Ehrliche Debatte über Rückkehr nötig

Ehrliche Debatte über Rückkehr nötig
Autor*innen: Victoria Rietig, Mona Lou Günnewig 26.05.2020

Migrant*innen ohne Aufenthaltstitel, abgelehnte Asylbewerber*innen ohne Duldung, Studierende mit abgelaufenem Visum: Sie werden aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Wer der Aufforderung nicht freiwillig nachkommt, dem droht die Abschiebung. Wir brauchen eine ehrliche Debatte über die Rückkehr von Migrant*innen, schreiben die Migrationsexpertinnen Victoria Rietig und Mona Lou Günnewig in einem Gastbeitrag.

Eine Viertelmillion ausreisepflichtige Menschen lebt zurzeit in Deutschland – mehr als doppelt so viele wie noch 2013. Tendenz steigend. Denn während es jedes Jahr mehr Ausreisepflichtige gibt, reisen verhältnismäßig wenige von ihnen aus – im letzten Jahr verließen etwa 13.000 Menschen Deutschland freiwillig und 22.000 wurden abgeschoben. Die Bundesregierung verfolgt zwar das erklärte Ziel, die Ausreisepflicht stärker durchzusetzen, aber nach wie vor scheitert die Hälfte aller Abschiebungen aus Deutschland. Auch das vor rhetorischer Härte strotzende „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zeigt ein knappes Jahr nach Inkrafttreten nur geringe Wirkung.

Vergiftetes Klima

Kritische Medien und Politiker*innen sprechen von Staatsversagen. Angst, Emotionen und Moral prägen die öffentliche Diskussion von Rückkehr. Gegner*innen von Abschiebungen verteufeln jede Rückführung unter Zwang als Zeichen von Fremdenfeindlichkeit und werfen den am Vollzug beteiligten Menschen – Mitarbeiter*innen von Ausländerbehörden, Landes- und Bundespolizist*innen, Vollzugspersonal in Abschiebehafteinrichtungen – Unmenschlichkeit vor. Die andere Seite mauert ebenso. Fans rigider Ordnungspolitik kreieren den Begriff „Anti-Abschiebe-Industrie“, der Aktivist*innen, Berater*innen und Anwält*innen unterstellt, in großem Stil aus Profitgier Abschiebungen zu blockieren – und der zurecht zum Unwort des Jahres 2018 erkürt wurde.

Politik, Medien, Zivilgesellschaft und andere Multiplikatoren sollten rhetorisch abrüsten.

Dieses vergiftete Klima hindert Deutschland daran, die pragmatische und ehrliche Debatte des Themas Rückkehr zu führen, die wir dringend brauchen. Politiker*innen, Medien, Zivilgesellschaft und andere Multiplikator*innen sollten rhetorisch abrüsten.

Denn die deutsche Rückkehrpolitik krankt an zahlreichen Problemen, die sich von einem Standpunkt ideologischer Kompromisslosigkeit aus nicht lösen lassen. Dazu gehört ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, das sich auf Bund, Länder und Kommunen erstreckt und zu uneinheitlichen und oft unfairen Entscheidungen führt. Ein zweites Problem ist die überhöhte Erwartung, dass mehr Gelder wesentlich mehr Menschen dazu motivieren, freiwillig in ihre Länder zurückzukehren – dem ist nicht so. Die Gefahr von Menschenrechtsbrüchen bei Abschiebungen ist ein weiteres Risiko, denn in den letzten fünf Jahren hat sich die Anwendung körperlicher Gewalt bei Abschiebungen mehr als verzehnfacht.

Menschlich gestalten

Wir brauchen pragmatische Lösungsvorschläge für diese Probleme. Mit der Forderung, die freiwillige Rückkehr mehr zu fördern, ist es nicht getan. Zwar ist die freiwillige Rückkehr einer Rückführung unter Zwang vorzuziehen, denn sie ist menschlicher, begünstigt eine erfolgreiche Reintegration im Herkunftsland und sie ist auch noch kostengünstiger. Doch wenn Ausreisepflichtige die Option der freiwilligen Rückkehr nicht nutzen und Abschiebungen stattfinden, so sollten auch diese so professionell und menschlich wie möglich ausgestaltet sein.

In unserer Studie „Deutsche Rückkehrpolitik und Abschiebungen: 10 Wege aus der Dauerkrise“ schlagen wir zehn Maßnahmen vor, um die deutsche Rückkehrpolitik zugleich effizienter und humaner zu gestalten.

Dazu gehört es nicht nur, Zuständigkeiten im Rückkehrbereich zu zentralisieren und verbindliche Qualitätsstandards für die Rückkehrberatung zu etablieren. Es wäre darüber hinaus wichtig, das Monitoring-System bei Abschiebungen auszubauen, denn rein interne Beschwerdemechanismen und punktuelle Beobachtung von Abschiebungen sind unzureichend. Auch der stetige Ausbau von Abschiebehaftplätzen, der seit einigen Jahren um sich greift, sollte kritisch hinterfragt werden.

Bei der Zusammenarbeit mit Herkunftsländern sollte Deutschland zudem strategischer vorgehen. Hierzu gehören positive Anreize genauso wie Sanktionen. Und schließlich sollten Bund und Länder Rückkehr- und Reintegrationsprogramme auf ihre Nachhaltigkeit prüfen, denn schlecht konzipierte Programme können mehr schaden als helfen.

Wertschätzung gefragt

Für die Umsetzung lösungsorientierter Vorschläge in diesem sensiblen Bereich braucht es allerdings ausreichend Rückhalt und Konsens der Bevölkerung. Wir brauchen eine größere gesellschaftliche Wertschätzung der Menschen, die im Bereich Rückkehr arbeiten – sei es auf Seiten der Behörden oder der Zivilgesellschaft. Moderate Kräfte müssen das heiße Eisen Rückkehr in all seinen Formen anpacken, denn sonst bleibt das Feld den extremen Meinungen überlassen. Rückkehr wird auf Jahrzehnte hinaus in der politischen Debatte Deutschlands relevant bleiben. Es darf nicht länger Schmuddelthema sein.

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik engagiert sich für eine nachhaltige deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die auf Demokratie, Frieden und Rechtsstaatlichkeit ausgerichtet ist.

https://dgap.org/de