„Europa beginnt vor deiner Haustür“
Europafahnen wehen in den Vorgärten, geschmückte Strohballenfiguren grüßen am Ortseingang, vom blauen Teppich vor dem Rathaus leuchtet der gelbe Sternenkranz: Die westfälische Gemeinde Rosendahl ist im Europafieber. Die Einwohner*innen hatten sich vorgenommen, die bundesweit höchste Wahlbeteiligung zu erreichen.
Ganz geklappt hat das Vorhaben nicht. Doch 74,3 Prozent sind ein Statement – auch im ohnehin schon starken Wahlkreis Coesfeld, der laut Wählerzähler auf 69,4 Prozent kommt. Monika Klein, Mitinitiatorin der Aktion „100% Europa – Rosendahl geht hin“ und Vorsitzende des Partnerschaftsvereins „Rosendahl – Entrammes/Forcé/Parné sur Roc e.V.“ verrät, wie sich Menschen für die europäische Idee begeistern lassen.
Ihre Gemeinde wollte die bundesweit höchste Wahlbeteiligung bei der Europawahl erreichen. Auch wenn es dafür nicht ganz reichte, kann Rosendahl auf 74,3 Prozent stolz sein. Sind Sie zufrieden?
Monika Klein: Ja! Damit liegen wir deutlich über der generell hohen deutschen Wahlbeteiligung von 61,5 Prozent. Wir hatten zwar gehofft, uns von unseren Nachbargemeinden weiter abzusetzen, die im Schnitt 66 bis 74 Prozent schafften. Aber dass viele Orte so hohe Werte erreicht haben, ist eine gute Nachricht für Europa. Wir haben viele Menschen an die Urne gebracht.
Wie haben Sie das geschafft?
Klein: Indem wir es zum Langzeitprojekt gemacht haben. Schon 500 Tage im Voraus haben wir Veranstaltungen organisiert. Haben gezeigt, dass jeder etwas ausrichten kann: Europa beginnt vor deiner Haustür! Gerade wir hier an der ländlichen Basis können ein starkes Netzwerk nutzen, um Menschen zu mobilisieren, von Schulen und Kindergärten über Sportvereine bis zur Landjugend.
Und dann ist da noch die französische Gemeinde Entrammes, eine gute Stunde westlich von Le Mans, mit der Sie eine Freundschaft pflegen …
Klein: … seit 1970 sogar schon! Außerdem besteht seit 1995 auch eine Partnerschaft zu den Nachbargemeinden Forcé und Parné sur Roc. Regelmäßig besuchen wir uns gegenseitig. Das stärkt das europäische Bewusstsein und bringt uns die Belange im Nachbarland näher. Wie nehmen unsere Freunde die „Fridays for Future“-Demos wahr, wie die Gelbwesten? Warum gewann Le Pen so viele Stimmen? Darüber werden wir beim nächsten Besuch diskutieren – konstruktiv. Wir wollen nicht jammern. Sondern herausfinden, was wir gemeinsam tun können.
Regelmäßig besuchen wir uns gegenseitig. Das stärkt das europäische Bewusstsein und bringt uns die Belange im Nachbarland näher.
Kommen solche Inhalte nicht zu kurz, wenn man Wählen zum Wettbewerb macht?
Klein: Wenn man es nur dabei belässt: ja. Wir haben uns der Wahl inhaltlich genähert: Infostände bei Festen, kindgerechte Broschüren, ein Europaquiz, Podiumsdiskussionen mit Abgeordneten und Kandidaten, ein Besuch vom Demokratiebus. Übrigens ohne dabei parteilich zu sein.
Wie geht es nach der Wahl weiter?
Klein: Wir schmücken ab. Die nächsten Events stehen aber schon an: die nächste Frankreich-Fahrt, das Partnerschaftsjubiläum, das Fest zum Europatag, deutsch-französische Chanson- und Kochabende, ein neuer Chor. Europa ist nicht nur alle fünf Jahre.
