„Streit verbindet uns“

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„Streit verbindet uns“
Autor: Matthias Klein 22.10.2019

Auf der ganzen Welt sei eine Verrohung des Diskurses zu beobachten, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Andrea Römmele im Interview. In der Demokratie sei Streit aber wichtig – er erfülle drei Funktionen.

Viele Menschen erleben Streit über politische Fragen zum ersten Mal mit ihren Eltern, am Küchentisch. Wie war das bei Ihnen, Frau Römmele?

Andrea Römmele: Mich hat der NATO-Doppelbeschluss und die daraus resultierenden Stationierungen der Pershing II-Raketen auf der schwäbischen Alb extrem politisiert. Ich war natürlich gegen die Aufrüstung, mein Vater dafür. Ich bin jeden Samstag auf die Alb gefahren, um zu demonstrieren. Mein Vater fuhr mich öfters und wir haben dann im Auto heftig diskutiert.

Was haben Sie daraus gelernt?

Römmele: Wie wichtig es ist, ernstgenommen zu werden. Und mein Vater hat mich und meine Positionen sehr ernst genommen. Diskutieren auf Augenhöhe mit einem 17-jährigen Teenager.

Welche Rolle spielt Streit in der Demokratie?

Römmele: Der inhaltliche Streit ist das Fundament von Demokratie. Verlieren wir die Fähigkeit inhaltlich zu streiten, ist Demokratie nicht mehr denkbar. In der Demokratie erfüllt der politische Streit drei Funktionen. Erstens: Er hilft uns dabei, Meinungen zu entwickeln. Beim Streiten nehmen die Kontrahenten eine Komplexitätsreduktion vor, die es einer breiten Öffentlichkeit erst ermöglicht, eine eigene Haltung zu einem Thema zu entwickeln. Der Streit bietet eine Orientierungshilfe, indem er die Sprecher zwingt zu erklären, warum welche Veränderungen angeblich notwendig sind. Zweitens: Streit inspiriert. Man geht selten mit der gleichen Haltung aus einem Streit, mit der man ihn begonnen hat. In der Auseinandersetzung zwingen wir uns gegenseitig konkreter zu werden und Ideen zu schärfen. Das hat eine enorme schöpferische Kraft. Drittens: Auch wenn es erstmal komisch klingen mag, Streit verbindet uns. Wen wir aufhören uns zu streiten, dann haben wir auch keine gesellschaftliche Verbindung mehr. Dadurch, dass der Streit die verschiedenen Positionen sichtbar macht, vereint er sie auch. Nur wenn man sich im Streit gehört fühlt, kann man am Ende das Ergebnis akzeptieren.

Portrait von Andrea Römmele
© Hertie School

Andrea Römmele

Andrea Römmele ist Dean of Executive Education und Professor for Communication in Politics and Civil Society an der Hertie School. Ihr Forschungsinteresse gilt den Themen vergleichende politische Kommunikation, politische Parteien und Public Affairs.

Viele Populisten entzaubern sich ganz schnell, wenn man sich inhaltlich mit ihnen streitet.

In den vergangenen Jahren sind Populisten erstarkt. Als eine Folge wird oft eine Verrohung des Diskurses beklagt. Wie sehen Sie das?

Römmele: Der erschreckende Aufstieg von Populisten hat sicherlich zu einer Verrohung des Diskurses beigetragen. Eine Verrohung, die wir nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt beobachten können. Je polarisierter unsere Auseinandersetzungen werden, umso seltener lassen sie sich als Verstehensprozess beschreiben. Die populistische Polarisierung führt dazu, dass wir den politischen Gegner nicht mehr als Diskussionspartner betrachten. Er wird zu einer reinen Projektionsfläche von Ablehnung und Hass. Neue Impulse kommen nicht an und die Debatte droht zu einem reinen Schauspiel zu werden.

Wie sollten die anderen Parteien Ihrer Meinung nach darauf reagieren?

Römmele: Sie müssen vor allem wieder vorleben, wie inhaltliche Debatten Interesse wecken und Zustimmung generieren können. Das müssen sie im Streit miteinander machen, aber auch im Streit mit Populisten. In der Auseinandersetzung mit ihnen darf man die anderen Parteien nicht vergessen. Es ist entscheidend für die demokratischen Parteien, dass sie dem populistischen Narrativ von den „Altparteien“ widersprechen, indem sie zeigen, dass auch sie unterschiedliche Positionen haben und darüber streiten. Mit Populisten sollte man es genauso machen. Streit muss immer in der Sache ausgetragen werden. Darauf sollte man bestehen. Viele Populisten entzaubern sich ganz schnell, wenn man sich inhaltlich mit ihnen streitet. Lassen sie sich nicht darauf ein, disqualifizieren sie sich selbst.

Debatten über ethische Grundsatzfragen wie beispielsweise Sterbehilfe gelten als Sternstunden des Parlaments. Wie können Diskurse gelingen?

Römmele: Dafür müssen wir zunächst anerkennen, dass es ein gewaltiger Gewinn ist, dass wir in der Demokratie Meinungen wertschätzen und ihnen nicht ihre Berechtigung absprechen, auch wenn sie nicht mit unserer eigenen übereinstimmen. In solchen Diskursen merkt man, dass man sich vortrefflich politisch streiten kann, ohne dabei gemeinsame Grundsätze auszublenden. Gerade im Parlament gelten vor allem die Debatten als Sternstunden, in denen die Fraktionsdisziplin aufgehoben wird. Dann entfällt zu einem gewissen Grad die Inszenierung der Debatte und man streitet inhaltlich. Außerdem sind dies meistens Debatten, die moralisch und emotional sehr aufgeladen sind. Dadurch begegnet man sich häufig mit einem besonderen Maß an Respekt, da anerkannt wird, dass diese Debatten keine endgültigen, keine absoluten Lösungen haben. Gelänge es, dies auch in andere Diskurse zu übertragen, wäre für unsere Debattenkultur viel gewonnen.

Und wie gelingt Streit ohne zu spalten?

Römmele: Dafür brauchen wir keine Ratgeberliteratur, wie wir sie für den Streit am Küchentisch regalweise finden. In erster Linie benötigt man Respekt für jeden, der mit uns diskutieren will und mit dem wir uns auf die Prinzipien des Grundgesetzes einigen können. Reglementieren wir die Debatte zu sehr, leiten wir damit auch ihr Ende ein. Dann wird nämlich nicht mehr diskutiert, sondern einfach entschieden, was gesagt werden kann und was nicht. So entstehen aber Dunkelkammern, in denen Gegendiskurse vor sich hin gären und auf die die demokratische Debatte keinen Zugriff mehr hat. Wir müssen möglichst früh damit beginnen, ein vernünftiges Verhältnis zum Streit zu entwickeln. Wir müssen uns die bereits beschriebenen Funktionen des Streits bewusst machen und ihn wertschätzen. Dazu kann es auch sinnvoll sein, wenn wir den Streit wieder mehr üben.

Hertie School

Die Hertie School in Berlin bereitet herausragend qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft vor. Sie bietet Masterstudiengänge, Executive Education und Doktorandenprogramme an.

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