Sonne zum Mitnehmen
Ob E-Bike, Fahrradlaster oder Frachtschiff – für die Ingenieure Matthias Rheinlaender und Maximilian Czelinski geht bei der Energiewende nichts ohne Solarenergie. In ihrer offenen Hightech-Werkstatt, dem MakerSpace „Halle1“ an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, denken sie die Elektromobilität neu.
Draußen ragen die Bäume in den grauen Himmel, dicke Wolken ziehen über die angrenzenden Wiesen und Felder. Auf dem Campus der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen herrscht Herbstwetter. Den Ingenieuren Maximilian Czelinski und Matthias Rheinlaender macht das nichts aus: Sie haben Sonne gespeichert. Das Tor zu ihrer Hightech-Werkstatt „Halle1“ steht offen und gibt den Blick frei auf 300 Quadratmeter Bastelfläche. Gerade lädt der Akku eines E-Bikes an einer Solaranlage. Ein Mitarbeiter lötet und schraubt an einem ausgebauten Katamaran mit Solardach herum, und bald steht eine Probefahrt mit dem Fahrradlaster an – aufgetankt mit Sonnenenergie.
Eine Halle für alle
Seit Anfang 2018 leiten Matthias Rheinlaender und Maximilian Czelinksi den MakerSpace „Halle1“ auf dem Gelände der Hochschule, bei der beide angestellt sind. Ein kreativer Raum voll mit modernstem Werkzeug, alten Akkus, mehreren 3-D-Druckern, Lasercutter, Drehbank, Computer und selbst gebauten Maschinen. Hier forschen der 35-jährige Czelinski und der 33-jährige Rheinlaender mit zehn Mitarbeiter*
Durch genau so ein Ausprobieren entdeckten sie vor ein paar Jahren die Solarenergie für sich. Aus Neugier löteten sie die alte Batterie einer Brandmeldeanlage mit einem Solarpanel und Ladeelektronik zusammen. Als sie merkten, wie einfach es ist, mit so einem Modell technische Geräte aufzuladen, brachte das zahlreiche Steine ins Rollen. Neben den Fahrzeugen, an denen sie zurzeit arbeiten, kam ihnen die Idee für das Projekt Sonne2Go. Das Ziel: Schüler*innen, Student*innen und Interessierten in Workshops zu zeigen, wie sie eine eigene Solarinsel bauen, mit der man Smartphone, Laptop oder den E-Bike-Akku laden kann. Unterstützt wurde das Projekt von der Initiative „Energie fürs Quartier“, einem Förderprojekt, das acht Teams geholfen hat, ihre Ideen für eine soziale, nachhaltige Energiewende zu entwickeln. „Es geht darum, voneinander zu lernen und einen persönlichen Bezug zu Themen der Energiewende herzustellen“, sagt Svenja Feuster, Projektleiterin von „Energie fürs Quartier“. Das Projekt wurde von dynamis, einem Zusammenschluss der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft, dem Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) und der 100 prozent erneuerbar stiftung, gefördert und mit Unterstützung der Stiftung Mercator realisiert.
„Die Energie-fürs-Quartier-Förderung hat uns damals geholfen, durchzuhalten“, betont Czelinski, der fast einen Job in München angenommen hätte, während die Zusage für den MakerSpace noch ausstand. Das Warten bis zur Bewilligung solcher Anträge sei eine der größten Hürden in ihrer Arbeit, meint er. Von der Idee bis zur Eröffnung der „Halle1“ dauerte es fast zwei Jahre. Durch die Unterstützung für Sonne2Go konnten die beiden Ingenieure in der Zeit kreativ sein, technische Geräte kaufen und in Workshops und Vorträgen verbreiten, wie gut Solarenergie und Mobilität zusammenpassen.
