Die Klimakrise macht Kinder krank

Kinderchirurgin Susanne von der Heydt
Die Klimakrise macht Kinder krank
Autorin: Valeska Zepp 08.12.2022

Warum belasten Hitze, Feinstaub und Pollen die Kleinsten besonders stark? Um diesen Zusammen­hang stärker in die Öffentlichkeit und Politik zu bringen, engagiert sich die Kinder­chirurgin Susanne von der Heydt im Netzwerk KLUG – Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit e.V.

Das erste Mal Klick gemacht in Sachen Klima und Gesundheit hat es bei der Kinderchirurgin Susanne von der Heydt vor fast 30 Jahren in Afrika. Damals war sie als Medizin­studentin in Uganda und staunte über die vielen tropischen Krankheiten. Die einheimischen Ärzt*innen rieten ihr: „Merk dir das alles gut. Wenn sich durch die Erderwärmung solche Krankheiten in Europa ausbreiten, wirst du das Wissen gut gebrauchen können.“ Rückblickend meint von der Heydt: „Dort war man damals schon so klug, die Zusammen­hänge von Klima­veränderung und Gesundheit zu verstehen.“

Susanne von der Heydt ist jetzt 51 und hat viele Puzzleteile zusammen­getragen, wie der Mensch die eigenen Lebens­grund­lagen und damit seine Gesundheit und die Zukunft seiner Kinder bedroht. Für dieses Problem will sie mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit erreichen.

Denn die Klimakrise trifft Kinder schon vor der Geburt. Beispiels­weise steigt das Risiko für Früh­geburten um bis zu 16 Prozent – etwa wenn die Ozon­konzentration und der Feinstaub die Schwangeren zusätzlich zur Hitze belasten.

Vor allem will von der Heydt die Haltung der Erwachsenen zur eigenen Gesundheit verändern. Das ständige Autofahren, der Konsum und die Lebens­mittel­verschwendung hätten enormen Einfluss auf Gesundheit und Klima­wandel. „Wenn ich mich mehr bewege und mich gesünder ernähre, geht es mir erwiesener­maßen körperlich und psychisch besser. So rette ich mich selbst, die bedrohte Welt und die Zukunft unserer Kinder“, sagt die Ärztin.

Kinderchirurgin Susanne von der Heydt
Susanne von der Heydt, 51, selbst Mutter von vier Kindern, führt nach 24 Jahren als Ärztin und Kinder­­chirurgin an der Berliner Charité jetzt eine eigene Praxis im Norden von Berlin. © Reinaldo Coddou

Netzwerk für eine gesündere Zukunft

Um das Gesundheitssystem besser zu verstehen und die politischen Zusammen­hänge mit­zu­gestalten, hat die Fachärztin für Kinder­chirurgie berufs­begleitend einen Master in Public Health gemacht. Seit gut eineinhalb Jahren engagiert sie sich außerdem im Netzwerk KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. Dort vernetzen sich seit 2017 Menschen aus dem gesamten Gesundheits­bereich mit dem Ziel, über die weit­reichenden Folgen der Klimakrise auf die Gesundheit aufmerksam zu machen. Zudem möchte das Netz­werk den ökologischen Fuß­abdruck des Gesund­heits­systems senken, um die Erderwärmung zu begrenzen. Akteur*innen aller Gesund­heits­berufe sollen daran mitwirken.

Die Mitglieder von KLUG bringen sich gegenseitig auf den aktuellsten Stand und bilden sich über die hauseigene „Planetary Health Academy“ fort. Sie mischen sich in die Politik ein, klären Patient*innen, Kolleg*innen und Mitarbeitende über die Zusammen­hänge von Klima­krise und Gesundheit auf und bringen das Thema in die Ausbildung.

Die Klimakrise und die Kinder

Im KLUG-Netzwerk arbeiten die Mitglieder in vielen verschiedenen Arbeits­gruppen zusammen. Da geht es zum Beispiel um Klima­schutz­maßnahmen in Praxen oder gesunde und klima­freundliche Ernährung in Kranken­häusern. Susanne von der Heydt hat sich der Gruppe Kinder­gesundheit angeschlossen. Das lag nahe, denn Kinder sind ihre Patient*innen, und sie selbst ist Mutter von vier Kindern.

