Roda Verheyen: Die Anwältin des Klimas

Roda Verheyen ist Anwältin und setzt sich für das Klima ein
Roda Verheyen: Die Anwältin des Klimas
Autorin: Cornelia Heim Fotos: Oliver Hardt 20.10.2022

Wer ist die Frau, die das Bundesverfassungsgericht in der Klimaklage überzeugte und die Bundesregierung zum Nachbessern zwang? Spoiler: keine gewöhnliche Juristin. Einen Fachanwaltstitel fürs Klima gibt es noch gar nicht, doch sie füllt ihn schon mit Leben. Und begreift Recht als Werkzeug, um den Planeten zu schützen.

Sie spricht überlegt und pointiert, formuliert ruhig und klar. Bereits in der Sprache dringt die Juristin durch, analytisch und auch wortgewaltig. Sie ist es gewohnt, komplizierte Sachverhalte aufzubereiten und strukturiert vorzutragen. Seit 16 Jahren ist Roda Verheyen als Anwältin tätig. Und nur bisweilen verrät ein Kraftausdruck ihre Gemütslage und lässt erahnen, dass die Sachlichkeit ein bloßes Mittel zum Zweck ist. „Verdammt noch mal“, entfährt es ihr etwa. Oder: „Das ist doch irre.“ So ein Einwurf zeugt von ihrer Ungeduld und lässt ahnen, dass sie keine gewöhnliche Juristin ist.

Klimaschutz als Lebensthema

Roda Verheyen ist Anwältin und setzt sich für das Klima ein
Engagiert sich seit ihrem 13. Lebensjahr für den Klimaschutz: Roda Verheyen © Oliver Hardt

Vielschichtig ist vermutlich ein Adjektiv, das wunderbar zu dieser Frau passt, die so viele Facetten vereint. Sie ist Mutter von drei Kindern im Alter von 18, 15 und 13 Jahren und verklagt die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht und auch Unternehmen wie Volkswagen. Roda Verheyen verkörpert das Anti-Klischee einer Anwältin. Schon ihre Kleidung ist salopp: Jeans und Sweater, am liebsten trägt sie bunte Kleider, ist ungeschminkt. Als Teenager ging sie für die Umwelt auf die Straße. Um Ressourcen ging es damals in den Achtzigerjahren, ums Mikroklima allenfalls. Vom globalen Klima oder Klimawandel war noch keine Rede. Mittlerweile ist sie 50, „in der Mitte des Lebens angekommen“, wie sie einfügt – was nur eine sagen kann, die noch viel vorhat. Die jedenfalls nicht saturiert ist. Nein, satt sei sie nicht, es gebe noch so viel zu tun. Am liebsten würde sie sofort ein Fotovoltaikgesetz schreiben, das sei dringend nötig bei dem Wildwuchs an Bestimmungen. Und eine Novelle für das Bundesnaturschutzgesetz, denn das Artensterben treibt sie auch um. Das Temperament oder der „Drive“, wie sie selbst sagt, blitzt stets auf. Immer noch ist sie im Grunde die Klimaschützerin, nur ihr Rüstzeug hat sich verändert. Manche bezeichnen sie als Klimajuristin. Das ist sehr zutreffend, doch einen Fachanwaltstitel fürs Klima gibt es gar nicht. Noch nicht. Roda Verheyen, die schon so viel erreicht hat, könnte auch dafür den Weg ebnen: „Das Recht ist dafür da, die Menschen und die Umwelt zu schützen.“ Das sehen längst nicht alle so in ihrer Branche. Weshalb sie bildhaft von den klebrigen Tentakeln des Rechts spricht, die sie am liebsten mit einer Stichsäge kurzerhand und ein für alle Mal durchtrennen möchte. Klimaschutz ist so etwas wie ihr Lebensthema.

