„Internationale der Nationalisten angestrebt“

Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten
„Internationale der Nationalisten angestrebt“
Autor: Matthias Klein 07.02.2019

Im Mai stehen die Europawahlen an. Rechtspopulistische Parteien aus ganz Europa verfolgen aktuell das Ziel, eine gemeinsame Bewegung zu bilden, sagt Hans Vorländer, Direktor des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM). Dabei stünden sie vor zwei entscheidenden Konfliktlinien.

Herr Vorländer, bei Wahlen in zahlreichen Ländern Europas sind zuletzt Rechtspopulisten erstarkt. Wie bereiten sie sich auf die Europawahlen im Mai vor?

Hans Vorländer: Die Rechtspopulisten sind im Augenblick dabei, eine gemeinsame Bewegung zu formieren. Sie streben eine Internationale der Nationalisten an. Ausgangspunkt ist der italienische Innenminister Matteo Salvini. Mit seiner Partei Lega versucht er gerade, ein Bündnis mit den Rechtspopulisten in Ungarn und Polen zu schließen. Das Ziel: Sie wollen die zweitstärkste Kraft im neuen Europaparlament werden.

Das klingt nach einem Widerspruch in sich: Die nationalistisch ausgerichteten Rechtspopulisten setzen auf eine internationale Koalition.

Vorländer: Sie haben Recht, es ist in gewisser Weise grotesk: Die Bewahrer des Nationalen schließen sich international zusammen. Aber sie haben ein gemeinsames Ziel, sie wollen die Europäische Union so umgestalten, dass die Nationalstaaten ein viel größeres Gewicht bekommen. Bei ihren Gesprächen stoßen sie auf zwei entscheidende Konfliktlinien. Die Gruppierungen sind bislang erstens in verschiedenen Parteibündnissen verankert, Fidesz aus Ungarn ist beispielsweise Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) und damit ja unter anderem Partner der deutschen CDU/CSU. Dadurch hat Fidesz Einfluss, und darauf wird sie kaum verzichten wollen. Das macht die Bildung einer gemeinsamen Fraktion schwierig. Hinzu kommen zweitens Differenzen in der Migrationspolitik. Salvini hat ganz andere Interessen als die Rechtspopulisten in Osteuropa. Er plädiert für eine verbindliche Flüchtlingsquote: Alle EU-Staaten sollen zwingend Flüchtlinge, die in Italien ankommen, aufnehmen. Die osteuropäischen Staaten setzen allerdings auf eine Strategie der Abschottung. Das ist ein enormer Widerspruch der Interessen. Es ist völlig offen, wie dieser aufgelöst werden kann.

Portrait von Hans Vorländer
© André Wirsig

Prof. Dr. Hans Vorländer
Prof. Dr. Hans Vorländer ist Direktor des Mercator Forums für Migration und Demokratie (MIDEM). Er ist Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden.

Wie wichtig wird das Thema Migrationspolitik generell im Wahlkampf sein?

Vorländer: Es wird sicher ein zentrales Thema des Wahlkampfs werden. Die Rechtspopulisten werden es nutzen, um damit ihre Anhänger zu mobilisieren. Sie werden Ängste vor Einwanderern schüren. Wichtig wird darüber hinaus der Diskurs um die kulturelle Identität sein: Die Rechtspopulisten versuchen, eine abendländisch-europäische Front aufzubauen, die sich vor allem gegen Zuwanderer aus muslimischen Ländern richtet. Außerdem wird das Thema der Souveränität des Nationalstaats für die Rechtspopulisten wichtig: In Polen spielt das bereits jetzt in der Debatte eine wichtige Rolle, auch die Lega stellt sich in Italien strikt nationalistisch auf. Eine große Rolle spielt auch, dass Europawahlen traditionell nationale Protestwahlen sind. Die Rechtspopulisten werden alles daransetzen, Protest- und Anti-EU-Wähler einzusammeln.

Sie haben Salvinis Versuch angesprochen, mit Rechtspopulisten aus osteuropäischen Staaten zusammenzuarbeiten. Wie steht er zu rechtspopulistischen Parteien aus anderen Ländern?

Vorländer: Salvini hat eindeutig das Ziel, alle unter einen Hut zu bringen. Nur mit vielen Partnern kann er zweitstärkste Kraft im neuen Europaparlament werden, noch vor den Sozialdemokraten. Mit Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National sowie mit der FPÖ in Österreich gibt es inhaltlich große Übereinstimmungen, da ist ein gemeinsames Bündnis wahrscheinlich.

Einig sind sich die Rechtspopulisten, dass sie eine Verhinderung der Migration zum Hauptthema machen wollen. Außerdem schüren sie alle Ressentiments gegen eine angebliche „Dominanz von Brüssel“, worauf sie mit einer Stärkung der Nationalstaaten reagieren wollen. Sie wollen die Integration der EU umkehren: Die EU soll eine bloße Kooperation souveräner Staaten statt ein Bündnis politischer Integration sein.

Welche Rolle spielt die AfD bei den Planungen für ein rechtspopulistisches Bündnis?

Vorländer: Die AfD ist ja schon im Europaparlament vertreten. Durch ihre Wahlerfolge in Deutschland ist ihre Position in der Gruppe der Rechtspopulisten gestärkt. Sie unterscheidet sich von anderen rechtspopulistischen Parteien dadurch, dass sie keine charismatische Führungsfigur hat, ganz anders als Salvini oder Le Pen. Außerdem sind viele Rechtspopulisten inzwischen an Regierungen beteiligt und haben damit auch auf europäischer Ebene fachpolitischen Einfluss. Das fehlt der AfD. Die Rechtspopulisten setzen alles daran, die AfD mit einzubeziehen. Und auch die AfD will mitmachen: Hätte sie eine starke Position in einer Fraktion im Europaparlament inne, könnte sie damit auch europapolitisch in Deutschland Einfluss nehmen.

Europa ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung der Probleme.

Wenn die Rechtspopulisten tatsächlich die zweitstärkste Kraft im Europaparlament werden, was würde das für die Arbeit des Parlaments bedeuten?

Vorländer: Die Arbeit des Europaparlaments würde wesentlich erschwert, auch polarisiert. Bislang gibt es einen starken fraktions­über­greifenden pro-europäischen Konsens. Es droht eine Veto-Position der Rechtspopulisten.

Ob sie damit gestaltenden Einfluss nehmen können, ist offen, dafür werden sie wohl nicht genug Mandate bekommen. Aber sie könnten Personalentscheidungen zu blockieren versuchen, zum Beispiel bei der Wahl des Präsidenten des Parlaments oder bei der Besetzung der Europäischen Kommission.

Wie können die anderen Parteien aus Ihrer Sicht auf die Strategie der Rechtspopulisten reagieren?

Vorländer: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das Rezept gezeigt: Es geht darum, klar pro-europäisch Position zu beziehen. Dabei sollte im Vordergrund stehen, den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger zu begegnen. Macron sprach von einem „Europa, das schützt“, das also hilft, die großen Veränderungen auf den Arbeitsmärkten sozial zu gestalten. Auch ist eine gemeinsame europäische Migrationspolitik genauso unabdingbar wie eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik; und schließlich muss Europa ein Raum der Freiheit, Menschenrechte und der Demokratie bleiben. Europa ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung der Probleme. Das wäre ein Programm gegen Rechtspopulismus.

Mercator Forum Migration und Demokratie

Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.

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