„USA sind erschüttert“

„USA sind erschüttert“
Autor: Matthias Klein 07.01.2021

Am US-Parlamentssitz herrschte Chaos, nachdem Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt hatten. Die Geschehnisse werden die USA prägen, sagt Mercator Fellow Michael Werz im Interview. „Der 6. Januar wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem sich gezeigt hat, was für einen politischen Erdrutsch Donald Trumps geschichtsblinder weißer Nationalismus ausgelöst hat.“

Die Bilder vom Chaos am US-Parlamentssitz schockieren. Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen, Herr Werz?

Michael Werz: Der Präsident und seine Helfershelfer im Kapitol haben am 6. Januar bewusst und gezielt einen politischen Sturm produziert, der die USA erschüttert hat und auf Jahre hinaus verändern wird.

Noch am Nachmittag heizte der Präsident die Stimmung im von verschwörungstheoretisch geblendeten Mob an, der sich in Washington zu einem populistischen Gottesdienst versammelt hatte. „Wir werden niemals aufgeben“ rief der Präsident seinen Anhänger*innen zu, „wir werden niemals nachgeben. … Man gibt nicht nach, wenn es um den Tod geht. Unser Land hat genug.“

Zuvor hatte Rudi Giuliani von einer „Bewährung durch Kampf“ geraunt und Trumps Sohn legte gleich noch eine offene Drohung an die Adresse von Kongressmitgliedern nach, die sich nicht an dem von Senator Ted Cruz und dem Fraktionsvorsitzenden Kevin McCarthy im Abgeordnetenhaus unterstützten Staatsstreich beteiligen wollten: „Wir kommen zu euch und wir werden Spaß dabei haben und ich hoffe, dass Sie weise abstimmen werden“. Als die Krawalle und der Angriff auf das Kapitol bereits im Gange waren, lobte Ivanka Trump die hausgemachten Terrorist*innen in einem später gelöschten Tweet als „amerikanische Patrioten“.

Die schweren Ausschreitungen folgten Berichten von in der Stadt versteckten Rohrbomben, weswegen wichtige Polizeiressourcen vom Kapitol abgezogen wurden. Bürgermeisterin Muriel Bowser hatte bereits seit Tagen das Pentagon aufgefordert, Einheiten der Nationalgarde zur Verfügung zu stellen – diese Anfrage wurde offensichtlich von politischen Söldnern des Präsidenten blockiert.

Was bedeutet das für die Akzeptanz des Wahlergebnisses?

Werz: Das Wahlergebnis wurde zertifiziert, im Senat mit überwältigender Mehrheit, im Abgeordnetenhaus stimmten allerdings über 80 republikanische Abgeordnete dagegen und stellten sich damit de facto auf die Seite der rechtsextremistischen Krawallmacher*innen, die noch Stunden zuvor das Kapitol gewaltsam gestürmt hatten. Umfragen zufolge glauben weit mehr als die Hälfte aller Republikaner*innen, dass es bei den Wahlen nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Nachdem die formellen Voraussetzungen für die Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris am 20 Januar nun gegeben sind, müssen sich republikanische Parteianhänger*innen entscheiden, ob sie weiterhin in der demagogischen Parallelwelt von Donald Trump zuhause sein wollen oder sich in die amerikanische Wirklichkeit zurücktrauen – dieser Prozess wird Zeit in Anspruch nehmen und der Ausgang ist ungewiss.

© Getty Images

Man darf sich keine Illusionen machen: Der 6. Januar wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem sich gezeigt hat, was für einen politischen Erdrutsch Donald Trumps geschichtsblinder weißer Nationalismus ausgelöst hat. Der Präsident ist zugleich Resultat und Brandbeschleuniger eines Radikalisierungsprozesses, den die republikanische Partei in den vergangenen drei Jahrzehnten durchlief. Neuere Untersuchungen an der Harvard Universität zeigen, dass die Weltanschauungen der Wähler*innen der ehemaligen mitte-rechts Partei sich inzwischen im Umfeld der spanischen VOX, der Schweizer Volkspartei, dem israelischen Likud und der deutschen AfD bewegen.

Die Amtseinführung des neuen Präsidenten Joe Biden steht am 20. Januar an. Was glauben Sie, wie wird es bis dahin weitergehen?

Werz: Niemand weiß es. Aus dem Weißen Haus ist zu hören, dass sich die wenigen verbliebenen Berater um den psychischen Gesundheitszustand des Präsidenten sorgen, hochrangige Mitarbeiter sind in den vergangenen 24 Stunden zurückgetreten, es gibt allgemeine Auflösungserscheinungen im Trump-Regime.

Erstmals diskutieren auch Republikaner*innen offen eine Amtsenthebung, aber das ist „too little, too late“, wie man hier in den USA sagen würde. Nach der Grenzerfahrung des 6. Januar ist allerdings davon auszugehen, dass auch viele Trump-Unterstützer*innen von dem versuchten Staatsstreich so verschreckt sind, dass sie den Präsidenten bremsen werden, sollte er sich weiter an der amerikanischen Verfassung vergehen.

Mercator Fellowship-Programm

Das Mercator Fellowship-Programm bietet seinen Stipendiat*innen den Freiraum, sich explorativ und ideen­reich einem Forschungs- oder Praxis­vorhaben zu widmen.

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