Wut in Energie umgewandelt

Die „gehörige Portion Wut“, die begleitet sie seit ihrem 13. Lebensjahr. Die Wut habe sie jetzt in Energie umgewandelt, „in etwas Positives“. Sie hätte ja auch Politik oder Volkswirtschaft studieren können. Das stand zumindest ebenfalls zur Wahl. Den Moment der Erkenntnis zum Klimawandel hat sie noch ganz deutlich vor Augen. Wie sie 1992 in der Hamburger Staatsbibliothek stand, sich den ersten Bericht des Weltklimarates IPCC anschaute und sich hinsetzen musste, weil ihr schon vor 30 Jahren die wissenschaftlichen Prognosen den Atem verschlugen. „Die Dimensionen dieses riesigen Experiments mit der Erde sind mir da zum ersten Mal so richtig klar geworden.“ Sie hatte damals schon das Gefühl, es gebe „so unfassbar wenige, die sich mit dem Recht auskennen und auf ‚unserer‘ Seite stehen“. Aktuell seien es in Deutschland vielleicht 40, maximal 50 Jurist*innen, die ähnlich wie sie arbeiteten und das Recht als ein Werkzeug begriffen, um den Planeten vor der Gefräßigkeit der Umweltsünder*innen zu schützen.

Was ist eigentlich Umweltrecht?

Darunter versteht man die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die den Schutz der natürlichen Umwelt und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme bezwecken.

Sinnvoll Geld verdienen

Nach dem Jurastudium stieg sie erst mal als Klima-Campaignerin ein und betrieb Umweltlobbyismus auf Klimakonferenzen. 2005 promovierte sie zu „Climate Change Damage and International Law“. 2006 kehrte sie zur Juristerei zurück, im festen Glauben, nun der Umwelt vor Gericht zu ihrem Recht zu verhelfen. Und eigentlich stand immer schon fest: „Ich will sinnvoll Geld verdienen.“ Soll heißen: im Sinne ihrer Überzeugungen.

Die Wirtschaft und der Klimawandel

Welche Eigenschaft sie am besten beschreibt? Sie sei harmoniesüchtig, behauptet sie allen Ernstes. Sie, die es gewagt hat, gegen Regierungen und Unternehmen zu klagen. Nein, sie besteht darauf: Als Mensch sei ihr die Harmonie ganz wesentlich. Aber immerhin, gesteht sie, sei sie auch streitbar. Seit 2015 kämpft sie etwa für einen peruanischen Bauern gegen den Großkonzern RWE. Ein entsprechender Artikel aus der ZEIT hängt an der Wand in ihrem Rücken. Die Klage, findet sie, passe von all ihren juristischen Vorhaben am ehesten in ihre Biografie. Weil es um Klimagerechtigkeit geht. Wer für die schmelzenden Gletscher in den Anden zur Verantwortung zu ziehen ist? Solche Fragen treiben sie „seit Ewigkeiten“ um: Wer trägt die Folgen? Immer nur die, die nicht aufbegehren? Diese Klage empfindet sie schon deshalb als großes „Geschenk“. Sie begleite sie jeden Tag in ihren Gedanken, „weil ich ganz tief an die Richtigkeit glaube“, dass auch die Wirtschaft eine Mitschuld am Klimawandel trage und zur Verantwortung gezogen werden müsse. Auch die Eisformationen aus Feuerland hat sie in einer großen Fotografie hinter sich verewigt.

Roda Verheyen ist Anwältin und setzt sich für das Klima ein
Diese recycelte Tasche gehört zu ihren Lieblingsstücken. © Oliver Hardt

Gerichtszugang ist die halbe Miete

Am Tag des Gesprächs fühlt sie sich aber wie „am Schlafittchen gepackt und viermal geohrfeigt“. Weil wieder mal ein Gericht ihren Standpunkt nicht nachvollziehen konnte. Es ging um den Tagebau Garzweiler. „Dass wir 2021 gegen die Bundesregierung gewonnen haben, ist ein Epochenwechsel.“ Das Bundesverfassungsgericht urteilte, in den aktuellen Klimagesetzen seien die Interessen der jungen Generation nicht angemessen berücksichtigt. Doch trotzdem, Gerichte ignorierten die Bedeutung des Urteils immer noch. Da ist sie wieder, die zähe Klebrigkeit des Rechts. Und noch eine Vokabel lernen wir von Roda Verheyen: Gerichtszugang. Warum der wichtig ist? Seit 1994 verpflichtet das deutsche Verfassungsrecht in Artikel 20a des Grundgesetzes den Staat dazu, die Lebensgrundlagen zu schützen. Das sei eine „Staatszielbestimmung“, aber kein Grundrecht, weshalb Betroffene sich erst den Zugang zu Gerichten verschaffen müssen, um das Recht der Umwelt auch durchfechten zu können. Das ist ihr eigentlicher Kampf, die Türen zu öffnen: „Gerichte können nur beteiligt werden an der Transformation, wenn sie die Fälle kriegen.“ In ihrem Buch, das im kommenden Jahr bei dtv erscheint, wird es ein Kapitel geben, das sinnigerweise heißt: „Gerichtszugang ist die halbe Miete“.

