Wie programmiert man Meinungsfreiheit?
Meinungen sind frei – doch wie geht man damit im digitalen Raum um? Das Problem beginnt bereits bei der Programmierung von Apps und Programmen: Sie sollen einerseits Meinungsfreiheit ermöglichen, andererseits aber weder selbst diskriminieren noch Platz für Hatespeech und Fake News lassen. Ein Spagat, mit dem sich die Juristin Sunimal Mendis beschäftigt.
Wer sich mit Sunimal Mendis auseinandersetzt, stößt auf eine lange Liste an akademischen Erfolgen. Die Frau mit dem sympathischen Lachen ist derzeit Assistant Professor an der Tilburg Law School der niederländischen Tilburg University. Davor hat sie Ausbildungszentren und Universitäten in Straßburg, Paris, Colombo und München besucht. 2008 wurde ihr der Oehm Prize verliehen, mit dem das Münchner Zentrum für geistiges Eigentum, das Munich Intellectual Property Law Center (MIPLC), Student*innen mit dem besten Notendurchschnitt ehrt. Man könnte meinen, die Rechtswissenschaft sei Sunimal Mendis‘ große Passion. Aber nach nur fünf Minuten Gespräch wird klar: Die 37-Jährige sprudelt vor Begeisterung, wenn es um Literatur und Kunst geht. „Mein Vater und meine Mutter sind Juristen, und es war immer klar, dass mein älterer Bruder und ich in ihre Fußstapfen treten“, erzählt sie. „Für mich kam deshalb kein humanistisches Studium infrage – auch wenn ich mir das nach dem Abitur zunächst gewünscht habe. Aber inzwischen bin ich sehr zufrieden.“ Indem sie sich auf Copyright und Urheberrecht spezialisierte, habe sie die für sich perfekte Mischung zwischen Recht, Kunst und Meinungsfreiheit gefunden.
Meinungsfreiheit im digitalen Raum
Die freie Meinung braucht besonderen Schutz und ist daher auch im 19. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten. Doch wie bewahrt man sie im digitalen Raum, ohne dass soziale Plattformen und Netzwerke von Hatespeech und Fake News überquellen? Mit dieser Frage befasste sich Sunimal Mendis vergangenen Sommer in der Startphase des Projekts „Ethik der Digitalisierung“. Initiiert wurde es vom globalen Network of Internet and Society Research Centers (NoC), das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) koordiniert es. Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier erarbeiten verschiedene beteiligte Wissenschaftler*innen konkrete Handlungsempfehlungen für die Digitalpolitik. Sunimal Mendis diskutierte bei der Auftaktveranstaltung im Schloss Bellevue unter anderem mit Frank-Walter Steinmeier und der Co-Vorsitzenden des deutsch-chinesischen Dialogforums Annette Schavan über den Gebrauch von algorithmischen Content-Moderationssystemen. Das sind künstliche Intelligenzen, zu deren Aufgaben das Filtern, Ordnen und Auswerten von Informationen und Daten sowie das Löschen und Sperren von diskriminierenden Inhalten gehören. Die Art und Weise, wie man sie programmiert, sollte Vielfalt garantieren und die Meinungsfreiheit erhalten. Was sich an ihnen zeigt: Selbst in Anwendungen, die auf Onlineplattformen alltäglich sind, kommen Fragen der Ethik zum Tragen.
Von der Liebe zu Büchern zum Urheberrecht
Sunimal Mendis‘ besondere Leidenschaft für die Meinungsfreiheit kommt nicht von ungefähr. Aufgewachsen ist die 37-Jährige in Sri Lanka in der Hafenstadt Colombo direkt am Indischen Ozean. Die Eltern schickten sie auf eine private Mädchenschule, das Musaeus College, und förderten sie auch privat, denn ihnen war Bildung immer sehr wichtig. „Ich wuchs zweisprachig mit Singhalesisch und Englisch auf“, erzählt sie. Singhalesisch ist die Sprache der größten ethnischen Gruppe Sri Lankas, Englisch die Sprache der britischen Kolonialist*innen, die Sri Lanka bis 1948 besetzt hatten. „Dadurch hatte ich sehr viel Kontakt zu englischer Literatur. Ich habe neben der Schule auch Theater gespielt und dafür englische Texte gelernt.“ Das Haus der Eltern steckte voller Bücher, erinnert sich Sunimal Mendis: „Voller Romane, Gedichte, buddhistischer oder philosophischer Schriften, über die wir uns sehr viel ausgetauscht haben.“ Konversation und freiheitliches Denken waren immer zentral für ihre Familie. Als Sunimal Mendis kleiner war, las ihre Mutter ihrem Bruder und ihr jeden Samstag in der hauseigenen Bibliothek vor. „Das war besonders schön, denn der Fernseher befand sich damals im Schlafzimmer meiner Großmutter, und ich durfte nur selten gucken. Auch als Teenager tauschte ich mich mit meinen Freundinnen lieber über Bücher aus, als Party zu machen – so nerdig das auch klingen mag.“ Sunimal Mendis lacht. Bis heute trifft sie sich einmal im Monat mit Freundinnen und unterhält sich über Lieblingsklassiker und Neuerscheinungen.
