärken. „Es ist unser Auftrag, junge Menschen so widerstandsfähig zu machen, dass sie sich nicht von billigen politischen Botschaften kaufen lassen.“
Am Ende des Tages steht der Wunsch, mit mehr Zeit zurückzukehren. Akbulut und Butt wollen den Ort intensiver erkunden und ihre Erkenntnisse in ihre Arbeit einfließen lassen. Die Begegnung der beiden Demokratiepat*innen macht deutlich: Der Schutz demokratischer Werte beginnt bei jeder einzelnen Person – und mit der Bereitschaft, sich den Herausforderungen der Vergangenheit und der Gegenwart zu stellen. Michael Butt fasst es abschließend zusammen. „Ich werde immer emotional, wenn ich über darüber spreche“, sagt er mit Blick nach vorne. „Weil ich glaube, dass wir das hinkriegen.“
„Polizeischutz für die Demokratie“
Die Polizei Niedersachsen ist mir ihrer Initiative „Polizeischutz für die Demokratie“ Teil des bundesweit ausgerichteten Projektes Demokratiestarke Polizei, das sich für die freiheitliche Demokratie, den Rechtsstaat und eine offene und pluralistische Gesellschaft einsetzt. Die Initiative bildet junge Polizist*innen zu Demokratiepat*innen aus, indem sie neben historischen und rechtlichen Aspekten der Polizeiarbeit auch interkulturelle Kompetenz und Deeskalationstechniken vermittelt. Das erfolgreiche Pilotmodell aus Niedersachsen wird mit dem Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie weitergeführt, langfristig verankert und auf weitere Bundesländer ausgeweitet.
https://www.pa.polizei-nds.de/polizeigeschichte/polizeischutz_fuer_die_demokratie/