Kinderkrankenbett
Susanne von der Heydt ist es wichtig, Kindern und Eltern keine Angst vor der Zukunft zu machen. Lösungs­ansätze anbieten, die Erwachsenen dazu ermutigen, der Klima­krise entschlossen entgegen​­zu­​treten – das sind wichtige Schritte für die Gesundheit der großen und kleinen Menschen. © Reinaldo Coddou

Die Klimakrise trifft Kinder besonders stark. Sie sind Hitze, Feinstaub, neuen Krankheiten, aggressiveren Allergenen und einem verlängerten Pollen­flug Zeit ihres Lebens ausgesetzt – oft schon im Mutterleib. Auch die Kinder­psyche sieht von der Heydt in Gefahr. Bei Flut­katastrophen verlieren Kinder beispiels­weise von heute auf morgen ihr Zuhause und können nicht mehr zur Schule gehen – eine traumatische Erfahrung. Ständige Nachrichten über Hitze, Waldbrände, Lawinen und Starkregen verunsichern sie und verursachen Panik. Der Ärztin ist wichtig, den Kindern keine Angst vor der Zukunft zu machen. Vielmehr will sie Lösungs­ansätze anbieten, zum Beispiel die Erwachsenen für das Thema sensibilisieren und sie dazu ermutigen, der Klima­krise entschlossen entgegen­zu­treten.

Susanne von der Heydt ist mit einem Auftrag in der Welt unterwegs. Nach beruflichen Stationen in den USA und Afrika und nach 24 Jahren als Ärztin und Kinder­chirurgin an der Berliner Charité führt sie jetzt eine eigene Praxis im Norden von Berlin. Sie operiert ambulant und behandelt Kinder mit seltenen Erkrankungen. An der Universitäts­klinik Halle arbeitet sie als Oberärztin und forscht zu ihrem Spezial­gebiet „angeborene Gefäß­erkrankungen“. Auf die häufig gestellte Frage, wie sie das alles schafft – Praxis, Klinik, Familie und freiwilliges Engagement – antwortet sie, dass sie selten etwas als Last, Pflicht oder Arbeit empfinde. Und wenn sie etwas quäle, dann versuche sie es zu verändern.

Bäume pflanzen gegen Hitze­kollaps

Eine Sache, die sie diesen Sommer sehr belastet hat, war der mangelnde Hitze­schutz ihrer neuen Praxis. Diese hat sie im Juli 2022 von einem Kollegen über­nommen. Vor der Praxis steht kein Baum und kein Strauch, die Schatten spenden – nur Glas und Asphalt. Die Sonne prallt ungehindert auf Warte­zimmer und Behandlungs­räume und heizt sie auf – eine Belastung vor allem für die Kinder, die in ihre Praxis kommen. Statt über den Einbau einer Klima­anlage wird von der Heydt mit der Haus­verwaltung über Bäume, Dach­begrünung und Jalousien verhandeln. So wären Hitze- und Klima­schutz gleich­zeitig möglich.

Hitze ist eine der offensichtlicheren Bedrohungen der Klimakrise – davon braucht man nach diesem heißen Sommer vermutlich niemanden mehr zu über­zeugen. Sie belastet insbesondere Herz und Kreislauf. Not­auf­nahmen registrieren bei Hitze­wellen vermehrt Kinder: Sie müssen wegen Hitze­stress, Erschöpfung, Nieren- und Lungen­erkrankungen behandelt werden. Dabei sind aus­gerechnet Kranken­häuser oft selbst nicht gut gegen Hitze gewappnet.

Zusammen mit der Ärztekammer Berlin, bei der Susanne von der Heydt im Vorstand sitzt, konnte KLUG den Berliner Senat über­zeugen, gemeinsam Hitzeschutzpläne für die Hauptstadt zu entwickeln. Seit Juni stehen sie kostenlos zu Verfügung. Schritt für Schritt zeigen sie, mit welchen Maßnahmen Kranken­häuser und Praxen ihre Patient*innen und Mitarbeitenden vor Hitze­schäden schützen können. Ein Erfolg der Netz­werk­arbeit von KLUG. Und ein wichtiger Schritt für die Gesundheit der großen und kleinen Menschen.


KLUG – Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit e. V.

Der Verein KLUG gründete sich vor fünf Jahren im Oktober 2017. Das Netzwerk bringt Akteur*innen aus dem gesamten Gesundheits­bereich zusammen. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weit­reichenden Folgen die Klima­krise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der „Planetary Health“ verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. Inzwischen unter­stützen viele medizinische Fachgesellschaften, Forschungs­institute und NGOs das Netzwerk. Die Stiftung Mercator, die European Climate Foundation, die Deutsche Bundes­stiftung Umwelt und das Umwelt­bundes­amt fördern die Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit.
www.klimawandel-gesundheit.de/