Sonne zum Mitnehmen

An seinem Schreibtisch im MakerSpace auf dem Geländer Hochschule Gelsenkirchen arbeitet Maximilian Czelinski an neuen Projekten, schraubt an Kleingeräten und plant Workshops.
Sonne zum Mitnehmen
Autorin: Saskia Weneit Fotos: Lukas Schulze 15.10.2019

Ob E-Bike, Fahrradlaster oder Frachtschiff – für die Ingenieure Matthias Rheinlaender und Maximilian Czelinski geht bei der Energiewende nichts ohne Solarenergie. In ihrer offenen Hightech-Werkstatt, dem MakerSpace „Halle1“ an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, denken sie die Elektromobilität neu.

Draußen ragen die Bäume in den grauen Himmel, dicke Wolken ziehen über die angrenzenden Wiesen und Felder. Auf dem Campus der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen herrscht Herbstwetter. Den Ingenieuren Maximilian Czelinski und Matthias Rheinlaender macht das nichts aus: Sie haben Sonne gespeichert. Das Tor zu ihrer Hightech-Werkstatt „Halle1“ steht offen und gibt den Blick frei auf 300 Quadrat­meter Bastel­fläche. Gerade lädt der Akku eines E-Bikes an einer Solar­anlage. Ein Mitarbeiter lötet und schraubt an einem ausgebauten Katamaran mit Solardach herum, und bald steht eine Probe­fahrt mit dem Fahr­rad­laster an – aufgetankt mit Sonnenen­ergie.

Eine Halle für alle

Seit Anfang 2018 leiten Matthias Rheinlaender und Maximilian Czelinksi den MakerSpace „Halle1“ auf dem Gelände der Hochschule, bei der beide angestellt sind. Ein kreativer Raum voll mit modernstem Werkzeug, alten Akkus, mehreren 3-D-Druckern, Laser­cutter, Drehbank, Computer und selbst gebauten Maschinen. Hier forschen der 35-jährige Czelinski und der 33-jährige Rheinlaender mit zehn Mitarbeiter*innen zu Solar­energie und Elektro­mobilität. Das Besondere: Jeder kann kommen und Ideen verwirklichen oder an Workshops teil­nehmen. Das war den beiden wichtig, als sie Ende 2016 das Konzept für die Mitmach-Halle ausarbeiteten. „Wir dachten, so ein Ort, wo man Technik ausprobieren kann, fehlt an der Hochschule“, erklärt Wirtschafts­ingenieur Rheinlaender. Sie wollten einen Raum schaffen, in dem Innovationen für Nach­haltig­keit und gesellschaftliche Relevanz entstehen können.

Die beiden Ingenieure nehmen seit ihrer Kindheit technische Geräte auseinander und bauen sie funktionsfähig wieder zusammen. Im Hintergrund steht Czelinskis Wohnmobil, auf dessen Dach er eine Solarzelle geschraubt hat.
Die beiden Ingenieure nehmen seit ihrer Kindheit technische Geräte aus­einander und bauen sie funktions­fähig wieder zusammen. Im Hinter­grund steht Czelinskis Wohn­mobil, auf dessen Dach er eine Solar­zelle geschraubt hat. © Lukas Schulze
Gut verkabelt: Die mobile Solarinsel ist die Halle1-Ladestation für die E-Bikes, Laptops und das Elektro-Lastenfahrrad.
Gut verkabelt: Die mobile Solar­insel ist die Halle1-Lade­station für die E-Bikes, Laptops und das Elektro-Lasten­fahr­rad. © Lukas Schulze

Durch genau so ein Ausprobieren entdeckten sie vor ein paar Jahren die Solar­energie für sich. Aus Neugier löteten sie die alte Batterie einer Brand­melde­anlage mit einem Solar­panel und Lade­elektronik zusammen. Als sie merkten, wie einfach es ist, mit so einem Modell technische Geräte auf­zu­laden, brachte das zahl­reiche Steine ins Rollen. Neben den Fahr­zeugen, an denen sie zurzeit arbeiten, kam ihnen die Idee für das Projekt Sonne2Go. Das Ziel: Schüler*innen, Student*innen und Interessierten in Workshops zu zeigen, wie sie eine eigene Solar­insel bauen, mit der man Smart­phone, Laptop oder den E-Bike-Akku laden kann. Unter­stützt wurde das Projekt von der Initiative „Energie fürs Quartier“, einem Förder­projekt, das acht Teams geholfen hat, ihre Ideen für eine soziale, nachhaltige Energie­wende zu entwickeln. „Es geht darum, voneinander zu lernen und einen persönlichen Bezug zu Themen der Energie­wende herzu­stellen“, sagt Svenja Feuster, Projekt­leiterin von „Energie fürs Quartier“. Das Projekt wurde von dynamis, einem Zusammen­schluss der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft, dem Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) und der 100 prozent erneuer­bar stiftung, gefördert und mit Unter­stützung der Stiftung Mercator realisiert.

