Glaube, Klima, Hoffnung
Von Altarkerzen bis Stromverbrauch: Auch die Kirche denkt darüber nach, wie sie nachhaltiger werden kann. Das Institut für Kirche und Gesellschaft in Westfalen stößt diese Themen in den Gemeinden an.
Die 36 Solarmodule schimmern dunkel an der südlichen Fassade der evangelischen Friedenskirche Herten-Disteln. Eine Fläche ist frei geblieben – in Form eines Kreuzes. Sogar aus der Luft ist es zu sehen, das nachhaltige Kruzifix der kleinstädtischen Gemeinde im Kreis Recklinghausen. Seit 2002 wandelt die Photovoltaikanlage inzwischen Sonnenenergie in Strom um und speist ihn in das öffentliche Netz. In dem Ort setzte die neue Technologie außerdem die Energie frei, noch mehr für den Klimaschutz tun zu wollen. Hier kam das westfälische Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) ins Spiel, genauer: Institutsleiter Klaus Breyer und Projektleiter Hans-Jürgen Hörner. Letzterer zeichnet verantwortlich für das Umweltmanagementsystem „Der Grüne Hahn“, das vom IKG in Herten eingeführt wurde.
Die Schöpfung bewahren
Seit mittlerweile zehn Jahren steuert Pfarrer Breyer auch die nachhaltige Entwicklung des Instituts, das sich in einem Gut von 1819 mit herrlichem Park befindet – im sogenannten Haus Villigst in Schwerte. Die Einrichtung stellt das Kompetenzzentrum für gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) dar. Hier werden Strategien entwickelt, um auf unterschiedlichen Feldern mit Projekten und Initiativen den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen innerhalb und außerhalb der Kirche voranzubringen. „Für uns ist die Klimakrise eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir haben noch zehn Jahre für einen Strukturwandel“, erklärt Klaus Breyer, der sich mit Leib und Seele für nachhaltige Veränderungen einsetzt. Bei der Klimakrise gehe es nicht nur um die Zukunft, betont der Institutsleiter. Schon heute treffe der Klimawandel viele besonders verletzliche Menschen im globalen Süden und mache jene, die am wenigsten zu seinem Entstehen beigetragen haben, zu Flüchtlingen, raube ihnen Entwicklungsmöglichkeiten, schüre Konflikte und verschärfe Armut.
Seit den 1990er-Jahren steht der Einsatz für Umwelt und Klima auf der kirchlichen Agenda. Ein umweltpolitisches Engagement in der evangelischen Kirche zu verankern erwies sich anfangs als schwierig. „Wir hatten viele heftige Auseinandersetzungen“, erinnert sich Klaus Breyer. Grund dafür waren ein weitverbreiteter Fortschrittsglaube und die Überzeugung, mit moderner Technik die Ressourcenknappheit in den Griff zu bekommen. Es kam zu hitzigen Diskussionen über die Themen Ökologie und Ökonomie, über bedrohte Arbeitsplätze durch klimafreundliche wirtschaftliche Umstrukturierungen und die soziale Verantwortung der Kirche. Heute herrscht bei grundsätzlichen Fragen weitestgehend Konsens. „Nachhaltigkeit ist ein Leitprinzip unserer christlichen Ethik. Es entspricht unserem Glauben, die Erde zu gestalten und zu bewahren“, sagt der 61-jährige Pfarrer. So gehört es zum Verständnis der Evangelischen Kirche, sich für den Erhalt der Schöpfung und damit auch für eine gerechte Teilhabe an den Lebensgrundlagen für alle Menschen starkzumachen.
Klimamanagement in der Kirche
„Daher mischen wir uns politisch ein und versuchen vehement, im eigenen Bereich den Natur- und Klimaschutz voranzubringen“, erläutert Breyer, der 1990 als Umweltreferent in der EKvW seine Laufbahn in diesem Bereich startete. Er weiß genau, wo der Schuh drückt: Konkret entspricht die CO2-Emissionssumme der westfälischen Kirche dem Verbrauch einer kleineren Mittelstadt. Deshalb setzte das westfälische Institut für Kirche und Gesellschaft vor zehn Jahren eine Klimaschutzstrategie für den kirchlichen Bereich auf. Ihr Kern ist die Beratung. Das Ziel: bis zum Jahr 2020 40 Prozent weniger CO2-Emissionen zu erreichen. „Das wird uns wohl auch gelingen“, fügt der Institutsleiter stolz hinzu.
Ein entscheidender Grund für diese positive Bilanz ist eben auch „Der Grüne Hahn“. Will eine Gemeinde das System einführen, gibt es einen konkreten Fahrplan: Zunächst ernennt die Kirchengemeindeleitung eine Person zum Umweltbeauftragen. Anschließend gründet dieser Beauftragte mit interessierten Gemeindemitgliedern ein Umweltteam. In Herten startete eine solche Arbeitsgruppe Anfang der 2000er-Jahre mit der akribischen Bestandsaufnahme der eigenen Umweltauswirkungen: Wie viel Strom, Heizung und Wasser verbraucht die Gemeinde? Wie hoch ist der Papierverbrauch, ist der Kaffee fair gehandelt, und sind die Kirchenrücklagen in nachhaltigen Fonds angelegt?
