Zu Hause in der komplexen Welt der Wissenschaft
Klimawandel, Verschwörungsmythen, Wissenschaftsferne: Die Welt ist komplex und wird immer komplexer – insbesondere in den Wissenschaften, die versuchen, Erklärungsmodelle und Lösungsansätze zu finden. In dieser Welt ist Christiane Fröhlich zu Hause.
Als im Juli 2021 das Wasser im Westen Deutschlands über die Ufer von Flüssen, Bächen und Seen trat, als es Keller und Straßen flutete, Häuser und Dörfer zerstörte und als in ihm mehr als hundert Menschen starben, war Christiane Fröhlich mit ihren beiden Kindern und ihrem Mann gerade im Urlaub an der Ostsee. „Natürlich habe ich direkt bei meinen Eltern angerufen, um herauszufinden, ob es ihnen gut geht“, erzählt die Sozialwissenschaftlerin. „Denn sie leben in einem kleinen Ort in Nordrhein-Westfalen an der Grenze zu den Niederlanden und waren von dieser Lage auch betroffen. Die beiden hatten aber zum Glück nur ein wenig Wasser im Untergeschoss. Doch wenn man sich wie ich seit vielen Jahren mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzt, kommt einem in so einer Situation schon auch der Gedanke: ‚Jetzt ist es passiert! Wir haben davor gewarnt, aber auf uns hört ja niemand!’“ Christiane Fröhlich lacht, doch in der Zuspitzung steckt eine traurige Wahrheit. „So geht es vielen aus meiner Community. Denn als Wissenschaftler*innen versuchen wir zu informieren und aufzuklären – und an weniger guten Tagen fühlt sich das an wie ein Kampf gegen Windmühlen: aussichtslos.“
Von Nordirland zum Israel-Palästina-Konflikt
Christiane Fröhlich forscht am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg zu Fluchtursachen im globalen Süden. Dass sie sich beruflich auch mit den Folgen des menschengemachten Klimawandels beschäftigt, war kein geradliniger Weg. Aufgewachsen ist sie in dem Ort in Nordrhein-Westfalen, in dem ihre Eltern noch heute leben, nach der Schule studierte sie zunächst die englische Sprache, Geschichte und Psychologie in Hamburg und Warwick. Sie wollte Journalistin werden und schrieb in jener Zeit viele Artikel, unter anderem für die „Irish Times“ über die Oranier-Märsche der konservativen Protestant*innen in Nordirland. Als sie das Studium abschloss, hatte sich die Medienlandschaft mit dem Aufkommen des Internets so verändert, dass Christiane Fröhlich sich nicht mehr vorstellen konnte, in einer Zeitungsredaktion zu arbeiten. Stattdessen studierte sie weiter – und zwar Friedensforschung am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg. „Das passte zu mir, weil ich mich bereits zuvor mit Gewalttheorien beschäftigt hatte: Das Thema meiner Magisterarbeit waren Gewaltdarstellungen in der nordirischen Lyrik.“ In ihrer Master- und später auch in ihrer Doktorarbeit am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg setzte sie sich dann damit auseinander, welche Rolle das Wasser im israelisch-palästinensischen Konflikt spielt. „Diese Konzentration auf Umweltkonfliktforschung und die Ressource Wasser begleitet mich bis heute.“
Verursachen die Auswirkungen des Klimawandels einen Bürgerkrieg?