Auch deshalb hat sie eine Organisation ins Leben gerufen: Green Legal Impact Germany e.V. Der Verein ist katalytischer Natur und soll andere, vor allem Umweltverbände in der Anwendung des Rechts unterstützen. Es gehe auch um die Fortbildung von Jurist*innen bei Querschnittsthemen und im strategischen Denken. Sachverhalte, noch so eine Vokabel aus der Juristensprache, sind die „Basis Operandi“. Wer die biologischen oder auch technischen Zusammenhänge nicht versteht, kann nicht logisch argumentieren und das Recht nicht anwenden. Egal, ob es ums CO2-Senken geht, um Moore oder um Straßenbau. Am Anfang ist das Begreifen.

Roda Verheyen ist Anwältin und setzt sich für das Klima ein
Für Roda Verheyen selbstverständlich: Sie fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit – dort empört sie sich im Hamburger Stadtteil Pöseldorf über die „schiere Zahl der SUVs hier, die verboten gehören.“ © Oliver Hardt

Gegen SUVs in „Schnöseldorf“

Ihre Kanzlei sitzt übrigens am Mittelweg in Hamburg-Pöseldorf, einem Stadtteil, der auch als „Schnöseldorf“ verunglimpft wird. Ob das passt? Die Frage gefällt ihr. Nun kann sie erzählen, dass sie immer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt und sich täglich empört über die „schiere Zahl der SUVs hier, die verboten gehören“. Das würde sie auch vom Balkon in die Welt hinausschreien, versichert die Frau mit dem offenen Gesicht. Sie ist fürwahr keine Juristin, die auf eine gepflegte Visitenkarte abzielt. Auf dem Weg ins Büro schaue sie sich die Bäume an, die auch mitten in der Stadt Hamburg in den Himmel wachsen, dabei telefoniere sie oft und bespreche Ideen.

Eine Teamplayerin sei sie, darauf legt sie besonders Wert. Am liebsten im Team zu arbeiten sei nicht normal in ihrem Metier. Sie lerne auch viel von anderen, etwa den Expert*innen der Agora Energiewende und Agora Verkehrswende. Die Heroisierung von Einzelpersonen geht ihr gegen den Strich. Sie habe so viele schlaue Menschen um sich herum, die über Sachen nachdenken und sie ihr erklären würden. In ihrer Kanzlei sind es vier Personen, die direkt mit ihr arbeiten, neu hinzugekommen eine Tierschutzrechtlerin.

Aber sie nennt auch ihren Mann, ohne den sie gar nicht da wäre, wo sie heute ist. Der auch so einen „Drive“ habe. Das Private sei bei ihnen hochpolitisch, tausend Dinge würden am Küchentisch diskutiert. Ständig gehe es mit den Kindern um Gerechtigkeitsfragen. Die hätten das Gefühl, ihre Eltern seien so aktiv, dass sie sich nicht unbedingt selber engagieren müssten. Aber auch das findet sie okay. Sie ist keine dieser Missionarinnen. Ob sie sich alleine auf weiter Flur fühle? Klar. „Ich sage mir in solchen Momenten immer, ich bin nicht die Geisterfahrerin – die anderen sind es.“