Testfahrt auf dem Campus: Das Fahrzeug hat reichlich Ladefläche, trägt bis zu 500 Kilo und ist nur 90 Zentimeter breit. Für Rheinländer und Czelinski ist es die beste Möglichkeit der Elektromobilität.
Test­fahrt auf dem Campus: Das Fahr­zeug hat reichlich Lade­fläche, trägt bis zu 500 Kilo und ist nur 90 Zenti­meter breit. Für Rheinländer und Czelinski ist es die beste Möglichkeit der Elektro­mobilität. © Lukas Schulze

„Die Energie-fürs-Quartier-Förderung hat uns damals geholfen, durch­zu­halten“, betont Czelinski, der fast einen Job in München angenommen hätte, während die Zusage für den MakerSpace noch ausstand. Das Warten bis zur Bewilligung solcher Anträge sei eine der größten Hürden in ihrer Arbeit, meint er. Von der Idee bis zur Eröffnung der „Halle1“ dauerte es fast zwei Jahre. Durch die Unter­stützung für Sonne2Go konnten die beiden Ingenieure in der Zeit kreativ sein, technische Geräte kaufen und in Workshops und Vorträgen verbreiten, wie gut Solar­energie und Mobilität zusammen­passen.

Prototypen für die Nachhaltig­keit

Dinge versuchen und merken, dass es geht – diese Erfahrung wollen sie in der „Halle1“ weiter­geben. Der Leit­gedanke ist, unabhängig zu sein und technische Prozesse zu verstehen. Der Bau eines E-Lastenrad-Prototyps diente ihnen als Basis, um ihr Ideenlabor zu entwickeln. So ist eine komplette Fahr­rad­werkstatt in den MakerSpace integriert. Und noch ein Gedanke steckte dahinter. „Wenn wir so etwas hier bauen können, können wir jeden Proto­typ bauen“, stellt Matthias Rheinlaender fest. Schaut man sich in der Halle um, wird klar, dass die beiden genau das tun.

Solar und Fahrrad gehören für die Ingenieure zusammen. Sie kommen jeden Tag mit ihren eigenen E-Bikes zur Arbeit und schließen sie dort an die mobile Solarinsel an.
Solar und Fahr­rad gehören für die Ingenieure zusammen. Sie kommen jeden Tag mit ihren eigenen E-Bikes zur Arbeit und schließen sie dort an die mobile Solar­insel an. © Lukas Schulze
Solarstrom fürs Handy: Diese USB-Ladestation passt auf jede Fensterbank und ist einfach nachzubauen. In Workshops zeigt das MakerSpace-Team Interessierten, wie es geht.
Solarstrom fürs Handy: Diese USB-Lade­station passt auf jede Fenster­bank und ist einfach nach­zu­bauen. In Work­shops zeigt das MakerSpace-Team Interessierten, wie es geht. © Lukas Schulze

Im Eingang steht das E-Lasten­fahrrad, ein Liegerad mit sechs Rädern, elektrischer Pedal­unter­stützung und großer Pritsche für den Waren­transport. 2,40 Meter Lade­länge, 90 Zentimeter breit. Damit passt es durch jede Tür, wie sie mit großem Spaß bei einer schwung­vollen Test­fahrt zur Uni-Post­stelle demonstrieren, um eine frisch eingetroffene Geräte­lieferung abzuholen. Dabei geht es sanft kleine Hügel hinauf, ruckel­frei über Kies­wege und präzise um jede Kurve. Die schweren Pakete aus der Post­stelle liegen sicher auf der Ladefläche. Kein Wunder, dass die beiden Ingenieure das E-Fahrzeug auch den „Fahr­rad­laster“ nennen: Der Sattel­auf­lieger trägt 500 Kilo, fünf Menschen haben darauf Platz. Mit einer Solar­zelle mit 300 Watt auf dem Dach könnte man Energie für 45 Kilo­meter rein­laden – nur durchs Parken. Bei dem Versuchs­fahr­zeug fehle nur noch der Wetter­schutz, etwas Klapp­bares vielleicht. „In unseren Augen ist das die einzige sinn­volle Möglichkeit der Elektro­mobilität“, sagt Rheinlaender. Denn die Energie, die ein Elektro­auto mit einer Ladung speichert, verbraucht ein E-Lasten­bike in einem Jahr. Mit dem Ausbau der Erz­trassen zu Rad­schnell­wegen ist ihr E-Fahr­zeug ein Zukunfts­modell für die Kurz- und Mittel­strecken­mobilität im Ruhr­gebiet.

Die meiste Energie speichert die Solarinsel, die die MakerSpace-Chefs auf ein Kinder­wagen­gestell montiert und raus­geschoben haben. Die beiden laden damit nicht nur den Fahr­rad­laster, sondern auch ihre eigenen E-Bikes auf, sobald sie morgens in der Halle ankommen. Die Ingenieure haben sich jeweils auch ein Modell für Zuhause gebaut, dort schließen sie die Batterie abends an. Solar und Fahrrad gehören für die beiden zusammen, darin sind sie sich einig. Rund 45 Minuten brauchen sie von Bochum nach Gelsenkirchen, ein Rad­weg auf der alten Erz­bahn­trasse verbindet die beiden Städte direkt. So können sie die 13 Kilo­meter mit dem Rad pendeln, unver­schwitzt, ohne Stau und CO2-Ausstoß.