Knapp eintausend Kilometer entfernt versuchten die Partnergemeinden Entrammes, Forcé und Parné sur Roc das Gleiche in Frankreich, schafften dort bis zu 55 Prozent – und liegen damit über dem französischen Durchschnitt von 51,3 Prozent. Die Schülerin Cornélia Audy aus Entrammes durfte das erste Mal wählen.
Cornélia Audy, Sie sind Erstwählerin in dem kleinen Dorf Entrammes im Nordwesten Frankreichs. Wie war es für Sie, sich das erste Mal zu beteiligen?
Cornélia Audy: Die Wahl war mir sehr wichtig. Aber es war auch noch etwas fremd und ungewohnt. Allein, wie viele Parteien auf dem Wahlzettel stehen!
Was begeistert Sie an der europäischen Idee?
Audy: Dass die gleichen Gesetze und Bedingungen für alle Mitgliedsstaaten gelten. Und dass ich ohne Passkontrollen reisen kann – ob nach Spanien oder Rosendahl –, ohne Geld tauschen zu müssen.
Welches politische Thema liegt Ihnen besonders am Herzen?
Audy: Der Umweltschutz bewegt uns junge Leute am meisten. Wir haben in der Schule erfahren, wie fatal sich der Klimawandel auswirkt. Außerdem sind wir besorgt über den Plastikmüll. Wir müssen da noch viel lernen, insbesondere bei der Müllvermeidung und Mülltrennung. Wir wissen, dass es so nicht weitergehen kann, doch Gegenmaßnahmen gibt es kaum. Wir können diese Probleme nur gemeinsam in der Europäischen Union lösen.
Wie lief die Europawahl in Entrammes ab?
Audy: Wir haben die Auszählung aufmerksam verfolgt und uns mit den Rosendahler Freunden per WhatsApp ausgetauscht. Alle wollten wissen, was die Wahlkampagne gebracht hat und wer gewonnen hat.
Um das Engagement für Europa weiter zu fördern, müsste die Union sich mehr um soziale Gerechtigkeit kümmern. Es gibt arme und reiche Länder – das sorgt für Frust.
Wie der Partnerort Rosendahl hat sich Entrammes vorgenommen, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Mit über 50 Prozent gelang eine wesentliche Steigerung im Vergleich zu 2014. Sind Sie zufrieden?
Audy: Es war aus unserer Sicht eine gute Wahl, im Vergleich zu 2014 haben wir uns gesteigert. Um das Engagement für Europa weiter zu fördern, müsste die Union sich mehr um soziale Gerechtigkeit kümmern. Es gibt arme und reiche Länder – das sorgt für Frust.
Sie pflegen eine enge Freundschaft mit den Rosendahlern. Welche Unterschiede stellen Sie zu den Deutschen bei der Europawahl fest?
Audy: In Deutschland wurde mehr über die Europawahl geredet, auch unter den Jugendlichen. Es gab auch viel mehr Wahlplakate. Bei uns in Frankreich gibt es pro Gemeinde nur eine Stellfläche, auf der die Kandidaten für sich werben dürfen. Ansonsten kann man sie nur über die Medien und im Wahlbüro kennenlernen. Auch der Wahlkampf fängt in Deutschland viel früher an, bei uns ging’s erst im Mai los. In Entrammes haben wir Baguette-Tüten beim Bäcker mit einem Wahlaufruf versehen.
Wie stärkt die Partnerschaft mit Rosendahl das Zusammengehörigkeitsgefühl?
Audy: Über die Jahre sind wir Freunde geworden. Franzosen und Deutsche haben in vielen Dingen ähnliche Ansichten, die gleichen Probleme und ähnliche Vorlieben. Das schweißt zusammen.
Wählerzähler
Im Rahmen der Kampagne „nebenan für Europa“ hat die Stiftung nebenan.de den „Wählerzähler“ entwickelt. Mit dem Tool kann man die die Wahlbeteiligung an der Europawahl 2019 in allen 401 Wahlkreisen Deutschlands recherchieren.