Roda Verheyen ist Anwältin und setzt sich für das Klima ein
Für Verheyen gibt es beim Klimaschutz nur diese eine Richtung: vorwärts. Auch wenn sie mit ihrer Kritik an „das haben wir immer schon so gemacht"-Menschen manchmal alleine ist. „Ich sage mir in solchen Momenten immer, ich bin nicht die Geisterfahrerin – die anderen sind es.“ © Oliver Hardt

Familie und ein Beruf mit Sinn sind möglich

Ihr Vorbild war übrigens eine Bundesverfassungsrichterin a. D., Prof. Gertrude Lübbe-Wolf, eine „wahnsinnig gute Juristin, die gleichzeitig vier Kinder hat“. Das war in den Neunzigerjahren sehr selten und hat ihr imponiert. Auch deshalb versucht sie, Vortragstermine vor Studentinnen oder Doktorandinnen nie abzusagen. Es sei so wichtig für Frauen, „dass sie merken, Familie und ein Beruf mit Sinn ist gleichzeitig möglich“.

Auf dem Schreibtischstuhl hält es sie jetzt kaum mehr. Sie fragt sich, warum wir dieses Gespräch nicht so führen, dass sie dabei herumlaufen könne. So handhabe sie das üblicherweise. Sich fortbewegen beim Entwickeln der Gedanken. So was wie eine Meditation für Kopfarbeiter*innen, Schritt für Schritt. Ganz spontan hebt sie wie zum Beweis ihre Weggefährtin unterm Tisch hervor, ein wuscheliges Fellknäuel – gestatten: Nala. Den Namen der Hundedame habe ihre Tochter ausgesucht.

Vom Glück, beruflich zu machen, woran sie glaubt

Jetzt schaut auch die Assistentin rein. Ja, die wache darüber, dass sie sich nicht zu viel vornehme. Sie sei aber kein Workaholic, versichert sie. Wie das passt, dass sie seit dem Frühsommer vergangenen Jahres nun auch noch Hamburger Verfassungsrichterin ist? Erst sei da schon der Impuls gewesen, aus Sorge vor Überlastung abzulehnen. Doch dann obsiegte wieder das Gefühl, es sei wichtig, den Rechtsstaat auf diese Art zu stärken. Und ein bisschen fühlte sie sich auch geehrt, dass die Hamburger Bürgerschaft sie in dieses Ehrenamt berufen hat, um mit über die Verfassung zu wachen. Und wie um zu bestätigen, dass sie das alles schon wuppen wird, sagt sie den schönen Satz: „Ich habe total Glück, dass ich das, woran ich glaube, auch im Beruf machen kann!“

Die Gesprächszeit ist um, mit ihren Gedanken ist sie spürbar schon woanders. Die Zeit ist knapp. Roda Verheyen hat noch viel zu tun.

Dr. Roda Verheyen – kurz und knapp:

  • Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Oslo und London
  • 1998–2001: Friends of the Earth International (internationale Klimakampagne)
  • 2001–2006 selbstständige Beraterin für diverse Umweltorganisationen wie Germanwatch, das Bundesumweltministerium und viele mehr
  • 2005: Promotion mit ihrer Arbeit „Climate Change Damage and International Law“
  • seit 2006: Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Umweltrecht, Planungsrecht, Baurecht, Völkerrecht in Hamburg
  • größter Erfolg bisher: Als Prozessbevollmächtigte war sie Beschwerdeführerin vor dem Bundesverfassungsgericht, das im März 2021 in der sogenannten Klimaklage das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung als unzureichend befand und diese zum Nachbessern aufforderte.

Green Legal Impact Germany e.V.

Der Verein Green Legal Impact (GLI) wurde 2019 in Berlin gegründet und versteht sich als „katalytisch-strategischer Akteur“ im Bereich Umweltrecht in Deutschland. Ziel ist es, die Zivilgesellschaft bei der strategischen Nutzung des Rechts für den Umweltschutz zu unterstützen. So stärkt der Verein Beteiligungsrechte und den Zugang zu Gerichten für Verbände, vernetzt Umweltrechtskanzleien und schult deren Nachwuchs oder bildet Aktivist*innen im Versammlungs- und Strafrecht aus.

www.greenlegal.eu

Green Legal Impact
© Green Legal Impact