Prototypen für die Nachhaltigkeit
Dinge versuchen und merken, dass es geht – diese Erfahrung wollen sie in der „Halle1“ weitergeben. Der Leitgedanke ist, unabhängig zu sein und technische Prozesse zu verstehen. Der Bau eines E-Lastenrad-Prototyps diente ihnen als Basis, um ihr Ideenlabor zu entwickeln. So ist eine komplette Fahrradwerkstatt in den MakerSpace integriert. Und noch ein Gedanke steckte dahinter. „Wenn wir so etwas hier bauen können, können wir jeden Prototyp bauen“, stellt Matthias Rheinlaender fest. Schaut man sich in der Halle um, wird klar, dass die beiden genau das tun.
Im Eingang steht das E-Lastenfahrrad, ein Liegerad mit sechs Rädern, elektrischer Pedalunterstützung und großer Pritsche für den Warentransport. 2,40 Meter Ladelänge, 90 Zentimeter breit. Damit passt es durch jede Tür, wie sie mit großem Spaß bei einer schwungvollen Testfahrt zur Uni-Poststelle demonstrieren, um eine frisch eingetroffene Gerätelieferung abzuholen. Dabei geht es sanft kleine Hügel hinauf, ruckelfrei über Kieswege und präzise um jede Kurve. Die schweren Pakete aus der Poststelle liegen sicher auf der Ladefläche. Kein Wunder, dass die beiden Ingenieure das E-Fahrzeug auch den „Fahrradlaster“ nennen: Der Sattelauflieger trägt 500 Kilo, fünf Menschen haben darauf Platz. Mit einer Solarzelle mit 300 Watt auf dem Dach könnte man Energie für 45 Kilometer reinladen – nur durchs Parken. Bei dem Versuchsfahrzeug fehle nur noch der Wetterschutz, etwas Klappbares vielleicht. „In unseren Augen ist das die einzige sinnvolle Möglichkeit der Elektromobilität“, sagt Rheinlaender. Denn die Energie, die ein Elektroauto mit einer Ladung speichert, verbraucht ein E-Lastenbike in einem Jahr. Mit dem Ausbau der Erztrassen zu Radschnellwegen ist ihr E-Fahrzeug ein Zukunftsmodell für die Kurz- und Mittelstreckenmobilität im Ruhrgebiet.
Die meiste Energie speichert die Solarinsel, die die MakerSpace-Chefs auf ein Kinderwagengestell montiert und rausgeschoben haben. Die beiden laden damit nicht nur den Fahrradlaster, sondern auch ihre eigenen E-Bikes auf, sobald sie morgens in der Halle ankommen. Die Ingenieure haben sich jeweils auch ein Modell für Zuhause gebaut, dort schließen sie die Batterie abends an. Solar und Fahrrad gehören für die beiden zusammen, darin sind sie sich einig. Rund 45 Minuten brauchen sie von Bochum nach Gelsenkirchen, ein Radweg auf der alten Erzbahntrasse verbindet die beiden Städte direkt. So können sie die 13 Kilometer mit dem Rad pendeln, unverschwitzt, ohne Stau und CO2-Ausstoß.
„Mit unseren Solarmodulen leiten wir vielleicht nicht die große Energiewende ein – dafür sind die Ladestationen zu klein. Das ist für den Kopf, damit sich die Menschen überhaupt mit dem Thema befassen und sich das vorstellen können“, berichtet Czelinski, der Physikalische Technik studiert hat. Dann verschwindet der 35-Jährige in einer Ecke der Halle und kommt schnellen Schrittes mit drei Modellen in unterschiedlichen Größen wieder. Das kleinste hat ungefähr die Maße eines Buches und passt auf jede Fensterbank. Dafür haben sie die weggeworfene Batterie einer Türschließeranlage verbaut. Nun zeigt er ein größeres Modell und klopft darauf. Das sei sturmsicher, sagt er, auch auf Dächern finde man diese Module. Der Clou: So etwas passt an jede Balkonwand – man braucht kein Eigenheim dafür. In einer Region, in der die Mehrheit der Menschen zur Miete wohnt, sei das wichtig. Dieser niederschwellige Ansatz war ein zentrales Kriterium bei der Auswahl für „Energie fürs Quartier“. Die Workshops zum Bau der Solarinsel sind kostenlos, nur die Materialien müssen die Teilnehmer*innen selber mitbringen. In der Regel seien das vier bis fünf Cent-Artikel, die man in jedem Baumarkt findet, etwa ein Zigarettenanzünder.