„Mit unseren Solarmodulen leiten wir vielleicht nicht die große Energie­wende ein – dafür sind die Lade­stationen zu klein. Das ist für den Kopf, damit sich die Menschen über­haupt mit dem Thema befassen und sich das vorstellen können“, berichtet Czelinski, der Physikalische Technik studiert hat. Dann verschwindet der 35-Jährige in einer Ecke der Halle und kommt schnellen Schrittes mit drei Modellen in unter­schiedlichen Größen wieder. Das kleinste hat ungefähr die Maße eines Buches und passt auf jede Fenster­bank. Dafür haben sie die weg­geworfene Batterie einer Tür­schließer­anlage verbaut. Nun zeigt er ein größeres Modell und klopft darauf. Das sei sturmsicher, sagt er, auch auf Dächern finde man diese Module. Der Clou: So etwas passt an jede Balkon­wand – man braucht kein Eigen­heim dafür. In einer Region, in der die Mehrheit der Menschen zur Miete wohnt, sei das wichtig. Dieser nieder­schwellige Ansatz war ein zentrales Kriterium bei der Auswahl für „Energie fürs Quartier“. Die Workshops zum Bau der Solar­insel sind kosten­los, nur die Materialien müssen die Teilnehmer*innen selber mitbringen. In der Regel seien das vier bis fünf Cent-Artikel, die man in jedem Baumarkt findet, etwa ein Zigaretten­anzünder.

Die Motivation, Menschen von nachhaltigen Mobilitäts­innovationen zu über­zeugen, treibt die Ingenieure weiter an. Wenn die Freunde von ihren Ideen erzählen, sprudelt es nur so aus ihnen heraus. „Wir probieren hier viel rum, stellen Berechnungen an, nehmen die Sachen selbst in die Hand und denken um drei Ecken“, erzählt Matthias Rheinlaender. Insgesamt arbeiten sie an zehn bis 15 Projekten gleich­zeitig.

Kaputt? Gibt’s nicht

Schon als Kinder haben die beiden Wissenschaftler gebrauchte Geräte aus­einander­genommen und wieder zusammen­gesetzt. Zerlegen, reparieren, verstehen und keine Angst, etwas kaputt zu machen – das ist auch noch heute ihr Motto. Auf einer WG-Party lernten sie sich 2010 kennen, und die gemeinsame Leiden­schaft für Technik legte den Grund­stein für ihre heutige Zusammen­arbeit. „Im Studium haben wir kaputte Geräte auf dem größten Wochen­floh­markt Europas gekauft, in der Nähe der Schalke-Arena“, erinnert sich Matthias Rheinlaender. Auch vom Sperr­müll haben sie Sachen mit­genommen. Nach der Uni trafen sie sich mit Gleich­gesinnten, um gemeinsam rum­zu­schrauben und die Sachen heil wieder zusammen­zu­setzen. Das sprach sich rum. „Wir hatten irgend­wann den Ruf, dass wir alles reparieren können“, sagt der 33-Jährige. Inzwischen haben sie vier Doppel­garagen mit Werkzeug aufgebaut. Da steht sogar eine Hebe­bühne.

Serie: Mercator Klima Forum

Wie integrieren Vereine und Institutionen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in ihre Arbeit? Darüber berichten wir in unserer Serie zu unserem Mercator Forum „Engagement fürs Klima“

In ihren Projekten setzen sie sich immer wieder über vermeintliche Grenzen des Mach­baren hinweg. „Wir haben eins gelernt: Nur weil alle sagen, dass etwas nicht möglich ist, heißt es nicht, dass es nicht klappt“, erklärt Czelinski und wirbelt durch die Halle, um weitere Proto­typen zu zeigen. Stolz präsentieren sie ihr Solar­boot, einen knall­gelben Katamaran mit Solardach. „Das ist ein schönes kleines Kraftwerk in Carport-Größe“, schwärmt der Physiker und setzt sich rein. Die große Vision dahinter ist, den Güter­verkehr auf Wasser­straßen mit autonomen Solar­dach-Containern zu revolutionieren. Getestet haben sie das Boot bereits: Im Juli waren sie damit einen ganzen Tag ohne Nachladen auf dem Tenderings­see in Dinslaken unter­wegs. Als Nächstes wollen sie an einem Liege­platz am Hafen weiter­bauen. Gerade versuchen sie, eine Förderung für das Projekt zu bekommen. Sie wissen, dass das dauern kann – aufhalten lassen sie sich davon nicht.

Mercator Forum „Engagement fürs Klima“

Der Klimawandel schien lange Zeit nur ein Thema für Umwelt­verbände zu sein. Heute appellieren auch Kirchen, Gewerk­schaften und Unter­nehmen an die Politik, ambitionierter zu handeln. Wie es gelingen kann, einen größeren Teil der Gesellschaft in einen Aus­tausch zu integrieren und mehr Menschen Möglichkeiten für bürger­schaftliches Engagement auf­zu­zeigen, diskutieren wir beim Mercator Forum Klima.

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