Kein Job für sie
2007 schloss sie ihr Jurastudium an der Universität in Colombo ab. Noch im selben Jahr flog sie in das von ihrer Heimatstadt 8.000 Kilometer entfernte München. Dort beschäftigte sie sich in ihrer Doktorarbeit am MIPLC mit Urhebergesetzen und Copyright. Jenem Gebiet der Rechtswissenschaft also, das im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung sowie der Marken- und Patentrechte an Bedeutung gewinnt. Zurück in Colombo arbeitete sie bei ihrem Vater in der Kanzlei mit. Er selbst ist Rechtsanwalt beim obersten Gerichtshof Sri Lankas. Doch ihr wurde rasch klar: Dieser Job war nichts für sie. „Als klassische Anwältin ergreift man immer Partei: entweder für seine Mandant*innen oder für den Staat. Mir geht es aber vor allem um die Freiheit des eigenen Ausdrucks, die ihren Niederschlag im Urhebergesetz findet und besonders geschützt werden muss – zum Beispiel in der Literatur oder in der Kunst.“
Interdisziplinärer Sprint
Diese Freiheit des eigenen Ausdrucks hat im Netz quasi jede*r. Aber nicht alle halten sich an den Grundsatz, dass die eigene Freiheit dort endet, wo andere sich angegriffen fühlen. Apps und Programme sollten so etwas also gar nicht erst ermöglichen. Deshalb gilt es, diesen Aspekt schon bei ihrer Entwicklung einzubeziehen. Einen speziellen Fall nahmen sich Sunimal Mendis und andere Jurist*innen, Informationstechnolog*innen, Soziolog*innen und Ingenieur*innen aus den USA, China und Europa im ersten Research-Sprint des Projekts „Ethik der Digitalisierung“ vor: Content-Moderationssysteme. „Hier ging es um die Frage, wie man die Systeme so konzipiert und implementiert, dass die entstehenden Algorithmen ethisch vertretbare Entscheidungen treffen können“, sagt Sunimal Mendis. Als abwertend, ausschließend und damit unethisch gelten Inhalte dann, wenn sie nicht mit dem gültigen Recht in Einklang gebracht werden können und die Grundrechte und -freiheiten verletzen.
Eine Idee im Team war, den Landesregierungen Zugang zu sozialen Plattformen zu verschaffen. So könnten sie eine größere Bandbreite an Daten generieren und sicherstellen, dass möglichst viele in die Algorithmen einfließen. Denn: Viele verschiedene Daten sorgen für Diversität und für wenig Diskriminierung. „Für mich war dieser Vorschlag kontraproduktiv“, berichtet Sunimal Mendis. „In manchen politischen Systemen, einschließlich dem meiner Heimat, könnte es negative Konsequenzen haben, wenn Regierungsvertreter*innen kritische Kommentare in den sozialen Medien sehen und zuordnen können“, erklärt sie. „Aber ich bin sehr stolz, dass wir konsensfähige Lösungen gefunden haben wie beispielsweise die Einrichtung einer Ombudsperson.“ Diese*r unparteiische Schiedsrichter*in soll befugt sein, den Schutz der Meinungsfreiheit auf Onlineplattformen zu überwachen.
Ethik der Digitalisierung – von Prinzipien zu Praktiken
Das von der Stiftung Mercator geförderte internationale Forschungsprojekt „Ethik der Digitalisierung – von Prinzipien zu Praktiken“ will wegweisende Antworten auf die Herausforderungen im Spannungsfeld von Ethik und Digitalisierung entwickeln.
https://www.hiig.de/project/ethik-der-digitalisierung/