Die Motivation, Menschen von nachhaltigen Mobilitätsinnovationen zu überzeugen, treibt die Ingenieure weiter an. Wenn die Freunde von ihren Ideen erzählen, sprudelt es nur so aus ihnen heraus. „Wir probieren hier viel rum, stellen Berechnungen an, nehmen die Sachen selbst in die Hand und denken um drei Ecken“, erzählt Matthias Rheinlaender. Insgesamt arbeiten sie an zehn bis 15 Projekten gleichzeitig.
Kaputt? Gibt’s nicht
Schon als Kinder haben die beiden Wissenschaftler gebrauchte Geräte auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Zerlegen, reparieren, verstehen und keine Angst, etwas kaputt zu machen – das ist auch noch heute ihr Motto. Auf einer WG-Party lernten sie sich 2010 kennen, und die gemeinsame Leidenschaft für Technik legte den Grundstein für ihre heutige Zusammenarbeit. „Im Studium haben wir kaputte Geräte auf dem größten Wochenflohmarkt Europas gekauft, in der Nähe der Schalke-Arena“, erinnert sich Matthias Rheinlaender. Auch vom Sperrmüll haben sie Sachen mitgenommen. Nach der Uni trafen sie sich mit Gleichgesinnten, um gemeinsam rumzuschrauben und die Sachen heil wieder zusammenzusetzen. Das sprach sich rum. „Wir hatten irgendwann den Ruf, dass wir alles reparieren können“, sagt der 33-Jährige. Inzwischen haben sie vier Doppelgaragen mit Werkzeug aufgebaut. Da steht sogar eine Hebebühne.
Serie: Mercator Klima Forum
Wie integrieren Vereine und Institutionen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in ihre Arbeit? Darüber berichten wir in unserer Serie zu unserem Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
- Das Projekt „Sonne2Go“ nutzt die Sonne und bringt das anderen bei.
- Einen Stadtteil nachhaltig machen – das will der Verein „Aufbruch am Arrenberg“.
- Dirk Tröndle von der Iranischen Gemeinde in Deutschland will die Migrantencommunity für Klimaschutz sensibilisieren .
- Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat erklärt, warum ein kultureller Wandel Voraussetzung für Veränderungen ist.
- Auch Kirchen können nachhaltiger handeln. Wie, das zeigt das Institut für Kirche und Gesellschaft.
- Klima steht bei vielen Organisationen auf der Tagesordnung. Was das bedeutet, erläutert Lilian Schwalb vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).
In ihren Projekten setzen sie sich immer wieder über vermeintliche Grenzen des Machbaren hinweg. „Wir haben eins gelernt: Nur weil alle sagen, dass etwas nicht möglich ist, heißt es nicht, dass es nicht klappt“, erklärt Czelinski und wirbelt durch die Halle, um weitere Prototypen zu zeigen. Stolz präsentieren sie ihr Solarboot, einen knallgelben Katamaran mit Solardach. „Das ist ein schönes kleines Kraftwerk in Carport-Größe“, schwärmt der Physiker und setzt sich rein. Die große Vision dahinter ist, den Güterverkehr auf Wasserstraßen mit autonomen Solardach-Containern zu revolutionieren. Getestet haben sie das Boot bereits: Im Juli waren sie damit einen ganzen Tag ohne Nachladen auf dem Tenderingssee in Dinslaken unterwegs. Als Nächstes wollen sie an einem Liegeplatz am Hafen weiterbauen. Gerade versuchen sie, eine Förderung für das Projekt zu bekommen. Sie wissen, dass das dauern kann – aufhalten lassen sie sich davon nicht.
Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
Der Klimawandel schien lange Zeit nur ein Thema für Umweltverbände zu sein. Heute appellieren auch Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen an die Politik, ambitionierter zu handeln. Wie es gelingen kann, einen größeren Teil der Gesellschaft in einen Austausch zu integrieren und mehr Menschen Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement aufzuzeigen, diskutieren wir beim Mercator Forum Klima.
https://stiftung-mercator-preevent.plazz.net/