Die Klimakrise macht Kinder krank

Warum belasten Hitze, Feinstaub und Pollen die Kleinsten besonders stark? Um diesen Zusammenhang stärker in die Öffentlichkeit und Politik zu bringen, engagiert sich die Kinderchirurgin Susanne von der Heydt im Netzwerk KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
Das erste Mal Klick gemacht in Sachen Klima und Gesundheit hat es bei der Kinderchirurgin Susanne von der Heydt vor fast 30 Jahren in Afrika. Damals war sie als Medizinstudentin in Uganda und staunte über die vielen tropischen Krankheiten. Die einheimischen Ärzt*innen rieten ihr: „Merk dir das alles gut. Wenn sich durch die Erderwärmung solche Krankheiten in Europa ausbreiten, wirst du das Wissen gut gebrauchen können.“ Rückblickend meint von der Heydt: „Dort war man damals schon so klug, die Zusammenhänge von Klimaveränderung und Gesundheit zu verstehen.“
Susanne von der Heydt ist jetzt 51 und hat viele Puzzleteile zusammengetragen, wie der Mensch die eigenen Lebensgrundlagen und damit seine Gesundheit und die Zukunft seiner Kinder bedroht. Für dieses Problem will sie mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit erreichen.
Denn die Klimakrise trifft Kinder schon vor der Geburt. Beispielsweise steigt das Risiko für Frühgeburten um bis zu 16 Prozent – etwa wenn die Ozonkonzentration und der Feinstaub die Schwangeren zusätzlich zur Hitze belasten.
Vor allem will von der Heydt die Haltung der Erwachsenen zur eigenen Gesundheit verändern. Das ständige Autofahren, der Konsum und die Lebensmittelverschwendung hätten enormen Einfluss auf Gesundheit und Klimawandel. „Wenn ich mich mehr bewege und mich gesünder ernähre, geht es mir erwiesenermaßen körperlich und psychisch besser. So rette ich mich selbst, die bedrohte Welt und die Zukunft unserer Kinder“, sagt die Ärztin.

Netzwerk für eine gesündere Zukunft
Um das Gesundheitssystem besser zu verstehen und die politischen Zusammenhänge mitzugestalten, hat die Fachärztin für Kinderchirurgie berufsbegleitend einen Master in Public Health gemacht. Seit gut eineinhalb Jahren engagiert sie sich außerdem im Netzwerk KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. Dort vernetzen sich seit 2017 Menschen aus dem gesamten Gesundheitsbereich mit dem Ziel, über die weitreichenden Folgen der Klimakrise auf die Gesundheit aufmerksam zu machen. Zudem möchte das Netzwerk den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssystems senken, um die Erderwärmung zu begrenzen. Akteur*innen aller Gesundheitsberufe sollen daran mitwirken.
Die Mitglieder von KLUG bringen sich gegenseitig auf den aktuellsten Stand und bilden sich über die hauseigene „Planetary Health Academy“ fort. Sie mischen sich in die Politik ein, klären Patient*innen, Kolleg*innen und Mitarbeitende über die Zusammenhänge von Klimakrise und Gesundheit auf und bringen das Thema in die Ausbildung.
Die Klimakrise und die Kinder
Im KLUG-Netzwerk arbeiten die Mitglieder in vielen verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen. Da geht es zum Beispiel um Klimaschutzmaßnahmen in Praxen oder gesunde und klimafreundliche Ernährung in Krankenhäusern. Susanne von der Heydt hat sich der Gruppe Kindergesundheit angeschlossen. Das lag nahe, denn Kinder sind ihre Patient*innen, und sie selbst ist Mutter von vier Kindern.

