Das Virus in den Medien

Nach dem Ausbruch des Coronavirus zum Jahreswechsel 2020 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan erfahren viele Menschen asiatischer Herkunft auch in Deutschland Ausgrenzung und Diskriminierung. Medienwissenschaftler Joachim Trebbe erklärt die mediale Dynamik hinter der Angst um die Lungenkrankheit Covid-19.
Seit dem Auftreten des Coronavirus ist es vermehrt zu rassistischen Anfeindungen und Diskriminierung gegenüber Menschen asiatischer Herkunft gekommen. Wurden diese Anfeindungen durch die Medien verstärkt?
Joachim Trebbe: Zunächst ist es ein Vorgang, der ethnologisch erklärbar ist. In der Menschheitsgeschichte wurden schon immer Kranke, für die es keine Medizin gibt, von den Gesunden abgegrenzt. Das war in archaischen Gesellschaften der einzige Weg, um die Verbreitung von Krankheiten einzudämmen. Man denke an Leprakolonien oder an die Ausbreitung der Pest im Mittelalter. Heute ist es die Corona-Quarantäne. Das sind natürlich Vorgänge, die in Zeiten von digitalen Medien eine besondere Dynamik entwickeln.
Was ist die Besonderheit an den Nachrichten rund um das Coronavirus?
Trebbe: Kommunikationswissenschaftlich ist es so, dass sich Nachrichten insbesondere dann sehr rasch verbreiten, wenn der Schaden hoch ist und Betroffenheit ausgelöst wird. Das ist bei der neuartigen Lungenkrankheit der Fall. Hier ist potenziell jeder betroffen. Beim Coronavirus ist die Ursache zudem in Wuhan in China lokalisierbar. Und diese geografische Gegebenheit überschneidet sich, zumindest heute noch, mit ethnischen Merkmalen. So kommt es in unserer nationalstaatlich geprägten Gesellschaft zu einer Stigmatisierung von Menschen mit asiatischem Aussehen.

Der „Spiegel“ stand mit seiner Ausgabe zum Coronavirus und der Schlagzeile „Made in China“ in der Kritik. Welche Rolle spielen die klassischen Medien beim Aufkommen besagter Ressentiments?
Trebbe: Die klassischen Medien haben in ihrer Rolle der Berichterstattung den journalistischen Mechanismen gehorcht – es gab einen großen Schaden, eine geografische Zuordnung und Betroffenheit. Jedoch hat kein Journalist die Schuld den Chinesen oder Asiaten zugeschrieben. Aber: Die Grenze zwischen Kausalität und Verantwortung ist fließend – der Leser kann irgendwann diese Differenzierung verlieren.
Bis Betroffene asiatischer Herkunft auf Twitter mit dem Hashtag #IAmNotAVirus die Geschichten ihrer Ausgrenzung veröffentlichten. Dort ist zu lesen, wie sich Menschen in der U-Bahn wegsetzen oder wie einige sogar von Ärzten abgewiesen werden. Welche Folgen hat diese mediale Aufbereitung im Netz?
Trebbe: Auf Twitter und in anderen sozialen Medien wurde die Diskussion rund um das Coronavirus sehr schnell auf die Metaebene transportiert. Nachdem Zeitungen und Fernsehen die Nachrichtenlage und die medizinischen Aspekte in einer ersten medialen Welle beleuchtet hatten, griffen Nutzer auf Twitter sehr schnell diese Metaebene auf – also nicht mehr das Phänomen selbst, sondern die gesellschaftliche Behandlung des Phänomens: Was ist Rassismus, was ist Diskriminierung? Die sozialen Medien, seien es Twitter, Instagram oder Jodel, haben in dieser Hinsicht ein besonders starkes emanzipatorisches Potenzial.


Die Gefahr einer Pandemie durch das Coronavirus klingt wie ein gefundenes Fressen für Populisten, um in den sozialen Medien zu hetzen …
Trebbe: Rechtspopulisten in Deutschland oder den USA haben bei diesem transnationalen Thema keinen Hebel. Die Rechten greifen eher das Bild des bösen Chinesen auf, wenn es zum Beispiel um Technologieklau oder Spionage geht. Auf Twitter sind auch viele Aktivisten unterwegs, die sich gegen Rassismus einsetzen, die Geschichten teilen und bewerten. Diese Diskussion auf den sozialen Medien wiederum wird dann von Talkshows aufgegriffen – und landet wiederum in den klassischen Medien mit der Frage „Dürfen wir das sagen?“.
Die Geschichten der Ausgrenzung rund um #IAmNotAVirus wären ohne die klassischen Medien der breiten Bevölkerung nicht bekannt geworden.
Sieht man am Beispiel der Berichterstattung rund um das Coronavirus also, dass klassische Medien irrelevant geworden sind?
Trebbe: Ganz und gar nicht. Auf Twitter sind in der Regel Leute mit journalistischem Hintergrund, Aktivisten, Menschen mit emanzipatorischer Agenda aktiv. Ganz normale Nachrichtennutzer erreicht der Kurznachrichtendienst kaum. Meine These ist daher, dass man den Journalismus weiter brauchen wird. Es nützt nichts, auf Twitter die Multiplikatoren zu haben, wenn die nichts mehr zu multiplizieren haben. Die Geschichten der Ausgrenzung rund um #IAmNotAVirus wären ohne die klassischen Medien der breiten Bevölkerung nicht bekannt geworden. Übrigens: Am Ende der Twitter-Spirale schicken Zeitungen und Fernsehsender die Nachrichten wieder über die sozialen Dienste in die Welt.
Ist denn mit dieser jetzigen Rassismus-Debatte das Ende des Medienkarussells erreicht?
Trebbe: Nach der Metaebene rund um rassistische Anfeindungen geht es jetzt noch um Kontinuität. Die Berichterstattung könnte einen neuen Peak erreichen, wenn der Schaden zunimmt, wenn das Virus sich auf anderen Kontinenten stärker ausbreitet. Solange das nicht der Fall ist, rückt jetzt zudem der ökonomische Schaden in den Vordergrund. Auch hier führt es medienwissenschaftlich zu Betroffenheit, wenn das Coronavirus Auswirkungen auf die europäischen Wirtschaften hat. Insgesamt besteht die Hoffnung, dass ein medizinischer Durchbruch das Virus eindämmen wird. Von früheren Krankheitswellen wie zum Beispiel SARS wissen wir auch, dass nach Abklingen der Epidemie von Journalisten noch eine Bilanz gezogen wird, also dass es zeitgleich zum Coronavirus soundso viel mehr Grippe-Tote gegeben hat.
Joachim Trebbe
ist Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind Mediennutzung und Medienwirkungen, Medieninhalte sowie Medien und Migration.