Nachhaltiger Konsum
Alle Bereiche werden unter den Aspekten Umwelt und Klimaschutz geprüft, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren. „Als Kirche haben wir eine besondere Verantwortung für nachhaltigen Konsum“, betont Martina Faseler, die Expertin für ökofaires Einkaufen am IKG. Als Verantwortliche für das Programm „Zukunft einkaufen“, das seit 2008 besteht, unterstützt sie kirchliche Organisationen dabei, nachhaltige Alternativen in der Beschaffung zu finden. Mit einem Leitfaden und Infoveranstaltungen begleitet das IKG diesen Prozess.
Als Kirche haben wir eine besondere Verantwortung für nachhaltigen Konsum.
„Es geht darum, Strukturen sichtbar zu machen. Meistens werden bestimmte Produkte in bestimmten Mengen eingekauft, weil es immer so gemacht wurde“, berichtet Faseler. Natürlich sei die Hemmschwelle hoch, das eigene Einkaufsverhalten kritisch zu hinterfragen. Immer wieder stößt sie auch auf Bedenken – zum Beispiel, dass Recyclingpapier den Drucker verstopfe oder Fairtrade-Kaffee nicht schmecke. Nur in puncto Altarkerzen kann sie die Skepsis nicht nehmen. „Wirklich nachhaltige Alternativen für den kirchlichen Verbrauch zu finden ist ein großes Problem: Bienenwachs ist unglaublich teuer, Kerzen ohne Paraffin werden aus umweltkritischem Palmöl hergestellt“, erklärt sie.
Ob Energie, Strom oder Anschaffungen: In einer extra entwickelten Software, dem sogenannten „Grünen Datenkonto“, tragen die Umweltbeauftragten alle Fortschritte, Verbrauchsmengen und Potenziale ein. So erhalten die Gemeinden einen umfassenden Überblick, was im eigenen Bereich passiert. „Eben wegen dieser Systematik ist der ,Grüne Hahn‘ so ein großer Erfolg“, sagt Breyer. Das System verdeutlicht schwarz auf weiß, wo die Gemeinde steht, welche Maßnahmen anstehen und wie sie priorisiert werden müssen.
Serie: Mercator Klima Forum
Wie integrieren Vereine und Institutionen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in ihre Arbeit? Darüber berichten wir in unserer Serie zu unserem Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
- Das Projekt „Sonne2Go“ nutzt die Sonne und bringt das anderen bei.
- Einen Stadtteil nachhaltig machen – das will der Verein „Aufbruch am Arrenberg“.
- Dirk Tröndle von der Iranischen Gemeinde in Deutschland will die Migrantencommunity für Klimaschutz sensibilisieren .
- Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat erklärt, warum ein kultureller Wandel Voraussetzung für Veränderungen ist.
- Auch Kirchen können nachhaltiger handeln. Wie, das zeigt das Institut für Kirche und Gesellschaft.
- Klima steht bei vielen Organisationen auf der Tagesordnung. Was das bedeutet, erläutert Lilian Schwalb vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).
Viel Aufwand, wenige Ehrenamtliche
Das Erfassen und Umstellen ist ein kontinuierlicher Prozess. In einem Jahreskurs begleiten die Referenten des IKG die Kirchengemeinden, um das Umweltmanagementsystem zu verankern. Von den rund 500 evangelischen Gemeinden der westfälischen Landeskirche beteiligen sich bisher etwa 20 Prozent daran, ihren Energieverbrauch zu erfassen. „Auf den ersten Blick klingt das nach wenig. Für den kirchlichen Bereich ist das aber viel“, stellt Hans-Jürgen Hörner fest.
Einen Fuß in die Tür bekommt Hörner meistens mit dem Argument, dass sich mit dem „Grünen Hahn“ Energie und Geld sparen lassen. Aber eben nicht immer. Denn natürlich zeigen sich einige Gemeindevorsteher erst mal skeptisch. Sagen, für den Umweltschutz gebe es doch ein Bundesministerium. Finden, Management sei keine kirchliche Aufgabe. Zudem bedeutet es viel Aufwand, die eigenen Umweltauswirkungen zu analysieren und systematische Schritte festzulegen. „Die größte Hürde ist die Ressourcenknappheit in den Gemeinden. In der Regel übernehmen das Ehrenamtliche, die aber auch noch einen Beruf und eine Familie haben“, meint Hans-Jürgen Hörner.
Auch in Herten waren es Ehrenamtliche, die das Umweltthema voranbrachten. „Es gab dort eine große Gruppe engagierter Mitglieder“, erinnert sich Breyer. Mit Infoveranstaltungen und sichtbaren Zeichen wie den Solarpanels an der Außenfassade wurde das Thema in der Gemeinde im Ruhrgebiet, die vom Bergbau geprägt ist, immer mehr angenommen. Danach sorgte die Arbeitsgruppe dafür, dass mit dem Umweltmanagementsystem klimafreundliche Maßnahmen festgeschrieben und umgesetzt wurden. „Der ,Grüne Hahn‘ war hier auch so wirkungsvoll, weil er das Umweltthema aus dem Hobbybereich Einzelner in die Gemeindeleitung geholt hat“, berichtet Klaus Breyer. Im Jahr 2006 wurde die evangelische Friedenskirche Herten-Disteln für ihr Umweltmanagement ausgezeichnet. Und das zeigt: Klimaschutz ist so viel mehr als reine Fassade.
Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
Der Klimawandel schien lange Zeit nur ein Thema für Umweltverbände zu sein. Heute appellieren auch Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen an die Politik, ambitionierter zu handeln. Wie es gelingen kann, einen größeren Teil der Gesellschaft in einen Austausch zu integrieren und mehr Menschen Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement aufzuzeigen, diskutieren wir beim Mercator Forum Klima.