Die Klimakrise trifft Kinder besonders stark. Sie sind Hitze, Feinstaub, neuen Krankheiten, aggressiveren Allergenen und einem verlängerten Pollenflug Zeit ihres Lebens ausgesetzt – oft schon im Mutterleib. Auch die Kinderpsyche sieht von der Heydt in Gefahr. Bei Flutkatastrophen verlieren Kinder beispielsweise von heute auf morgen ihr Zuhause und können nicht mehr zur Schule gehen – eine traumatische Erfahrung. Ständige Nachrichten über Hitze, Waldbrände, Lawinen und Starkregen verunsichern sie und verursachen Panik. Der Ärztin ist wichtig, den Kindern keine Angst vor der Zukunft zu machen. Vielmehr will sie Lösungsansätze anbieten, zum Beispiel die Erwachsenen für das Thema sensibilisieren und sie dazu ermutigen, der Klimakrise entschlossen entgegenzutreten.
Susanne von der Heydt ist mit einem Auftrag in der Welt unterwegs. Nach beruflichen Stationen in den USA und Afrika und nach 24 Jahren als Ärztin und Kinderchirurgin an der Berliner Charité führt sie jetzt eine eigene Praxis im Norden von Berlin. Sie operiert ambulant und behandelt Kinder mit seltenen Erkrankungen. An der Universitätsklinik Halle arbeitet sie als Oberärztin und forscht zu ihrem Spezialgebiet „angeborene Gefäßerkrankungen“. Auf die häufig gestellte Frage, wie sie das alles schafft – Praxis, Klinik, Familie und freiwilliges Engagement – antwortet sie, dass sie selten etwas als Last, Pflicht oder Arbeit empfinde. Und wenn sie etwas quäle, dann versuche sie es zu verändern.
Bäume pflanzen gegen Hitzekollaps
Eine Sache, die sie diesen Sommer sehr belastet hat, war der mangelnde Hitzeschutz ihrer neuen Praxis. Diese hat sie im Juli 2022 von einem Kollegen übernommen. Vor der Praxis steht kein Baum und kein Strauch, die Schatten spenden – nur Glas und Asphalt. Die Sonne prallt ungehindert auf Wartezimmer und Behandlungsräume und heizt sie auf – eine Belastung vor allem für die Kinder, die in ihre Praxis kommen. Statt über den Einbau einer Klimaanlage wird von der Heydt mit der Hausverwaltung über Bäume, Dachbegrünung und Jalousien verhandeln. So wären Hitze- und Klimaschutz gleichzeitig möglich.
Hitze ist eine der offensichtlicheren Bedrohungen der Klimakrise – davon braucht man nach diesem heißen Sommer vermutlich niemanden mehr zu überzeugen. Sie belastet insbesondere Herz und Kreislauf. Notaufnahmen registrieren bei Hitzewellen vermehrt Kinder: Sie müssen wegen Hitzestress, Erschöpfung, Nieren- und Lungenerkrankungen behandelt werden. Dabei sind ausgerechnet Krankenhäuser oft selbst nicht gut gegen Hitze gewappnet.
Zusammen mit der Ärztekammer Berlin, bei der Susanne von der Heydt im Vorstand sitzt, konnte KLUG den Berliner Senat überzeugen, gemeinsam Hitzeschutzpläne für die Hauptstadt zu entwickeln. Seit Juni stehen sie kostenlos zu Verfügung. Schritt für Schritt zeigen sie, mit welchen Maßnahmen Krankenhäuser und Praxen ihre Patient*innen und Mitarbeitenden vor Hitzeschäden schützen können. Ein Erfolg der Netzwerkarbeit von KLUG. Und ein wichtiger Schritt für die Gesundheit der großen und kleinen Menschen.
KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V.
Der Verein KLUG gründete sich vor fünf Jahren im Oktober 2017. Das Netzwerk bringt Akteur*innen aus dem gesamten Gesundheitsbereich zusammen. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weitreichenden Folgen die Klimakrise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der „Planetary Health“ verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. Inzwischen unterstützen viele medizinische Fachgesellschaften, Forschungsinstitute und NGOs das Netzwerk. Die Stiftung Mercator, die European Climate Foundation, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und das Umweltbundesamt fördern die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit.
www.klimawandel-gesundheit.de/