Auf dem Weg zur Multiordnungswelt
Die Ordnungssysteme des internationalen Zusammenlebens stehen unter Stress, sagt Thomas Kleine-Brockhoff, Vizepräsident des German Marshall Fund of the United States. Am Mittwoch ist er bei unserem Mercator Salon zu Gast. Er sagt: „Die Welt braucht den Westen.“
Ob aktuell beim Thema Iran, im Handelskonflikt mit China oder bei den Treffen mit Nordkorea: Die Welt schaut immer wieder gebannt auf US-Präsident Donald Trump und seine Tweets. Ist mit ihm das Zeitalter der Alleingänge in der internationalen Politik angebrochen, Herr Kleine-Brockhoff?
Thomas Kleine-Brockhoff: Nein. Die Länder, die nicht in multilaterale Allianzsysteme involviert waren, haben schon immer so gehandelt. Das ist nicht neu. Das Besondere ist: Nun verfällt die liberale Großmacht USA in so eine alleingängerische Politik, dabei hatte sie doch ein liberales System aufgebaut, das auf Attraktivität und nicht auf Furcht aufgebaut war. Man sollte meinen, dass es nun wirklich nicht in ihrem Interesse liegt, so zu handeln. Aber Trump macht es – und es wird eine gewisse Zeit lang funktionieren, einfach weil die USA eine Großmacht sind. Langfristig wird es aber nicht gut gehen, Trump überschätzt seine Möglichkeiten.
Thomas Kleine-Brockhoff
Thomas Kleine-Brockhoff ist Vizepräsident und Berliner Büroleiter des German Marshall Fund of the United States. Es war zuvor Politikredakteur und Korrespondent der ZEIT und Leiter des Planungsstabs und Reden im Bundespräsidialamt.
Seit 1990 hat der Glaube an das heraufziehende demokratische Zeitalter zu liberaler Überdehnung und westlicher Hybris geführt.
Was bedeutet das für die multilateralen Ordnungssysteme?
Kleine-Brockhoff: Die Ordnungssysteme unseres internationalen Zusammenlebens sind unter Stress geraten. Ich glaube, dass man unterscheiden muss zwischen der NATO und anderen Ordnungssystemen. Manche nehmen an, die USA hätten sich eigentlich schon aus der NATO verabschiedet – zu denen zähle ich nicht. Anders sieht das bei dem Apparat rund um die Vereinten Nationen aus. Hier muss man von einer weitreichenden Skepsis der USA sprechen. Und das ist folgenreich, denn die Vereinten Nationen sind nicht nur Garant des Westens, sondern des gesamten Weltsystems, denken Sie an Themen wie den Klimawandel, das Seerecht, Flüchtlingsabkommen und viele mehr.
Ist dadurch das System an sich bedroht?
Kleine-Brockhoff: Das kann man noch nicht endgültig sagen. Manche läuten schon das Totenglöckchen für die internationale Ordnung. Das würde ich nicht tun. Die Vorstellung, die ganze Welt würde der westlichen liberalen Ordnung folgen wollen, das Ende der Geschichte, wie es einmal hieß, hat sich nicht erfüllt. Seit 1990 hat der Glaube an das heraufziehende demokratische Zeitalter zu liberaler Überdehnung und westlicher Hybris geführt. Aber nur weil es kein demokratisches Zeitalter gibt, bedeutet es nicht, dass jetzt eine globale Anarchie folgt. Stattdessen erleben wir eine Multiordnungswelt, wie sie schon von 1948 bis 1989 bestand. Entscheidend dafür ist, dass verschiedene Systeme zueinander in Konkurrenz stehen.
Die Flüchtlinge wissen oft besser, wo der Westen ist, als wir im Westen selbst.
Was bedeutet das?
Kleine-Brockhoff: Wir tun bisweilen so, als hätten wir immer in einer Welt des Friedens gelebt, aber das war doch nur eine ganz kurze Zeit so. Die Welt wird wieder stärker auf Nationalstaaten basieren. Die Durchsetzungskraft von Normen und Regeln wird regional begrenzt sein – und die Durchsetzungstiefe wird wesentlich geringer werden. Gerade deshalb kommt es darauf an, das Prinzip der Kooperation weiter hochzuhalten.
Welche Rolle spielt China in diesem Zusammenhang?
Kleine-Brockhoff: Es ist keine Neuigkeit, dass China die aufstrebende Macht ist. Bemerkenswert und bedrohlich finde ich die autoritäre Kraft. Die Kombination aus Autoritarismus und ökonomischer Innovation ist neu. Und das verändert die Situation fundamental. In der Zeit des Kalten Kriegs gab es keinen ökonomischen Widerpart, es war immer klar, dass die Planwirtschaft eindeutig unterlegen war. Das ist heute ganz anders. Und dadurch entsteht eine Attraktivität für das System Chinas: Es ist die Frage, ob sich andere Länder anschließen. Diese Form der Herausforderung kennen wir noch nicht. Der Wettbewerb der Systeme ist also nicht oder zumindest noch nicht militärisch, der Wettbewerb ist ideell – und ökonomisch.
Mercator Salon „Die Welt braucht den Westen“ mit Thomas Kleine-Brockhoff
am 22.01. um 18:30 Uhr,
Stiftung Mercator, Huyssenallee 40, 45128 Essen
Anmelden: MercatorSalonEssen@stiftung-mercator.de
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„Die Welt braucht den Westen“: Diesen Titel trägt ihr Buch. Was macht die Bedeutung des Westens aus?
Kleine-Brockhoff: Die Welt braucht den Westen, weil die Welt die Freiheit braucht. Der Westen ist keine geografische Beschreibung. Der Westen ist auch kein Club, in dem sich bestimmte Staaten zusammengeschlossen haben. Der Westen steht für die Staaten, die den Versuch unternehmen, die Konsequenzen der Aufklärung in das Politische zu übertragen. Immer wieder ist von einem Ende der liberalen Demokratie die Rede. Ich stimme nicht zu. Die liberale Demokratie ist in der Krise, in einer Rezession, das ja. Aber der vielgescholtene Westen wird noch gebraucht. Die Attraktivität ist weiter hoch. Schauen Sie sich die Flüchtlinge an: Man könnte meinen, sie wollten in die aufstrebenden autoritären Staaten migrieren, die wirtschaftlich erfolgreich sind. Aber die Flüchtlinge wollen in die Staaten mit einer liberalen Demokratie. Die Flüchtlinge wissen oft besser, wo der Westen ist, als wir im Westen selbst. Die Kombination aus Wohlstand und Freiheit ist unwiderstehlich.
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