Der Sturm vor der Ruhe

Flaggen einiger EU-Mitgliedsstaaten
Der Sturm vor der Ruhe
Autor: Julian Rappold 02.04.2019

Rechtspopulisten, Brexit, Urheberrecht: Zuletzt war im Europaparlament sehr viel los. Zu Beginn des Wahlkampfs wird es dann aber still im Europaviertel, berichtet Julian Rappold.

Von europapolitischer Betriebs­müdig­keit ist keine Spur: Kurz vor Ende der Legislatur­periode des Europäischen Parlaments über­schlugen sich die Ereignisse in Brüssel. Nach langem Ringen entschied die Führung der Europäischen Volks­partei (EVP), der auch die CDU und CSU angehören, die Mitglied­schaft von Viktor Orbáns Partei Fidesz auszu­setzen. Anschließend trafen die Staats-und Regierungs­chefs zu einem Gipfel des Europäischen Rates zusammen, um im leidigen Thema „Brexit“ das Heft in die Hand zu nehmen und der britischen Regierung eine letzte Chance zu einem geordneten Austritt zu geben. Und schließlich verabschiedete das Europäische Parlament in seiner vorletzten Sitzungs­woche in Straßburg die umstrittene Reform des Urheber­rechts, die insbesondere in Deutschland im Vorfeld zu massiven Protesten geführt hatte.

Reinigungskraft
© Getty Images

Die EU befindet sich auf der Zielgeraden dieser Legislatur­periode, bevor die europäischen Partei­familien nun in den Wahl­kampf­modus umschalten. Von Mitte April bis Ende Mai wird Brüssel dann von der Hauptstadt der EU zum politischen Neben­schau­platz. In den europäischen Institutionen wartet man auf eine neue Führungs­crew. Gesetz­gebungs­vor­haben liegen auf Eis, die die Vertreter*innen der Regional­vertretungen sowie der Verbände, Nicht­regierungs­organisationen und Think Tanks begleiten könnten. Auch die Veranstaltungs­maschinerie, die Woche um Woche die verschiedensten fach­spezifischen oder grund­sätzlichen Themen der europäischen Politik bespricht, kommt zum Erliegen. Die Wahlen werden immer noch vor Ort im Wahl­kreis bei den europäischen Bürger*innen gewonnen statt im Europa­viertel. Die Kandidat*innen der Parteien findet man deshalb noch ganz traditionell auf den Marktplätzen zwischen Porto und Varna sowie Tampere und Nikosia, wo sie um die Gunst der Wähler*innen buhlen.

Nach der Europawahl beginnt dann traditionell das große Stühle­rücken in den europäischen Institutionen. Mit einer hohen Anzahl neu gewählter Europa­abgeordneter ist zu rechnen, oftmals mit frischen Ideen aus den Mitglieds­staaten, aber oft auch ohne Erfahrung mit den Besonderheiten des Brüsseler Politik­betriebs.

Mit einer hohen Anzahl neu gewählter Europaabgeordneter ist zu rechnen.

Doch damit nicht genug: In diesem Jahr werden gleich fünf EU-Spitzen­positionen neu aus­geschrieben. Die Ämter des Kommissions­präsidenten und der Kommissare (26 oder doch 27) sowie des Präsidenten des Europäischen Rates und des Hohen Vertreters für Außen- und Sicher­heits­politik gilt es neu zu besetzen. Zudem ist auch die Stelle an der Spitze der Europäischen Zentral­bank vakant. Die Auswahl treffen die Staats- und Regierungs­chefs im Europäischen Rat. Der Kriterien­katalog ist lang: Partei­buch, geographische Herkunft, Geschlecht und Alter der Kandidat*innen machen diesen Prozess zu einem hoch­komplexen Unterfangen. Gerade im Brüsseler Europa­viertel, wo das Spekulieren über Personal­entscheidungen zu einem der Lieblings­vergnügen gehört, wird dies in den kommenden Wochen zu viel Klatsch und Tratsch über das neue Personal­tableau führen.

Viel Zeit für Spekulationen

Zwar tritt das neu gewählte Europäische Parlament bereits zum ersten Mal nach der Sommer­pause im September zusammen. Bis das Spitzen­personal in den restlichen europäischen Institutionen ausgewählt und handlungs­fähig ist, könnte jedoch noch deutlich mehr Zeit vergehen, zu komplex ist das Anforderungs­profil. Durch die steigende Anzahl an rechts­populistischen Regierungen werden diese Verhandlungen sicher nicht einfacher. Verzögerungen sind deshalb vor­programmiert. Es bleibt also viel Zeit zu spekulieren.

In der Zwischenzeit werden viele an der eigenen Karriere stricken und versuchen, einen der begehrten Jobs in den Institutionen zu ergattern. Ab Herbst werden in Brüssel viele neue Gesichter aufschlagen, die sich erstmal zurecht­finden müssen. Viele andere treten mit einem Koffer voller Eindrücke sowie mehr Verständnis und mehr Wissen über die Feinheiten des Brüsseler Politik­betriebs die Reise in ihre Heimatländer an. Sie werden hoffentlich die nationalen Debatten zu Europa mit ihrem Insider­wissen bereichern.

Connecting Europe

Das Projekt Connecting Europe will die Kluft zwischen der EU und ihren Bürger*innen über­brücken und aktives Engagement von Zivil­gesellschaft, Aktivist*innen, Bürger*innen, Think Tanks und der akademischen Welt in Entscheidungs­prozessen der EU ermöglichen. Connecting Europe ist eine Initiative vom European Policy Center (EPC) und von uns.

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