Die globale Erwärmung verschärft Wetterextreme, die sich in Hochwasser oder Dürren niederschlagen können. Das erlebten die Menschen 2021 in Deutschland während der Starkregenfälle in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, und das erlebten die Menschen von 2005 bis 2007 in Syrien während einer Dürre, bei der Felder vertrockneten und Ernten ausblieben. Damals verloren Hunderttausende Bauern und Bäuerinnen sowie Viehzüchter*innen ihren Lebensunterhalt, viele Familien zogen aus den verdorrten Landstrichen in weniger betroffene Regionen. 2011 brach dann der Bürgerkrieg in Syrien aus. „Zwischen beiden Ereignissen wurde schließlich ein Zusammenhang hergestellt“, sagt Christiane Fröhlich. „In den Medien las man zu jener Zeit, dass der Kollaps der Landwirtschaft die Menschen in die Städte getrieben habe, wodurch es dort immer enger und konfliktreicher wurde. Diese Migrant*innen seien in der Folge auf die Straße gegangen und hätten zunächst friedlich protestiert: Wir kennen die Demonstrationen unter dem Schlagwort ‚Arabischer Frühling‘. In der Folge eskalierte die Gewalt.“ Aber stimmt das? Hat die Dürre schlussendlich einen Bürgerkrieg mitverursacht? Um Antworten zu finden, reiste Christiane Fröhlich nach Jordanien und als Fellow der Stiftung Mercator und des Istanbul Policy Centers in die Türkei und sprach mit Syrer*innen, die zuvor in der Landwirtschaft gearbeitet und dann ihre Heimat verlassen hatten. Auch hier zeigte sich: Die Wirklichkeit ist kompliziert. „Aus meinen Daten lässt sich keine unmittelbare Kausalität herleiten. Die Menschen, die in der Landwirtschaft gearbeitet hatten, waren oft gar nicht diejenigen, die an den Protesten beteiligt waren. Viele haben sich als unpolitisch beschrieben, zumal viele der Söhne dieser Familien Soldaten sind. Die Familien würden Gefahr laufen, auf den Demonstrationen ihren Söhnen in Uniform gegenüberzustehen. Ein solches Risiko wären die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, nicht eingegangen.“
Klimamigration nach Europa ist unwahrscheinlich
Die Klimamigrant*innen waren, so das Ergebnis von Christiane Fröhlichs Untersuchung, also nicht die treibende Kraft hinter den Aufständen. Sehr wohl aber hat der Umgang der syrischen Regierung mit der Dürre eine Rolle gespielt. „Denn ich habe durchaus mit Menschen gesprochen, die die Klimaflüchtlinge auf ihren eigenen Feldern beschäftigt haben, und die haben deren Situation als Weckruf wahrgenommen. Schließlich könnten sie künftig von der nächsten Dürre betroffen sein, und sie stünden dann ebenfalls ohne Unterstützung vom Staat da. Diese Erfahrung war also möglicherweise ein Mosaikstein in der Entscheidung, auf die Straße zu gehen.“ Auch Prognosen zu klimabedingter Migration sind komplex. Aufbauend auf bestehender Forschung geht Christiane Fröhlich davon aus, dass es künftig aufgrund des Klimawandels vor allem Süd-Süd-Bewegungen geben wird. „Die Menschen werden in der Mehrzahl vermutlich in ihren Ländern bleiben, auch weil sie gar nicht die Mittel haben, die Heimat zu verlassen. Somit besteht wenig Grund zur Annahme, dass Klimamigrant*innen in großer Zahl nach Europa kommen werden.“
Christiane Fröhlich arbeitet derzeit, bedingt durch die Coronapandemie, fast ausschließlich im Homeoffice. In den 15 Jahren zuvor war sie regelmäßig in der Region unterwegs, die sie beforscht: in Israel, Palästina, Jordanien, im Libanon und in der Türkei. Manchmal war sie mit der Familie zusammen unterwegs – wie 2016 in Istanbul, als sie mit syrischen Geflüchteten sprach. Nach dem gescheiterten Putschversuch mussten sie, ihr Mann, die Tochter und der Sohn das Land frühzeitig verlassen: Zahlreiche Universitäten waren geschlossen worden, und Kolleg*innen rieten ihr dringend zur Abreise. Eine brenzlige Situation. Trotzdem ist und bleibt die Feldforschung für Christiane Fröhlich sehr wichtig. „Man muss die Gegenden persönlich kennen, über die man veröffentlicht. Feldforschung kann man nicht durch reine Lektüre ersetzen“, davon ist sie überzeugt.
Die Arbeit im Homeoffice funktioniert – trotzdem freut sich Christiane Fröhlich auf die Zeit nach der Pandemie. Wie lange es noch dauern wird, bis sie wieder längere Reisen antreten kann? Das kann sie nur vermuten. „Erst letztens habe ich in einer wissenschaftlichen Publikation gelesen, dass Pandemien im Schnitt drei Jahre andauern. Dann hätten wir im Sommer 2021 Bergfest gehabt“, sagt sie. „Aber ich hoffe sehr auf die positiven Effekte einer möglichst hohen Impfquote.“ Es bleibt also komplex – aber immer spannend. Und in ihrer Wahlheimat Hamburg, einer Stadt mit 2.500 Brücken und unzähligen Plätzen an Alster und Elbe, auch idyllisch.
Mercator-IPC Fellowship Programm
Das Fellowship-Programm ist das Herzstück des Istanbul Policy Centers (IPC). Die Initiative nimmt sich dem Austausch von Menschen und Ideen in der Türkei an.
https://ipc.sabanciuniv.edu/